Archive for September, 2004

Burn, Baby, Burn!

9. September 2004

Stellen Sie sich vor, Sie können in einem riesigen Schallplatten- und CD-Archiv fast jedes Musikstück als digitale Kopie mit nach Hause nehmen. Legal. Unkompliziert. Kostengünstig. Und Sie finden in diesem Archiv fast alles, was in Österreich je an populärer Musik produziert und veröffentlicht wurde. Ein Eintrag quasi in eigener Sache.

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Ich kenne das Geschäft ja von allen Seiten. Pressemeldungen schreiben, Pressemeldungen umschreiben, Pressemeldungen abschreiben (unter uns: unfaßbar, wie dreister copy- and paste-Aktionismus heute als „Journalismus“ verkauft wird…), Pressemeldungen beauftragen, Pressemeldungen lesen, Pressemeldungen im Papierkorb entsorgen. Vielfach ist der Verlautbarungs-Wahn pure Zeitverschwendung. Zuviele Superlative, zuwenig Substanz. Gilt übrigens – Selbstzerknirschung rules OK! – durchaus auch für Propagandameldungen aus dem eigenen Haus. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Eine solche Ausnahme war und ist der Rummel, den wir um ein kleines, feines, pragmatisch-experimentelles Projekt losgetreten haben: die Musiktankstelle Museumsquartier (kurz MTMQ). Vom „Standard“ bis zum „Falter“, von der ZiB 3 bis zu Puls TV, von FM4 bis zu Radio Arabella gab es eine enorme Medienaufmerksamkeit. Zurecht, wenn Sie mir die subjektive Einschätzung gestatten. Denn der vorrangige Zweck dieser Initiative war und ist der einer möglichst raschen und konkreten Erfahrungssammlung, weitestgehend unabhängig von Konzern-Vorgaben und -Restriktionen. Die Katastrophenstimmung und partielle Lethargie der Branche bedarf, so gab ich wiederholt zu Protokoll, entschiedener Konterkarierung.

Worum handelt es sich bei der Musiktankstelle? Kurzweg: um den ersten On Demand Record Store Österreichs. Er bietet ausschließlich lokales Repertoire an, von historischen Jazz-Aufnahmen der fünfziger Jahre bis zu hochaktuellen Major-
und Indie-Pop-Veröffentlichungen. Ein Paradies für Musik-Historiker, Fans und Sammler. Man kann in der „Electric Avenue“ mitten im Wiener MuseumsQuartier in bequemer Lounge-Atmosphäre Songs und Stücke heimischer Interpreten in neuer Manier hören, auswählen und käuflich erwerben. Von Ambros bis Zawinul, von Louie Austen bis Zeebee lassen sich persönliche Favoriten auf eine CD brennen und, falls gewünscht, im Anschluß auch auf einen MP3-Player transferieren.

Schon zum Start Anfang September standen dreitausend Songs – der Großteil davon historisches Material, das – wichtig! – weder im herkömmlichen CD-Handel noch via Internet erwerbbar ist – zur Verfügung. Sie können frei gewählt, zusammengestellt und einzeln oder in Form ganzer Alben erworben werden. Der Preis liegt pro Track mit wenigen Ausnahmen bei 99 Eurocent. Dazu kommen Handlinggebühren von 2 Euro, dafür gibt’s einen CD-Rohling, eine wertige Hülle und eine detaillierte Tracklist. Ein Groschen-, pardon: Cent-Geschäft, gewiß. Aber es könnte sich läppern. Für alle. Zukunftsmusik? Der Prototyp funktioniert. Jetzt. Ab sofort geht es darum, das Angebot massiv auszuweiten.

Nicht, daß wir – eine Arbeitsgemeinschaft zwischen monkey., Exozet und dem SR Archiv österreichischer Popularmusik – glauben, damit das Rad neu erfunden zu haben. Kioskmodelle und CD On Demand-Versuchsballone gab und gibt es im Ausland sonder Zahl. Es ging um ein Signal. Um Innovationsfreudigkeit, Kooperationsbereitschaft und Publikumsorientierung. Pathetisch formuliert: um einen öffentlichen Startschuß für eine „neue Ära“ des Musikbusiness in Österreich.

Und tatsächlich ist die Bereitschaft, ernsthaft darüber zu reden (auch in Richtung logischer Erweiterungen, z.B. Download-Plattformen), durch die Bank gegeben. Das Klima wird insgesamt merklich aufgeschlossener und offensiver. Engagiert dabei waren beim Projekt MTMQ von Anfang an – und dafür auch an dieser Stelle Dank – Apple, FM4, das MuseumsQuartier Wien, die AustroMechana, Cheap, Universal Music und BMG. Ich weiß, daß die Manager und Juristen bei letzteren Unternehmen derzeit ganz andere Sorgen haben als uralte Verträge zu wälzen und unsere Festplatten zu bestücken… Respekt! Besonders hervorzuheben ist das Engagement der departure, wirtschaft, kunst und kultur gmbh, wo Norbert Kettner & Co. für die Stadt Wien das wirtschaftspolitische Schwerpunktprogramm „Creative Industries“ forcieren. Hier ist gerade einiges am Köcheln. Ich empfehle dringend den Besuch der Homepage http://www.departure.at. Könnte sich lohnen. (Nebstbei: auch die kolportierte Förder-Million aus dem Füllhorn des Kultur-Staatssekretärs wäre ein höchst positives und willkommenes Signal für die Musikszene abseits der Klassik-Hochburgen und Musical-Tempel).

