Archive for Dezember, 2004

Ruhe jetzt! In Frieden.

20. Dezember 2004

Zum Jahresausklang bitte keine kitschigen Glockentöne! Es gilt eine Radio-Ikone zu beweinen. Und sich über naiv-falsche Medienkritik zu wundern.

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“There goes the last DJ
Who plays what he wants to play
And says what he wants to say
Hey, hey, hey
There goes your freedom of choice
There goes the last human voice
There goes the last DJ…”

(Tom Petty, “The Last DJ”)

Eigentlich wollte ich diese letzte Kolumne anno ´04 ja einem Mann widmen, „ohne den wir nichts wären“, wie es einer der kompetentesten Musikjournalisten des Landes, Robert Rotifer, formuliert hat. Das mag pathetisch klingen, das darf auch ein wenig übertrieben sein. In Nachrufen sind große Worte allemal gestattet. Hier handelt es sich um einen solchen. Einen Nachruf, der gewiß nicht unter die Rubrik Routine-Erledigungen fällt. „Die Popkultur hat ihre Seele verloren“, so Rotifer. „Ihre Seele hieß John Peel“.

Tatsächlich war John Peel mit seiner sonoren Stimme nicht nur der vielleicht weltweit bekannteste Radio-DJ (und dabei persönlich ein beeindruckend unprätentiöser Gesprächspartner), sondern auch einer der letzten professionellen Augen- und Ohrenzeugen der gesamten neueren Musikhistorie. Von Elvis Presley und den Beatles bis Pink Floyd und T.Rex, von Joy Division über Nirvana bis zu den White Stripes – dieser Mann hat alles und jeden erlebt, bewertet und, oftmals an vorderster Front und nicht gerade selten als einziger, einem breiten Publikum präsentiert. Einige Zeit lang, Anfang der neunziger Jahre, übrigens auch im „Nachtexpress“ auf Ö3. Peel war ein Musik-Freak im allerbesten Sinne. Eine Legende. Und er hatte Format. In Zeiten des „Format-Radios“ gehörte er damit einer längst ausgestorbenen Rasse an Medienpersönlichkeiten an (denen die Musikindustrie heute gern ein paar Krokodilstränen nachweint). Keine Ahnung, ob er die akute Radikal-Reform seines Heimat-Senders BBC überlebt hätte. So war es ein Herzinfarkt, der ihm Ende Oktober während eines Urlaubs das Mikrofon entzog. Für immer. Außer sie haben im Jenseits eine wirklich gute Rock’n’Roll-Station… Ich schließe mich „Spex“ an: Ruhe in Respekt, John.

Bei weitem lieber wäre mir gewesen, ein anderes Thema wäre der ewigen Ruhe anheimgefallen: die frischgeschminkte Leich’ namens Austro-Pop. Doch hier rappelt es einmal mehr gewaltig in der Kiste. Nun, die erste Ausgabe der gleichnamigen TV-Show habe ich leider verpasst. Wie’s Georg Danzer – dem man eine Affinität zur Materie ja schwerlich absprechen kann – gefiel, konnte man immerhin im „Kurier“ nachlesen (nebstbei: einer Zeitung mit absolut bescheuerter Online-Archiv-Abozwangsbeglückung). Mit pointierten Worten und trefflicher Argumentation. Danach ließ ich, nicht unamüsiert, den frisch ausgepackten Festplatten-Recorder in Aktion treten und zog mir Folge Zwa rein. Nicht die CD, sondern die Fernsehsendung. Ohne Pinkelpause, ohne Vorbehalte. Fazit: ja, die Kritiker haben recht. Wie sie fast immer recht haben, aus einer gewissen, den ORF-Realitäten und -Sachzwängen berufsbedingt eher fernen Position. Aber sie haben gleichzeitig auch unrecht.

