DAF war die erste deutsche Band, der der englische “New Musical Express” eine Titelseite widmete. Bei DAF.DOS reichte es nicht mal für einen nostalgischen Rückblick im “Musikexpress/Sounds”.
“Ich und ich im wirklichen Leben
ich und ich in der Wirklichkeit
ich fühle mich so seltsam”
(DAF, “Ich und ich in der Wirklichkeit”, 1981)
War DAF wichtig? Jein. Die vorgebliche Relevanz des deutsch-amerikanischen Freundschaftsbundes, die sich in der eigenen Erinnerung erstaunlich breitgemacht und präsent erhalten hat, findet im opulenten Populärkultur-Supermarkt der Endneunziger eine nüchterne Verleugnung. Sprich: der Versuch, im Lauf eines Nachmittags in Hamburg ein bestimmtes DAF-Album aufzutreiben, schlägt fehl. Mehr als das – während sich in Sachen Can, Kraftwerk oder Amon Düül ohne Probleme Wurzelforschung anhand aller möglichen Tonträger, inklusive obskurer japanischer Importpressungen, treiben läßt, findet sich in den WOMs und “Schallplatten am Mönckebergbrunnen”-Läden dieser Stadt gerade mal ein vergammeltes Spätlingswerk (“Gold und Liebe”) zum kompakten Preis von DM 9,90. Dazu das 96er-DAF DOS-Album “Allein, zu zweit, mit Telefon”, das mich schon vor einem Jahr herzlich wenig interessiert hat, diesmal aber aus Rezensenten-Pflichtbewußtsein in der Einkaufs-Wundertüte landet. Der Obolus dafür (ein schmerzlicher Obolus, aber dazu später): DM 37,99.
Nun mag die überbordende Präsenz der Kraftwerk & Co.-Liga auf den Medienhype des Krautrock-Revivals zurückzuführen sein und die Absenz von DAF-Tondokumenten auf puren Zufall, aber der letztjährige Versuch, mit DAF.DOS einmal mehr an die Erfolge von “Mussolini” bis “Der Räuber und der Prinz” anzuschließen, kann nur als klaglos gescheitert betrachtet werden. Und die aktuelle Tour schwerlich ohne einen Blick über die Schulter der Bandhistorie auskommen.
Rewind: 1978 trafen im Düsseldorfer Szenetreff “Ratinger Hof” der geborene Spanier Gabi Delgado-Lopez und der Münchner Robert Görl aufeinander. “Wir hatten uns da schon öfter gesehen, kannten einander aber nicht persönlich”, erinnert sich Delgado-Lopez. “Ich dachte irgendwie, musikalisch hat der bestimmt was drauf. Das war eine sehr intuitive Sache.” Über Nacht wurde das DAF-Konzept erarbeitet. Kein Punk, keine Imitation englischer Bands, kein Aufgreifen deutscher Tradition. “Wir nahmen die Energie des Punk, denn davon waren wir begeistert, und entwickelten mit deutschen Texten etwas ganz Neues”.
Tatsächlich waren DAF nicht weniger als Wegbereiter der Techno-Internationale. Ihr Ansatz der radikalen Verweigerung jeglicher Rock-Konventionen führte ohne Umwege zu einem rohen, vorwärtstreibenden, enorm effektiven Sequencer/Synthie/Drum Machine-Geboller, das einerseits den Stand der Technik widerspiegelte, andererseits wie ein Rammbock in die süßlichen Synthesizer-Kaskaden der Rick Wakeman-Epigonen von Klagenfurt bis Kiel donnerte. Kein Zufall auch, daß dieses Konzept zunächst in England auf offene Ohren stieß – bei Daniel Miller (“Mute”) und Virgin Records. Zunächst ein Quintett, das Musiker wie Michael Kemner (später Fehlfarben), Wolfgang Spelmans oder den Pyrolator (später Der Plan) miteinschloß, ergab sich die Reduktion auf das Front-Duo Görl/Delgado-Lopez als logische Folge des minimalistischen “Laß’ uns die Sache auf den Punkt bringen”-Ansatzes.
