Archive for Februar, 2006

Clevere Zusatzgeschäfte

20. Februar 2006

Kann Marketing auch sexy und intelligent sein? Allerdings. Ein Musterbeispiel dafür ist die “SZ Diskothek”, ein Projekt, das in wenigen Monaten eine Million Bücher und CDs verkaufte. Und auch noch einen pädagogischen Mehrwert besitzt.

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Man kann daran nicht vorbei, auch wenn man will: die Bände stapeln sich in Buchhandlungen, Medienkaufhäusern, Tankstellen und CD-Stores. Selbst beim Meinl am Graben würde es mich fast wundern, wenn die Vertriebs-Kapazunder der “Süddeutschen Zeitung” (deren Partner hierzulande “Standard” und Edel heissen) nicht auch dort ihre wohlfeilen Kulturprodukte in diversen Regalen untergebracht hätten. Mit Erfolg. Von der “SZ-Diskothek”, einer geschmackssicheren Kombination aus Buch und CD-Compilation, wurden in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereits über eine Million Exemplare verkauft.

Worum handelt es sich? Sagen wir so: um eine clevere Antwort auf eine zuvor nie gestellte Frage. Denn der Ausgangspunkt aller Überlegungen war, wie man das Publikum einer Qualitätszeitung als mächtiges Kundenpotential aktivieren könnte, ohne seine Intelligenz zu beleidigen. Die Antwort darauf, in Italien und Spanien bereits erfolgreich getestet, appelliert einerseits an den Bildungsbürger in uns allen, anderseits an die Besitzeslust und Sammlerleidenschaft der Zielgruppe. So wurde vor drei Jahren die “Bibliothek der Süddeutschen Zeitung” gestartet. Ein editorischer Kraftakt ersten Ranges: fünfzig Romane der Weltliteratur des 20. Jahrhunderts, ausgewählt von namhaften Kritikern, für den (Unter-Taschenbuch-)Preis wohlfeil ausgestattet und trommelfeuerartig beworben von den Managern und Journalisten der SZ-Verlagsgruppe. Wohlgemerkt: es handelte sich vielfach um Bücher, die die anvisierte Leser- und Käuferschar längst daheim im Regal stehen hatte. Trotzdem wurde das kühne Marketing-Unternehmen, das unter dem Druck, neue Umsatzquellen erschliessen zu müssen, konzipiert worden war, zum Bombenerfolg. Ja fast schon zum großen Coup. Die “SZ-Bibliothek” verkaufte allein in Deutschland mehr als 80.000 komplette Serien, insgesamt mehr als zehn Millionen Bücher.

Nach gleichem Muster wurde im Anschluß eine Klassik-CD-Edition namens “Klavier Kaiser” gestartet, eine Videothek (“SZ-Cinemathek”) mit 100 Klassikern der Filmgeschichte in DVD-Form, eine Kinderbuch-Edition und eine mit Krimis. Und, ja, die “SZ-Diskothek”. Hier handelte es sich erstmals um ein Produkt, das in der Form nicht schon vorher am Markt zu finden war – eine eigens geschaffene Compilation nämlich, die, beginnend mit dem Jahr 1955, jeweils einen Jahrgang “und seine 20 Songs” präsentieren sollte, umhüllt und begleitet von einem Band mit einem Essay eines namhaften Kritikers, Detailanmerkungen zu den Songs und atmosphärisch-historisch begleitendem Bildmaterial. Fünfzig Jahre Pop-Geschichte für Kenner, Forscher und Sammler, sozusagen. Hochkonzentriert.