Das mag einige Leser wundern, aber es wird Zeit, den Küniglberg zu verteidigen. Zumindest partiell. (Und ich bin wohl eher unverdächtig, den ORF-Propagandaminister zu spielen, hat mich doch Gerd Bacher selig einst mit Hausverbot belegt wegen öffentlicher Kritik an der mangelnden Jugendkompetenz des Senders, von Dolezal & Rossacher ganz zu schweigen… Die PR-Trommelei überlasse ich gern den, hüstel, Medienjournalisten von „TV Media“). Wohlan: die „Austropop-Show“ erfüllt, mehr oder minder elegant, ihren Zweck. Und der war und ist nun mal nicht, eine Sendung für Feuilletonisten, Archivare und detailversessene Musikfeinspitze zu sein. Sondern eine Unterhaltungs-Revue für die breite Masse abzugeben (so verdächtig mir dieses Wort „Breite Masse“, ähnlich „Kleiner Mann“ oder „Ganze Familie“, auch ist). Pop(uläres) Programm. Das braucht Schmalz und Spass und die eine oder andere Spitze. In jeder Hinsicht. Daß dabei die Musik eher eine Neben- als die Hauptrolle spielt (und viele historisch wichtige und kurzweilige Austropop-Schmankerl unter den Tisch fielen), war absehbar. Aber, ähnlich dem „Songcontest“: welcher Blödel nimmt solch ein schlicht-funktionelles Unterhaltungsformat ernst? Georg Danzer tut es. Und schießt sich damit, sorry!, als auf dem Bildschirm ganz entspannt wirkender Retro-„Nackerter vom Hawelka“ im Nachhinein selbst ins Knie.

Wirklich lustig wird’s aber erst, wenn Christof Straub von Papermoon – ein gewiß weithin respektierter Songwriter – zu dem Thema wacker, wacker einen offenen Brief schreibt. Da wird harmlos pointierten Wortspendern wie Andrea Händler jegliche Konsumenten-Kompetenz abgesprochen, und ein Markus Spiegel, gegen jede Fakten, als gescheiterter „Musik“-Produzent denunziert. Nur weil er Papermoon als Lagerfeuer-Musikanten für Spätpubertierende bezeichnete? Mein Gott. John Peels Urteil wäre härter ausgefallen, und der Mann hat sich nie ein Blatt vor den Mund genommen. Das muß man, there’s no business like showbusiness!, locker aushalten. Ernsthaft. Oder die Produzenten der Show, der sich die Maulwerker als Aufputz in die Sendung holten, öffentlich (= airplaygefährend?) anklagen… Die potentiell beleidigten Leberwürste sitzen aber, nimmt man’s genau, überall rum. Geballt am Musiker- und Medienstammtisch. Die Wahrheit kann hart sein. Doch gilt: die schärfsten Kritiker der Elche sind bisweilen selber welche.

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Bronfman’s Blues

7. Dezember 2004

Edgar Bronfman jr. scheint von einem Tick besessen: er kauft Plattenfirmen wie andere Spielzeugautos – zuletzt Warner Music. Derweil versucht die Konkurrenz ihr Heil in Elefantenhochzeiten, Massenentlassungen und Vorwärtsstrategien.

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Im Wochenend-Feuilleton-Salon der „Financial Times“ dürfen schon mal, sagen wir, The Strokes für Abwechslung sorgen. Schließlich gehört es zum guten Ton, ab und an den Rock’n’Roller raushängen zu lassen. Beiläufig nur, aber immerhin. Passend zum Casual Style und zur lässigen, kumpelhaften Attitüde, die damals, Anfang bis Mitte der Neunziger, in den Chefbüros Einzug gehalten haben. Auch wenn das Mienenspiel der Controller längst von Dur auf Moll gestimmt ist – man will sich den Spaß an der Sache und den Hang zum Wahren, Guten, Schönen (und vormals leidlich Verkäuflichen) nicht gänzlich verderben lassen.