In diesem Sinne: schauen Sie doch einmal vorbei in der „Electric Avenue“. Gleich neben einer leuchtkräftigen Wand mit historischen Austropop-Covers warten die Tankwarte des SR-Archivs auf Sie. Täglich – außer Montag – ab 12 Uhr. Burn, baby, burn! Ende der Durchsage in eigener Sache. Danke für die Aufgeschlossenheit.

(Anm.: Die „Musiktankstelle“ wurde 2006 aus Urheberrechtsgründen in „Musiktank Museumsquartier“ umbenannt.)

http://www.musiktank.at

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Austropop-Kult

9. September 2004

Austropop? Kult!? Noch vor Jahresfrist war allein das Stichwort ein Unding.

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„Ich mag den Begriff nicht, er klingt wie eine Automarke“ gab Ludwig Hirsch zu Protokoll. Marianne Mendt, mit der „Glock’n, die 24 Stund’n läut’“ eine der Ahnfrauen des Genres, stellte klar: „Die Zeit des Austropop ist vorbei“. Und die junge österreichische Szene beschwor zwar mit kuriosen Coverversionen und ironischen Sampler-Beiträgen mehr oder minder offen zur Schau getragene historische Einflüsse, blieb aber – „Exorcising The Ghosts!“ – übervorsichtig auf Distanz. Dies alles mehr als fünfzehn Jahren nach jener markanten Presse- und Publikums-Zäsur, zu der Michael Hopp im „profil“ (Ausgabe 44/1987) die Initialzündung gesetzt hatte: „Schickt Ambros in Pension!“

Und anno 2004 soll nun wieder alles anders sein? Die Restitution der alten Austropop-Kaiser, passenderweise zeitlich koinzident mit der Seligsprechung des letzten Habsburger-Herrschers? Eine Wunderheilung uralter Kultur-Hämorrhoiden? Der neue alte Kanon, intoniert und inszeniert vom ORF, dem damaligen (remember Eva Maria Kaiser!) und jetzigen („Austropop-Show“) staatstragenden Impulsgeber?

Die Wahrheit, meine Damen und Herren, ist eine viel einfachere und banalere: das Pendel mußte wieder einmal zum Ausgangspunkt zurückkehren. Der Ausgangspunkt hieß: Lust an der deutschen Sprache, am Dialekt, an lokalen und regionalen Beobachtungen, Sprachbildern und Gegebenheiten. Was folgte, war ab Ende der sechziger Jahre ein unvergleichlicher Boom an ebenso verwegen wie vorsichtig eingebürgertem, unbedarft bis genial adaptiertem, im Herzen kosmopolitischem Singer & Songwriter-, Pop-, Rap- und Rock’n’Roll-Spirit. Schöpfungen wie der „Hofa“ des jungen Wolfgang Ambros, der „Kommissar“ eines Falco oder die inoffizielle Landeshymne „I Am From Austria“ eines Rainhard Fendrich haben die Zeiten überdauert. Zurecht.

Daß zwischendurch – und immer wieder – das Pendel scharf in die Gegenrichtung ausschlug, wo junge Wilde den Altvorderen den nackten Hintern zeigten und alles neu, besser, anders machen wollten und natürlich auf keinen Fall, Teufel auch!, „Austropop“ – das ist der natürliche Lauf der Dinge. Der ewige Zyklus von Bewegung und Gegenbewegung, von Anziehung und Abstoßung, von Verehrung und Abscheu. Anno 2004 markiert das Pendel wieder ein Mode-Hoch. Und ermöglicht, von einigen notorisch geisterfahrenden Pendlern im Feuilleton-Salonwagen vielleicht abgesehen, uns allen einen entspannten, ja liebevollen Blick über die Schulter zurück. Marketingtechnisch leicht dramatisch überhöht wird daraus ein neuer Austropop-Kult. Aber das muß – und sollte – man genausowenig ernst nehmen wie die lust- und nostalgiefeindliche Antithese, der die Unterfütterung des Zeitgeists gottlob abhanden gekommen ist.

Es ist kein Zufall, daß die Großen des hiesigen Pop-Geschäfts immer noch Fendrich, Ambros, Danzer, Hirsch, Goisern usw. heißen. Sie sind Umsatz- und Stimmungsgaranten; dabei gibt es keine gnadenloseren Karriere-Intendanten als den Markt und die Zeit. Der Austropop als frisches Genre hat sich gewiß überlebt, aber er hat auch überlebt – da kommen selbst manchen Neue Welle-, Grunge- und Elektronik-Frühpensionisten mittlerweile Tränen der Rührung. Fehlt nur noch, daß Günter Nenning den Austropop-Koff… Nein, lassen wir das.

Wesen Archiv noch nicht reichlich bestückt ist, dem kann ab sofort geholfen werden – etwa mit der gleich siebenteiligen „Austropop-Kult“-Serie der BMG. Das Strickmuster ist ebenso simpel wie ambitioniert: nach dem Motto „10 + 3“ kombinierte man bei sieben der hauseigenen Austropop-Säulenheiligen je zehn der unbestritten größten Hits mit jeweils drei eher unbekannten, seltenen, bemerkenswerten Raritäten und Schmankerln. Herausgekommen ist eine Reihe, die ein mächtiger Teil der Tonspur zur ORF-„Austropop-Show“ sein dürfte. Eventuell sogar mit dem größten Austropop-Hit aller Zeiten. Fortsetzung folgt, mit Garantie.

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