Das Medium Musikvideo im Schaulauf zwischen künstlerischer Kür und ökonomischer Pflicht. Flott geschnittene Thesen und Beobachtungen. In zehn Kapiteln. Ein Vortrag anlässlich des Steirischen Herbsts 2004.
1) MUSIKVIDEOS SIND EIN REINES MITTEL ZUM ZWECK.
Aus meinem – natürlich subjektiven und funktionalen – Blickwinkel haben Musikvideos nur einen Zweck: ein visueller Geschmacksverstärker für die Tonspur zu sein. Ein Marketingtool. Ein Hebel ins Bewußtsein des Konsumenten und der Einkäufer der CD-Supermärkte.
Sprich: ein Musikvideo, das diesen Zweck nicht erfüllt – sei es, weil der Regisseur l’art pour l’art produzieren wollte, weil Bild und Ton einander nicht ergänzen und verstärken, sondern gegenläufig arbeiten, oder weil das Resultat so durchschnittlich, nichtssagend und langweilig ist, daß der Clip einfach in der Schublade verschwindet – ist eine ärgerliche Malaise. Eine Verschwendung. Ein Rohrkrepierer. Natürlich taucht dieses Werk dann meist doch irgendwo auf, auf irgendeiner retrospektiven „Greatest Flops“-DVD oder auf der Homepage des Künstlers als Streaming-Gimmick, aber das war’s dann schon.
Musikvideos als eigene, vom Format, der formalen Aufgabenstellung und dem Herstellungs- und Rezeptionsrahmen völlig losgelöste Kunstform sind mir noch nicht untergekommen. Außer vielleicht im artifiziellen Rahmen eines Symposiums wie diesem. Musikvideos sind nun mal in 95 Prozent aller Fälle keine Kunst, als Ausdruck sich selbst genügenden und in sich selbst gerechtfertigten Dranges nach Expression und Kommunikation. Im besten Fall sind Musikvideos exzellentes Kunsthandwerk. Im schlimmsten Fall eine öde Marketing-Dienstleistung.
2) MUSIKVIDEOS SIND DOCH KUNST. ALLES IST KUNST, ODER?
Es gibt genügend Belegstücke dafür, daß die Gattung „Music Clip“ im Schaulauf zwischen künstlerischer Kür und ökonomischer Pflicht – damit wäre ich beim Untertitel dieses Textes – nicht automatisch zur banalen Bebilderung der Tonspur verkommen muß. Wir kennen sie alle, von Cunnigham bis Gondry.
Es ist ja die banale Bebilderung auch gar nicht wirklich gefragt – obwohl wir sie jeden Tag beim Zappen durch die Clip-Kanäle tausendfach erleben. Aber auch der stupideste Product Manager einer Major-Plattenfirma, der einen Clip einfach nur auf einer „N3“ oder „N1“ oder „Breakout Rotation“ sehen will, hätte gerne eine Portion Originalität, Esprit und Witz in dem von ihm formal verantworteten Machwerk. Kunst. Große Kunst. Natürlich eher unnötig bei Jeannette Biedermann – da reichen die erprobten sexistischen Reize und vermeintlichen Zielgruppen-Codes. Aber man hat ja immer auch etwas Wahres, Gutes, Schönes, künstlerisch Wertvolles im Talon. Um das Portfeuille aufzufetten. Und letztlich nicht ganz arm dazustehen.
Läßt sich auch gegenüber dem Controller rechtfertigen. Irgendwie. Es gibt auch eine Zielgruppe, die sich Chris Cunnigham-Retrospektiven auf DVD kauft. Nennen wir sie „die qualifizierte Minderheit“. Jene, die der Konvention des Unkonventionellen huldigen. „First Mover“. „Bourgois Bohemiens“. „Early Adoptors“. „Young Urban Rich Kids“. Was weiß ich. Meinetwegen sogar ernsthaft Kunstinteressierte.
In der Praxis liegt die Kunst darin, die tägliche Gratwanderung ohne Absturz ins Banale und Bodenlose zu schaffen. Den Nutzwert mit einem nicht definierbaren, aber fühl-, merk- und memorierbaren Mehrwert aufzufetten. Mit künstlerischem Anspruch. Und, im Idealfall, einem Ergebnis, das diesem Anspruch standhält.
