Archive for April, 2004

Höher, schneller, Barbarella

23. April 2004

Gut gemeint und engagiert organisiert – aber bringen Symposien, „runde Tische“ und Branchendiskussionen wirklich die erhoffte Verbesserung der Lage? Oder sind sie nicht schlicht ein ritualisiertes Überdruckventil für aufgestauten Frust, hart an der Grenze zum absurden Theater? Ein Einwurf aus aktuellem Anlaß.

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„Was soll das Theater?“ ist ja ein sehr schöner, trefflicher Spruch. Volksmund at it’s best. Eine Metapher für das Leben schlechthin. Oder sagen wir so: für bestimmte Teilaspekte des Lebens, die immer wieder und immer dringlicher die Frage nach dem tieferen Sinn aufzuwerfen vermögen.

Neulich war es wieder einmal soweit. Ein Fall für das Sinn-Radar. Eine, Sie gestatten!, Theater-Vorstellung, wie sie in dieser dramaturgischen Wucht und inszenatorischen Opulenz nur das Leben selbst zu schreiben vermag. Da kann kein Eugéne Ionesco, Samuel Beckett oder Antonio Fian mithalten.

Ort des Geschehens: die Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Wien (nebstbei: eine gelassene Eleganz und verhaltene Moderne ausstrahlende, sehr schöne Örtlichkeit). Anlaß: ein Symposion des Österreichischen Musikrats zum Thema „Kreativität und Pluralismus“. Untertitel: „Bedingungen musikbezogener kreativer Arbeit in Österreich im Zeitalter musikalischer Vielfalt“. Etwas vage formuliert, aber gewiß und generell ein spannendes und diskussionswürdiges Thema. Man muß den Organisatoren ebenso gewiß und generell dankbar sein, daß sie sich um eine solche Diskussion bemühen.

Auch wenn man nach drei Stunden aufsteht und still in sich hineinmurmelt, „Was soll das Theater?“. Denn einmal mehr wurde man Zeuge, wenn nicht gar Protagonist einer Inszenierung, die zwischen den dramaturgischen Formen des folkloristischen Reigens, der Schmierenkomödie, des absurden Theaters und der Beschwörungsfeierlichkeit oszilliert. Sei’s drum: es kost’ nicht viel – und is’ a Hetz (ganz im Gegensatz zu „Barbarella“ im Raimundtheater, nebstbei.)

Bei solchen Gelegenheiten treten zunächst allerlei Präsidenten, Vizepräsidenten, Generalsekretäre und Funktionäre diverser Vereine, Institutionen und Räte auf, die man sonst kaum in der Öffentlichkeit wahrnimmt. Das füllt den Saal (denn die Studenten vor Ort scheinen am Geschehen eher wenig interessiert). Dann besteigt der Reigen der üblichen Verdächtigen die Bühne. In der üblichen Business-Kostümierung und mit adäquatem Mienenspiel: hie Underground-Labelbetreiber, da staatsmännischer Kulturverwalter, for instance. Ich meine das, damit wir uns nicht mißverstehen, keineswegs abwertend. Im Gegenteil. Auch bei der Löwingerbühne oder im Puppentheater ist man ja als Zuseher sehr froh über eine klare und nachvollziehbare Rollenbesetzung. Es würde doch eher überraschen oder gar verwirren, wenn plötzlich das Krokodil schmusen statt beißen würde und der Kasperl darauf verzichtete, ihm mit der Keule eins überzubraten.

So bricht mit Gewißheit das Hickhack der üblichen Argumente und Gegenargumente, Reden und Widerreden los und es reicht, im allgemeinen Lamento die zu erwartenden Stich- und Reizworte zu orten (und sich den Rest dazuzudenken): Subventionen, Ö3, Download-Plattformen, CD-Brenner, Subventionen, Ausbildungsmisere, Radioquote, Krise der Musikindustrie, einmal mehr Subventionen etc.usw.usf. Zukunftsvisionen? Eh klar. Alles muß besser, schneller, höher, weiter kommen. Sowieso.

Werden vereinzelt verquere Dinge wie „Leidenschaft“, „Werte“ oder „Kultur“ eingemahnt, halten zwar alle für einen Moment inne und nicken still, um danach aber nur um so heftiger in die jahrelang einstudierten Posen und Argumentationslinien zurückzufallen. Wenn dann gar mitten in die Vorstellung ein Universalkünstler im Elektro-Rollstuhl platzt und „Mir hat nie jemand g’holfen!“ schreit, sind zwei, drei Minuten Betroffenheit angesagt. Hat Schlingensief hier seine Hände im Spiel?

