Archive for Oktober, 2005

Mehr Geschichten aus dem wahren Leben.

29. Oktober 2005

Wie ich zum Blogger wurde. Und warum dieses Blog notwendig ist. Leider.

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Ich lese gerne Blogs. Immer wieder mal. Zwischendurch. Hirnfutter. Ich lese besonders gerne das FM4-Blog („Journal 05“) von Martin Blumenau.

B., wie ich ihn von nun an nennen will (the names will not be changed furthermore to protect the innocent – simply cause no one is innocent in this case), B. also hat es sich selbst zur Aufgabe gestellt, (bereits zum zweiten Mal) ein Jahr lang täglich streng subjektiv von seiner Innen- und Außenwelt zu berichten. Von der kleinen Randbeobachtung bis zur feuilletonistischen General-Welterklärung ist da alles drin. Und vieles dran. Denn B. kann hören, sehen, reden, riechen, schmecken, denken. Und er kann schreiben. Das hat er da bewiesen und dort, seit Jahren. Und das beweist er massiver denn je in seinem täglichen Blog-Journal. Respekt. Fast immer höchst anregende Lektüre.

B. weiß auch eine Menge. Er pflückt seine Nahrung, die er für uns alle publizistisch wiederkäut, seit Jahrzehnten aus dem Humus bildungsbürgerlicher und popkultureller Qualitäten und Quantitäten. Er ist ein Meinungs- und Herzensbildner, ein weithin bekannter „opinion leader“ und hat allerlei – ich meine das nicht zynisch – pädagogische Qualitäten. Leider hat er auch seine Untugenden (die ich aus einem gewissen Naheverhältnis ebenfalls kenne, wie seine Qualitäten). Aber, Gott bewahre!, das hier soll keine persönliche Auf- und Abrechnung sein. Oder werden. Wozu auch.

Denn eine von B.s Untugenden ist ja eh weithin bekannt, weil öffentlich verfolgbar und von B. selbst sogar zum Stilmittel erhoben. Die Rede ist von seiner, sagen wir mal vorsichtig: ins Egozentrische lappenden Selbstgefälligkeit und -Gerechtigkeit. Nicht Selbst-Genügsamkeit. Denn B. benötigt Publikum. Mitunter ein Publikum, das ihm (vermeintlich oder wirklich) nicht das Wasser reichen kann. Und das dann dafür ordentlich abgefertigt, angefahren, getadelt, gerügt, beschimpft, belächelt, ignoriert, abgekanzelt, huldvoll väterlich getätschelt oder grob zur Sau gemacht wird. Sei’s live on the air oder online, im FM4-Blog. Blumenau verteilt Zensuren. Es gibt Leute, die meinen, das würde zu seinem Charisma beitragen. Es gibt Leute, die meinen das Gegenteil.

Ich meine: wer austeilt, muß jedenfalls auch einstecken können. Und sich selbst in Frage stellen lassen, sei’s in alles andere als maulfauler Widerrede (zu der viele Anrufer in seinen Sendungen aus lauter Perplexität oft nicht fähig scheinen) oder in diversen – oft recht gescheiten, kritischen, hinterfragenden und weiterführenden – Postings zu den wechselnden Blog-Themen. Solange es keine grob alle Sitten und offiziellen Spielregeln verletztenden Anmerkungen sind, die zurecht ignoriert, ausgeblendet oder gelöscht werden, MUSS derlei gestattet sein. Auch wenn B. immer wieder mal anmerkt, dies sei „sein“ Forum, also mache, interpretiere und verwalte er allein hier die Regeln. Und wer ihn öffentlich in Frage stelle und wie und in welchem Umfang und ob nachlesbar für alle anderen, darob habe allein er als Blog-Autor und absolute Autorität zu befinden.

Das verlangt, zumindest aus meiner Sicht (und ich bin gespannt auf jegliche Diskussion zur grundsätzlichen Problematik), nach eindeutiger Verneinung. Zumal gerade das freie und unmittelbare Spiel von Rede und Widerrede den eigentlichen Reiz und einen nicht unbeträchtlichen Zusatz-Wert dieser publizistischen Form ausmacht. Sonst könnte B. nämlich Kolumnen schreiben oder Romane oder Tagebuch. Ein privates Blog, ev. nur für Freunde und Adoranten, eröffnen. Oder in eine Plastiktüte hineinreden. Und wenn es an der Tür klingelt, gar nicht erst aufmachen.

