Nach 21 Jahren hat André Heller wieder Lieder eingesungen. Er hat sie zwischen zwei weitere CDs gepackt – und ermöglicht so eine Aktualisierung und Nachschärfung des Blicks auf sein Gesamtwerk.
Geht es nach der Quantität der Rezensentenzeilen, die diesem Werk gewidmet wurden und werden (allein „profil“ sechs Seiten – !), handelt es sich die wichtigste Veröffentlichung des Jahres.
Natürlich ist sie das nicht.
„Ruf und Echo“ ist das erste Lebenszeichen André Hellers als Musiker, Text- und Songschreiber seit 1982 – und gewiß eine bemerkens- und eventuell liebenswerte Kuriosität inmitten der dürftigen heimischen Pop-Ernte des Jahrgangs 2003. Aber mit ebensolcher Gewißheit schafft sie nicht, was vordergründig ein Antrieb des Monumentalprojekts war: uns Heller als Gigant der österreichischen, ja globalen Popkultur in Erinnerung zu rufen. Im Gegenteil: „Ruf und Echo“ fegt den Staub der Sentimentalität auf den Kehrrichthaufen der Geschichte. Und läßt eine Aktualisierung und Nachschärfung des Blicks auf das Wesentliche zu, auf das kunsthandwerkliche Konstruktionsprinzip von Innerlichkeits-Inszenierungen wie „Angstlied“, „Mir träumte“ oder „Das Lied vom idealen Park“. Man merkt sehr rasch, auch Heller merkte es, daß vieles altbacken, überzeichnet, überholt wirkt.
Der Sensibilitäts-Akkumulator als Wiedergänger des Austro-Pop? Eher ein fremdgesteuerter Versuch, ein paar Weggefährten mehr für die perpetuierte Abenteuerfahrt Richtung Fegefeuer der Eitelkeiten zu finden. Was uns hier als Gesamtkunstwerk verkauft wird, als Tryptichton aus launigen Neuschöpfungen, Huldigungen junger Heller-Adoranten auf der Höhe der Zeit und historischer Essenz, ist in Wirklichkeit eine opulente Marketing-Mogelpackung. Denn ein stringentes Kunstwerk wird erst gar nicht in Aussicht gestellt, vielmehr ein Flickenteppich aus selbstfabrizierten Mythen, Kontexten und Gewichtigkeiten, dem ungeniert alle greifbaren Bedeutungsquellen eingewebt wurden. Das immerhin zum familienfreundlichen Paketpreis – „Nimm 3, zahl’ 2“.
Die Wahrheit ist: die Plattenfirma hat Heller bei seiner Eitelkeit gepackt und nicht mehr losgelassen. Es ist ja schön, daß uns der A&R-Manager, die wahre Triebfeder hinter Hellers Natürlich-nicht-„Comeback als Liedermacher“ (profil), seine Affinität zu ausgewiesen exzellenten Kräften wie den Walkabouts, Waxolutionists oder Thomas D. vorführt. Was sie mit Hellers pophistorischem Privatpark anzufangen wissen? Wenig (Edo Zanki, Laith Al Deen) bis nichts (Brian Eno, Hans Platzgumer). Manchmal klingt das Ergebnis der Kollaborationen musicalhaft überinszeniert. Gelegentlich auch, aller vielbeschworenen Bedeutungssschwere zum Trotz, nach banalem Auftragswerk. Oft angestrengt. Meist anstrengend.
Damit wir uns nicht mißverstehen: es gibt schöne, gute Momente auf „Ruf und Echo“. Wenn Thomas D. mit Seriosität und Dringlichkeit „Abendland“ inszeniert, die Waxolutionists voll vorwitziger Ironie ausgerechnet eine Computerstimme „Die wahren Abenteuer sind im Kopf“ memorieren lassen oder die Walkabouts gemeinsam mit Heller am imaginären Lagerfeuer Dylans „Forever Young“ anstimmen, dann rührt das ans Herz. Hellers Lied an seinen Sohn Ferdinand ist ein Kleinod. Und selbst der als Soul etikettierte Schwulst eines Xavier Naidoo stimmt im Kontext plötzlich wohlig müde und ein wenig altersmilde.
Aber warum muß derlei dem Hörer immer mit notorischem Lavendelschmäh angedient werden? Warum die Verbrämung mit Artmann-Zitaten und Feuerwerk-Fotos? Warum kann es Heller nicht lassen, davon zu schwadronieren, er hätte Texte und Melodien zu den neuen Liedern „in vergilbten Notizbüchern“ gefunden, ein Gast namens Terzi Shogricht sei „geheimnisumwittert“ (wen will man damit hinters Licht führen?) und die CDs insgesamt seien „ein gelungenes Scheitern“, aber „zumindest der Diskussion wert“. Um im gleichen Augenblick „die Inferiorität der Rezeption“ zu beklagen. Sprich: es gab und gibt kaum Kritiker, die verstünden, was Heller kann und will. Und die würdig wären, seine Botschaft zu deuten und unters Volk zu tragen.
Das ist natürlich Unsinn. Und Heller – mit allen seinen unleugbaren Verdiensten, Meriten und Mutbeweisen – oft, zu oft ein notorischer Rufschädiger in eigenen Sachen. Denn als geschickter Fädenzieher hinter den Kulissen verstrickt sich der Multi-Künstler-Multi gern mal in den eigenen Schmäh und hält sich, wie Plattenfirmen auch – nur ein paar Etagen tiefer -, gern Medienpartner, die allemal an des Meisters Lippen hängen. Frischer Dampf in den kommunizierenden Röhren der Kulturfabrik! Phantasie für die Neubewertung des Aktienkurses der Ich-AG! Nun: ich warte auf denjenigen, der den überdimensionalen Fußball vor dem Brandenburger Tor (Heller: „Ein sensiblerer, künstlerischer Ton für diese merkwürdige Fußballweltmeisterschaft 2006“) zum achten Weltwunder erklärt. Oder definitiv vorschlägt, „Tod eines Kapitäns“ zur offiziellen Hymne der Wiener Tröpferlbäder zu erklären. Es würde immerhin die kosmischen Dimensionen zurechtrücken. Und der Angelegenheit den dringend nötigen Humor injiziieren.
Was meint Heller? „Wenn man ein fürchterlich stumpfer Grobian ist, dann soll man bitte sich das nicht antun, mit dieser Art von – ich sage das jetzt mal überheblich – Genauigkeit und Feinheit konfrontiert zu werden“.
Man ist geneigt, mit adäquater Überheblichkeit zu antworten. Bisweilen ist partout der Grobian, der immer schon den Verdacht hatte, Hellers Ouvre sei prätentiös, getränkt mit Pathos verleugnendem Pathos, anbiedernd und selbstverliebt, mit feinem Instinkt ausgestattet. Daß der Künstler respektive seine Plattenfirma einen summa sumarum stumpfen Dreifach-CD-Klotz auf den Markt wirft, der diesen Verdacht trefflich untermauert, hätte man nach so vielen Jahren der noblen Zurückhaltung und des beredten Schweigens nicht mehr vermutet.