3) MUSIKVIDEOS SIND DER TRIUMPH DES MARKETING ÜBER DEN INHALT
Während Kollegen tagaus, tagein MTV und VIVA wie ein elektronisches Kaminfeuer in ihren Bürozellen flackern ließen, blieb bei mir der Bildschirm fast immer dunkel. Ich habe Musikvideos gehasst. Mit gutem Grund. Dieses sogenannte „Promotion-Tool“ erwies sich in der Regel als teurer, umstrittener und riskanter als das eigentliche Produkt. Das eigentliche Produkt, das war die Single- oder Album-Produktion eines Künstlers – betreut, verantwortet und sanft gesteuert von einem A&R Manager. Ein Produkt, das sehr gut für sich selbst sprechen konnte, ja mußte, nach dem Motto: what you hear is what you get.
Darum wurde lange Zeit mehr oder minder einfallsreiche, meist jedoch ziemlich uniforme Radio- und Pressepromotion gemacht, der Künstler für irgendwelche TV-Shows á la „Gottschalk“, „Formel Eins“ oder „Spotlight“ vorgeschlagen, ein paar Anzeigen geschaltet – und damit hatte es sich. Der Rest lag beim Publikum: Imagination, Identifikation, Mundpropaganda. Ab Anfang der achtziger Jahre, mit dem Start von MTV, war plötzlich alles anders. Die Marketingabteilung hatte mit dem zentralen Argument „Videorotation“ die Dominanz über die A&R Abteilung gewonnen. Augenblicklich, spätestens aber ab Mitte der neunziger Jahre (nach dem Start von VIVA) starten alle nur mehr wie das Karnickel auf die Schlange auf die Video-Playlists. Die Clips erwiesen sich rasch als Instant-Droge, als das Koks der Medienprodukte.
Ein schlechtes Video, das dennoch lief, konnte das Image eines Künstlers ratzfatz kaputtmachen. Ein gutes Video, das gar nicht lief, konnte mirnichtsdirnichts die Zukunft eines Künstlers killen. Ein gutes Video, das tatsächlich auch auf Heavy Roation lief, wirkte wie ein Katapult. Leider war man als A&R Manager nur mehr zu einem Art „Musikberater“ degradiert. Und die Product- und Marketingmanager, die Videoregisseure und VIVA-Redakteure waren rasch selbst die Stars. In einem Beitrag für das Buch „Die schnellen Jahre. Wien 1978 – 1988“ von Franziska Maderthaner habe ich einmal geschrieben, die eigentlichen österreichischen Popstars jener Jahre wären nicht Falco, Rainhard Fendrich, Opus oder sonstwer gewesen. Sondern Dolezal & Rossacher. Aus einem bestimmten, gewiß zynischen Blickwinkel, bleibt es dabei.
4) MUSIKVIDEOS SIND DIE TEURE EINTRITTSKARTE IN DIE UPPER CLASS DES MUSIK-BUSINESS
Noch schärfer formuliert: Musikvideos sind das Werkzeug der Majors, um Indie-Produktionen von den medialen Drehscheiben MTV und VIVA tunlichst fernzuhalten. Bei VIVA werden, laut Aussage eines Mitglieds der „Video Commission“, unter zehn Prozent der vorgeschlagenen, eingereichten, vorhandenen Clips gezeigt. Unter zehn Prozent. Der Rest wandert in die Mülltonne. Oder zurück an den Absender.
Natürlich agieren diese Sender, nicht zuletzt nach der Übernahme von VIVA durch MTV, mittlerweile extrem marktopportunistisch und formatiert. Aber selbst in jenen Zeiten, als ein Dieter Gorny mit dem Schlachtruf „Wir zeigen, daß es auch anders geht“ die Fanta4s, Absoluten Beginner und Wir sind Helden dieser Welt, also regionale und nationale Newcomer, Nachwuchs- und Alternativkräfte, forcierte, blieb dieses Privileg vornehmlich den damaligen VIVA-Besitzern Universal, Warner, Sony und EMI vorbehalten. Okay, die BMG wollte man auch nicht ganz im Regen stehen lassen. Ausnahmen – und die deutschen Newcomer des Vorjahrs, Wir sind Helden, waren zu Beginn eine solche Ausnahme – Ausnahmen also bestätigen die Regel.
Indie-Labels? Unabhängige Künstler? Nachwuchsregisseure? Billig-Videos? Künstlerisch wertvolle Ansätze? Credibility? Underground-Clips? Nö. Eher nicht. Zuviel Andrang. Zuviel Auswahl. Zuwenig Riskokapital. Eventuell in der Nacht. Einmal, höchstens zweimal. Natürlich können wir an den Ärzten und Toten Hosen nicht vorbei. Die sind ja auch Indie. Also bitte. Wir sind ja aufgeschlossen. Wir sind ja für eine selbstbewußte, pluralistische Szene. Wir sind ja hip, ja doch.
