Archive for September, 1998

Abspeichern und fertig

21. September 1998

Das Musikformat MP3 ist ein – vorwiegend illegal gespeistes – Internet-Fan-Biotop. Eine deutsche Firma bringt den ersten mobilen Player auf den Markt.

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Es ist die Schreckensvision der Musikindustrie: das Internet als riesiger Selbstbedienungsladen. Alles kostenlos, alles verfügbar, alles außer Kontrolle. Ein einziges Piratennest, bislang gerade noch im Zaum gehalten durch den Umstand, daß sich im World Wide Web vornehmlich Freaks und Auskenner tummeln. „Early adoptors“, wie sie im Branchenjargon heißen, die sich gern auch mal ihre CDs per Computer selbst brennen oder wissen, wie der Kopierschutz beim Überspielen einer MiniDisc zu knacken ist.

Diese – von Marketingleuten gleichwohl umschwärmte wie gefürchtete – Klientel, gleichsam die Vorhut zukünftiger Konsumentenmassen, hat seit geraumer Zeit ein neues Liebkind: MP3. Die kryptische Abkürzung steht für „Motion Picture Expert Group 2 Layer 3“, ein Verfahren zur Kompression von Audiodaten. Auf einen kurzen Nenner gebracht, ermöglicht diese Technologie, digitale Informationen auf ein Zwölftel der ursprünglichen Datenmenge einzudampfen, ohne daß allzuviele Zwischentöne verlorengingen.

Annähernd CD-Qualität bei überschaubarem Speicherbedarf und akzeptablen Download-Zeiten: hinter den nüchternen Algorithmen von MP3 verbirgt sich revolutinäres Potential. „Die Wirkung, die von diesem Konzept ausgeht“, jubelt das Avantgarde-Techno-Magazin De:Bug, „ist nur mit der Entdeckung der Kernspaltung vergleichbar“.

Speziell im Visier mit ihrem Freudenausbruch haben die MP3-Ideologen das bislang fehlende Bindeglied zwischen dem schnellen Brüter Internet und der vergleichsweisen Behäbigkeit und Bequemlichkeit des Durchschnitts-Konsumenten: den „MPlayer3“. Es handelt sich um das erste Gerät auf dem deutschen Markt, das – ohne umständliche Umwege – eine Abnabelung vom PC ermöglicht. Äußerlich erinnert das Teil an einen Walkman, auch der avisierte Preis von etwa 430 Mark hebt das schnuckelige Elektronikpaket nicht in neue Dimensionen.

Allein: hier dreht und bewegt sich nichts mehr – dem „MPlayer 3“ fehlt jede Mechanik. Musik wird direkt aus dem Netz gezapft und auf briefmarken-großen Multimedia-Flashcards gespeichert, die in der Mobilcomputerwelt Standard sind. 8 Megabyte fassen etwa 30 Minuten Musik, Karten mit zweiunddreißig oder mehr Megabyte sind angekündigt. Auch ein „ROS“ (Record On Silicon) betiteltes Format ist avisiert – die Daten darauf sind nicht überschreibbar und mit einem Kopierschutz versehen. Ein Seditativ für den traditionellen Plattenhandel? Ein Ablenkungsmanöver für Urheberrechtsexperten? Oder gar ein potentieller Nachfolger der CD?

„MP3-Speicherkarten könnten durchaus die neue Generation von Tonträgern bilden“, so Michael Kreissl, Programmchef des Kölner Musik-TV-Senders Viva. „Denkbar ist es, vorbespielte Speicherkarten in den Handel zu bringen oder MP3-Dateien über Music On Demand (MOD)-Websites zu vertreiben“. Die ebenso kontroversen wie bisweilen heftigen Diskussion zum Thema signalisieren Kreissl die Nervosität der Branche. „Music On Demand macht den Konzernen, deren Stärken ja vor allem im Vertrieb angesiedelt sind, Angst. Mit MOD rücken andere Bereiche in den Vordergrund – Musikverlage oder unabhängige Kreativzellen, die direkt an eine zig-Millionen-Zielgruppe gelangen können“.

