Archive for Mai, 2004

Stayin‘ tuned

24. Mai 2004

Der österreichische Rundfunk, Unterabteilung Radio, feiert den achtzigsten Geburtstag. Unsereins betätigt aus diesem Anlaß wieder einmal mit sanftem Druck den „On“-Knopf.

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Eigentlich bin ich für das Radio ja verloren. Seit knapp zwei Jahren trage ich, meist leger im Hosensack zwischengelagert, eine kleine, elegant verpackte mobile Festplatte mit mir herum. Laut der britische Gazette „The Guardian“ handelt es sich schlichtweg um „die erste große Ikone des 21. Jahrhunderts“. Nun: zu derlei Verklärungen kann, aber muß man sich nicht hinreissen lassen. Obwohl das Ding schon tolle Stückln spielt. Gleich ein paar tausend, tagaus, tagein, ohne Wiederholung und Pause, wenn es denn sein muß. Es handelt sich um eine Art personalisierter Miniatur-Jukebox, und Kenner haben natürlich längst erahnt, daß nur der „iPod“ des Computerherstellers Apple gemeint sein kann. Ein MP3-Player, der mittlerweile als Quasi-Mitgliedsausweis des imaginären „Vereins für Audiogenuß auf der technologischen Höhe der Zeit“ dient.

Was derlei Schnickschnack mit dem guten, alten Radio zu tun hat? Eine Menge, wenn Sie mich fragen. Denn natürlich haben sich die Hörgewohnheiten und Lifestyle-Prothesen enorm verändert, seit Hertz, Tesla & Marconi an ihren Apparaturen rumschraubten. Das ist gerade mal hundert Jahre (und ein paar zerquetschte) her – und dennoch ein kaum mehr imaginierbarer Zeitsprung zurück. Zurück in eine Ära, als es noch um das Staunen ob der drahtlosen Übertragung menschlicher Stimmen oder die stupend realistische Reproduktion eines Orchesterauftritts ging. Und nicht um das abgestumpfte Achselzucken über das „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Musikbouquet aus dem Lautsprecher des Eduscho-Radios im Badezimmer. Vom gewohnt formatlosen Anbiederungsversuch des Formatradio-Morgenmoderators ganz zu schweigen.

Man nimmt derlei heutzutage ja nur mehr als Tonspur zum Schmutzfilm auf der Seelenhülle des ungeschützten Ich wahr, als rosa Rauschen vor dem gähnenden Abgrund des Alltags. Hörgenuß? Fehlanzeige. Ausnahmen bestätigen die Regel: ob es sich nun um die launige Ansage eines Klassik-Kleinods auf Ö1 handelt oder den erfrischend antipopulistischen Drall eines Pop-Schrapnells auf FM4. Programm ist andernorts längst mit der notorischen (und natürlich nur vermeintlichen) Vermeidung von Abschaltimpulsen gleichzusetzen. Aufmerksamkeit, Kompetenz und Mut in Sachen Musik etwa – es handelt sich um nicht mehr und nicht weniger als um den eigentlichen Treibstoff der Hörfunk-Maschinerie – ist zur Ausnahmeerscheinung geworden. Von konstruktiver Aufgeschlossenheit für heimische Klänge ganz zu schweigen. Das Radio ist als Medium generell in die Jahre gekommen, es ist in seiner Vielfalt vielfach einfältig, unendlich schal und banal geworden (und die sog. „Medienpolitik“ leistet dem Sog der Kommerzialisierung kaum Widerstand).

Und dennoch erfüllt es den Äther ungebrochen mit seinem eigentlich, wesentlichen Sinn. Uns nämlich ständig und fortwährend mitzuteilen: Du bist nicht allein. Das ist, egal ob lautstark oder unterschwellig vorgebracht, eine allemal tröstliche, annähernd spirituelle Botschaft. Dafür nimmt man die penetrante Werbung, Robert Kratky und die Rundfunkgebühren mehr oder minder zähneknirschend in Kauf.