Bitte aber das nächste Mal aber eine ordentliche Eintrittskarte in den Club lösen. Kostet im Schnitt nicht unter, sagen wir, 40.000 Euro. Haben Sie gerade nicht? Dann bitte hinten anstellen. Ganz weit hinten. Diese Plätze hier sind für die Stammkunden reserviert.
5) MUSIKVIDEOS SIND NOTWENDIGE AUFMERKSAMKEITS-KUMULATOREN.
Was solls: ich kann nicht Pragmatik predigen, und dann von VIVA, MTV, gotv & Co. verlangen, „Arte“ zu sein. Wir brauchen Videos, weil sie es schaffen – inzwischen etwas weniger als früher, aber immer noch – verstopfte Medienkanäle freizusprengen. Präziser: eigene Medienkanäle neben den althergebrachten zu schaffen. Internet-Plattformen. On Demand-Angebote. Enhanced CD-Parts. Reine Clip-Abspielstationen. Gotv ist dafür ein Beispiel. Es gibt wohl keine billigere Art, oberflächlich professionell wirkendes Fernsehen zu machen. Im Reich des der unendlichen Digitalkanäle können wir uns da noch auf allerhand gefasst machen: Genre- und Sparten-Channels will rule, OK. Und das Radio mit Bildern hat natürlich seinen Reiz im direkten Vergleich zum Radio ohne Bilder. Video killed the radio star. Video will kill the radio star.
Womit wir kurz am Stichwort Radio anstreifen: das ist jenes Medium, das aus Sicht der Musikindustrie am heftigsten versagt hat. Und am kräftigsten verstopt und verzopft ist. Die aktuelle Quotendebatte ist ja vor allem ein Ausdruck der Verzweiflung über die Selbst-Kastration der einstmals wichtigsten elektronischen Litfassäule. „Die größten Hits der 80er, 90er und von heute“ bringen der Musikindustrie rein gar nichts. Formatradios sind die Pest. Die Abschaffung des eigenverantwortlichen, aufgeschlossenen und interessierten Musikredakteurs und Moderators hat sich als der größte Knieschuß in der Geschichte des Hörfunks erwiesen. Zumindest aus der Sicht vereinzelter Hörer, Künstler und Entrepreneure des Musikgeschäfts. Die qualifizierte Minderheit, wieder mal.
Immerhin: in Österreich ist die mit FM4 eh gut bedient. In Graz mit dem Soundportal. In Berlin vielleicht mit Radio Eins und Radio Fritz. In Hamburg ist schon Sense.
Daß MTV & VIVA jetzt locker-flockig in die selbe Richtung marschieren, sagt uns nur eines: die Geschichte wiederholt sich – einmal als Tragödie, einmal als Farce. Wenn Musik, wenn Popkultur insgesamt marginaler und bedeutungsloser geworden ist, hat die einst mächtige Waffe Musikvideo natürlich insgesamt auch nicht gerade an Bedeutung gewonnen. Die kommerzielle Zwangsfolgerung daraus?
6) MUSIKVIDEOS KÖNNEN, DÜRFEN, SOLLEN AUCH BILLIG SEIN.
Qualität und Originalität sind klarerweise keine Fragen des Budgets. Nicht damit wir uns mißverstehen: ich spreche hier nicht einer neoliberalen Selbstausbeuter-Ökonomie das Wort. Sondern sage nur, und das ist eine banale empirische Beobachtung, daß der Schluß „hoher Aufwand – hohe Kosten – hohe Aufmerksamkeit“ fast immer ein Trugschluß war und ist. Natürlich ist auch der Umkehrschluß „niedriges Budget – hohe Kreativität und Originalität“ nicht immer zutreffend. Aber die Tendenz geht schon stärker in diese Richtung.
Ich habe es zu oft erlebt: Musikvideos, wo sich der Regisseur – ohne Rücksicht auf Kosten und Verluste – gleich zu Beginn eine Armada von Hubschraubern wünscht, die über einem Flugzeugträger schweben, auf dessen Start- und Landefläche der Star performt, und ringsum tanzt eine Armee freizügig uniformierter, weiblicher Seekadetten. Das war (fast) immer Bullshit, ist Bullshit, und wird immer Bullshit bleiben. Wenn, dann wünsche ich mir derartiges als Pappkulissen-Parodie von Rocko Schamoni oder Mediengruppe Telekommander.
