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1. September 2000

Grabgesang oder hymnische Aufbruchsstimmung? Die Zukunftsmusik spielt im Internet, darüber herrscht Einigkeit. Sonst aber tobt der totale Krieg zwischen Musikindustrie und den umstrittenen Diensten Napster, Gnutella & Co. Dabei nutzen nun auch große Plattenfirmen das zuvor verteufelte Download-Format MP3.

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Britney Spears mag, das dürfen wir ruhigen Gewissens annehmen, Comics und Katzen. Aber das liebliche Logo von „Napster“, ein stilisierter Katzenschädel mit Kopfhörern, beschert ihr wohl unruhige Träume. Eminem mag Britney zwar nicht, im Gegenteil – aber dem bösen Gag eines „Napster“-Users kann das sonst so wortgewaltige Hip Hop-Rauhbein deswegen auch keine Pluspunkte abgewinnen.

Der Gag sah so aus: ein findiger DJ hatte die beiden umsatzträchtigen Künstler zu einem virtuellen Duett zusammengespannt. „The Real Slim Shady“ kollidierte im Mix ungeniert mit „Ooops.. I Did It Again“ – eine gegenseitige Befruchtung, die in der realen Musikwelt schlicht undenkbar ist. Der illegale Track avancierte in kürzester Zeit zum Download-Favorit, bevor Anwälte den Treiben ein Ende setzten.

Auch Madonna hat so ihre Sorgen. Zwischen Auftritten bei pompösen Celebrity Nights, vergleichsweise legeren Shopping-Touren und der Akquise weiterer Kindsväter schreckte die amerikanische Pop-Diva ein Hinweis eines Fans auf: ”Music”, das Titelstück ihres neuen Albums, stünde zum Internet-Download bereit. Kostenlos. Und das, hoppla!, bereits Monate vor der geplanten regulären Veröffentlichung. Ein Griff zum Telefonhörer ließ umgehend die Justitiare ihrer Plattenfirma rotieren. Die Musik sei gestohlen worden, so die offizielle Mitteilung von Warner, und ”die Arbeit an diesem Song eigentlich noch im Gange”. Jeder, der das Material ohne ausdrückliche Genehmigung anbiete, müsse umgehend mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen.

Kummer plagt auch die vermeintlich hartgesottenen Kollegen von Metallica, einer der umsatzstärksten Rock-Bands der Welt. Lars Ulrich & Co. waren nämlich an und in ”Napster” geraten, eine Web-Tauschbörse für – meist illegale – Überspielungen aller nur erdenklichen Musikstücke ins beliebte MP3-Format. Da darunter auch solche Gassenhauer wie das hauseigene ”Nothing Else Matters” zu finden waren, verklagten die Schwermetaller die aufstrebende dot.com-Plattform des einundzwanzigjährigen Ex-Studenten Shawn Fanning auf Schadenersatz in Millionenhöhe und die Sperrung von 335.435 namentlich bekannten Napster-Nutzern. Seitdem sieht sich die Band einem virtuellen Orkan der Entrüstung ausgesetzt. Die Metallica-Fansite wurde gehackt (”Leave Napster alone!”), die Konkurrenz – von Limp Bizkit über Cypress Hill bis Cortney Love – zeigte sich spöttisch bis radikal unsolidarisch, im Netz kursieren fiese Cartoons und ein Satire-Magazin verkündete gar, Metallica hätten nunmehr ein ”Napster-sicheres Album” herausgebracht. Dieses bestehe nebst einem Interviewmonolog von Ulrich nur aus einem einzigen, knapp einstündigen Song und sei so lang und langweilig, daß niemand es freiwillig auf seinen Rechner runterladen würde.

Deutlich weniger Sorgen hat dafür seit kurzem Michael Robertson. Der Chief Executive Officer und Wortführer der größten und bekanntesten Internet-Musik-Plattform MP3.com einigte sich Mitte Juni mit den Musikgiganten Warner und BMG über Copyright-Verletzungen, die – so ein US-Gerichtsurteil – durch Dienste wie ”my.MP3.com” begangen wurden. Dieser Service hatte es jedermann erlaubt, zuvor käuflich erworbene CDs im Netz lagern und jederzeit abrufen zu können. Die Einigung mit zwei der fünf dominierenden Major-Plattenfirmen (”Das größte Kartell außerhalb Kolumbiens”, so der Medienkritiker John Katz) sieht vor, daß für jeden Upload eines Songs 1,5 Cent anfallen und für jeden Download nochmals 0,33 Cent.

