Warum die Musikindustrie, wie wir sie kennen, an ihrer Verweigerungshaltung zugrunde gehen wird: ein Abgesang.
The times, they are a-changing, nölte Bob Dylan, und ich habe dieses lakonische Statement, das heute dringlicher tönt denn je, wieder und wieder gehört. So oft, daß die zugehörige Platte längst kracht und knackt und knistert wie ein verglosender Scheiterhaufen. Nichtsdestotrotz ist das Dylan-Album ohne Zweifel eines der Herzstücke meiner Plattensammlung. Vinyl, wohlgemerkt.
Meine Tochter, 17, mag den Barden ja nicht so gern leiden. Für sie ist Robbie Williams weit sexier, Dylan nur eine ferne, graue Legende. Und Vinyl ein höchst exotisches Ding. Sie betrachtet meine Plattensammlung wie ein antiquarisches Kuriosum, in etwa so, wie unsereins Schellack-Archive bestaunt. Auch CDs lassen sie mehr und mehr kalt, die brennt doch schon jeder pickelige Nachbarsbub auf seinem Heimcomputer. Ihr Lieblingsspielzeug ist seit Weihnachten ein MP3-Player.
Unter uns: meines auch. Kennen Sie etwa „Musicmatch Jukebox“? Das ist ein Programm zum Erstellen und Verwalten einer MP3-Kollektion, die Basisversion gibt’s gratis im Netz. Geschlagen wird diese ausgeklügelte Software (aktuell: Version 7.1) höchstens von „iTunes“, dem Gegenstück der Apple-Welt. Hier gehen Optik, Funktionalität und Simplizität optimal zusammen. Mein Instinkt, meine Damen und Herren, sagt mir: das hat Hand und Fuß. Das ist sexy. Das ist die Zukunft.
Die Zukunft ist heute leider noch recht teuer. Ich müßte mir, will ich nicht auf dubiose Beta-Software zurückgreifen, extra einen Apple-Computer kaufen, um „iTunes“ nutzen zu können. Und wirklich Spaß macht das Programm erst in Kombination mit dem „iPod“. Das ist ein knapp zigarettenschachtelgroßes Kästchen mit Display, Apples erster MP3-Player samt eingebauter 5 Gigabyte-Festplatte. Die ermöglicht es, seine halbe Plattensammlung in der Hosentasche mit sich rumzutragen. Quite nice. Quite useful.
Ähnlich schicke (und – noch – in unvernünftigen Preisregionen angesiedelte) Gadgets hat Sony im Programm. Der Konzern hat offenbar seinen Widerstand gegen das MP3-Format aufgegeben oder zumindest gelockert. Auch Bang & Olufsen, die nordische Edelmarke, präsentiert weitreichende Pläne in Richtung Internet, PC-Anbindung und digitaler Lifestyle. Den Edelstahl-Player „BeoSound 2“ samt ausgeklügelter, nutzerorientierter Software sieht B&O-Chef Torben Sorensen nur als „erstes Leuchtfeuer im Nebel der Entwicklungsmöglichkeiten“, die konservative Firma steht plötzlich an vorderster Front in Sachen Zukunftsmusik.
Das tut mehr oder minder die gesamte Hardware-Industrie. Jeder durchschnittliche DVD-Player, viele Disc-Portables und Autoradios, von dezidierten MP3-Playern oder Notebooks erst gar nicht zu reden, bieten heute die Möglichkeit, das weitestverbreitete Format im Spannungsfeld zwischen HiFi und PC zu nutzen. Und das oft als Gratis-Zugabe. Dazu gesellen sich mehr und mehr dezidierte Tech-Tools, die darauf schließen lassen, daß der Trend sich generell gegen die althergebrachte Stereo-Anlage wendet und Platz macht für Maschinchen, die die tönenden Bits & Bytes nicht nur willig, sondern nachgerade elegant, innovativ und bedienerfreundlich schlucken: Musikserver, Multimedia-Jukeboxes, Compact Drives. Die Dinger haben viele Namen. Und eines gemeinsam: Speicherkapazitäten ab einem Gigabyte aufwärts. Bereits das reicht für 18 Stunden Musik am Stück.
