Die Geschichte ist rasch erzählt – dabei zieht sie sich seit fast vierzehn Jahren hin. Es ist eine simple Geschichte. Von einem, der auszog, abseits der Kommunikations-Highways in Österreich Anschluß an die Moderne zu finden. Und bislang daran scheiterte. Beinahe jedenfalls.
Meine Mutter besitzt ein Haus im nördlichen Niederösterreich, im Weinviertel, schon hart an der Grenze zum Waldviertel. In Watzelsdorf bei Retz, um genau zu sein. Watzelsdorf ist, wie der Name schon vermuten läßt, nicht gerade der Mittelpunkt der Welt. Im Gegenteil: es ist ein 400-Seelen-Kaff, das längst in die Großgemeinde Zellerndorf eingemeindet wurde. Zellerndorf wiederum geriet in den letzten Jahrzehnten gerade einmal in die Schlagzeilen, weil man überlegte, dort den Atommüll von Zwentendorf zwischenzulagern. Aber das ist, wie wir wissen, lange passé. Seitdem sind die Grundstückpreise, die niedrigsten von ganz Österreich, auch nicht mehr gestiegen, es mangelt an Pfarrern und Wirtshäusern, zumindest im benachbarten Watzelsdorf, die Videothek hat wieder geschlossen und die Drogerie auch. Hund und Katze sagen sich hier sprichwörtlich gute Nacht.
Immerhin gibt es, und das ist anno 2006 keine Selbstverständlichkeit, noch ein Postamt in Zellerndorf bei Watzelsdorf. Dieses betrat ich im Jahr 1992, mit einem Laptop unterm Arm. Es war ein Gerät von Apple, das erste, das mir einigermaßen tragbar erschien, sowohl in physischer wie auch finanzieller Hinsicht, und es war tatsächlich für einen Journalisten ein Quantensprung in punkto Mobilität. Jedenfalls, solange ich mich im Großraum Wien bewegte. Um ehrlich zu sein, ich weiß nicht mehr, ob dieses Ding schon ein eingebautes Modem hatte oder nicht – jedenfalls gelang es mir partout nicht, von diesem Postamt aus einen Artikel zu versenden. Zuvor war ich schon am Telefonanschluß meiner Mutter in Watzelsdorf gescheitert. Ich bildete mir ein, das könnte daran liegen, daß meine Mutter eventuell noch ein Vierteltelefon hätte oder ähnlich Archaisches, deswegen wollte ich ja das Kompetenzzentrum Postamt aufsuchen. Man starrte mich an. Man schüttelte den Kopf. Ja, man versuchte mir auch zu helfen, irgendwie, aber – um ehrlich zu sein – mein ominöser Laptop war, denke ich, der erste, dessen man leibhaftig angesichtig wurde. Ich fuhr dann wieder, erfolglos, nach Wien zurück.
Ich lernte im Lauf der Jahre, allerlei Gerätschaften nach Watzelsdorf zu bringen, die ich an die – immerhin irgendwann Mitte der neunziger Jahre installierte – TAE-Buchse gleich hinter dem altertümlichen Telefonapparat meiner Mutter ansteckte. Und, hoppla!, ich schaffte es tatsächlich, ein 56k-Modem mit etwa halber Übertragungsrate zum Laufen zu brinden. Für die Nicht-IT-Experten unter uns: das ist langsam. Sehr langsam. Sehr sehr langsam. Man kann den Daten beim Kriechen durch die Leitung förmlich zusehen. Um meinen durchschnittlichen e-mail-Eingang runterzuladen, hing ich stundenlang an der Leitung. Meine Mutter beschwerte sich zwischendurch über die hohe Telefonrechnung. Bis heute noch.
Denn es ist lang, sehr lange keine Verbesserung der Situation eingetreten. Und das, obwohl ich – das können Sie mir glauben – alles daran gesetzt habe. Ich fuhr acht Kilometer nach Retz, zu EDV Himmelbauer. Den Händler hatte man mir empfohlen als lokalen Pionier der Daten- und Kommunikationstechnik. Tatsächlich hatte der gute Mann ein Funknetz in der Gegend installiert, mit Antennen auf diversen Lagerhäusern. Nicht billig, aber probat. Schien mir. Allein: Watzelsdorf, oder zumindest das Haus meiner Mutter, lag im Funkschatten. Verkündete Herr Himmelbauer, nachdem er allerlei Messungen, die an Voodoo erinnerten, vollzogen hatte. Packte seine Sachen wieder ins Auto und fuhr weg.
