„Natürlich ist mir sein Tod nähergegangen als der von Lady Di“, sagt Drahdiwaberl-Legende Stefan Weber. Und ist damit nicht allein auf weiter Flur. Ein Nachruf auf Falco, Österreichs One-man-Pop-Speerspitze der achtziger Jahre.
„Wer sich retten tut,
der hat zum Untergang kan Mut“
(Falco, „Titanic“)
Schon eigenartig. Des Landes größter, erster, einziger Popstar, ja „Österreichs Popstar“ (Kurier) schlechthin stand da zur Disposition, ein letztes Mal, mit einem in seiner unendlichen Banalität kaum er-, so doch klischeegrell verklärbaren „Tod unter Palmen“ (Die ganze Woche) – und die Meute an Nachrufschreibern und Trauerrednern kriegt es nicht mal hin, den Namen des zu Ehrenden richtig zu schreiben. Hölzel, Johann. Hans, für Freunde. Waren sie doch, waren wir doch alle, eine Generation, irgendwie. Hölzel. Oder?
Dieser seltsam fremd klingende Name wird, da muß man seiner Vorahnung nicht übermäßig freien Lauf lassen, auf dem Grabstein nicht zu finden sein. Johann Hölzel, Musiker, geboren am 19.02.1957 in Wien, tödlich verunglückt am 07.02.1998 in Puerto Plata. Ehrengräber tragen andere Inschriften. Ein schlichtes „Falco“, nichts sonst. Dem Hans wär’s recht gewesen so. Zusätzlich ein gemeißelter Falke vielleicht (etwas kitschig, aber mit Sinn für würdige Symbolik) oder ein – natürlich in diesem Kontext dreifach ironisch-cooles – „Drah’ di net um“, und der geborene Wiener wäre bereit, sich abzufinden mit dem Unabänderlichen, zufrieden mit der letzten Ruhestätte eines wirklich Prominenten, Zentralfriedhof, 2. Tor, Zilk-Abschiedsrede inbegriffen. Requiescat in pace. Die Achtziger sind endgültig für beendet erklärt.
Hans Hölzel hätte seine Freude gehabt an der Inszenierung des Finales, und ich verwette meine Seele darauf, daß ihm einige Begleiterscheinungen der finalen Falken-Versenkung zu unendlich zynischen Kommentaren veranlaßt hätten. Rudi Dolezal, vorgeblich Miterfinder der Kunstfigur „Falco“, mit der Videokamera am offenen Grab? „A echter Haberer“. Peter Alexander, der daheim erschüttert „Amadeus“ dröhnen läßt? „No so a Haberer“. Richard Lugner, Hans Reinisch, Udo Jürgens, Georg Kindel, Waterloo usw.usf. „Olles Haberer, eh klar“. Sowieso.
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Schon eigenartig: das letzte mir erinnerliche längere Gespräch mit Falco, das nicht auf ein routiniertes Journalisten-Frage-Antwort-Spiel hinauslief, fand vor der Kulisse des Zentralfriedhofs statt. Im „Concordiaschlössel“, dem ersten Tor der Anlage gegenüber. Beim Qualtinger-Begräbnis sei er auch hier gesessen, erzählte der Hans (und es war in diesem Augenblick tatsächlich Hans Hölzel, und nicht sein alter ego Falco), er hätte es nicht mehr ausgehalten, das hohle Pathos der ganzen G’schicht. Dann schon lieber Alkohol.
Der damalige Ö3-Chef, zu dessen Nachwuchs-Pop-Wettbewerb wir das Aushängeschild des Austro-Pop-Business eingeladen hatten, zeigte sich wenig erfreut über den illuminierten Juror. Falco war’s, wie mir, ziemlich wurscht.
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Rückblende. Den Hölzel Hans kannte jeder, der sich Anfang der achtziger Jahre im überschaubaren Pop-Biotop Wien tummelte. Als Mitglied der Kabarett-Rock-Kollektive Hallucination Company und Drahdiwaberl führte der attraktive Jüngling am Baß schon jene „Sgt.Peppers“-Zirkusuniform vor, die später ebenso sein Markenzeichen werden sollte wie gewisse Eigenschaften, die dem Gros der Spät-Hippie-Bühnenkollegen entbehrlich bis verwerflich erschienen: Selbstbewußtsein an der Schmerzgrenze zur Affektierheit, Stolz, Exaltiertheit, Eigensinn. Dazu ein unzweifelhafter Wille zum Erfolg. Probeaufnahmen mit dem Austropop-Produzenten René Reitz blieben unter Verschluß. Der ehemalige AZ-Journalist und angehende Platten-Impresario Markus Spiegel aber erkannte (gemeinsam mit dem Gig Records-Mitstreiter Wolfgang Strobel) umgehend die hervorstechenden Qualitäten Hölzels. „Ganz Wien“, eine erste Probe des Hit-Potentials, wurde aus dem „Drahdiwaberl“-Fundus entlehnt. Dann durfte Robert Ponger, zuvor mit Wilfried und Bilgeri schon erfolgreich, die ungeschliffene Perle Falco (der Künstlername war durch den DDR-Schisprungstar Falko Weißpflog inspiriert) polieren – und legte quasi aus dem Stand mit dem „Kommissar“ den ganz großen Wurf hin. Obgleich: Markus Spiegel & Co. waren sich des Erfolgs damals nicht ganz so sicher – auch „Helden von heute“, eine gerissene Bowie-Hommage, stand als Single-A-Seite zur Diskussion. „Einzelhaft“, das im Sog des Überraschungserfolgs rasch nachgeschobene erste Album, bestätigte das Potential des Duos Ponger/Hölzel – Titel wie „Zuviel Hitze“ oder „Auf der Flucht“ haben, neben den bereits erwähnten Hits, noch heute Bestand. Die Formel: geschmacksverstärkter Synthiesound statt traditionellem Wandergitarrengeschrammel, plakativer Pop (ohne „Austro“-Präfix) anstatt Liedermacher-Larmoyanz, erregend multilingual-exotisches Wortstakkato statt Fusselbartlyrik, Zeitgeist (jawohl: Zeitgeist!) wider das allerorten grassierende Bob Dylan-Apostolat. Erinnert sich jemand daran, daß Alfred Hütter, Redakteur der “MusicBox,“ Falco „The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five adaptieren und interpretieren ließ? Das Ergebnis fiel alles andere als peinlich aus, nämlich grandios. Egal, ob Hans Hölzel jetzt das Genre Rap miterfunden oder nur clever adaptiert hat – der „Kommissar“ läutete hierzulande die achtziger Jahre ein, die „neue deutsche Welle“ österreichischer Provinienz, die Stunde Null der internationalen Pop-Geschichte made in Austria (sieht man von Kuriositäten wie „Hollywood“ von Waterloo & Robinson oder Supermax’ „Lovemachine“ einmal ab).