Fur Überraschung sorgt in diesem Kontext die Herkunft des „MPlayer3“: it’s not a Sony, und Philips steht auch nicht auf dem Herstelleretikett. Pontis, ein kleiner, in Schwarzenfeld bei Regensburg ansässiger Betrieb, hat sich bislang vornehmlich mit Lichtwellenleitern und Meßtechnik befaßt. Der Werbeauftritt im Internet ist selbstbewußt, camoufliert aber erste Schwierigkeiten: die Premiere des „MPlayer3“ ist vorerst auf November verschoben. „Lieferanten-probleme“ verlautet Pontis-Geschäftsführer Erich Böhm. „Trotzdem liegen schon ein paar hundert Vorbestellungen vor.“

Konkurrenz im neuen Geschäftsfeld droht Pontis gewiß nicht nur von den lauernden Unterhaltungselektronikkgiganten. Mehr als ein Dutzend MP3-Walkmen unterschiedlichster Konstruktion und Herkunft ist auf den elektronischen Anschlagtafeln des Internet angekündigt – die reinen Software-Lösungen nicht eingerechnet. Ein Gegenspieler zum „MPlayer3“ stammt aus Korea: der aggressiv betitelte „MPMan“ von Saehan kommt ganz ohne Wechselspeicher aus und wurde schon in den USA und England gesichtet. Ein Faktum, das den britischen Industrie-Lobbyisten Nic Garnett das umgehende Verbot der brisanten Technologie fordern ließ.
„80.000 ungeklärte oder ungenehmigte Musiktitel sind heute im Netz abrufbar“, so Garnett. „Und ständig werden es mehr“.

Tatsächlich gleicht das lose Netzwerk an MP3-Sites einer Riesen-Jukebox – ohne Geldschlitz. Nur die Online-Kosten fallen an. Kommerzielle Konkurrenz-Datenformate wie Real Audio oder Liquid Audio unterliegen einem weitgehenden Regulativ. MP3 dagegen ist der Favorit der Freibeuter, die die Fangemeinde weltweit mit Nachschub vesorgen. „Es gibt alles, die US Top 10, die englischen Spitzentitel, die deutsche Hitparade“, so Frank Z., Inhaber einer Berliner Multimedia-Firma. „Und öfter einmal gibts ein komplettes Album zum Runterladen, inklusive Cover. Letzte Woche war es der „Armageddon“-Soundtrack“. Natürlich illegal. Kaum wird eine Piratendschunke im Datenstrom gesichtet und geentert, laufen drei andere aus.

Schmerzliche Einsichten für die Branche, die nach effektiven Schutzmaßnahmen des Gesetzgebers verlangt. Und anderseits schon mit MP3 liebäugelt. Disney hat gerade die erste Promotionsingle zum Gratis-Download freigegeben, Newcomer-Bands setzen zunehmend auf das World Wide Web als Präsentationsfläche, aber auch Stars wie Prince oder die Beastie Boys sind deklarierte Anhänger des neuen Formats. Edgar Bronfman jr., Vorsitzender des Seagram-Konzerns, vermählte vor wenigen Wochen die Plattenmultis Polygram und Universal zum weltgrößten Musikanbieter – mit starkem Drall in Richtung Zukunft.. „Musik wird heute größtenteils noch wie Socken, Brot oder Alkoholika verkauft“, so Bronfman. „Man beliefert Geschäft um Geschäft und stellt alles ins Regal. Das Internet dagegen verspricht nicht nur neue Marketing-, sondern auch Distributionsmöglichkeiten“.

Man darf Wetten abschließen, daß er einen MP3-Player in der Schreibtischschublade liegen hat. Zu Testzwecken.

(c) DIE ZEIT : http://www.zeit.de/1998/44/199844.mp3_.xml

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Öl und Wasser

6. September 1998

Ein paar Worte zum neuen Album von Günter Mokesch. Alias Mo.

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Ich bin befugt, über das neue Album von Mo zu schreiben, weil ich ich es Günter Mokesch nicht ausreden konnte. Das Album primär, das Schreiben darüber erst recht nicht.

Mo ist ein Überzeugungstäter, und das unterscheidet ihn nachhaltig von jenen Viertelstunden-Sternschnuppen Warhol’scher Star-Philosophie, die heute die Hitparaden und Ätherwellen beherrschen und doch nichts anderes sind als Reißbrett-Kreaturen zynischer A&R-Manager. Mo dagegen, gewiß auch eine Kunstfigur und doch seelenverwandt mit seinem alter ego Günter Mokesch, ist ein ewig junger, ewig suchender, fast immer naiver und fast immer auch erstaunlich positiver Charakter. Ein Künstler, der seinen Mut und seine Neugier nicht verloren hat und sich nicht einreiht in die Marschriege alternder Austro-Stars, deren alleiniges Metier heute das Klagelied zu sein scheint.

