Die „Musiknation Österreich“ feiert sich alljährlich mit ihren aktuellen Pop-Produktionen beim TV-Spektakel „Amadeus“ selbst. Dabei gibt es – trotz Christina Stürmer & Co. – wenig zu jubeln in der heimischen Musik- & Medienlandschaft.
Elf Kategorien, siebzig nominierte Künstler und Bands. So präsentiert sich der „Amadeus“, Österreichs größter (weil letztlich auch einziger) Branchenpreis in Sachen Musik. „Die Liste der Nominierten beweist eindrucksvoll, wie vielschichtig die österreichische Musikszene in den letzten Jahren geworden ist“, jubelte der ORF. Sieht und horcht man genauer hin, wechselt die Stimmung von Dur nach Moll. Neben den Superstars der Kategorie Madonna, Robbie Williams oder U2, die von den internationalen Konzernen hierzulande nur durchvermarktet werden, bestimmt vor allem der große Bruder Deutschland das Treiben. Seelenwärmer Xavier Naidoo hat seit Jahren auch in der Alpenrepublik ein Dauer-Abonnnement auf vordere Ränge, Tokio Hotel stimulieren Teenies im „Bravo“-Gleichtakt in Oldenburg und Mürzzuschlag zu Kreisch-Orgien – und selbst Christl Stürmer (die in Germanien, etwas reifer positioniert, nur mehr Christina heißen will) hätte ohne den Gewinn des deutschen „Amadeus“-Pendants „Echo“ in den letzten Monaten nicht übermäßig viele Schlagzeilen produziert.
Da auch das kleine Krokodil Schnappi mit seiner gleichnamigen Infantil-Klingeltonfolge als Kandidat für die „Single des Jahres international“ – schnöde Verkaufszahlen sind weithin das einzige Nominierungskriterium – nicht als große Sensation durchgehen kann, ist man geneigt, den heimischen Barden rund um die üblichen Verdächtigen Wolfgang Ambros, Rainhard Fendrich und Hansi Hinterseer erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen. „Lustige Lieder der Traurigkeit und Not“ kann etwa der als Kabarettist verkleidete Anarcho-Dadaist Alf Poier ins Treffen führen. Letztlich bleibt es das trefflichste Statement zur Lage der Pop-Nation. Protagonisten der hoffnungsfrohen Kategorie „Newcomer des Jahres“ etwa haben kurioserweise mehr Flops als Hits zu verbuchen oder wurden von ihren Plattenfirmen rausgeschmissen, ehe noch ihr Name einem breiteren Publikum ansatzweise bekannt war. Gelegentlich hat man als Mitglied der aus mehr als 400 Experten zusammengesetzten Jury den Drang, auf die künstlerisch weit vitalere und spannendere Szene abseits des Major-Musikindustrie-Fliessbands zu verweisen – gibt sich aber ob des eindeutigen Charakters der Veranstaltung als Propagandaplattform für Mainstream-Kommerz bald geschlagen. Als größte Attraktion des „Amadeus“ gilt mithin die anschliessende Party am Küniglberg samt opulentem Buffet.
Zu feiern hat die Branche in Wirklichkeit nicht allzuviel. Bei einem Gesamtumsatz von 230 Millionen Euro ergab sich – nach Jahren weit schärferer Abwärtstrends – 2005 in Österreich ein moderates Minus von zwei Prozent bei CD-Verkäufen. Bei Alben konnte man sogar ein Umsatzplus verbuchen, und der Musikvertrieb per Internet-Download oder Handy legte kräftig zu (von 0,9 Millionen verkaufte Songs auf 4,2 Millionen). Auch daß 22 österreichische Produktionen den Weg unter die Top 100 der Verkaufscharts fanden, wird von der IFPI, dem Dachverband der Major-Tonträgerindustrie, bejubelt. Genauso der Umstand, daß mit einer „Aktion Scharf“eine plakative Anregung für Urheberrechtsdebatten auch abseits des legalistischen Ghettos gelang. Insgesamt aber wohl auch kaum mehr als eine Atempause in einem technologiebedingt drastischen Rückzugsgefecht.
Die Sorgen und Nöte der Musikindustrie und von Urheberrechts-Vertretern wie der AKM, die von Politikern sowie Medien-, Telekommunikations und IT-Konzernen gleichzeitig und global in die Zange genommen werden, sind Durchschnittskonsumenten oft schnurzegal. Wogegen sich aber zunehmender Widerstand regt, ist die Monokultur und Baisse des Angebots in medialer Hinsicht, die so gar nicht der Dichte, Repertoirebreite und Attraktivität des Live-Musikmarktes entspricht. Christina Stürmer etwa ist häufiger in „Eskimo“-Spots im heimischen TV zu sehen als in popaffinen redaktionellen Formaten. Birgit Denk, mit ihrem Album „Laut!“ zweifach nominiert, bleibt denkbar leise in punkto Airplay. Und selbst Ö3-Chef Georg Spatt beklagte sich, daß von seinem Sender entdeckteund geförderte Newcomer wie SheSays, Shiver oder Rising Girl – weithin die einzigen österreichischen Künstler, die Ö3 noch wahrnimmt – keine adäquaten Sendeflächen im ORF-Fernsehen eingeräumt bekämen. Horst Unterholzner, Chef der SonyBMG, spricht öffentlich von einer „desaströsen Situation“, während man beim solchermaßen angegriffenen Leitmedium (das von Künstlern gerne auch als „Leidmedium“ tituliert wird) auf Quoten-Erfolge wie „Starmania“ oder „Dancing Stars“ verweist. Und, eben, den „Amadeus“. Immerhin darf Manuel Ortega, frischgebackener Schwiegersohn der Nation und SonyBMG-Künstler, jetzt auch live beim Branchenfest trällern.
Für Kenner der Szene ergibt sich ein zunehmend schizophrenes Bild: während in Österreichs Kreativ-Szene, nicht zuletzt gefördert durch punktuelle Finanzinjektionenen aus dem Umfeld des Bundeskanzleramtes („Österreichischer Musikfonds“), der Wirtschaftskammer oder der Stadt Wien, Aufbruchsstimmung herrscht und die Quantität und Qualität des aktuellen Pop-Ausstosses gewaltig ist, mangelt es an einem direkten Draht zum Publikum. Ausnahmen bestätigen die Regel. Der ORF scheint eher an Pensionisten-Seditativa á la „Musikantenstadl“ und Befriedigung der Klassik-Hochkultur-Lobby interessiert zu sein als an einem kreativen, seriösen Umgang mit Pop in all seinen Facetten – daß hier demoskopisch die breiteste Zielgruppe zwischen sechs und sechzig Jahren vertreten ist, sollte aber auch den „Amadeus“-Fans am Küniglberg zunehmend zu denken geben.