Der Ausgangspunkt ist also diese feine tägliche Unternehmung, zu der man ihm, sich und FM4 gratulieren kann, B.s – mithin gewiß nicht wirklich „privater“ – Blog. Allein: die kommunikative Weltbespiegelung und Leserbeglückung auf fm4.orf.at hat – es zeichnet sich ja in meinem langen schreiberischen Anlauf ab – einen Haken. Eine Delle. Einen inhärenten Fehler, der es beschädigt, entwertet, grundsätzlich in Frage stellt. Und, so leid mir das tut, das FM4-Selbstverständnis im Dialog und Umgang mit seinem Publikum gleich dazu. Zumindest ansatzweise.

Denn: B. verteilt nicht nur Zensuren. B. ZENSURIERT Meinungen, Anmerkungen und Repliken, die ihm nicht in den Kram passen. Ein hartes Wort, gewiß. Aber mit Bedacht und Absicht gewählt. Denn es ist und bleibt Zensur, wenn eine durchaus erkleckliche Anzahl an Meinungen, Anmerkungen und Repliken von verschiedenen Personen zu verschiedensten Themen innerst kürzester Zeit einfach „verschwinden“, also gelöscht werden. Und zwar eindeutig, ohne daß sie gegen die expliziten Spielregeln für ORF-Foren verstoßen hätten. Ja, man unterschreibt, keinerlei grob unsachlichen etc. usw. Postings zu machen, von Äußerungen, die klar gegen Sitte, Moral, Ordnung und Netiquette verstossen, sowieso abgesehen. B. fasst das eng auf. Sehr eng. Sehr sehr eng. Und sehr persönlich. Und sehr, hm, manisch, eigenwillig, tendenziell unfair. B. wacht, um es kurz zusammenzufassen, wie ein Zerberus drüber, das ihm ja niemand in die Parade fährt.

Eine intellektuelle, öffentliche, vorgeblich demokratisch-meinungsbildnerische Parade, die sich damit – vollkommen unnötig – zu einer Parade der Eitelkeiten, der Selbststilisierung und monomanischen Eigenmythologisierung umformt. Und damit, wider alle inhaltlichen Buntheit und G’scheitheit und Kommunikationsfreudigkeit, in ihrer Integrität selbst schwer beschädigt. „Geschichten aus dem wahren Leben“, nach dem Fehlfarben-Zitat aus dem Blog-Untertitel, verbiegen sich zu partiell defekten, unvollständigen, leise verlogenen „Geschichten aus meinem Leben, die nur eine, meine Wahrheit kennt“.

Leider.

Das ist zulässig, das ist möglich, und kein Gericht der Welt kann derlei verbieten. Und natürlich kann und darf auch jeder in seinem Privatschrebergarten gottgleich herumfuhrwerken. Aber – abgesehen davon, daß es sich hier nicht um einen Privatschrebergarten, sondern um ein offizielles FM4/ORF ON-Angebot handelt, mit explizit erwünschter und mit klaren Spielregeln versehener Partizipationsmöglichkeit – in jedem Fall sollte der Autor auch den Anstand, die Größe und Gelassenheit haben, Gegenstimmen zuzulassen. Auch und insbesondere, wenn es sich um Stimmen zur Tonalität, Ideologie und Praxis im Umgang mit Blog-Konsumenten handelt. Zumal B. selbst auch noch Webmaster ist, also keine (oder nur unzureichende) Kontrollinstanzen besitzt. Und – oft genug dokumentiert – in eine jämmerliche, kleingeistige, annähernd panische Lösch-Manie verfällt. Nur, um ja nicht lästige, „unsachliche“, schlichtweg kontroverse Kratzspuren auf seiner frisch polierten und in die Auslage gestellten Weltsicht (und, wichtiger, die Sicht anderer auf seine Sicht der Welt, also die Gesamtsicht des Blogs) entdecken zu müssen.

