Der Kampf um die Vorherrschaft im Musikmarkt der Zukunft gewinnt an Härte und Dramatik. Nun nutzen auch große Plattenfirmen das zuvor verteufelte Download-Format MP3.
Madonna hat auch so ihre Sorgen. Zwischen Auftritten bei pompösen Celebrity Nights, vergleichsweise legeren Shopping-Touren und der pragmatisch-erotischen Akquise weiterer Kindsväter schreckte die amerikanische Pop-Diva ein Hinweis eines Fans auf: ”Music”, das Titelstück ihres neuen Albums, stünde zum Internet-Download bereit. Kostenlos. Und das, hoppla!, bereits vier Monate vor der geplanten regulären Veröffentlichung. Ein Griff zum Telefonhörer ließ umgehend die Rechtsanwälte ihrer Plattenfirma rotieren. Die Musik sei gestohlen worden, so die offizielle Mitteilung von Warner, und ”die Arbeit an diesem Song eigentlich noch im Gange”. Jeder, der das Material ohne ausdrückliche Genehmigung anbiete, müsse umgehend mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.
Sorgen plagen auch die vermeintlich hartgesottenen Kollegen von Metallica, einer der umsatzstärksten Rock-Bands der Welt. Lars Ulrich & Co. waren nämlich an und in ”Napster” geraten, eine Web-Tauschbörse für – meist illegale – Überspielungen aller nur erdenklichen Musikstücke ins beliebte MP3-Format. Da darunter auch solche Gassenhauer wie das hauseigene ”Nothing Else Matters” zu finden waren, verklagten die Schwermetaller die aufstrebende dot.com-Plattform des neunzehnjährigen Ex-Studenten Shawn Fanning auf Schadenersatz in Millionenhöhe und die Sperrung von 335.435 namentlich bekannten Napster-Nutzern. Seitdem sieht sich die Band einem virtuellen Orkan der Entrüstung ausgesetzt. Die Metallica-Fansite wurde gehackt (”Leave Napster alone!”), die Konkurrenz – von Limp Bizkit bis Cortney Love – zeigte sich spöttisch bis radikal unsolidarisch, im Netz kursieren fiese Cartoons und ein Satire-Magazin verkündete gar, Metallica hätten nunmehr ein ”Napster-sicheres Album” herausgebracht. Dieses bestehe nebst einem Interviewmonolog von Ulrich nur aus einem einzigen, knapp einstündigen Song und sei so lang und langweilig, daß niemand es freiwillig auf seinen Rechner runterladen würde.
Deutlich weniger Sorgen hat dafür seit kurzem Michael Robertson. Der Chief Executive Officer und Wortführer der größten und bekanntesten Internet-Musik-Plattform MP3.com einigte sich Mitte Juni mit den Musikgiganten Warner und BMG über Copyright-Verletzungen, die – so ein US-Gerichtsurteil – durch Dienste wie ”my.MP3.com” begangen wurden. Dieser Service hatte es jedermann erlaubt, zuvor käuflich erworbene CDs im Netz lagern und jederzeit abrufen zu können. Die Einigung mit zwei der fünf dominierenden Major-Plattenfirmen (”Das größte Kartell außerhalb Kolumbiens”, so der Medienkritiker John Katz) sieht vor, daß für jeden Upload eines Songs 1,5 Cent anfallen und für jeden Download nochmals 0,33 Cent.
Groschenbeträge, möchte man meinen, aber Robertson mußte umgehend 40 Millionen Dollar auf den Tisch legen. Das ”Wall Street Journal” erwartet, daß weitere achtzig bis hundert Millionen für Universal, EMI und Sony Music fällig werden, den Rattenschwanz an Lunte riechenden Kleinlabels, Musikverlegern und Indie-Künstlern noch gar nicht eingerechnet. Analysten kalkulierten umgehend, das Geschäftsmodell von MP3.com sei nicht mehr tragfähig, dennoch könnte nach der überraschenden Allianz der extrem schwächelnde Aktienkurs des Unternehmens wieder zulegen. ”Ein Wendepunkt in der jungen Geschichte des Online-Musikgeschäfts”, kommentierte die britische Branchen-Gazette ”Music Week”. ”Der Umstand, daß sich zwei der großen Plattenfirmen mit dem zuvor als Antichrist verteufelten Robertson ins Bett legen, zeigt, wie ernst der Schrecken genommen wird, den er verkörpert”.
Tatsache ist, daß bislang – trotz intensiver Anstrengungen der Majors, die ihren Höhepunkt in einer ”Secure Digital Music Initiative” (SDMI) genannten Vergatterungsaktion fanden – kein tragfähiges Internet-Geschäftsmodell oder Copyright-Sicherungssystem existiert. Auch der Vorschlag der deutschen Major-Interessensverbandes IFPI, eine Art elektronische Grenzsperre (”Rights Protection System”) unter Oberaufsicht der Zollbehörde zu installieren, stieß bislang nur auf höhnische Ablehnung und wütende Zensur-Vorwürfe. Die Branche sieht sich alleingelassen an der vordersten Front einer radikalen Umwälzung. Das Schrumpf-Format MP3, das dem Konsumenten Zeit und Speicherkapazität spart und daher explosionsartige Verbreitung fand, erweist sich dabei nur als – technisch eigentlich bereits überholtes – Menetekel der kommenden Online-Revolution. Breitband, Streaming und Instant Downloads sind Schlagworte, die längst die Diskussion beherrschen. ”Musik gehört zu den wenigen Gütern”, so der deutsche BMG-Boß Thomas Stein, ”die sich über das Internet nicht nur bestellen, sondern auch liefern lassen”.
