Stellen Sie sich vor, Sie können in einem riesigen Schallplatten- und CD-Archiv fast jedes Musikstück als digitale Kopie mit nach Hause nehmen. Legal. Unkompliziert. Kostengünstig. Und Sie finden in diesem Archiv fast alles, was in Österreich je an populärer Musik produziert und veröffentlicht wurde. Ein Eintrag quasi in eigener Sache.
Ich kenne das Geschäft ja von allen Seiten. Pressemeldungen schreiben, Pressemeldungen umschreiben, Pressemeldungen abschreiben (unter uns: unfaßbar, wie dreister copy- and paste-Aktionismus heute als „Journalismus“ verkauft wird…), Pressemeldungen beauftragen, Pressemeldungen lesen, Pressemeldungen im Papierkorb entsorgen. Vielfach ist der Verlautbarungs-Wahn pure Zeitverschwendung. Zuviele Superlative, zuwenig Substanz. Gilt übrigens – Selbstzerknirschung rules OK! – durchaus auch für Propagandameldungen aus dem eigenen Haus. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Eine solche Ausnahme war und ist der Rummel, den wir um ein kleines, feines, pragmatisch-experimentelles Projekt losgetreten haben: die Musiktankstelle Museumsquartier (kurz MTMQ). Vom „Standard“ bis zum „Falter“, von der ZiB 3 bis zu Puls TV, von FM4 bis zu Radio Arabella gab es eine enorme Medienaufmerksamkeit. Zurecht, wenn Sie mir die subjektive Einschätzung gestatten. Denn der vorrangige Zweck dieser Initiative war und ist der einer möglichst raschen und konkreten Erfahrungssammlung, weitestgehend unabhängig von Konzern-Vorgaben und -Restriktionen. Die Katastrophenstimmung und partielle Lethargie der Branche bedarf, so gab ich wiederholt zu Protokoll, entschiedener Konterkarierung.
Worum handelt es sich bei der Musiktankstelle? Kurzweg: um den ersten On Demand Record Store Österreichs. Er bietet ausschließlich lokales Repertoire an, von historischen Jazz-Aufnahmen der fünfziger Jahre bis zu hochaktuellen Major-
und Indie-Pop-Veröffentlichungen. Ein Paradies für Musik-Historiker, Fans und Sammler. Man kann in der „Electric Avenue“ mitten im Wiener MuseumsQuartier in bequemer Lounge-Atmosphäre Songs und Stücke heimischer Interpreten in neuer Manier hören, auswählen und käuflich erwerben. Von Ambros bis Zawinul, von Louie Austen bis Zeebee lassen sich persönliche Favoriten auf eine CD brennen und, falls gewünscht, im Anschluß auch auf einen MP3-Player transferieren.
Schon zum Start Anfang September standen dreitausend Songs – der Großteil davon historisches Material, das – wichtig! – weder im herkömmlichen CD-Handel noch via Internet erwerbbar ist – zur Verfügung. Sie können frei gewählt, zusammengestellt und einzeln oder in Form ganzer Alben erworben werden. Der Preis liegt pro Track mit wenigen Ausnahmen bei 99 Eurocent. Dazu kommen Handlinggebühren von 2 Euro, dafür gibt’s einen CD-Rohling, eine wertige Hülle und eine detaillierte Tracklist. Ein Groschen-, pardon: Cent-Geschäft, gewiß. Aber es könnte sich läppern. Für alle. Zukunftsmusik? Der Prototyp funktioniert. Jetzt. Ab sofort geht es darum, das Angebot massiv auszuweiten.
Nicht, daß wir – eine Arbeitsgemeinschaft zwischen monkey., Exozet und dem SR Archiv österreichischer Popularmusik – glauben, damit das Rad neu erfunden zu haben. Kioskmodelle und CD On Demand-Versuchsballone gab und gibt es im Ausland sonder Zahl. Es ging um ein Signal. Um Innovationsfreudigkeit, Kooperationsbereitschaft und Publikumsorientierung. Pathetisch formuliert: um einen öffentlichen Startschuß für eine „neue Ära“ des Musikbusiness in Österreich.
Und tatsächlich ist die Bereitschaft, ernsthaft darüber zu reden (auch in Richtung logischer Erweiterungen, z.B. Download-Plattformen), durch die Bank gegeben. Das Klima wird insgesamt merklich aufgeschlossener und offensiver. Engagiert dabei waren beim Projekt MTMQ von Anfang an – und dafür auch an dieser Stelle Dank – Apple, FM4, das MuseumsQuartier Wien, die AustroMechana, Cheap, Universal Music und BMG. Ich weiß, daß die Manager und Juristen bei letzteren Unternehmen derzeit ganz andere Sorgen haben als uralte Verträge zu wälzen und unsere Festplatten zu bestücken… Respekt! Besonders hervorzuheben ist das Engagement der departure, wirtschaft, kunst und kultur gmbh, wo Norbert Kettner & Co. für die Stadt Wien das wirtschaftspolitische Schwerpunktprogramm „Creative Industries“ forcieren. Hier ist gerade einiges am Köcheln. Ich empfehle dringend den Besuch der Homepage http://www.departure.at. Könnte sich lohnen. (Nebstbei: auch die kolportierte Förder-Million aus dem Füllhorn des Kultur-Staatssekretärs wäre ein höchst positives und willkommenes Signal für die Musikszene abseits der Klassik-Hochburgen und Musical-Tempel).
In diesem Sinne: schauen Sie doch einmal vorbei in der „Electric Avenue“. Gleich neben einer leuchtkräftigen Wand mit historischen Austropop-Covers warten die Tankwarte des SR-Archivs auf Sie. Täglich – außer Montag – ab 12 Uhr. Burn, baby, burn! Ende der Durchsage in eigener Sache. Danke für die Aufgeschlossenheit.
(Anm.: Die „Musiktankstelle“ wurde 2006 aus Urheberrechtsgründen in „Musiktank Museumsquartier“ umbenannt.)