Ich möchte meine Einträge aber nicht verstümmelt, gekürzt oder in neue (Un)Sinn-Zusammenhänge gestellt wissen. Oder gar gelöscht. Sofern ich nicht gegen die Spielregeln verstoße. Oder mir pure Destruktivität nachgewiesen werden kann (derlei „Argumentation“ ist leider auch zu erwarten…). Ich möchte, pardon! für derlei ungenierte Begehrlichkeit, nicht zensuriert werden. Und plädiere dafür, daß B. damit ohne Wenn und Aber Schluß macht. Oder ihm jemand sonst den Riegel vorschiebt. Sofort.

„Alles, was ohne Widerstand veröffentlicht wird, ist Propaganda. Alles, was nicht veröffentlicht werden soll und worüber trotzdem berichtet wird, ist Journalismus“ hat, sinngemäß, ein nicht unkluger Mann einmal gesagt. Dieses Blog hier hat somit einen Ausgangspunkt. Eine Aufgabe. Und einen journalistischen Ansatz. Im Sinn nüchterner Berichterstattung. Es berichtet, und wird weiterhin berichten, wie es um die Authentizität, Vollständigkeit, Wahrhaftigkeit, Liberalität, Dialogfähigkeit, Toleranz und Gelassenheit von B. und B.s Blog steht. Unregelmäßig. Unvollständig. Unaufgeregt. Aber auch unbeeinflußbar und unerbittlich in der simplen selbstgewählten Aufgabenstellung.

Denn: es nur traurig und lächerlich, ja stupend dumm zu finden, was B. da so treibt (wovon viele bis dato noch wenig bis gar nichts mitbekommen haben), das genügt nicht. ZENSUR beginnt im eigenen Kopf. In meinem nicht, ich habe da einen Dickschädel. Und ich habe etwas gegen hermeneutisch „wahre“ Geschichten aus dem wahren Leben. Nichts gegen B. himself. Damit es da keine Mißverständnisse gibt.

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Revolution, Baby!

9. Oktober 2005

Format-Radio, das ist für viele Hörer und Medienkritiker ja eine contradictio in adjecto. Ein Oxymoron. Ein Widerspruch in sich. Dabei können natürlich auch Privatradio-Manager Format beweisen. Sofern sie nicht auf die Heilsbringer der Konturlosigkeit und Wechselhaftigkeit hereinfallen.

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Ein sogenanntes Schlüsselerlebnis bringt es ja mit sich, als eine Art Wiedergänger des Unterbewußtseins immer wieder mal naßforsch in das Bewußtsein vorzudringen. Ein solches Schlüsselerlebnis hatte ich vor einigen Jahren, als mir auf den “Münchener Medientagen” die öffentliche Wortspende eines gewissen Mike Haas zu Ohren kam. Das Privatradio heutzutage sei stinklangweilig, meinte er sinngemäß. Zu gleichförmig, zu schematisch, zu eintönig. Eine kreative Katastrophe geradezu. Kein Wunder, daß die Hörer mehr und mehr zu Ex-Hörern würden.

Als positives, ja geradezu leuchtendes Gegenbeispiel erwähnte Haas ausgerechnet das österreichische Jugendkultur-Zentralorgan FM4. Ja, dieser Sender hätte Format, gerade weil er kein Format hätte! Und das sei irgendwie der neueste Trend. Und generell die Zukunft.

Potzblitz! Nicht, dass ich mich der Message verschlossen hätte. Im Gegenteil. Die vorformatierte 08/15-Tristesse des Großteils der Mainstream-Heulbojen (“Die größten Hits von gestern, heute, morgen und übermorgen”) war und ist evident. Und die latente Hinfälligkeit des österreichischen Radiomarkts hat nicht zuletzt mit der Ideen- und Ratlosigkeit vieler Programm-Macher und ihrer – gemeinhin nicht gerade am Hungertuch nagenden – Berater zu tun, denen über Jahre hinweg nichts besseres einfiel, als blasse Ö3-Kopien als den heissesten Scheiß von Scheibbs bis Nebraska zu verkaufen. Natürlich, ohne daß ihnen die Hörermassen diesen Schmäh abgenommen hätte. Da sahen selbst Schlager- & Oldie-Stationen wie “Arabella” vergleichsweise frisch dagegen aus. Mit entsprechendem Erfolg.

