Deutschsprachiger HipHop ist das umstrittenste und dabei erfolgsträchtigste Genre lokaler Popkultur. Aber ohne kreative Auf- und Ausbrüche erstickt die Szene an ihren eigenen Klischees – der Hamburger HipHop-Star Jan Delay suchte und fand sie im Reggae.
Die Geschichte beginnt mit einem Unglücksfall, wie ihn tausende Künstler vergeblich herbeisehnen: ein Song gerät zum Hit. Der Song hieß „Liebes Lied“, katapultierte Ende 1998 eine bislang nur lokal bekannte Hamburger Truppe namens Absolute Beginner in die Charts, und war der Tropfen, der das prallvolle Faß „HipHop aus Deutschland“ zum Überlaufen, sprich: den kommerziellen Durchbruch, brachte.
Ein Unglücksfall? Kaum. Aber zumindest ein Mißverständnis, das den Urhebern Jan Eißfeldt, Dennis Lisk und Guido Weiss alias DJ Mad noch Kopfzerbrechen bereitete – die Hitsingle war alles andere als eine Anbiederung an bebende Teenager-Herzen, vielmehr eine subtil-doppelbödige Vorwegnahme unausbleiblicher Kommerzialisierungstendenzen. Im Jahr Drei nach „Liebes Lied“ zieht das Stadtmagazin „Szene Hamburg“ Bilanz, und sie fällt ernüchternd aus: „Der Dreck ist HipHop, Kennzeichen D. Die Revolution frißt ihre Kinder. Hört man die Texte, geht man auf Konzerte, spricht man mit den Menschen, so erscheint HipHop-Deutschland wie ein komplett vermintes Gebiet, in dem kein Schritt möglich ist, ohne daß man gedisst, also scharf kritisiert wird“. Nachzügler-Neid und nervige Genrefolklore, vor der auch Eißfeldt – als Künstler und Szene-Ideologe alles andere als ein absoluter Beginner – nicht verschont blieb. Als er im Rahmen einer CD-Rückschau auf die besten deutschsprachigen Popsongs der letzten fünfzig Jahre den Nena-Schlager „Irgendwo Irgendwie Irgendwann“ aus der Schublade zog und mit näselnder Unverwechselbarkeit zum veritablen Reggae-Schmachtfetzen umfunktionierte, war er für die Gralshüter der reinen HipHop-Lehre endgültig gestorben. Reggae! Nena! Platin! Teufelskram, zweifelsohne.
Ein Jan Eißfeldt, der Grönemeyer seiner Generation, läßt sich davon nicht beirren. Und schlägt anno 2001 mit einem Album zurück, das den Faden aufnimmt, ohne die Erfolgsmasche glatt weiterzustricken. Im Gegenteil. „Ich möchte nicht, daß ihr meine Lieder singt“ wirft der Hamburger Ziegenbartträger dem Mainstream-Publikum den Fehdehandschuh hin. Verborgen hinter seinem Pseudonym Jan Delay und vermummt mit einer Terroristen-Roger Staub-Mütze tänzelt er auf MTV und Viva zwischen biederen Karnevalsteilnehmern, die Plastik-Kalashnikov im Anschlag, ein provokantes Grinsen im Knopfloch. Auf „Searchin’ For The Jan Soul Rebels“, so der Titel des Solo-Albums, geht’s dann endgültig ans Eingemachte. Da wird der Springer-Presse, dem Talkshow-TV-Terror, dem Kaufhaus-Punk und Sonnenbank-Funk die Absage erteilt, allerorten der „Mann mit dem kleinen Bart“ entdeckt, quicklebendig und ungeniert („www.hitler.de“), und letztlich sogar das tabuisierte Thema RAF angeschnitten („Söhne Stammheims“). „Yo, Repolitisierung!“ jubelte folgerichtig die „TAZ“, und setzte gleich noch ein paar Ausrufezeichen. „Die erste deutschsprachige Roots-Reggae-Platte! Underground geht Mainstream und kommt zurück! Der ganz heiße Scheiß!“ Und ein Kritiker des Münchner HipHop-Fachmagazins „Juice“ erkannte gar, daß es „Momente gibt, in denen einem die unglaubliche Bedeutung eines Albums schlagartig klar wird, der Zustand der Gesellschaft und die Zukunft deutscher Popkultur sich auf fünfzig Minuten verdichten.“
Man sollte die subversive Energie von „Searchin’“ (das übrigens nicht beim Plattenmulti Universal erscheint, sondern beim kleinen Indie-Label – sic! – Buback) nicht mit postpubertärer Pose verwechseln, auch wenn Imagepolitur und Selbstverliebtheit der Hamburger Crew rund um Eißfeldt nicht gänzlich fremd sind. Tatsächlich ist „Searchin’ For The Jan Soul Rebels“ – der Titel bezieht sich auf ein ähnlich emphatisches Werk der Dexys Midnight Runners aus dem Jahr 1980 – ein Glücksfall. Und mehr als ein schicker Soundtrack für die Prada-Meinhof-Bande, die die Schulhöfe und Jugendzentren zwischen Rosenheim und Flensburg unsicher macht. Musikalisch tönt die Platte – vom Urheber selbstironisch als „Karl May-Reggae“ beschrieben – stilsicher, rund und prallvoll mit absolut erträglicher Leichtigkeit, ohne einen Schuß Bacardi-Feeling. Inhaltlich ist sie eine einzige Kampfansage. Ein erstaunlicher Rundumschlag. Ein Akt der Befreiung. Eventuell soetwas wie ein Wegweiser für die Zukunft des Genres.
Die wichtigste HipHop-Plattedieses Sommers kommt, hoppla!, ohne HipHop aus.