Ich auch. Nach Hollabrunn diesmal, die nächstgrößere Stadt mit der nächstgrößeren Chance, auf Abhilfe für mein Kommunikationsproblem zu stoßen. Hier gab – und gibt – es auch einen Shop der Telekom, gleich beim Bahnhof. Eventuell ließe sich via Handy etwas machen, fragte ich nach. Die Antwort: nein, UMTS und so, das könne man hier in der Gegend generell vergessen. Man empfahl mir A1 Flash und A1 Speed. Das eine zur unkomplizierten Überbrückung des Übels, das andere als langfristige, breitbandige Lösung. In den nächsten Tagen werde mir ein DSL-Modem ins Haus zugestellt, und dann komme wieder der Posttrupp vorbei, versprochen. Tatsächlich: beide kamen. Berichtete mir meine Mutter. Der Posttrupp ging aber wieder, schulterzuckend.
Es erreichte mich der Anruf eines nicht unsympathischen Herrn. Ja, man hätte es versucht, meinte er, sei aber an den örtlichen Gegebenheiten gescheitert. Watzelsdorf hätte eine schlechte Infrastruktur. Die Telefon-.Hauptleitung sei nicht an der Hauptstrasse errichtet worden, sondern “hintaus”, wie er sich ausdrückte. Und hätte zuwenige Kapazitäten. Ich müsse quasi warten, bis ein Teilnehmer werggestorben wäre, dann könne man mich berücksichtigen mit meinen – wie der Herr meinte – für die Gegend doch eher ungewöhnlichen Wünschen. Wie, ungewöhnlich?, fragte ich nach. Immerhin schrieb man mittlerweile das Jahr des Herrn 2005. Und ein Internet-Anschluß sollte doch möglich, wenn nicht gar Standard sein. Ja, schon. Man konnte das Bedauern meines Gesprächspartners förmlich spüren. Neulich erst wäre der Bautrupp im Nachbardorf von einer zugezogenen Wienerin beschimpft worden wegen absoluter Rückständigkeit und Unfähigkeit. Aber das Problem, fügte er fast flehentlich hinzu, liege bei der Zentrale. Zuwenige Leute, zuwenige Mittel. Watzelsdorf und die ganze Gegend hätte man mehr oder weniger vergessen bei der Modernisierung der Post-Infrastruktur. Und fügte an: ich sei doch Journalist, ich könne mich doch beim obersten Chef beschweren, eventuell helfe das. Sonst helfe nämlich nichts.
Ich gestehe: ich liebäugelte kurz mit dem Gedanken. Im Sommer kamen mir dann aber einige aufdringliche Plakatständer in die Quere, die kurzfristig meine Verwunderung und meinen Ärger ablenkten. Breitband-Internet-Anbindung verhiessen sie, jetzt und sofort, zu günstigen Konditionen. Eine Initiative des Landes Niederösterreich. Oder so. Ich rief umgehend an bei der plakatierten Kontaktnummer. Eine gelangweile Frauenstimme fragte nach meinem Begehr. Anschluß!, rief ich, Anschluß an die moderne Welt. Surfen, mailen, googlen, Sie wissen schon. Ich kam mir ein wenig vor wie ein schwitziger Anrufer bei einer Sex-Hotline. Von wo ich denn anriefe?, meinte sie. Watzelsdorf. Bei Zellerndorf. Bei Retz. Bei Hollabrunn. Im Norden Wiens. Am Arsch der Welt, wollte ich noch sagen, verkniff es mir aber. Ja, kenne sie, meinte die weibliche Stimme, aber, sorry, die Ausbaupläne sähen hier einen Anschluß erst 2012 vor. Oder so. Klick. Und aus.
Das war nun einige Zeit der Stand der Dinge. Gerne studierte ich hin und wieder Pressemeldungen oder Werbebotschaften zu Themen wie UMTS-Abdeckung ganz Österreichs, Breitband-Offensive der Bundesregierung oder Internet per Satelliten-Anbindung. Kurz aufgehorcht habe ich auch, als die neue Funktechnik WiMax speziell die Abdeckung ländlicher Grenzregionen versprach. Angeblich gibt es im Burgenland auch schon einen Feldversuch. Und angeblich, hörte ich es leise raunen, gibt es auch im nördlichen Weinviertel auch private Initiativen, die freie Funknetze legen. In Eigeninitiative. Wie immer auch: wirklich glauben würde es erst, wenn ich mein 56k-Modem abklemmen könnte. Sollten Sie Informationen dazu haben, sagte ich gerne mitfühlenden Mitmenschen, dann schreiben Sie mir bitte einen Brief. Das Herunterladen der e-mails dauert zu lange in Watzelsdorf.