Es gibt also die Hardware. Kurioserweise aber kaum Software. Legale Software. „Würden Sie auch Beethoven auf einem MP3-Player hören?“, wird B&O-CEO Sorensen beiläufig gefragt. Ein klares Konsumentenbekenntnis als Antwort: „Ja, warum nicht?“.
Allein: es gibt keine Beethoven-MP3-CD, obwohl sich so gut 10 Stunden Musik am Stück, in durchaus akzeptabler Qualität, unterbringen ließen. Das nenn’ ich dann Compact Disc! Doch die Musikindustrie scheint sich der Idee, ihre Inhalte auch im MP3-Format anzubieten, zu verweigern. Vade retro, satanas!
Sorry: das ist weltfremd. Und dumm. Weil bar jeder Geschäftsidee. Denn es geht, lassen wir Kultur- und Geschmacksfragen mal außen vor, primär um Service und Bequemlichkeit. Die Cracks der Branche haben – oder zumindest behapten sie immer, es zu haben – das Talent, die beste Musik aus einem unüberschaubaren Angebot auszuwählen, zusammenzustellen, zu vermarkten (sprich: bekanntzumachen), zu verpacken und zu vertreiben.
Warum überläßt man also die weite MP3-Wunderwelt allein den PC-Freaks, Sammler-Nerds und Raubkopiereren? Warum schlägt man sich mit Download-Tankstellen und Napster-Wiedergeburten herum, wenn sich – zumindest zwischenzeitlich – auch gutes Geld mit clever komplierten und geschmackssicher verpackten MP3-CDs machen läßt? Zumindest der „Back-Katalog“, das sowieso schon tausendmal verwurstete Archiv also, ließe sich so elegant ausschlachten. Und die schnöde Billigpreis-CD in eine ganz neue Quantitäts-Sphäre heben. Der Handel, der ja ungebrochen auf funkelnde Silberscheiben setzt, dürfte, nein: müßte sich erst recht freuen.
Allright, höre ich Spötter murmeln, aber das Zeug gibt’s doch haufenweise im Internet. Und das kostenlos. Und man möge doch nicht dem Untergang der Musikindustrie, wie wir sie kennen, noch Vorschub leisten.
Nun: die Musikindustrie, wie wir sie kennen, wird sowieso untergehen. Aber vorher sollte sie sich noch ein Beispiel an den Kollegen von der Hardware-Fraktion nehmen und den Leuten das geben, was sie wollen. Und neue Geschäftsfelder aufmachen mit neuen Formaten und neuen technischen Möglichkeiten. Die Technik-Fraktion lechzt förmlich danach. Ich liebe die Idee, meine gesamte Plattensammlung im Hosensack mir mir herumzutragen. Und ich bin gerne bereit, für das Service qualitativ hochwertiger MP3-Kollektionen zu bezahlen (alleine die Zeit, die ich mir durch das Laden von CD erspare im Vergleich zum mühsamen – und eben nicht kostenlosen! – Saugen aus dem Internet, oder beim Umwandeln von WAV auf MP3…). Die Sache ist einfach: wenn mir die Industrie nicht entgegenkommt, dann muß ich leider selbst Hand anlegen.
„It’s The End Of The World As We Know It“, singen REM. “And I Feel Fine”. Und ich wette, bald gibts den Song auch als legales MP3-File. Wie auch „The Times They Are A-Changing“. Und ein paar Millionen superbe Musikstücke mehr.
Und an jene, die ob dieser schlichten Vision im Angstrausch den Totschläger zücken, noch eine beiläufige Botschaft: für die „Fan- & Collectors Item“-CD samt opulenter Digipack-Hülle, MPEG-Video, 16seitigem Booklet und Surround-Tonspur in allerfeinster Audioqualität gebe ich gern auch in Zukunft Kohle aus. Sowieso.