Archive for Oktober, 2006

Apfel-Ernte

20. Oktober 2006

Mit “Zune” versucht Microsoft den fast absurden Vorsprung von Apple in Sachen Musik aufzuholen. Trotz Funktechnologie und Marketingpower: der Kult-Faktor lässt sich nicht am Chef-Schreibtisch nachbauen.

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Kult? Was ist Kult? Gute Frage. “Kult” hieß eine Sonntags-Beilage des “Kurier”, die wieder eingestellt wurde. Zurecht. Heute verteilen sich die kultigen Inhalte aus dem Bereich Populärkultur auf das ganze Blatt (Gratulation übrigens zum Facelift! So haben die Gebrüder Fellner mit “Österreich” letztlich doch branchenweit Positives ausgelöst. Jetzt müssen sie nur noch am eigenen Produkt schrauben…). “Kult” ist aber auch ein Etikett, das PR-Propagandatrommler und Marketingstrategen gern aus der Schublade holen, wenn ihnen sonst nichts einfällt. Der inflationäre Gebrauch dieses Begriffs hat dazu geführt, daß viele nur noch müde lächeln oder gleich zu gähnen anfangen, wenn er ihnen unterkommt. Gilt auch für das Attribut “cool”. Bedeutet und bewirkt dito meist das Gegenteil dessen, wofür es eigentlich steht. Man sollte also eher vorsichtig umgehen mit überreizten Reizworten.

Steve Jobs tut es. Cleveres Kerlchen. Wenn ihn Journalisten ausquetschen, wie er es denn geschafft hätte, solch ein “cooles” Gerät wie den iPod zu erfinden, der ja längst “Kult” sei (weil ja sogar George Bush und Queen Elizabeth einen besässen, oder so), winkt er umgehend ab. “Wir versuchen bloß, die bestmöglichen Produkte herzustellen”, meint er etwa in einem aktuellen “Newsweek”-Interview. “Wenn sie dann auch noch als cool gelten, na, wunderbar. Wir wussten, daß wir auf dem richtigen Weg waren, als jeder, der von dem Projekt firmenintern wußte, auch so ein Ding haben wollte. Alle haben richtiggehend darauf gewartet, rausgehen und ihre Geldbörse öffnen zu können, um einen iPod zu besitzen.”

Das, und nur das, ist der eigentliche Kult-Faktor. Der Drang, ein Objekt oder eine Idee in seinen privaten, persönlichen Kulturtempel einzuverleiben. Und eventuell vor dem Altar des Konsumfetischismus das eine oder andere Weihrauchkorn abzubrennen. Bei Apple-Produkten wird derlei gern getan. Nicht zu unrecht übrigens: als jemand, der sowohl PCs wie Äpfel auf seinem Schreibtisch stehen hat, macht mich der Vergleich sicher. Unzählige Lösungen haben Jobs & Co. tatsächlich ungleich eleganter, liebevoller und detailversessener hingekriegt als die weit größere Crew um Bill Gates.

Nun wird es dieser Tage spannend. Besonders spannend nämlich, mitzuerleben, ob es Microsoft schafft, mit einem als “iPod-Killer” angekündigten Kokurrenzprodukt namens “Zune” (samt Itunes-Store-Äquivalent “Zune Marketplace”) Eindruck zu hinterlassen und Marktanteile zu krallen. Nichts liebt die Presse ja mehr als einen Kampf der Titanen. Und Microsoft als Herausforderer hat so seine Meriten. Der “Zune” soll gleich viel oder weniger kosten als die vergleichbaren iPod-Modelle, dafür aber mit allerlei innovativen Gimmicks ausgestattet sein: WLAN zum Beispiel und einem großen Videodisplay. Ich habe schon mal ein Testexemplar geordert. Aber eines lässt sich mit Sicherheit vorweg sagen: den emotionalen News-Wert, den Apple mit seinen schnuckeligen Taschen-Wurlitzern vermittelt, der wird sich nicht mit viel Geld und Aufwand nachbauen lassen. Daran leidet auch Sony. Der Konzern trauert immer noch seinem einstigem Walkman-Vorsprung nach. Die dröge Pressemitteilung, man “arbeite derzeit an einem Produkt, das auch mit Bildern umgehen kann” (Hiroshi Yoshioka, “Musikwoche” vom 13.10.), verheißt nicht gerade Weltbewegendes. Klingt in etwa so, wie wenn Volkswagen groß rausposaunt, daß man nun auch Autos mit vier Rädern baue. Selbst in Japan ist Apple nun mächtiger als Sony, was das New Music Business betrifft.

Und es beginnt, ein wirkliches Business zu werden. Langsam, aber unaufhaltsam nimmt der Karren Fahrt auf. Auch wenn noch über 90 Prozent der Umsätze mit Kompaktscheiben (so die nüchterne Übersetzung des Kürzels CD) eingefahren werden, hat dieses Medium längst seinen Nimbus eingebüsst. Vorbei die Tage, als man mit einem zum High Tech-Fetisch hochstlisierten und dabei doch eher schnöden Datenträger aus metallbedampftem Plastik herrliche Gewinnspannen einfahren konnte. Wenn ich heute Freunden und Kollegen eine unserer CDs als Geschenk überreiche, kommt nicht selten die trockene Nachfrage “Kannst Du mir nicht gleich die MP3-Files auf meinen Laptop schieben?”. Eh, danke. Dabei legen wir mit unserem Liebhaber-Label ziemlichen Wert auf gute Covers, teure Digipacks, komplette Ausstattung mit Booklets und Videos und eine gewisse Qualität und Sinnlichkeit des Produkts generell. Ich fürchte nur, umsonst. Denn für den Fan, der sich ganz auf iTunes & Co. eingelassen hat, sind die Originalscheiben in weiterer Rolle nur Staubfänger. Unsere Klientel – und ich meine damit die gesamte Musikindustrie – sind längst ausschließlich HiFi-Freaks (die Datenreduktion meiden wie der Teufel das Weihwasser), Die Hard-Fans, Kinder unter sechs Jahren, Traditionalisten und Pensionisten (die mühsam gelernt haben, mit ihrem CD-Player umzugehen und nicht schon wieder eine neue Kulturtechnik studieren wollen). Und jene potentielle Minderheit, die Haptik nicht für ein chinesisches Video-Game hält und partout ein physisches Produkt ins Bildungsbürger-Regal stellen will.