But the times, they are a-changin’. Die wahre Musik spielt längst anderswo. Auf den vorderen Seiten des lachsrosa Blattes, dort, wo die Wirtschaftsnachrichten – zumindest in Sachen Tonträger-Industrie – seit Jahren nichts Gutes mehr zu verkünden haben. In den Computerillustrierten, die einmal mehr über das „Musik-Copy-Chaos“ („PC Magazin“) oder die Unzulänglichkeit der deutschen Download-Angebote lästern. Oder in den HiFi- und Home Entertainment-Gazetten, die die neueste Generation an Festplatten-MP3-Playern, Surround-Anlagen und Wireless LAN-Jukeboxen abfeiern und von der schnöden CD kaum mehr etwas wissen wollen. Von den Nachrichtenmagazinen, die en passant vom Sündenfall Richtung Musik-TV oder Lokalpolitik zu berichten wissen, ganz zu schweigen.

Die Lage zum Jahreswechsel: schwierig. Sehr schwierig. Minus 10,6 Prozent verkaufte CDs im ersten Halbjahr `03 weltweit. Das fünfte Jahr mit einem dicken Minus in Folge – von 1998 bis 2002 schrumpfte der globale Umsatz um knapp 6 Milliarden Dollar. Der weltgrößte Musikkonzern Universal hat gerade hunderte Mitarbeiter entlassen (allein in Deutschland über sechzig) und angekündigt, bis zum Ende des ersten Quartals 2004 weitere achthundert Stellen streichen zu wollen. Offizielle Stellungnahme der Konzernspitze: „Universal bewertet ständig sein Geschäft neu, um das effizienteste und wettbewerbsfähigste Musikunternehmen der Welt zu bleiben“. So kann man den rasanten Abmagerungsprozeß natürlich auch umdeuten.

Der Rest der ehemaligen „Big Five“ der Major-Konzerne – BMG, Sony, Warner und Capitol-EMI – suchte sein Heil zunächst in der gegenseitigen Umarmung. Fusionsgespräche allerorten, jeder mit jedem, hüben und drüben. Monatelanges Brodeln in der Gerüchteküche. Bis im Oktober Bertelsmann und Sony als erste die Ehe – oder zumindest die Verlobung – verkündeten. Mit Sony BMG entsteht, wenn auch nicht ganz ohne Zwang und konzerninterne Kritik (die immerhin zum Abgang des Bertelsmann-Aufsichtsratsvorsitzenden führte), ein neuer Branchengigant. Mit einem Marktanteil von weltweit über 25 Prozent könnte er die Führungsrolle von Universal übernehmen. Außen vor bleiben die Musikverlage, die Vertriebe und Preßwerke. Und auf dem Heimatmarkt Japan will und wird sich Sony von den Deutschen auch nichts dreinreden lassen – überall sonst soll der Verschmelzungsprozeß ab dem Frühjahr anlaufen. Die Chefs stehen fest: Andrew Lack, Ex-Sony-CEO, bleibt an der Konzernspitze, BMG-Chef Rolf Schmidt-Holtz übernimmt den Vorsitz des Aufsichtsgremiums. Die Befürchtung, daß eine derartige Elefantenhochzeit von den Kartellwächtern der EU, namentlich Kommissär Mario Monti, verhindert würde, ist mit dem dramatischen Markteinbruch fast ganz verschwunden.

Was auch mit dem Scheitern der Tändelei zwischen zwei weiteren Riesen zu tun hat: EMI und Warner. Letzteres Unternehmen, im Besitz des schwächelnden Medienkonglomerats Time Warner (bis vor kurzem noch: AOL Time Warner), stand zum Verkauf. Der Versuch der Übernahme durch den britischen Konkurrenten Capitol-EMI, der allein auf Musik setzt und damit stärker als die Mischkonzerne Sony, Bertelsmann und Vivendi Universal unter Zugzwang steht, scheiterte an einem zu niedrigen Gebot. Gerade mal 1,6 Milliarden Dollar hatte EMI-Chairman Eric Nicoli den Amerikanern in Aussicht gestellt.

