Sagen wir so: wir wären gerne Helden. Sind aber oft genug nur Maulhelden, die sich über diejenigen, die’s versuchen, den Mund zerreissen. Und immer schon gewußt haben, warum das nie was werden kann. Anmerkungen zum notorischen Hang des Österreichers zur Selbstbeschädigung, Unterabteilung Populärkultur.
Gleich zu Beginn ein Geständnis: den Titel dieser Kolumne habe ich geklaut. Dreist geklaut. Und zwar dem „Evolver“, einem der ältesten, verdienstvollsten und agilsten Online-Magazine des Landes. Dort erklärt ein gewisser Herr Denes auf einem imaginären Bierdeckel die Welt, sprich: in einem auf 1000 Zeichen begrenzten Feuilleton-Minimundus. Vergnüglich-konzentriertes Suderantentum, unter’m Strich.
Unlängst ließ Herrn Denes der aktuelle Erfolg deutschsprachiger Pop-Rock-Formationen in die Tastatur greifen. „Am Anfang war das biotechnische Musiklabor“, vermeldete er. „Das Rohmaterial: dissonante Songs mit Pennälertexten. Ein bis zwei Milchbubis an den Gitarren, ein Keyboarder, der „total auf die 70ies steht“. Bassist und Drummer obendrauf. Die Veredelung: eine Sängerin. Der Plan: reihenweise deutschsprachige Songs vermarkten. Nun ist das Experiment außer Kontrolle geraten. Kohorten von ganz normalen Bands mit Sängerin füllen die Charts…“. Herrn Denes’ finaler Hilferuf: „Kann bitte jemand wieder den Euro-Dance-Trend aufkommen lassen?“
Nun kucken clevere A&R-Manager natürlich länger schon in Dance- und sonstige Repertoire-Schubladen und definitiv nicht mehr in das Deutsch-Rock-Fach, wenn sie ihren Job – die Erahnung, Formulierung und Umsetzung der Modetrends von morgen und übermorgen – ernst nehmen. Nur phantasielose Schreibtischtäter (derer es allerdings in der Musikindustrie erstaunlich viele gab und gibt) versuchen verzweifelt, auf einen bereits in voller Fahrt befindlichen Zug aufzuspringen.
Dennoch ist die sauertöpfische Quasi-Analytik, mit der nicht nur Herr Denes, sondern ganze Kohorten von Musikkritikern derzeit aus dem Salonwagen dieses Zuges winken, sofern sie nicht gleich mit Todesverachtung vom aktuellen Publikumsgeschmack abzuspringen versuchen, ebenso banal wie unangebracht. Ja, Wir sind Helden, Sportfreunde Stiller, Mia, Juli, Silbermond, Klee, Virginia Jetzt!, Annett Louisan, Kettcar und einige deutschsprachige Nachwuchskräfte mehr feiern erstaunliche Erfolge. In Germanien, aber auch hierzulande. Zusätzlich zu vermerken ist, daß auch die Vorreiter dieser „neu-neuen deutschen Welle“ – von Tocotronic bis Blumfeld – ungebrochene Relevanz und Popularität besitzen.
Auf Differenzierung bedachte Szene-Kenner werden an dieser Stelle einwerfen, daß es wenig gemeinsame Nenner gibt zwischen, sagen wir mal: Tocotronic und Silbermond, sieht man einmal von der mehr oder minder virtuosen Verwendung ihrer Muttersprache ab. Aber darum soll es hier nicht gehen. Sondern um die gewaltige, dezidiert alles andere als synthetisch fabrizierte und von zynischem A&R-Kalkül getriebene Stoßkraft, die alle (jawohl: alle) diese Bands in den letzten Monaten und Jahren entwickelt haben. Sie stellen, abseits papierener Quoten-Forderungen, die Programmpolitik vieler Mainstream-Radiosender in Frage. Scheren sich einen Dreck um Genre-Grenzen zwischen Schlager und Punk. Und retten nebenbei die Bilanzen der diesigen und hiesigen Majors. Alles in allem eine beachtliche, bemerkenswerte, gewiß positive Bilanz.
Aber in Zeiten, wo die Halbwertszeiten für Entwicklungsschübe und Entfaltungsmöglichkeiten drastisch knapp bemessen sind, hebt das Geraunze rascher an, als uns allen lieb sein kann. In Österreich, einem Land, das sich im Popsektor fast immer an diversen großen Brüdern orientiert hat, gibt es den Drall hin zu beherzt intoniertem deutschsprachigen Material zwar auch schon länger, aber bislang kaum im kommerziellen Kontext (sieht man einmal von Christl Stürmer ab). Aber sind Garish, Aschenputtel, Gustav, Roter Stern Silberstern, Falsche Freunde, Smitten oder Mediengruppe Telekommander – um exemplarisch ein paar Namen zu nennen – schon wieder passé, weil ein paar Entscheider relativ rasch gelangweilt abwinken? Bevor ein breiteres Publikum überhaupt draufkommt, daß es hierzulande Acts diesen Zuschnitts gibt? Okay, Gustav macht im „Hitradio“ wenig Sinn und hat mit Aschenputtel & Co. wenig am Hut. Aber das enge Zeitfenster der Opinion Leader-Aufmerksamkeit gilt gleichermaßen, wenn auch mit anderen Formen und Inhalten. Ich nenne das das „Heinz aus Wien-Syndrom“. Die Band um den kecken Michi Gaissmaier war nie ein Jota schlechter als, sagen wir: Sportfreunde Stiller. Aber im Austro-Schlick aus Minderwertigkeitskomplexen, unprofessionellen Strukturen und kleingeistiger Lokal-Auguren-Ignoranz fand sich keine probate Startbahn für den grenzenlosen Höhenflug.
Es ist in diesem Zusammenhang bisweilen stupend, mit der opportunistischen Überheblichkeit von Musikschreibern konfrontiert zu werden. Ich erlebe es gerade bei einer Band, der ich mit persönlichem Enthusiasmus auf die Beine zu kommen helfe: Zweitfrau. Dahinter steckt die Schlagzeugerin Diana Lueger, eine gestandene Performerin. Diana hat bloß das Pech, daß die Formel „attraktive Frontfrau plus männliche Mitstreiter machen deutschsprachigen Pop“ derzeit überreizt und damit ansatzweise out ist. „Unangenehm berechnet und ausgedacht“ wirke diese Truppe, vermeldete ein Kolumnist im (generell sehr lesenswerten) Magazin „Datum“. „Eine einzige Unnötigkeit“. Im „Kurier“ dagegen war von „Musik, die Lust auf mehr macht“ zu lesen. Und von „ernsthafter Konkurrenz für Mia & Co.“ Wem glauben?
Ich schlage vor: das Publikum soll selbst entscheiden. Wenn man es denn entscheiden läßt.