Pfennigbeträge, möchte man meinen, aber Robertson mußte umgehend 40 Millionen Dollar auf den Tisch legen. Das ”Wall Street Journal” erwartet, daß weitere achtzig bis hundert Millionen für Universal, EMI und Sony Music fällig werden, den Rattenschwanz an Lunte riechenden Kleinlabels, Musikverlegern und Indie-Künstlern noch gar nicht eingerechnet. Analysten kalkulierten umgehend, das Geschäftsmodell von MP3.com sei nicht mehr tragfähig, dennoch konnte nach der überraschenden Allianz der extrem schwächelnde Aktienkurs des Unternehmens wieder zulegen. ”Ein Wendepunkt in der jungen Geschichte des Online-Musikgeschäfts”, kommentierte die britische Branchen-Gazette ”Music Week”. ”Der Umstand, daß sich zwei der großen Plattenfirmen mit dem zuvor als Antichrist verteufelten Robertson ins Bett legen, zeigt, wie ernst der Schrecken genommen wird, den er verkörpert”.

Tatsache ist, daß bislang – trotz intensiver Anstrengungen der Majors, die ihren Höhepunkt in einer ”Secure Digital Music Initiative” (SDMI) genannten Vergatterungsaktion fanden – kein tragfähiges Internet-Geschäftsmodell oder Copyright-Sicherungssystem existiert. Auch der Vorschlag des deutschen Major-Interessensverbandes IFPI, eine Art elektronische Grenzsperre (”Rights Protection System”) unter Oberaufsicht der Zollbehörde zu installieren, stieß bislang nur auf höhnische Ablehnung und wütende Zensur-Vorwürfe. Die Branche sieht sich alleingelassen an der vordersten Front einer radikalen Umwälzung.

Das Schrumpf-Format MP3, das dem Konsumenten Zeit und Speicherkapazität spart und daher explosionsartige Verbreitung fand, erweist sich dabei nur als – technisch eigentlich bereits überholtes – Menetekel der kommenden Online-Revolution. Breitband, Streaming, UMTS und Instant Downloads sind Schlagworte, die längst die Diskussion beherrschen. „Ist das die Zukunft der Musikindustrie?“ fragte das Manager-Blatt MBI unlängst in Balkenlettern auf seiner Titelseite und zeigte dabei – ein Mobiltelefon.

Der Online-Versandhandel (sprich: die Bestellung im Internet und die Lieferung eines Tonträgers per Post) sieht dagegen heute schon, kaum dem Digital-Ei entschlüpft, alt aus. Und laboriert gleichzeitig noch an Kinderkrankheiten. Die PC-Illustrierte „Tomorrow“ testete systematisch CD-Händler im Internet und konstatierte im Regelfall lange Lieferzeiten und unbefriedigenden Service. Dazu kommt die Zurückhaltung, wenn es ums – vermeintlich unsichere – Zahlen per Kreditkarte geht. „Es gibt einfach zuviele Anbieter“, so das ernüchternde „Tomorrow“-Fazit, „die glauben, eine ordentlich programmierte Datenbank mit Suchmaschine reiche völlig aus. Doch in punkto schneller Abwicklung oder Wissen über Musik regiert Graf Großmaul zu oft König Keine Ahnung“. Ausnahmen, wie amazon.com oder der neu installierte Service von wom.de, versuchen hier immerhin kräftig gegenzusteuern.

Ebenfalls mit Anlaufschwierigkeiten kämpfen die Betreiber von MP3-Labels und Newcomer-Plattformen, die sich als Alternative oder zumindest Ergänzung zu den herkömmlichen Adressen zu etablieren versuchen. Nur ein geringer Prozentsatz aller Konsumenten mag die kurzfristig spannende, insgesamt aber ermüdende Suche nach Perlen im Heuhaufen (sprich: dem erdrückend großen Angebot an kostenlos verfügbaren Demos, Talentproben, Heimbasteleien und Skurrilitäten) auf sich nehmen. Nur finanzstarke Start Ups können aber auf exklusive Download-Angebote bekannter Stars wie Moby verweisen und damit genug „Traffic“ generieren, um sich von Banner-Werbung und Datensammelei zu ernähren. Schon jetzt geht ersten, einst hoffnungsfrohen Entrepreneuren Geld und Lust aus.

Daß die Zukunft aber im und aus dem Netz tönt, darüber herrscht doch Konsens. Auch wenn der tradierte Fachhandel „noch sechs bis zehn Jahre den Markt dominieren wird“ (Amazon-Chef Jeff Bezos), werden jetzt die Weichen gestellt. ”Musik gehört zu den wenigen Gütern”, so der deutsche BMG-Boß Thomas Stein, ”die sich über das Internet nicht nur bestellen, sondern auch liefern lassen”. Notfalls auch ohne die etablierten Plattenfirmen. Die nutzen das Netz bislang für Promotion-Klimbim, kaum mehr. WEA-Chef Gerd Gebhardt : „Wir haben das Internet ignoriert, weil wir das Internet ignorieren wollten“.