Nur die Begleitmusik wird durch Erfindungen wie jene des „iPod“, die den Nutzer zum Chef seiner eigenen, individuellen Radiostation macht (zumal, wenn er Zufallswiedergabe wählt und unerlaubterweise einen Kleinst-UKW-Sender an den Kopfhörerausgang schraubt), des digitalen Rundfunks (der die Frequenzen, Möglichkeiten und Anbieter potenziert) und des Internet-Streaming (das den PC mit dem Faszinosum Weltempfänger vermählt) bald anders tönen. Etwa so: die News liefert die Nachrichtenredaktion der Argentinierstrasse, den einen oder anderen Wortbeitrag auch, der Rest kommt von der Festplatte in meinem Hosensack, die sich auf „intelligente Playlists“ versteht. Ganz im Gegensatz zum Selektor in der Musikredaktion des Mainstream-Ö3-Klons.

Man wird sich in Hinkunft als Feinspitz die Rosinen aus dem multimedialen Strudelteig herauspicken können. Technisch ist das schon heute kein Problem. Die prototypische Projektion vom Typus Download-Afficionado treibt ja gerade die Musikindustrie in den Ruin, Hollywood in die Krise und die Gesetzeshüter vor sich her. Und natürlich ist – pardon!, dies ausgerechnet hier sagen zu müssen – die Online-Redaktion des ORF mittlerweile mit Abstand das wichtigste Verbindungsstück zwischen der Rundfunk“anstalt“ und der medialen Gegenwart und Zukunft dieses Landes (sofern sich die Weltwirtschaft und die Wirklichkeit um die Befindlichkeiten dieses Landes und seiner Bewohner überhaupt scheren). Gleich darauf folgen, in erstaunlicher Frische und mit instinktiv selbstbewußter Eigenständig- und -willigkeit, zwei Sender, die ich bereits genannt habe. Bewußt. Hier atmen Berieselungsunwillige, die sich an soetwas wie einen „Kulturauftrag“, den Anspruch und die Standards öffentlich-rechtlicher Medien erinnern, befreit auf. Das muß, kann, soll in der Deutlichkeit gesagt sein. Der Rest kann sich ja gern weiter nicht weiter stören lassen beim Dauer-Hin-und-Weg-Hören. Nebstbei: der „iPod“ spielt da natürlich auch mit. Das macht ihn zur aktuell gefährlichsten Konkurrenz für Radiostationen. Alle Radiostationen.

Nur die Gefahr, zwischen den schicken, weißen Ohrstöpseln latent zu vereinsamen, spricht gegen eine dauerhafte Ablösung der Eduscho-Brüllbox.

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Ashes To Ashes

9. Mai 2004

Die Vinyl-Nostalgie in allen Ehren – aber ich bin kein Discjockey (und selbst die wenden sich von der guten, alten Schallplatte ab). Und kein Analog-HiFi-Fetischist. Und schon gar kein Vergangenheits-Verklärer um jeden Preis.

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De mortuis nil nisi bene – über Tote kein schlechtes Wort. Warum auch? Die Vinyl-Schallplatte war ein perfektes „object of desire“, was natürlich vorrangig an der Verpackung lag. Und ihren Dimensionen. Wer einmal das Original-Album zu, sagen wir mal: John Coltranes „A Love Supreme“ (Impulse! 1964, Schwarz-Weiß-Cover, 180 Gramm Vinyl, fester Karton, umfangreiche Liner Notes) in Händen hielt, wird eine öde CD-Plastikschachtel oder gar ein MP3-File niemals als vollwertigen Ersatz akzeptieren.

Und selbstverständlich gingen Form und Inhalt bei der Langspielplatte oft in einzigartiger Weise kongruent, wenn etwa Mozarts „Requiem“ nach wenigen Minuten zu knistern und zu knacken begann, adäquat der Botschaft von der Vergänglichkeit alles Irdischen. Die anheimelnde Wärme der Abtastgeräusche des Diamanten in der Vinylrille wird ja heutzutage gern von Avantgarde-Produzenten sterilen Digitalaufnahmen beigemischt – davon hätte vor zwanzig Jahren kein Chefredakteur eines HiFi-Magazins zu (alb)träumen gewagt.