Legal, illegal, scheißegal – ganz nach Geschmack. Durch Downloading und CD-Brennerei entgehen der Branche weltweit mittlerweile geschätzte zwanzig Milliarden Schilling, Tendenz steigend. In Österreich, mit jährlich 2,6 verkauften CDs pro Einwohner immerhin auf Platz zehn der Weltrangliste, belief sich der Schaden anno ´99 auf 100 Millionen, so der Sprecher der hiesigen IFPI, Thomas Böhm. Bereits 2003 soll andererseits nach Schätzung der Consultingfirma Jupiter Communications der Umsatz im Netz 14 Prozent des Gesamtvolumens betragen, allein in den USA 2,6 Milliarden Dollar. Vorbote der nächsten Runde im rasant beschleunigenden Technologie-Karussell: fast alle Hardware-Erzeuger haben für den Herbst eine neue Generation von MP3-Playern angekündigt, von der Casio-Uhr mit Songspeicher bis zum Handy mit Direktverbindung zur Hitparade – ein Markt, den man bis vor kurzem ausschließlich Exoten überlassen hatte.
Sieht man von den Anstrengungen des Handelsriesen Libro ab, die bezeichnenderweise von Skeptikern als ”Schaumschlägerei für Internet-gläubige Kleinanleger” gewertet werden, herrscht hierzulande dennoch keine Aufbruchsstimmung. Manche Major-Dependance hat noch nicht einmal eine schlichte Homepage vorzuweisen, beim Reizwort ”MP3” schlagen Mitarbeiter nachwievor ein Kreuz. Vielleicht, weil man in den Chefetagen vornehmlich mit Frontbegradigungen beschäftigt ist. So gab Mitte vergangener Woche die führende Plattenfirma Universal ihre Übernahme durch den französischen Mischkonzern Vivendi (u.a. Canal Plus) bekannt, eine weitere Elefantenhochzeit nach der Verschmelzung von AOL, Warner und EMI zum größten Medienkonglomerat der Welt. Dem deutsch-dynamischen Rangdritten Bertelsmann wird nun eine logische Allianz mit Sony anempfohlen. Daß die österreichische Filiale des japanischen Entertainment-Samurais derweil ”stärker an Deutschland angebunden wird” und ersatzlos ihren Geschäftsführer verlor, darf in diesem Gerangel als lokales Globalisierungs-Opfer gewertet werden.
Der K(r)ampf Musikindustrie gegen den konturlosen Zauberlehrling Internet-Zukunft – eine ”Inszenierung der Unterhaltungsindustrie” (MICA-Kurator Bernhard Guenther)? Wenn ja, dann zumindest eine hochspannende. MP3.com könnte sich nach der Vernunftehe mit Warner & Co. als legale Alternative zu Filesharing-Konzepten etablieren. Weiterhin ausreichend sexy für den Download-Afficionado, und doch auf Distanz zu Piraten und Old School-Plattenbossen.
Ein möglicherweise hochlogisches Szenario – denn mit ”Gnutella” erwächst der gebeutelten Branche gerade ein weiterer Horror. Ähnlich wie ”Napster” verhilft der partout nicht mit einem Schoko-Brotaufstrich zu verwechselnde Client-Dienst zu einer unendlich großen Song-Tauschbörse mit angeschlossener Jukebox. Abgesehen vom Münzschlitz fehlt allerdings noch ein weiteres Element: ein zentraler Server, den man dingfest, und ein einzelner Unternehmer, den man haftbar machen könnte. ”Angebote wie Napster oder Gnutella sind programmiertechnisch sicherlich geniale Einfälle, faktisch erfüllen sie den Tatbestand der Schweinerei”, ätzt Martin Brem, Marketingchef der deutschen Columbia mit Wiener Wurzeln. ”Einfach purer Diebstahl an geistigem Eigentum!”
”Gnutella” ist, Anarchie pur!, die Fortsetzung des Showdowns mit anderen Mitteln. Und auch wenn Universal-Vivendi-Boß Edgar Bronfman jr. – reichlich unpassend – meint, die ”Sache sei wie damals im Zweiten Weltkrieg”, da habe man auch mehr Männer, mehr Waffen und das moralische Recht auf seiner Seite gehabt, rüstet gerade der nächste Unterhaltungskontinent für die Abwehrschlacht. Denn mittlerweile tauchen die ersten Filmangebote via ”Gnutella” auf. Das MP3 entsprechende Format zum Eindampfen der Bilder auf CD-Speicherkapazität wird wohl auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.