Natürlich gibt es bessere und schlechtere Schauspieler. Einer der besten ist Staatssekretär Morak. Aber der hatte ja auch das Burgtheater als Probebühne, bevors aufs politische Parkett ging. Der Ärger über die Songcontest-Vorausscheidung des ORF und über die „Barbarella“-Konkurrenz wirkt verblüffend echt („Wir stecken eine Menge in die Ausbildung, und dann steht da keiner auf der Bühne, der steppen kann…!“). Nur die revolutionäre Gestik zum Schluß hin („Es kann nicht angehen, daß österreichische Künstler in den österreichischen Medien nicht vorkommen!“) vermag angesichts der unleugbar eigenen Ressort-Zuständigkeit nicht wirklich zu überzeugen. Nicht einmal den vom ihm in den ORF-Publikumsrat entsandten Revolutionsstellvertreter, der später im Buffet resignierend Heli Deinboek zitiert: „Man tut, was man kann. Aber man kann nix“.

Das ist ungerecht. Man tut, was man kann, aber man kann nicht so tun, als ob. Als ob derlei institutionalisierte Kommunikations-Folklore mehr bringt als eitle Selbstbestätigung. Als ob wirklicher Fortschritt nicht schlichtweg von der Kompetenz, Durchsetzungskraft und konstruktiven Dialogfähigkeit einzelner, wesentlicher Macher auf allen Seiten abhinge. Als ob sich die Wirtschaft und die Politik und, pardon, die Wirklichkeit einen Dreck scheren würde um derlei Theaterbrimborium. Als ob gut gemeint nicht seit jeher das Gegenteil von gut wäre.

Allgemeine Betroffenheit. Gutes Symposien-Thema. Eventuell auch ein probater Musical-Stoff für den raschen Ersatz von „Barbarella“. Vorhang. Mittagspause.

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Cheap Thrills!

14. April 2004

10 Jahre Cheap Records: ein Festakt im CD- und MP3-Format.

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Auch revolutionäre Freigeister kommen in die Jahre. Und bleiben im besten Fall doch weit vorne. Pop-Avantgarde. „Cutting Edge“, wie’s englischsprachige Musik-Afficionados auf den Punkt bringen. Hier haben wir es mit solch einem Fall zu tun: Cheap Records, eines der bekanntesten und renommiertesten Labels für elektronische Musik im weitesten Sinn, feiert ein rundes Dezennium. Und präsentiert zum denkwürdigen Anlaß einen umfassenden Querschnitt durch sein Repertoire: „10 Years of Cheap Records – The Anniversary Compilation“.

Gegründet wurde Cheap anno ’93 vom international bekannten Komponisten-Duo Erdem Tunakan & Patrick Pulsinger. Das in Wien beheimatete Label agierte von Anfang an kosmopolitisch, ließ seinen Künstlern jegliche Freiheit, verstand sich immer auch als Gegenpol zur kommerziellen, industriellen Mainstream-Musikfertigung und setzte trotz – oder gerade wegen – seiner Experimentierfreudigkeit auch außerhalb des Underground-Elfenbeinturms Maßstäbe. Mehr als achtzig in Silber gehüllte Vinyls und von Andi Orel trash-stilsicher verpackte CDs kamen im Lauf der Zeit zusammen.

„10 Years of Cheap Records – The Anniversary Compilation“ präsentiert nun 16 Tracks im Spannungsfeld zwischen Techno, House und avancierter Freistil-Elektronik, die die Trademark geprägt haben und wichtige Stationen der Label-Historie markieren. Darunter finden sich Stücke von Sluts’n’Strings & 909, Pulsinger & Tunakans Disco- und House-Projekt von 1994, Robert Hood, Mitbegründer der Technoszene in Detroit (1995) und iO, einer der ersten Formationen um den „personellen Kern“ Pulsinger&Tunakan (1993). International machte man sich durch Kooperationen mit Mika Vainio, dem Mastermind von Pansonic / Sähkö (1996), August Engkilde, dem dänische Komponisten, Produzenten, DJ und Musiker zwischen Jazz und Elektro (2000) und Prince of Mambobreaks alias Take Rodriguez einen Namen. Letztere Zusammenarbeit dokumentiert die erste japanische Veröffentlichung auf Cheap Records (2000). Zu den jüngeren Entdeckungen des Labels zählen Louie Austen, Wiens legendärer Bar-Crooner, der mit Cheap elektronisches Terrain betrat (1999) sowie die jungen Elektro-Pop-Projekte 550 Rondy (2001) und Twinnie (2002).

Zusätzlich zur „normalen“ CD-Compilation bietet das Jubiläums-Paket auch eine spezielle Mix-Compilation im MP3-Format : 4 Stunden „rare stuff“, gemixt von Erdem Tunakan, Umberto Gollini , 3Volt und Patrick Pulsinger. Die Tracklists der MP3-DJ-Mixes sind, wie auch weitere Informationen zum Label und seinen Künstlern, zu finden unter http://www.cheap.at. „10 Years of Cheap Records – The Anniversary Compilation“ erscheint am 19.04.2004. Gratulation und: Respekt!

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