Generell muß festgehalten werden, daß der vermeintliche Fortschritt der Digitalisierung zwar technisch einen wirklichen Quantensprung darstellt, von Konsumentenseite aber hauptsächlich von Berieselungs-Mentalität und Bequemlichkeit getrieben war. Nie wieder nach 25 Minuten aus Großmutters Ohrensessel hochschrecken und die Platte umdrehen!, hieß das allgemein Credo ab Mitte der achtziger Jahre. Nie wieder Geschlechtsverkehr zum „chr-chr-chr“ des Tonarms in der Endlos-Spur am Ende von Bob Dylans „Blood On The Tracks“! Nie wieder grotesk verwelltes Vinyl nach der Zwischenlagerung der LP-Neuerwerbungen auf der Auto-Rückbank an einem heißen Juni-Tag! Undsoweiter undsofort. Die Fernbedienung war seit jeher das Zepter der Zukunftsgläubigen.

Wahrscheinlich lachen sich State Of The Art-Fetischisten in zwanzig, dreißig Jahren auch krumm über schnuckelige Mini-Festplatten á la iPod (samt deren Batterie-Problemchen), „Windows Media Centers“ (Jesus!), aktuelle Inkompatibilitäten zwischen SACD und DVD Audio oder den Verkauf von Musik nach der Wurstaufschnitt-Methode, auf Scheiben also, generell. Sei’s drum – ich wage zu behaupten, daß die gute, alte, schwarze Scheibe mit dem kleinen Loch in der Mitte das Medium mit dem weitaus größten Sex-Faktor war. Und betone gleichzeitig: war. Da mögen DJs und Analog-Adoranten noch so sehr dagegenhalten: das Ding ist tot, tot, tot.

Ich besitze nachwievor tausende LPs und Singles. Und geb’ die gewiß nicht zum Teuchtler oder einem anderen antiquarischen Feinspitz. Rausholen’ tu’ ich die Bowie & Co. auf Vinyl aber selten bis gar nicht mehr. „Ashes To Ashes“, Staub zu Staub.

Zukunftsmusik

4. Mai 2004

Turn On, Tune In, Drop Out. Anmerkungen zum Jubiläum „80 Jahre Radio in Österreich“.

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Eigentlich bin ich für das Radio ja verloren. Seit knapp zwei Jahren trage ich, meist leger im Hosensack zwischengelagert, eine kleine, elegant verpackte mobile Festplatte mit mir herum. Laut der britische Gazette „The Guardian“ handelt es sich schlichtweg um „die erste große Ikone des 21. Jahrhunderts“. Nun: zu derlei Verklärungen kann, aber muß man sich nicht hinreissen lassen. Obwohl das Ding schon tolle Stückln spielt. Gleich ein paar tausend, tagaus, tagein, ohne Wiederholung und Pause, wenn es denn sein muß. Es handelt sich um eine Art personalisierter Miniatur-Jukebox, und Kenner haben natürlich längst erkannt, daß nur der „iPod“ des Computerherstellers Apple gemeint sein kann. Ein MP3-Player, der mittlerweile als Quasi-Mitgliedsausweis des imaginären „Vereins für Audiogenuß auf der technologischen Höhe der Zeit“ dient.

Was derlei Schnickschnack mit dem guten, alten Radio zu tun hat? Eine Menge, wenn Sie mich fragen. Denn natürlich haben sich die Hörgewohnheiten und Lifestyle-Prothesen enorm verändert, seit Hertz, Tesla & Marconi an ihren Apparaturen rumschraubten. Das ist gerade mal hundert Jahre (und ein paar zerquetschte) her – und dennoch ein kaum mehr imaginierbarer Zeitsprung zurück. Zurück in eine Ära, als es noch um das Staunen ob der drahtlosen Übertragung menschlicher Stimmen oder die stupend realistische Reproduktion eines Orchesterauftritts ging. Und nicht um das abgestumpfte Achselzucken über das „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Musikbouquet aus dem Lautsprecher des Eduscho-Radios im Badezimmer. Vom gewohnt formatlosen Anbiederungsversuch des Formatradio-Morgenmoderators ganz zu schweigen.