Doch: nichts dauert unendlich, nicht einmal die Ewigkeit. In diesem Fall brauchte es gerade mal vierzehneinhalb Jahre, bis das “ewige Funkloch” Anschluß an das Hier & Heute fand, sprich: an eine Technik- und Kommunikations-Infrastruktur nach modernem Standard.
Wie kam’s? Nun: als Journalist ist man ja tatsächlich privilegiert. Man kann seinem Unmut Gestalt geben und seinem Ärger gezielt Luft verschaffen. Man sucht sich einen publizistischen Pranger, und ab die Post. Ich schilderte meine Erfahrungen im Rahmen der ebenso themenaffinen wie vorzüglichen Sendung “Matrix” auf Ö1 – und erntete Bedauern. Einige mails und Briefe trudelten ein, abgesendet von Leidensgenossen, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten. Tröstlich. Aber wenig hilfreich. Bis plötzlich ein Wissender anklopfte. Ein Retter, den der Himmel geschickt haben mußte. Ein deus ex machina.
„Hallo!“ sprach ein e-mail zu mir. Absender: ein gewisser Aaron Kaplan. Er schien nicht allein zu sein. „Wir“, schrieb er, „wir – http://www.funkfeuer.at – betreiben in Wien, Graz und Watzelsdorf (komischer Zufall, aber ist so) ein do-it-yourself gratis WLAN Funkinternet. Christian Kurta leitet im Waldviertel alles. Watzelsdorf dürfte perfekt abgedeckt sein. Bei interesse, schau mal bitte auf unsere homepage: http://www.funkfeuer.at. Da ist dann alles genau beschrieben: die Philosophie dahinter etc etc. Im Prinzip ist das Motto: wenn kein Netz da ist oder wenn es zu teuer ist, dann machen wir es selber – frei nach dem aktuellen Mobilkom-Slogan „Das beste Netz sind Sie“… Liebe Grüsse, Aaron (Pressesprecher Funkfeuer.at)“.
Funkfeuer? Nie gehört. Aber ich las natürlich stante pede höchst interessiert und zunehmend beglückt nach. Es handelt sich bei Funkfeuer, ähnlich diverser Vereine und Initiativen in Berlin, Paris oder sonstwo, um eine losen Zusammenschluß technikkundiger Menschen mit der Absicht, die Dinge gern auch mal selbst in die Hand zu nehmen. Und nicht auf den Staat, die Post, Gott oder Bill Gates zu vertrauen. Oder kommerzielle Dienstleister, die das Blaue vom Himmel versprechen, in weniger dicht besiedeltem Umfeld aber leider gar zu oft wenig bis nichts davon halten können.
Die Funkfeuer-Leute dagegen, allen voran Christian Kurta, einer der Initatoren, erwiesen sich als herzerfrischend tatkräftig, konkret und unkompliziert. Ich solle mir eine Software namens OLSR-Lounge herunterladen, bevor ich das nächste Mal aufs Lande fahre, empfahlen sie mir. Und dann werde sich vor Ort Willi Putz um mich kümmern. Eventuell brauche es ja auch eine Antenne, abhängig von meiner Empfangslage. Gesagt, getan. Willi Putz stellte sich als äußerst netter und kompetenter Nachbar heraus, der alsbald mit einem Router und einer Yagi-Antenne in Form einer unscheinbaren weißen Kunststoffröhre an der Tür klingelte, einige Messungen anstellte und das Instrumentarium schließlich provisorisch beim Schlafzimmerfenster meiner Mutter deponierte. Keine zwei Minuten später war ich online. Und das ewige Funkloch kein Thema mehr.
Ich war und bin hingerissen. Das nenn’ ich Eigeninitiative, das nenn’ ich Nachbarschaftshilfe, das nenn’ ich Fortschritt. Ob ich denn darüber auch wieder in Ö1 berichten könne, fragte ich nach bei Aaron Kaplan, dem „Funkfeuer“-Pressemenschen.
„Warte mal ein bisschen ab.“, schrieb er zurück. „Wir wissen mittlerweile, daß Funk immer wieder kleine Macken hat und manchmal ausfällt. Lieber mal einige Zeit beobachten, Antenne evtl. nachjustieren etc. Zumindest sind das die Erfahrungen aus Wien. Wobei, in Wien gibt’s auch mehr Funkstörungen. P.S.: Isses flott?“
Ja, es ist flott, Aaron. Und es ging flott. Nach vierzehneinhalb Jahren ein unvergleichlich wohliges Gefühl.