Damit schlug einmal mehr die Stunde für einen alten Bekannten im Kreis der Branchenmogule: Edgar Bronfman junior. Gemeinsam mit einem Bieterkonsortium legte er nochmals eine knappe Milliarde Dollar drauf – und bekam den Zuschlag. „Die fünfte Chance für Edgar“, kommentierte umgehend die „Financial Times“ das Comeback des Milliardärs mit dem Hang zum Showgeschäft. Nicht ohne zynische Überschriften („Ein gewisser Sinn für Verschwendung“) und einer minutiösen Aufzählung der bisherigen Mißerfolgsserie des neuen Bosses von Madonna & Co.

Erster künstlerischer Gehversuch mit 17 als Produzent des Hollywood-Streifens „The Blockhouse“ – Flop. Vater Edgar Bronfman, Mehrheitsinhaber des Spirituosenkonzerns Seagram und Großinvestor bei Metro-Goldwyn-Mayer, deckt die Verluste ab. Und ermöglicht einen neuen Anlauf, diesmal mit Jack Nicholson in der Hauptrolle. Flop. Der Junior zieht sich zurück, heiratet eine afroamerikanische Schauspielerin – was wiederum den Vater erzürnt – und zieht schließlich Anfang der neunziger Jahre in der Chefetage des Schnapskonzerns ein. Aber seine Vorliebe für die schönen Künste (Bronfman jr. komponierte Songs u.a. für Celine Dion und Dionne Warwick) läßt ihn nicht los. Seagram erwirbt um 5,7 Milliarden Dollar 80 Prozent von MCA – man beachte im Rückspiegel den aktuellen Branchen-Preisverfall! – und verkauft dafür Anteile am Chemieriesen DuPont. Als ihm später Aktionäre vorrechnen, daß dies ein reichlich schlechtes Geschäft gewesen sei, meint Bronfman jr. nur, die Chemieindustrie sei „langweilig“. Flop Numero vier. Kurzweiliger wird es, als MCA in Universal umbenannt, mit der Polygram verschmolzen und die Mediensparte von Seagram an den französischen Giganten Vivendi (Kern: die Pariser Wasserwerke) verkauft wird. Die Bronfman-Familie muß dafür die Schnapsdestillerien verkaufen und erhält im Gegenzug Vivendi-Aktien. Die, wie sich bald herausstellt, durch Mißmanagement und marktferne Gigantomanie rasant an Wert verlieren. Innerhalb weniger Jahre hat Edgar Bronfman jr. rund achtzig Prozent eines riesigen, in Jahrhunderten zusammengetragenen Familienvermögens verspielt. Ein Megaflop.

Daß er jetzt trumphierend im Chefsessel von Warner Music (der Name soll erhalten bleiben, es handelt sich nunmehr laut der „New York Times“ um die „größte US-Independent-Musikfirma)“ sitzt, dürfte von Vater, Onkel und sonstigen Verwandten und Bekannten mit größerer Sorge denn je gesehen werden. „Das ist die größte Demonstration von Egomanie und Stupidität“, so der Kommentar eines Mitbewerbers, „seit man Milli Vanilli beim Schwindeln vorm Mikrofon erwischt hat“.

Das Bieterkonsortium rund um Bronfman jr. wiederum beteuert, große Chancen gerade in der aktuellen Krise der Musikindustrie zu sehen. Allein der Verlag, dessen Erlös relativ stabil blieb, könnte den Kaufpreis auf Dauer wert sein. Mit drastischen Kostenreduktionen – das Patentrezept des neuen Jahrtausends? – und der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle will man auch in Zukunft die Kasse klingeln lassen. Der sogenannte „Backkatalog“, das historische Familensilber von Warner, ist ja auch nicht zu verachten. Von Neil Young und Led Zeppelin bis hin zu den Red Hot Chili Peppers und R.E.M.

Könnte gut sein, daß Edgar jr. gerade im frisch bezogenen Chefbüro sitzt und die Musikanlage testet, volle Lautstärke, die „Fiancial Times“ ungelesen zerknüllt im jungfräulichen Papierkorb. „Keep On Rockin’ In The Free World“! Oder doch eher „It’s The End Of The World As We Know It (But I Feel Fine)”?

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