Man nimmt derlei heutzutage ja nur mehr als Tonspur zum Schmutzfilm auf der Seelenhülle des ungeschützten Ich wahr, als rosa Rauschen vor dem gähnenden Abgrund des Alltags. Hörgenuß? Fehlanzeige. Ausnahmen bestätigen die Regel: ob es sich nun um die launige Ansage eines Klassik-Kleinods auf Ö1 handelt oder den erfrischend antipopulistischen Drall eines Pop-Schrapnells auf FM4. Programm ist andernorts längst mit der notorischen (und natürlich nur vermeintlichen) Vermeidung von Abschaltimpulsen gleichzusetzen. Das Radio ist als Medium generell in die Jahre gekommen, es ist in seiner Vielfalt vielfach einfältig, unendlich schal und banal geworden (und die sog. „Medienpolitik“ leistet dem Sog der Kommerzialisierung kaum Widerstand). Und dennoch erfüllt es den Äther ungebrochen mit seinem eigentlich, wesentlichen Sinn. Uns nämlich ständig und fortwährend zu sagen: Du bist nicht allein. Das ist, egal ob lautstark oder unterschwellig vorgebracht, eine allemal tröstliche, annähernd spirituelle Botschaft. Dafür nimmt man die penetrante Werbung, Robert Kratky und die Rundfunkgebühren mehr oder minder zähneknirschend in Kauf.

Nur die Begleitmusik – also der eigentliche Treibstoff der Radio-Maschinerie – wird durch Erfindungen wie jene des iPod, die den Nutzer zum Chef seiner eigenen, individuellen Radiostation macht (zumal, wenn er Zufallswiedergabe wählt und unerlaubterweise einen Kleinst-UKW-Sender an den Kopfhörerausgang schraubt), des digitalen Rundfunks (der die Frequenzen, Möglichkeiten und Anbieter potenziert) und des Internet-Streaming (das den PC mit dem Faszinosum Weltempfänger vermählt) bald anders tönen. Etwa so: die News liefert die Nachrichtenredaktion der Argentinierstrasse, den einen oder anderen Wortbeitrag auch, der Rest kommt von der Festplatte in meinem Hosensack, die sich auf „intelligente Playlists“ versteht. Ganz im Gegensatz zum Selektor in der Musikredaktion des Mainstream-Ö3-Klons.

Man wird sich in Hinkunft als Feinspitz die Rosinen aus dem multimedialen Strudelteig herauspicken können. Technisch ist das schon heute kein Problem. Die prototypische Projektion vom Typus Download-Afficionado treibt ja gerade die Musikindustrie in den Ruin, Hollywood in die Krise und die Gesetzeshüter vor sich her. Und natürlich ist – pardon!, dies ausgerechnet hier sagen zu müssen – die Online-Redaktion des ORF mittlerweile mit Abstand das wichtigste Verbindungsstück zwischen der Rundfunk“anstalt“ und der medialen Gegenwart und Zukunft dieses Landes (sofern sich die Weltwirtschaft und die Wirklichkeit um die Befindlichkeiten dieses Landes und seiner Bewohner überhaupt scheren). Gleich darauf folgen, in erstaunlicher Frische und mit instinktiv selbstbewußter Eigenständig- und -willigkeit, zwei Sender, die ich bereits genannt habe. Bewußt. Hier atmen Berieselungsunwillige, die sich an soetwas wie einen „Kulturauftrag“, den Anspruch und die Standards öffentlich-rechtlicher Medien erinnern, befreit auf. Das muß, kann, soll in der Deutlichkeit gesagt sein. Der Rest kann sich ja gern weiter nicht weiter stören lassen beim Dauer-Hin-und-Weg-Hören.

Nebstbei: der iPod spielt da natürlich auch mit. Das macht ihn zur aktuell gefährlichsten Konkurrenz für Radiostationen. Alle Radiostationen. Nur die Gefahr, zwischen den schicken, weißen Ohrstöpseln latent zu vereinsamen, spricht gegen eine dauerhafte Ablösung der Eduscho-Brüllbox.

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