Merke: das neue Mo-Album heißt „Oil and Water“, nicht „Rotz & Wasser“.

Ich bin also befugt, darüber zu schreiben – vielleicht auch deswegen, weil ich schon vor Jahren versucht habe, dem Publikum Mo’sche Kleinode (etwa das wunderbare Album „Dancing With An Eskimo“) nahezubringen. Also bin ich auch befugt, Mo Rügen zu erteilen.

Er scheut nachwievor die großen Gesten und das Pathos nicht. Das steht dem gelernten Österreicher nur im Moment des Scheiterns wirklich gut. Er kümmert sich nicht weiter um neue Strömungen und musikalische Tendenzen, die ja auch in Wien einen guten Nährboden haben, und versucht kaum einmal, sich daran zu reiben. Er kehrt – nach weiten und langen Ausflügen in die Gefilde des Musicals und Kabaretts – unvermutet und unspektakulär zu seinen Wurzeln zurück, in dieses ewige Pop-Brachland zwischen Neusiedler- und Bodensee, und glaubt wahrscheinlich, mit einem Augenzwinkern durchzukommen. Wir werden sehen.

Das neue Werk, absehbar als „Comeback-Album“ etikettiert, zeigt jedenfalls ungebrochen das ewige Talent Mo. Von seinen besten Seiten. „Another Ship To Come“ ist die Fortsetzung von „Ein Schiff wird kommen“ mit anderen Mitteln und einer Pina Colada in der Hand. Ö3 darf sich freuen. Bei „You’re Not Alone“ und „Thin Line“ handelt es sich um Balladen, die Schmalz besitzen und Pep und jenen speziellen Charme, der Vorstadtcasanovas das Autoradio lauter drehen läßt.

Wenn dann „Girls“ im Programm gleich anschließt, umso besser. Gilt irgendwie auch für „Come Back“ – ein Song, dem man Coverversionen von Joe Cocker und Willy DeVille wünscht. „In Times Of Trouble“ wird im Intro die Hoheitsflagge gepflegter Schicksalsschwere aufgezogen – was Mo nicht daran hindert, mal im Seidenanzug, mal mit Stromgitarren dagegen anzugehen und Pop zum nachhaltig wirksamsten Anti-Depressivum auszurufen. Wieder einmal. „Brainwashed Monkeys“: die Achtziger lassen grüßen. Die Loops verweisen auf die Neunziger. Wie wird man das erste Jahrzehnt des nächsten Jahrtausends in salopper Verkürzung nennen? Hat Mokesch Bowie-Aktien gekauft? Was wurde aus Hansi Schimpansi? „The Chinese Monk“ wirft eine weitere Frage auf: lesen Musiker Feng Shui-Ratgeber? Im Song jedenfalls ist Luft drin und Leichtfüßigkeit und etwas, das glücklich macht. Vielleicht Glutamat.

„Sea Of Pain“ ist mein persönlicher Favorit. Sagen wir mal so: es ist der modernste Song, den Mo – neben der Coverversion von „In A Manner Of Speaking“ anno 1991 – je aufgenommen hat. Plädiere für einen Byrne/Eno-Remix. Und einen der Sofa Surfers. „Beautiful“ dagegen läßt mich die Skip-Taste suchen. Nicht jeder Schuß muß ein Treffer sein.

Null Einwände dagegen bei „Drive My Car“: Beatles-Fans können keine schlechten Menschen sein. Hier fährt Günter Mokesch zwar nicht Rolls-Royce, wie’s Lennon/McCartney damals wohl im Sinn hatten, sondern Auto-Scooter. Dafür kracht’s lustiger. Bringt Pluspunkte bei der „Autorevue“.

Gepflegtes Handwerk. Einige große Momente. Ein Album insgesamt, das es nicht verdient, mit dem unseligen Satz „Für eine österreichische Produktion recht gut“ gebrandmarkt zu werden. Das hier hat Reife und Klasse und Charme. Nichts für die Kruder & Dorfmeister-Fraktion, aber bester Stoff für die abgeklärte Rotwein-Klientel. Duftöl & Rosenwasser. Günter Mokesch kann’s nicht lassen. Schon recht so.

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