Tatsächlich erfüllt das Paket weitgehend seinen Zweck: einen bunten und dabei kompetenten Überblick zu bieten und nebstbei vergessene Perlen der Musikhistorie wieder zugänglich zu machen. Zwar wird man auf der CD – ich habe mir mal als Exempel den Jahrgang 1965 herausgepickt – weder mit den Beatles noch mit Bob Dylan konfrontiert, aus lizenztechnischen Gründen, wie zu vermuten ist. Dafür entschädigen etwa O.V.Wright, Astrud Gilberto oder Wilson Pickett; letzterer kommt auch gleich nach Greil Marcus in einem Interview-Fundstück zu Wort. Nur soviel zum Lustgewinn der Serie: ich hatte die halbe “SZ-Diskothek” schon erstanden, bevor ich beschloß, darüber zu schreiben (und somit ein paar Rezensionsexemplare einzuheimsen. Aus München kam dann gleich ein Riesenpaket. Küß’ die Hand!)

Bis heute haben diese Aktivitäten der SZ-Verlagsgruppe zusätzliche Erlöse von mehr als 30 Millionen Euro eingebracht. Nicht schlecht, Herr Specht (sorry: der Erfinder des Marketing-Aktionismus heißt eigentlich Klaus-Josef Lutz). Kein Wunder, daß die Konkurrenz auf den Plan gebracht wurde: so startete der “Stern” seine eigene Krimi-Edition, “Bild” konterte mit Trivialromanen und Comics, “Brigitte” mit Frauen-Literatur und Hörbüchern usw. usf. In Österreich blieb “News” nicht untätig und holte mit Markus Spiegel einen ausgewiesenen Repertoire-Fachmann an Bord, der gemeinsam mit Random House zehn CDs mit historischen Biografien von Mozart bis Karl Kraus in die Trafiken stellte. Und “Der Standard” arbeitet neben der Vermarktung der SZ-Produkte an einer DVD-Reihe mit ausgewählten österreichischen Kinoproduktionen, in Partnerschaft mit dem Kabarett-Spezialisten Georg Hoanzl, wie man munkelt.

Mich wundert fast, daß man da noch nicht früher drauf gekommen ist. Insbesondere der ORF hätte es in der Hand, seine Archive zu durchforsten, seine Marketing-Möglichkeiten ins Spiel zu bringen und klug konzipierte Editionen – vom Ö3-Kanon der wichtigsten CDs der Austro-Pop-Historie bis zu FM4- oder Ö1-“Replay”-Highlights, von Doku- und Serien-Kollektionen bis zur “Zeit im Bild”-Klamottenkiste – en masse auf den Markt zu schmeissen. Teilweise ist das ja auch schon geschehen, man denke an den “Mundl” oder diverse Portisch-Produktionen. Aber hier liegt noch einiges Potential brach. Und wenn man es schafft, das Grundinteresse und die Kauffreude des Publikums – siehe oben – nicht zu vergrätzen, sondern im Gegenteil noch extra anzustacheln, ist der Erfolg quasi garantiert. Mit einem pädagogischen Mehrwert, der dem öffentlich-rechtlichen Auftrag zusätzlich gut steht.

Bleibt nur noch eine Frage: wohin mit all den gewichtigen Kulturpaketen? Ich versuche ja meiner Freundin gerade einzureden, sie bräuchte unbedingt und dringend auch die “SZ-Kriminalbibliothek”, gerade mal 50 Bände dick. Aber im Regal ist kein Platz mehr. Könnte die Süddeutsche nicht auch bald mit dem Vertrieb frappierend kostengünstiger Zweit-Wohnungen mit Dachterassen-Mehrwert beginnen?

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Von Ruanda nach Bezau und retour

9. Februar 2006

Weltmusik? Jazz? Rock? Psychedelic Dub Reggae? Vergessen Sie übliche Kategorien. Hier wird nämlich im wahrsten Sinne des Wortes grenzüberschreitend und weltumspannend gedacht, agiert und musiziert – in der Chefetage der Kilimandscharo Dub & Riddim Society.