Die Vogel Strauß-Politik konnte nicht gutgehen. „Das Web verwandelte sich für die Majors innerhalb weniger Wochen in die größte Copyright-Vernichtungsmaschine der Welt“, so der Kolumnist Peter Glaser, „Und nicht kann diese Maschine stoppen. Es ist, wie wenn man einen Eisblock mit bloßen Händen am Schmelzen zu hindern sucht“. Durch Downloading und CD-Brennerei entgehen der Branche weltweit mittlerweile geschätzte 4,5 Milliarden Dollar, Tendenz steigend. In Deutschland, immerhin auf Platz drei der Umsatz-Weltrangliste, belief sich der Schaden anno ´99 auf 220 Millionen Mark, so die IFPI. Bereits 2003 soll andererseits nach Schätzung der Consultingfirma Jupiter Communications der Umsatz im Netz 14 Prozent des Gesamtvolumens betragen, allein in den USA 2,6 Milliarden Dollar. Vorbote der nächsten Runde im rasant beschleunigenden Technologie-Karussell: fast alle Hardware-Erzeuger haben für den Herbst eine neue Generation von MP3-Playern angekündigt, von der Casio-Uhr mit Songspeicher bis zum Handy mit Direktverbindung zur Hitparade – ein Markt, den man bis vor kurzem ausschließlich Exoten überlassen hatte.

MP3.com könnte sich dabei nach der Vernunftehe mit Warner & Co. als legale Software-Quelle und Alternative zu Filesharing-Konzepten etablieren – weiterhin ausreichend sexy für den Download-Afficionado, und doch auf deutlicher Distanz zur Piratenszene. Ein Konzept, dem mehr Chancen eingeräumt werden als etwa dem Feldversuch der traditionsreichen Plattenfirma EMI, die im Juli über hundert Alben und 40 Singles online stellte, darunter Titel von Frank Sinatra, Pink Floyd und den Spice Girls. Allerdings setzt man auf Liquid Audio und das Windows Media Format als Problemlöser (die Dateien sollen sich insgesamt nur fünfmal kopieren lassen) – MP3 ist aber längst de fakto-Standard. Und es gibt sogar Stimmen und Untersuchungen, die dem Format einen Promotion-Effekt nachsagen. Annähernd 60 Prozent aller Nutzer, die bei Napster & Co. herumstöbern und auch Titel herunterladen, würden letztlich CDs ihrer neuen Lieblingskünstler erstehen. Gegner wiederum verweisen auf sinkende Verkaufszahlen in US-Universitätsstädten. Tatsächlich sind es nach einer Studie des Pew Internet & American Life Projects mehrheitlich die 30- bis 49jährigen, die sich der neuen Möglichkeiten bedienen. Und die findet man kaum mehr in traditionellen Plattenläden.

Ist der K(r)ampf gegen den konturlosen Zauberlehrling Digitalkopie also nur eine ”Inszenierung der Unterhaltungsindustrie” (ein Medieninsider) oder die Begleiterscheinung eines Paradigmenwechsels, der eine ganze Branche kalt erwischt? Bertelsmann-Ober-Zampano Thomas Middelhoff stellt inzwischen die Rute ins Fenster: „Wenn wir das (gemeint ist die Online-Piraterie; Anm.d.Autors) nicht ändern können, steht unsere Musiksparte wie die gesamte Musikindustrie vor dem Aus. Und ganz ehrlich: ich weiß nicht, ob wir das schaffen.“

Die Sorge scheint mehr als berechtigt – denn mit ”Gnutella” erwächst der gebeutelten Branche gerade ein weiterer Horror. Ähnlich wie ”Napster” verhilft der partout nicht mit einem Schoko-Brotaufstrich zu verwechselnde Client-Dienst zu einer unendlich großen Song-Tauschbörse mit angeschlossener Jukebox. Abgesehen vom Münzschlitz fehlt allerdings noch ein weiteres Element: ein zentraler Server, den man dingfest, und ein einzelner Unternehmer, den man haftbar machen könnte. ”Angebote wie Napster oder Gnutella sind programmiertechnisch sicherlich geniale Einfälle, faktisch erfüllen sie den Tatbestand der Schweinerei”, ätzt Martin Brem, Managing Director der deutschen Columbia. ”Das ist einfach purer Diebstahl an geistigem Eigentum!”

Anarchie pur: ”Gnutella”, kurioserweise die Erfindung eines AOL-Software-Ingenieurs, und andere dezentrale Dienste wie „Freenet“ sind die Fortsetzung des Showdowns mit anderen Mitteln. Killer-Applikationen, im wahrsten Sin des Wortes. Und auch wenn Universal-Vivendi-Boß Edgar Bronfman jr. – reichlich unpassend – meint, die ”Sache sei wie damals im Zweiten Weltkrieg”, da habe man auch mehr Männer, mehr Waffen und das moralische Recht auf seiner Seite gehabt, rüstet gerade der nächste Unterhaltungskontinent für die Abwehrschlacht. Denn mittlerweile tauchen die ersten Filmangebote via ”Gnutella” auf.

Das MP3 entsprechende Format zum Eindampfen der Bilder auf CD-Speicherkapazität wird wohl auch nicht mehr lange auf sich warten lassen.

(WOM MAGAZIN)

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