Vor sieben Jahren habe ich mit der Video Commissionerin einer mittelgroßen Plattenfirma heftig darüber gestritten, ob Clips unter einem Produktionsbudget von 50.000 Euro sinnvoll und möglich wären. Sie meinte: nein. Nun: die durchschnittlichen Budgets für Major-Videoproduktionen in Deutschland, vor ein paar Jahren noch bei 40-, 50.000 Euro, liegen mittlerweile bei 20- bis 30.000 Euro. Tendenz: weiter sinkend. Und natürlich werden deutlich weniger Videos gedreht. Die unzähligen Pleiten von Produktionsfirmen, von Dolezal & Rossachers DoRo abwärts, sprechen Bände.
Was mir in letzter Zeit oft unterkommt – auch als Aufgabenstellung für das eigene Indie-Label – ist das Do It Yourself-Wer bastelt mit?-Semiprofi-Heim-Video. Budget: 1000 Euro. Eventuell ein paar Cent mehr, aber bei 3000 ist dann meist definitiv das Ende der Fahnenstange. Es sind dann meist irgendwelche Bandmitglieder oder Leute aus dem Umfeld oder Bekannte von der Filmakademie, die sich dran versuchen. Und, unter uns: mit bisweilen höchst originellem, interessantem Ergebnis. Wir haben das selbst ein paar Mal durchgespielt. Etwa bei der Rockband Julia. Oder beim deutsch-österreichischen Elektronik-Kollektiv Tanga. Ergebnis: die 1000 Euro-Videos laufen auf gotv. Und nur Videos, die auch laufen, sind gute Videos. Wenn sie dann auch noch billig, wirklich billig waren – dann sind sie wirklich gut.
7) MUSIKVIDEOS WERDEN VON DEN KÜNSTLERN BEZAHLT.
Das ist einer der ältesten Tricks der Musikindustrie. Und einer der effektivsten. Irgendwie interessant, daß das fast nie zur Sprache kommt. Ich will es hier aber zumindest erwähnt haben: Künstler zahlen sich, auch wenn eine Major Record Company dahintersteht, ihre Musikvideos zu einem sehr großen Teil selbst. Im Regelfall sind es fünfzig Prozent der Kosten, die gegenverrechnet werden mit den – oft eh schon recht niedrigen – Tantiemen des Künstlers.
Das heißt im Klartext: man nutzt die Eitelkeit des Künstlers – und sein oftmaliges Unwissen, um den Marketingdruck zu erhöhen. Und den möglichen eigenen Profit. Wenn sich die CD dann einigermaßen verkauft, heißt das noch lange nicht, daß der Künstler jenseits des Vorschusses jemals wieder Geld sieht. Dafür darf er dann seinen Enkeln später einmal zwei, drei Cinemascope-Videos vorführen, in denen er eine tragende Rolle spielt. Als Hauptdarsteller. Und als Co-Finanzier.
Die Demokratisierung der Produktionsmittel – die Bilder werden ja heute oft mit erstaunlich erschwinglichen, semiprofessionellen Digitalkameras gedreht und auf dem Laptop geschnitten – könnte immerhin dazu führen, daß die Rolle des Videoobjekts und jene des Regisseurs zunehmend verschmelzen. Der Künstler als Director und Produzent des eigenen Videos. Reine Tonspur ist nicht mehr, man hat auch gleich die Bilder dazu zu liefern. Hoffentlich unter annehmbaren Vertragsbedingungen. Oder gleich auf eigene Faust.
8) MUSIKVIDEOS VERLIEREN TRADITIONELLE SENDEFLÄCHEN, GEWINNEN ABER RENTABILITÄT UND EXPOSURE ON DEMAND.
Über den Umbau der Programm-Philosophien und –Strukturen von MTV und VIVA muß ich ihnen wahrscheinlich nicht viel erzählen – selbst der oberflächlichste Zuschauer bekommt mit, daß hier einiges im Gange ist. Weniger Clips, mehr Nicht-Musik-Formate, mehr oder minder originell, mehr oder minder szenenah oder gar szeneprägend. Egal? Irgendwie natürlich: nein. Irgendwie aber auch: ja, egal. MTViva killed the video star.
CDs mit Multimedia-Parts, DVDs, Web, Tauschforen, Funknetze, On Demand Streaming-Angebote, iPods mit Videoerweiterungen, UMTS-Downloads aufs Handy usw.usf. – all das gewinnt rasant an Fahrt und Bedeutung. Damit kommen neue Auswertungsformen und -Wege für die olle Kamelle Videoclip ins Spiel. Alles eine Frage der Kosten und Kapazitäten. Videos als formatierte, portionierte, relativ kleine Einheiten sind ein ideales Futter für die – noch – relativ engen Kanäle. Damit läßt sich vieles wieder aus der Schublade holen. Wer gezielt via Datennetz abruft und zugreift, benötigt keine Sendeflächen und Shoppingregale. Das macht die Sache für Rechte-Aggregatoren, und das sind vor allem die Besitzer großer Backkataloge und Archive, interessant. Die Rentabilität längst rentabler Inhalte explodiert, wenn die üblichen, teuren, verstopften Medien an Bedeutung verlieren. Und jeder sein eigener Sender und Empfänger wird. „Content Is King“ hieß es noch vor kurzer Zeit, heute lautet der Schlachtruf „Konvergenz Is King“.