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Es ist ja nicht so, dass man jedes Projekt automatisch ins Herz schließt, das man gleichsam vom nie abreißenden Förderband des Job-Alltags hebt, wendet, betrachtet und dann, mehr oder minder liebevoll, auf den eigenen Schreibtisch hievt. Das gilt für den Empfänger eines Presse-Waschzettels genauso wie für seinen Schreiber. Den Wortschmieden, Durchlauferhitzern und Image-Architekten auf der einen Seite wie auf der anderen. Nur der oder die Künstler, die verfolgen diesen Prozess mit nervösem Augenaufschlag. Kein Wunder: hat man doch Wochen, Monate, manchmal Jahre in den Entstehungsprozess des routiniert rezipierten und konsumierten Produkts investiert. Den professionellen Spreu-vom-Weizen-Trenner lässt derlei kalt. Meistens jedenfalls.

Manchmal auch nicht. In diesem Fall gilt letzteres. Denn dass ein Vogel namens Vogel das Büro betritt, in breitestem Vorarlbergisch „Grüß Gott“ (oder ähnliches) schmettert und einem ohne weitere Umstände ein höchst exotisches Unternehmen namens „Kilimandscharo Dub & Riddim Society“ nahelegt, das passiert nicht alle Tage. Und wenn sich dieses Projekt – kurz: KDR-Society – auch noch als faszinierender, intensiver, an- und aufregender Ausbruch aus der grauen Einöde namens Wirklichkeit herausstellt, dann streift man die pragmatische Gleichgültigkeit ab wie eine zu enge, schwarzgraue Regenhaut an einem spätsommerlichen Sonnentag.

Genug der metaphorischen Bocksprünge. Die KDR-Society ist eine musikalische Import- und Export-Gesellschaft, gegründet und geleitet von Alfred Vogel, seines Zeichens Schlagzeuger in vielen Formationen dies- und jenseits des Arlbergs. „Diese ganz spezielle Band“, sagt er, „steht ja, wenn man so will, für das gemeinsame Funktionieren von unterschiedlichsten kulturellen, gesellschaftlichen, ethnischen Hintergründen. Der Titel des Erstlingsalbums – „Last Flight from Rwanda“ – rührt einerseits von einer kleinen Anekdote (die es noch zu erzählen gilt) her, andererseits ist es eine geplante Entführung des Hörers. Und „Rwanda“ eine Metapher für eine Welt, die nur sehr mühselig funktionierte und funktioniert.“

Es war tatsächlich die allerletzte Maschine, die letzten Sommer, an einem drückend heißen Tag im August, Herve Samb von Ruanda nach Amsterdam flog. Nach einem dreistündigen Aufenthalt ging es weiter nach Zürich, und von da ab nach Bezau im Bregenzerwald, zur ersten Aufnahmesession, direkt ins Studio von Alfred Vogel. Der war es auch, der vor knapp zwei Jahren so verrückt war, mit dem notorischen Spätflieger aus dem Senegal den Grundstein der KDR-Society zu legen, die nun ihren ersten Silberling im Koffer hat.

Ruanda – Bezau – Senegal? Klar: … und New York, Ghana, San Francisco! Die KDR-Society ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen aus Afrikanern, Amerikanern und Österreichern. Das jüngste Mitglied gerade mal Familienvater – 33, das älteste 2facher Grammygewinner – 50. Kofie Quarshie pflückte Kokosnüssse, während er in Acra (Ghana) Percussion studierte. Damals war Richard Cousins vermutlich gerade mit Etta James auf Tour und „totally high“. Peter Madsen drückte die Tasten für Stan Getz und Herbert Walser absolvierte gerade die Prüfung zum „Goldenen Leistungsabzeichen des österreichischen Blasmusikverbandes“. Herve Samb war der einzige Junge in Senegal, der Chuck Berry verehrte. Und Alfred Vogel trommelte das Solo von Led Zeppelins „Moby Dick“. 15 Jahre danach sollte die Liebe zum Jazz diese sechs Freaks (wie sie sich selbst bezeichnen) in einem Kuhdorf in Österreich zusammenführen, um miteinander aus jener Selbstverständlichkeit heraus zu musizieren, wie Mozart mit Kuta Kinte Kaffee getrunken hätte.