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Der Rest ist – mehr oder weniger – bekannt. „Junge Römer“, das im Verbund mit Zeitgeist-Profis wie Markus Peichl und Michael Hopp („Wiener“) inszenierte Zweitlingsalbum, brachte es nur zum Kritikerliebling. Designerware, zu kühl, zu glatt, zu dekadent für die breite Masse. Mit dem neuen, niederländischen Produzententeam Bolland & Bolland und einem definitiv populistisch-spekulativeren Ansatz zündete Falco aber 1985 scheinbar mühelos die dritte Karrierestufe. „Rock Me Amadeus“ spielte clever mit Mozart-, Film- und Pop-Klischees und erreichte den Pop-Olymp, die Spitze der US-Charts. Und alle restlichen Hitparaden von Hamburg bis Tokyo sowieso. „Falco hat für den österreichischen Fremdenverkehr“, so Michael Hopp damals, „unter Garantie mehr getan als alle Kampagnen der letzten Jahre zusammen“. Der Neo-Weltstar – Profi im Umgang mit den Medien genauso wie in der Auswahl seiner Textilausstatter – lieferte der Handvoll heimischer Musikideologen auch die fleischgewordenen Antithese zum verblassenden Austropop-Imperium. Wo Wolfgang Ambros nur noch lustlos vor sich hingrantelte, gab Falco allemal gern den präpotenten, großkotzigen, oberschlauen Weltstar ab. Das Bewußtsein dafür, daß er in dieser Rolle bisweilen auch die Grenze zur Parodie überschritt, verlor sich im Lauf des Höhenflugs. „Jeanny“ geriet zum Instant-Skandälchen, Duette mit Brigitte Nielsen oder Desiree Nosbusch zum Mini-Sensatiönchen. Mit dem Ausklang der achtziger Jahre war die Erfolgsformel zunehmend verbraucht. Alben wie „Wiener Blut“, „Data De Groove“ oder „Nachtflug“ schienen nur noch eingeschworenen Falco-Fans unentbehrlich, zu groß dimensionierte Tourneen gerieten zum Flop, der Schmäh des Falken mochte nicht mehr recht ziehen. Gelegenheitstreffer („Titanic“, „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“) schienen da bisweilen wie kleinliche Erinnerungen an einstige Grandezza. Den Status, in einer eigenen Liga zu spielen, verlor Hans Hölzel nie.
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Ach Gott, der ganze Scheiß mit Kind und Kegel, Süüvaal und Isabella, Alk und Koks, die ganze Malaise. Lassen wir das. Falco war ein aufmerksamer, charmanter, gewitzter Gesprächspartner, wenn er fit war – wenn er getrunken hatte, konnte er schon das letztklassige Arschloch abgeben, das man ihm zu gerne unterstellte. So what? Immerhin hatte Hans Hölzel den Mut zuzugeben, daß er nicht „herumexperimentierte“, sondern sich das Zeug in kaum stoppbarer Sucht reinzog. „Es führt nirgendwohin“, resümierte er seine Erfahrungen, und diese müde Feststellung klingt ernüchternder und abschreckender als alle Anti-Drogen-Pamphlete der üblichen Unverdächtigen zusammengenommen. Sollte sich herausstellen, daß der letale Verkehrsunfall in Puerto Plata Hand in Hand ging mit einer Beeinträchtigung des Bewußtseinshorizonts des Opfers – es ergäbe ein gefundenes Fressen für die Sub-Journaille. „Live fast, die young?“ Wahrscheinlich war’s schlichte Übermüdung, ein Moment der Unaufmerksamkeit, eine Verkettung unglückseliger Umstände – aber auch das ist Spekulation.
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Schon eigenartig: Ich blättere im ersten langen Interview, anno ‘82 knapp nach dem „Kommissar“-Erfolg geführt, veröffentlicht in einem Reader, der die damalige Aufbruchsstimmung der Austro-Szene widerspiegelt – „Die guten Kräfte“, herausgegeben vom nachmaligen Ostbahn-Kurti-Erfinder Günter Brödl. Die letzte Frage an Falco: „Wo hört die Fahrt auf?“ Antwort: „Mit dem Tod. Oder mit einer fünfzehnjährigen Sizilianerin irgendwo unten bei den Mafiosi im Lehnstuhl am Meer…“. Eine Zeitlang war der Hans nah dran. Ziemlich nah, irgendwie.