9) MUSIKVIDEOS WERDEN IN ZUKUNFT DAS DOMINIERENDE FORMAT IM MUSIKGESCHÄFT SEIN.
Schon heute werden die CD-Regale selbst bei Saturn, Mediemarkt, Virgin Megastore & Co. rausgeräumt. Natürlich geht das Geschäft stark in Richtung Downloads, aber sie machen anno 2004 noch nicht mal 3 Prozent des regulären, legalen Geschäfts aus. Was sich dagegen prächtig entwickelt hat in den letzten Jahren im Handel, sind die DVD-Abteilungen. Die „Greatest Hits“-CD wird zunehmend von der „Greatest Hits“-DVD verdrängt. Auch wenn sich Bill Gates wundert, daß es soetwas wie die DVD – ein schon heute veraltetes Format – überhaupt gibt: für den konservativen Fachhandel ist sie als akzeptiertes, begehrtes, verkäufliches Produkt ein Rettungsanker im Sturm der Zeiten.
Das gilt in einem hohen Maß auch für die Musikindustrie. Man räumt händeringend die Archive frei und packt selbst verstaubteste Clips und marginalste Amateurfilme auf die Silberscheibe. Die CD ohne zusätzliche Videos und Extras, das läuft längst unter Billig-Produkt, leicht kopierbar, schwer verkäuflich. Es gibt keine Major-Musikproduktion mehr, zu der nicht auch bewegte Bilder geschaffen werden. Und schwenkt man auf Konsumentenseite, hat man fast den Eindruck: Ton ohne Bild, das wird es bald auch nur mehr im Auto geben. Nur die Ökonomie der Aufmerksamkeit und die Strassenverkehrsordnung sprechen dagegen. Prinzipiell keine schlechte Botschaft für Bilderproduzenten, immerhin.
10) MUSIKVIDEOS SIND DAS PERFEKTE GLUTOMAT FÜR UNSERE FAST FOOD-KULTUR.
Das wäre eigentlich das Fazit. Ich möchte mich nicht als Kulturkritiker gerieren. Dafür bin ich zu sehr Teil des Systems, das ja längst – total offen, total liberal, total egal – These, Synthese und Antithese gleichermaßen zuläßt und umfasst. Was ist heute Kultur, was Gegenkultur? Was bedeutet etwa das Wort „Alternative“ noch? Das ist doch längst ein extrem abgedroschenes und blutleeres Marketing-Etikett. FM4 spielt „Alternative Mainstream“. Immerhin im Regelfall gute Pop-Musik. Kaum je spröde Elektronik, keinen Jazz, World Music eher auch nicht, von Moderner Klassik oder Avantgarde gar zu schweigen. Mittlerweile hat man, wirklich clever, eine eigene Trademark draus gemacht: FM4 spielt FM4-Musik. Und gotv spielt gotv-Clips, oder was?
Wenn im Zusammenhang mit der Ausgangsposition dieses Symposions von einer zunehmenden Dominanz der konsumorientierten Event- und Spaßkultur die Rede ist, dann muß ganz trocken konstatiert werden, daß Musikvideos dafür das gängige, für die Entertainmentindustrie höchst probate Schmiermittel, der perfekte Geschmacksverstärker, das Glutomat der Mediengeneration sind. Häppchenartig formatiert – die Songs und Clips sind ja, radiokompatibel, quasi immer dreieinhalb Minuten lang. Sound + Vision: eine multisensorische Einheit. Gekoppelt mit dem teuer aufgebauten Image und Mythos des Protagonisten. Und natürlich extrem verdichtet, perfekt inszeniert und ausgeleuchtet, abgesegnet und freudig empfangen von der Zielgruppe. Zusätzlich, als eine Art „Tüpfelchen auf dem i“ der Bedeutungsaufladung, darf man sich dann über jene qualifizierte Minderheit freuen, die, oho!, diskursiv Ökonomien, Strategien, Öffentlichkeiten fragt.
Aber irgendwie, tut mir leid, geht mir dieser ganze Rummel um die Filmchen am Arsch vorbei.