Hörgenuß mit Polly Adler und Josefine Mutzenbacher
„Denn im ganzen ist die Liebe unsinnig. Das Weib gleicht so einer alten Rohrpfeife, die auch nur ein paar Löcher hat und auf der man eben auch ein paar Töne spielen kann. Die Männer tun alle dasselbe. Sie liegen oben, wir liegen unten. Sie stoßen, und wir werden gestoßen. Das ist der ganze Unterschied.“
Pardon, wenn das alleine „der ganze Unterschied“ wäre, dann könnte Polly Adler die Schlußsätze der Mutzenbacher ungeschaut in das Repertoire ihrer allwöchentlichen Stoßseufzer übernehmen. Denn im ganzen, soweit dürfte Einigkeit herrschen, ist die Liebe ja wirklich unsinnig.
Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Im Gegenteil. Sie ist so kompliziert, diese Angelegenheit, dieses ewige Hin-und-Her zwischen Mann und Frau, zwischen Anziehung und Abstoßung, zwischen Libido, Eros und schmerzlichem Frust (für den es keinen wohlklingenden lateinischen Ausdruck gibt), daß sie sich vor der – resignativen? abgeklärten? simplifizierenden? jedenfalls: verbindenden – Schlußformel „Sie liegen oben, wir liegen unten“ durch das Leben zieht wie die Helix der DNS. Und ständig darin rumort. Im realen Leben wie in den noch realeren Phantasien, die uns alle plagen. Beständig. Seit Ewigkeiten. Stoff für Millionen Bücher und Milliarden Zeitungskolumnen.
Ist die DNS dieses Scheusals „Liebe“ im 21.Jahrhundert endlich entschlüsselt? Hat sie mehr Gene und Genome als, sagen wir, die gemeine Kröte? Oder der Frosch, dem angeblich ein Prinz innewohnt? Gut, lassen wir das. Aber wenn man weiß, daß der Autor der „Mutzenbacher“ (höchstwahrscheinlich) Felix Salten hieß, der 1932 auch die Geschichte von „Bambi“ – weltberühmt durch Walt Disneys Verfilmung – schrieb, dann sei derlei animalische Metaphorik gestattet. Gegen die „Rohrpfeifen“ und „Löcher“ Felix Saltens würde anno 2001 der Frauenminister Einspruch erheben.
Schließlich liegen nicht nur Jahrzehnte zwischen den Bekenntnissen der Mutzenbacher und den Notizen der Polly Adler, sondern auch Welten. Hie das in ärmlichsten Verhältnissen aufwachsende „Weaner Madl“ Josefine – sie bringt es im Alter zur (offiziell) wohlhabenden Witwe, die sich in Kärnten ankauft, und zum angesehenen Mitglied der Kirchengemeinde. Da das (scheinbar) leicht überzüchtete Vollblutweib Polly, das – wahrscheinlich längst vom angesehenen Mitglied der Kirchengemeinde zum Tempel des Hedonismus & der Dekadenz übergetreten – auf weniger Männer, dafür umso mehr Neurosen und Telefongebühren verweisen kann. Pointiert, ungeschminkt, zwischen Derbheit und höherem Philosophicum lustwandelnd, erzählen beide Protagonistinnen. Und wo es bei der Mutzenbacher keine Zweideutigkeiten gibt, kommt auch Polly Adler manchmal nicht um die Eindeutigkeit herum: „Du kannst Dir diese Verführungsnummer sparen“, heißt es in einer Epistel. „Ich bin eine sichere Nummer“. Nennen wir das ruhig beiläufige Alltags-Pornografie. (Apropos: daß die letzte Sequenz auf der CD den Bogen hin zum Freudenhaus und damit zur Welt der Mutzenbacher spannt, kann kein Zufall sein).
Auch hinter der „Polly Adler“ steckt keine unbekannte Autorin: Angelika Hager. Sie schreibt seit Anfang der achtziger Jahre, für fast alle namhaften Gazetten des Landes, heute vornehmlich für „profil“ und die Samstagbeilage „Freizeit“ des „Kurier“. Das alter ego Polly Adler bekommt dieserorts ihr Leben nicht und nicht in den Griff, und das ungeniert und in aller Öffentlichkeit. Was bisweilen zu heftigen Publikumsreaktionen führt: „Diese Person trägt eine Sonnenbrille, weil sie keinen normalen Gedankengängen ins Gesicht sehen kann….sie muss ein gestörtes Innenleben haben,“ so „Freizeit“-Leserin Eva Gurresch aus Wien. „Sie hat ja so recht, die Frau Gurresch“, verharrt die Kolumnistin aufreizend gelassen. „Polly Adler hat nicht alle Tassen im Schrank, ein neunmalkluges Kind, immer wieder einen Mann und den Saturn im Quadrat, zwei Kleidergrößen zuviel, Mut zur Schwäche und immer wieder Hollywood im Kopf, obwohl ihr Leben dann doch oft nur Amstetten im Talon hat. Einfach herrlich, einfach Polly“.
Ich wage zu behaupten, daß diese allwöchentlichen Depeschen aus dem Neurosen-Ziergarten Männer noch mehr zu irritieren und fesseln vermögen als Frauen. Pollys Seelen-Strips sind ebenso be- wie entgeisternd, hier wird der gemeine Beziehungswahn, stilvoll verflochten mit ungehemmter Egozentrik, kompakt und zugleich hochkonzentriert verabreicht. Shocking! Aber wahr. Vom Bambi zur Hure zur „Powerfrau“, die Kind und Karriere schupft wie nix, und retour: es sind die uralten Klischeebilder, die hier bisweilen fröhliche Urständ‘ feiern. Nur im Auge des Betrachters? Oder könnte es gar sein, daß zwischen der Gaslaternen-„Romantik“ der Mutzenbacher und der Niedervolt-Halogen-„Dekadenz“ der Polly Adler, zwischen dem einundzwanzigsten und dem neunzehnten Jahrhundert gar nicht viel Unterschied herrscht?
Die Antworten, und wir sprechen jetzt nicht von zynischen Pointen, billigen Lachern oder eindimensionaler Frivolität, hatte Josefine damals genauso parat wie Polly heute: die Aufgeklärtheit der Frau an und für sich.
„Sie liegen oben, wir liegen unten. Sie stoßen, und wir werden gestoßen. Das ist der ganze Unterschied.“ Polly würde wahrscheinlich sagen: life is a bitch, take care.
POLLY ADLER
Chaos De Luxe
Das Beste aus Angelika Hagers „Kurier/Freizeit“-Kolumne
gelesen von Petra Morzé
GIG 74321846502 (BMG)
VÖ: 12.03.2001
JOSEFINE MUTZENBACHER
Die Geschichte einer wienerischen Dirne,
von ihr selbst erzählt
gelesen von Ulrike Beimpold
GIG 74321825362 (BMG)
VÖ: 26.02.2001