Alfred Vogel hörte den 25jährigen Samb mit David Murray. „Es war Liebe auf den ersten Blick, oder, besser: auf den ersten Ton“, schwärmt der Schlagzeuger von dem afrikanischen Wunderkind. Dieser sollte dann auch das Bindeglied werden in einer Band, die auf der Bühne „jedes Jazzclubs genau so besteht wie auf einem Rockfestival“. Vogel war es, der alle Mitglieder der KDR-Society schon vorher kannte, und der ahnte, dass dieses global zusammengewürfelte Sextett einnehmend inspiriert und inspirierend miteinander musizieren sollte.

Und da wären wir schon beim Punk(t). Denn wenn ein Jazz-Avantgardist wie P. Madsen; eine Blues- und Soullegende wie Cousins; der afrikanische Trommel-Guru Quarshie; der Trompeten- Allrounder Walser; der Afrosaiten-Gott Samb und eine „funky mountain goat“ wie Vogel auf einen Produzenten-Hasen wie Alex Deutsch (Cafe Drechsler/mouth2mouth, assistiert von Don Summer) treffen, dann kocht Punk hoch. Denn diesen entdeckt man in der Quint-Essenz der KDR-Songs, die Deutsch a.k.a. aleXdrum mit viel Liebe aus dem multikulturellen Gebräu destillierte und zu einem eingängigen Bouquet mit wunderbar exotischen Melodien, Grooves und Vibes zusammenstellte. Punk, weil sich ein derartiges Übermass an Gegensätzen und Disparatem nur durch eine anarchisch-anarchistische Grundhaltung verschmelzen lässt. Und weil sich die Vielfalt und Eigenständigkeit des KDR-Sounds nur dadurch rechtfertigt. Jazz, Afro-Funk, Drum’n’Bass, Psychedelic, Breakbeats. Robert Cray, Ornette Coleman, Led Zeppelin, Chuck Berry, Mozart, Talking Heads und Fela Kuti… You name it.

Die KDR-Society garantiert Trance, Inspiration und Transpiration. Oder, wie Alfred Vogel es zu einem Slogan zu verdichten weiß: „music for brain and booty!“. Das Amalgam dieser unzähligen Einflüsse spiegelt sich auch im Cover von „Last Flight from Rwanda“ wieder. Die international bekannte und ausgezeichnete Gestalterin Elizabeth Kopf griff dabei auf die sogenannte „P-Collage“ von Suzie Kirsch zurück. Die Künstlerin hatte aus Fashion-Magazinen wie „Vogue“, „Madame“ usw. phallische Symbole ausgeschnitten und zu einer Collage zusammengestellt. Weibliches Haar, Luxusklamotten usw. gehen in archaische Muster auf. Symbiosen und Gegensätze, die seit jeher existieren. Und unser Leben – man denke nur an den ewigen Antagonismus zwischen Maskulinem und Femininem – mehr bestimmen denn je. Muster, die sich mit geringem Aufwand in der verschlungenen, hypnotisierenden Klangwelt der KDR-Society wieder entdecken lassen.

Verschiedene Kulturen sprechen hier eine gemeinsame Sprache. Dub, im Sinne einer musikalischen Universalsprache und als Ventil der Gegensätze. Peter Madsen hatte die Vision, die KDR-Society auch in einen politischen Zusammenhang zu stellen und diese tatsächliche „World Music“ mit allen Widersprüchen, Assoziationen und Zukunftsperspektiven in Szene zu setzen. Ich halte das für ein gewagtes, aber einlösbares Unterfangen. Der Ausgangspunkt ist mit „Last Flight from Rwanda“ gesetzt. Das Album erschien Ende 2005 beim eigenen kleinen Label, unabhängig in jedem Sinn des Wortes. Und ziemlich selbstbewusst, ziemlich faszinierend, ziemlich einzigartig. Eine klare Empfehlung. Bitte schließen Sie die Sicherheitsgurte. Der Startknopf trägt die Aufschrift „Play“

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