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You’re At Home, Baby?

9. November 2004

Kein Waterloo ohne Robinson: der ORF entdeckt die Wurzeln des Austro-Pop – bei sich selbst. Und die Protagonisten der hemischen Musikhistorie verwechseln sich wie gehabt mit der aktuellen Szene. Ö3 hat wieder einmal den schwarzen Peter gezogen. Und es gleichzeitig mehr denn je in der Hand, ihn elegant loszuwerden.

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Nun flimmert also – wenig überraschend, nachdem die Retro-Programmideen in der deutschen Privat-TV-Landschaft fröhliche Urständ‘ feierten – die „Austro-Pop-Show“ über die Bildschirme der Nation. Dolezal & Rossacher dürfen einmal mehr ihr Archiv ausheben. Der Unterhaltungsabteilung am Küniglberg ist einmal mehr keine Moderatoren-Alternative zu Arabella Kiesbauer eingefallen. Und es steht einmal mehr zu befürchten, daß die wirklich bemerkenswerten, witzigen und signifikanten Stilblüten der welken Pflanze „Austro-Pop“ dem ungeschriebenen ORF-Gesetz der Konsens-Mittelmäßigkeit zum Opfer fallen. (Wiewohl Reinhard Scolik, Edgar Böhm und Tobias Krause allemal Respekt dafür verdienen, Sendungen wie „Dorfers Donners-Talk“, „Sendung ohne Namen“ oder das deutlich spritziger und kritischer gewordene „25 – Das Magazin“ zu verantworten… Wie, „25“ wird eingestellt? Gerade jetzt, wo das Ding beginnt, wirklich Spaß und Sinn zu machen?)

Doch zurück zum Ausgangspunkt Austro-Pop. Und damit auch, quasi zwanghaft, zu einer Thematik, die einem allmählich wirklich nur mehr das große Gähnen zu entlocken vermag. Sie ahnen, was kommt, weil es kommen mußte: die große „Ö3-spielt-mich-nicht“-Debatte. Heutzutage wird derlei ja gern, weil’s einem der große Bruder Deutschland vormacht, mit der revolutionär bürokratischen Forderung nach einer wie auch immer gearteten „Quote“ gekoppelt.

Natürlich haben alle recht, die meinen, Ö3 würde zuwenig für die lokale, regionale, nationale Musikszene tun. Erstens kann man sowieso kaum je „genug“ tun, um die hiesige Wertschöpfung anzukurbeln. Zweitens kann man es per se kaum jemandem recht machen, zumal in dieser Republik der notorischen Reichsverweser, Realitätsverweigerer und Gewohnheitsrechthaber. Drittens muß man nicht unbedingt die Statistiken der „Musikergilde“ bemühen, um instinktiv zu bemerken, daß die Aussage des Ö3-Chefs Georg Spatt, der Sender spiele „soviel österreichische Musik wie nie zuvor“, ein glatter Hohn ist. Natürlich: mit allen Tricks werden sich die Zahlen schon so hinbiegen lassen. Aber die gefühlte Großwetterlage war über Jahren hinweg eine andere, deutlich kältere. Wirklich trauen kann man, laut Churchill, sowieso nur der Statistik, die man selbst gefälscht hat. Spatt hat schlicht weniger Mumm als sein Vorgänger Roscic, den stupid kommerziellen, BCI-programmierten Kurs des Senders vorwärtszuverteidigen. Verbale Aufgeschlossenheit allein macht noch keinen Frühling. Und wirkt, wenn sie nicht alsbald mit substantiellen Fakten unterfüttert wird, nur wie eine öde Finte aus dem NLP-Fundus.

Nun höre ich schon die Einwände, daß der ORF ja, von „Starmania“ bis zur aktuellen „Austro-Pop“-Klamotte, und Ö3 erst recht („Soundcheck Spezial“!) sich sehr wohl, dem Geist des vielbeschworenen Kulturauftrags entsprechend, einen Hax’n ausreißen für die heimische Szene. Wir sprechen hier, wohlgemerkt, nicht von Austro-Pop mit historischer Patina, da kann eine Steffie Werger noch so viel greinen. Sondern von aktueller, international konkurrenzfähiger Kommerzware „made in A“. Und derer gibt es, entgegen der landläufigen Meinung und der Wehklagen der Ö3-Musikredaktion, mehr als genug. Die Kollegen müssen nur bei FM4 reinhören. Was sie vermehrt auch tun: wenn Acts wie Saint Privat, Schönheitsfehler oder Soundhotel da wie dort auftauchen, dann spricht das zwar nicht für eine präzise Formatabstimmung. Aber für eine neue, bemerkens- und begrüßenswerte Aufgeschlossenheit. Daß deswegen Ö3 einen ähnlichen Österreicher-Anteil erreicht wie – „you’re at home, baby!“ – FM4, kann ja zum langfristigen Aktionsplan erklärt werden. Was spricht dagegen, Tamee Harrison zu spielen statt LeAnn Rimes, wenn beide klingen wie eineiige Zwillinge?

Tatsächlich ist seit einigen Monaten ein gewisser Stimmungs- und Meinungsumschwung zu konstatieren, sowohl in der Chefetage der Heiligenstädter Lände wie auch auf der vermeintlichen Gegenseite. „Mehr Mut!“ lautet der Schlachtruf da wie dort. Gut so. Tatsächlich ist es mutig (und klug), freigeistige A&R-Spielernaturen wie etwa einen Markus Spiegel in die Position eines „Songcontest“-Verantwortlichen zu hieven. Oder als Curiosa-Fürsprecher auch in das „Austro-Pop-Show“-Redakteursboard zu holen. Daß der Falco-Entdecker und „Slow Club“-Betreiber dann via „News“ für den ORF schmerzliche Wahrheiten an- und ausspricht und trotz Beratersalärs mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält, gilt es nobel zu verkraften.

Insgesamt habe ich es noch nie verstanden, warum Ö3 die leidige, lästige Flanke der Austro-Quotenschwäche so lange offenließ. Der Image-Schaden war und ist ein ebenso gewaltiger wie unnötiger. Es bedarf nur einer cleveren, halbwegs ernst gemeinten Aufmerksamkeit und Dialogwilligkeit, um den ewig Zukurzgekommenen und rückwärtsgewandten Raunzern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Meinetwegen sollen dann noch irgendwelche Chartas unterschrieben, Web-Überdruckventile installiert oder PR-Pressekonferenzen abgehalten werden, um Versöhnlichkeit zu versprühen. Weihnachten ist bald. Und das FM4-10-Jahresremmidemmi noch davor. Gratulation!, und frohes Fest allseits.

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