Was dann aber doch verblüffte an der späten Erkenntnis, daß die Schnittmenge aus Privatradio-Lehrbuch und tollen, innovativen Inhalten tendenziell gleich null ist, war der Überbringer der Botschaft. Mein Name ist Haas, ich weiß von nichts!? Eine erstaunliche Flexibilität ist dem Mann allemal eigen. Denn der gute Mike, Ex-US Army-Kommunikationsoffizier und Mitbegründer des deutschen Consulting-Unternehmens BCI, ist einer der Gurus der mitteleuropäischen Kommerzradio-Szene. Er zählt von Antenne Bayern bis zu Ö3 fast alle größeren Stationen zur BCI-Kundenklientel. Und ist bei jedem Panel, jeder Podiumsdiskussion und allerlei Seminaren meist ganz vorn dabei. Sofern er sie nicht gleich selbst veranstaltet und die Riege der bestens beratenen Vorzeige-Senderchefs eigenhändig auswählt.

Seit geraumer Zeit aber zeigt die Erfolgsformel immer deutlichere Abnützungserscheinungen. More of the same, das kann ja wohl nicht der Weisheit letzter Schluß sein in einem hochkompetitiven Markt. Das erkennt allmählich auch der letzte Manager alten Formats. Also, Maschine retour!, gestern war gestern, heute gilt das Gegenteil. Es gilt, frisches Format zu beweisen. Wenn’s passt, kann das auch schon mal die Totalabkehr von der früheren Lehre sein. Der Zweck heiligt die Mittel. Daß dann auch der eine oder andere Bertelsmann auftritt (wie neulich bei den “Österreichischen Medientagen”, die eine löblich skeptische, ja bisweilen bissig kritische Grundhaltung vieler Besucher und Diskutanten erkennen ließen) und seinen Kollegen die Leviten liest, nimmt man mit Schmunzeln zur Kenntnis. Wenn aber ausgerechnet ein Totengräber individueller Kreativressourcen als neuer Messias einer perspektivisch blühenden Nischen-Radiokultur auftritt, dann hat das “radical chic”. Andere würden es Chuzpe nennen. Egal: es gilt, eine neue Sau durchs Dorf zu treiben. Damit der Rubel weiter rollt.

Wenn der Rubel allerdings so gar nicht rollen will auf Seiten der fortwährend Beratungsbedürftigen, dann dürfen auch Verzweiflungsmaßnahmen gesetzt werden. Pardon: “Verzweiflungsmaßnahmen”, mit deutlichen Anführungsstrichen oben und unten. Denn anders kann man das nicht mehr nennen, wenn die eigene Orientierungs- und Erfolglosigkeit zu tolldreist camoufliertem Marketing-Aktionismus umgemünzt wird. Dieser Tage geschehen beim Wiener Sender 88,6, wo ein Relaunch des Formats (?) als “Meuterei” des Programmchefs und “Revolte” der Moderatoren ausgegeben wurde. Verdutzte Hörer fanden sich plötzlich der Auffordung ausgesetzt, sich zu wünschen, was immer sie wollten, ob “Biene Maja” oder AC/DC in der Morning Show, egal. Nun sei alles erlaubt und möglich. Und Bernd Sebor & Co. eh schon alles egal. Anarchie im Formatradioland? Darauf schien auch die prompte Neuauschreibung diverser Spitzenpositionen bei 88,6 per Zeitungsinserat hinzuweisen. Allein: es war und ist ein billiger Gag. Guerilla-Marketing nach Vorbild des Senders Jack FM aus den USA.

Ob derlei allerdings in Österreich, wo man sich nur schwer zum Kurbeln am Frequenzband und zur Festlegung auf eine neue Lieblingsstation drängen läßt, nicht ein astreiner Schuß ins eigene Knie war, wird der nächste Radiotest beweisen. Denn die Liebhaber des vormaligen Formats vertreibt man so ziemlich gewiß, und ob der Fake-Revolutions-Schrei bis zur neuen, noch unscharfen Zielgruppe durchdringt, sei dahingestellt. Die Leute in meinem Bakanntenkreis jedenfalls winkten nur müde ab. Eine Revolution ohne revolutionäre Inhalte, Baby, das nennt man schlechthin Farce.

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