Das aufreizend Ungestüme und Brachial-Neue der DAF-Songs fand in den Texten eine adäquate Fortsetzung: “Tanz den Adolf Hitler, tanz den Jesus Christus, tanz den Kommunismus” (“Der Mussolini”) wurde zum logischen Streitfall eines im Zug der “Neuen Deutschen Welle” wie junges Kraut aus dem Boden schießenden Pop-Diskurses. “Kebabträume” (“Wir sind die Türken von morgen”) intonierten auch die Kollegen von Fehlfarben. Der Name der musikalischen Formation (die treffsicherste Bezeichnung für das DAF-Sozialgefüge; heute würde man wohl von einem Projekt sprechen) stellte sowieso die ironische Frage nach den US-Populärkultur-Werten der Nachkriegszeit und ihren kolonialistischen Zügen. Songtitel wie “Verschwende Deine Jugend”, “Muskel” oder “Absolute Körperkontrolle” deuteten das latent homosexuelle und ungeniert hedonistische Fundament der Deutsch-Amerikanischen Freundschaft mehr als an. Es roch nach Leder, Schweiß und Hingabe.
Ich erinnere mich an einen Auftritt des Duos im “Zwanzigerhaus” beim Wiener Südbahnhof. Muß wohl ‘81 gewesen sein. Der kühle, modernistische, dabei gleichwohl aschenbrödelhaft-verschlafene Rahmen des Museums für Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts stand in einem seltsamen Kontrast zu der Dringlichkeit und Drastik des DAF’schen Pop-Gestus. Das Konzert im Rahmen der “jungen Wiener Festwochen”, wenn ich das recht im Gedächtnis habe, endete in einem frühzeitigen Abbruch und/oder Tumult. Görl und Delgado/Lopez, ein paar Monate zuvor gerade mal Helden in Außenseiter-Trend-Brutstätten wie dem “Ton um Ton”, ritten auf den Wogen des Hitparaden-Überraschungserfolgs. Ein junge Heidi Spacek, damals wie heute unstoppbarer BMG-Promotion-Dynamo, trieb ergriffene Jungjournalisten (darunter Werner Geier, Martin Blumenau und Thomas Mießgang) zu einem Interview ins Hotel Monopol bei Franz Josef-Bahnhof. “Ich und ich und die Wirklichkeit” wurde für zwei, drei Monate zu meiner persönlichen Distanznahme von der Belanglosigkeit einer post-pubertären Pop-Fröhlichkeit, bevor das Stück wieder von Fehlfarben oder XTC oder den Talking Heads aus dem Kurzzeitgedächtnis verdrängt wurde.
Aber kaum eine musikalische Erscheinung eignet sich so wenig für sentimentale Verklärung wie DAF. Die “futuristisch-vitalistischen Kraftausbrüche, die radikale Destruktion und die entfremdet-euphorische Dance-Hingabe” (“Testcard”) des Duos zerfiel erstaunlich rasch zu einer spannungslosen, leeren Geste. “Gold und Liebe”, das dritte (!) im Lauf des Jahres 1981 erschiene Album, war nur noch die blasse Kopie der Vorläufer. Der 82er-Nachfolger “Für immer” geriet inmitten des rasant trivialer und trivaler geratenden NDW-Rummels zum kaum mehr wahrgenommenen Abschiedstatement einer richtungsweisenden Band. Görl und Delgado-Lopez, ausgebrannt, gelangweilt und enttäuscht, gingen auseinander. Die Techno-Landschaft wurde zum temporären Rückzugsgebiet, das – zumindest ansatzweise – ein Verschwinden in der Anonymität neuer Projekte zuließ.
Wäre Gabi Delgado-Lopez nicht, laut PR-Waschzettel “der Stimme seines Herzens folgend”, auf die unselige Idee verfallen, DAF zwo aus der Taufe zu heben: DAF.DOS. “Ich glaub’ ich fick’ Dich später” singt Gabi heute, begleitet von einem House- und Hof-Weggefährten namens Wotan Wilke. Leider gibt der frisch aufgekochte alte Ideen-Teebeutel nur noch eine trübe Flüßigkeit her. “Debile Musik” als Etikett ist inkludiert – so nimmt das Duo dem Kritiker das Wort aus dem Mund und vermeintlich den Wind aus den Segeln. Allein: es interessiert keinen Schwanz. Der Katalog der eigenen Wünsche (Delgado: “Wir vergessen die Vergangenheit, demolieren die Gegenwart und mixen die Zukunft”) läßt die alte Dringlichkeit nicht vermissen. Doch sie verpufft im luftleeren Raum. Da draußen orgeln Rammstein, wütet Schwester S. und schmirgeln Tocotronic ihre Gitarren. Weit und breit keine DAF-Nostalgie in Sicht.
(FALTER)