Der Rest vom Fest hüpft mit leichtem Elektronikgepäck und Megabytes an Tonkonserven durch Wiesen und Felder. Und hilft dem netten Kumpel Jobs (“Ich hatte das Glück, in einer Zeit aufzuwachsen, als Musik noch wirklich etwas bedeutet hat. Und jetzt ist das wieder der Fall”) bei der vorweihnachtlichen Apfelernte.

Werbung

Fünferbande

10. Oktober 2006

Ein Roadster ist ein Roadster ist ein Roadster. Oder etwa doch nicht? Mazdas MX-5, der Volkssportwagen unserer Generation, schreit in der dritten Auflage nach Revolution. Von wegen.

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Ein guter Tag beginnt nicht mit einem Nulldefizit, wie unser Noch-Finanzminister zu schwadronieren beliebt. Im Gegenteil. Ein guter Tag beginnt mit einem ordentlichen Minus am Konto. Und „Crazy“ von Gnarls Barkley im Autoradio, wenn man den Zündschlüssel dreht und sich das kräftige Pumpen der Musik mit dem kräftigen Pumpern deines Herzens und dem eh-nicht-gar-so-kräftigen-aber-doch-irgendwie-reichlich-mächtigen Saugen, Schmatzen und Grummeln des Motors zum ersten Rendezvous trifft. Natürlich nur theoretisch. Praktisch kann man sich 31.490 Euro sparen, wenn man eh bloß einen Testritt im Sinn hat. Aber die Gefahr, picken zu bleiben und die Ouvertüre solch eines Tages mit Gedankengängen über Zweitgaragen und die Vorteile von Leasinggeschäften für Kleinunternehmer fortzusetzen, die ist nicht geringzuschätzen. Eventuell läßt sich aus der ungeordneten Abfolge von Sinneseindrücken, Seelenjuchzern und klaren, rationalen Momenten auch eine probate Privatideologie basteln. Ein herrlich pragmatischer Lebensentwurf: da uns das Autohaus Grasser sowieso niemals eins dieser protzschwangeren XK-Cabriolets vor die Haustür stellen wird, verknallen wir uns gleich und ganz in ein halbwegs leistbares, quasiproletarisches Geschoss. Ohne Dach überm Kopf. Dr. Strangelove, oder wie ich lernte, den japanischen Volkssportwagen zu lieben. Oder so ähnlich.

Tatsächlich hat mich die MX-5-Sucht schon bald ereilt, in den frühen Neunzigern. Ich fuhr damals einen ziemlich verbeulten Fiat Spider, Kalifornien-Re-Import, der Rostpartikel als Treibstoff in sich hineinfraß und irgendwie eh ganz lässig, in Wahrheit aber eine ziemliche Gurke war. Ich meine, nur vom Aussehen – Pininfarina sei mir gnädig! – lebt der Mensch nicht allein. Gelegentlich verlangt einen auch nach schnöder Alltagstauglichkeit. Als ich irgendwann mit gebrochener Halbachse liegenblieb, keine siebzig Kilometer, nachdem ich die Fiat Moser-Werkstätte in der Jörgerstrasse hinter mir gelassen hatte (der Wagen fühlte sich dort wohler, ich ließ ihn dann gleich ganz da), steuerte ich schnurstracks einen Mazda-Händler an. Da gab es seit kurzem dieses rundliche Ding, mit einem ziemlichen Steißarsch, von der seitlichen Linienführung her aber doch recht grazil und adrett. Und: Klappscheinwerfer! Die Werbung versprach zweierlei. Erstens: südländische Eleganz und britisches Flair längst vergangener Roadster-Legenden vom Format eines MGB, Lotus Elan oder Alfa Spider. Zweitens: man mußte kein Mechaniker mehr sein, um solch ein Fahrzeug besitzen und auch bewegen zu können.

Um die Suada abzukürzen: die Realität hielt, was die Reklameabteilung versprach. Selten hat mir ein fahrbarer Untersatz soviel Spaß gemacht wie dieser. Auch wenn ältere Kolleginnen den MX-5 mit leicht pikiertem Augenaufschlag partout immer „Corvette“ nannten oder zur Abwechslung auch mal „das silberne UFO“, blieb die spartanische Heckschleuder (von elektronischer Traktionskontrolle konnte noch keine Rede sein, das Ding hatte nicht mal Airbags) mein kleiner Liebling. Ich lernte, Bierkisten im Innenraum zu stapeln, Familienausflüge für Mikro-Patchwork-Konstellationen zu planen und wieder zu verwerfen, und sogar die seltsame Verkrümmtheit eines 1 Meter 86-Mannes unter geschlossenem Verdeck in der ersten Reihe vor einer Ampelanlage fand ich irgendwie charmant. Ich wußte mich nicht allein: von Dezember 1988 bis Oktober 1997 wurden von der ersten Serie des MX-5 ganze 433.963 Einheiten – was für ein schnödes Wort – produziert. Das propere Nischenmodell tauchte dann bald auch im Guiness Buch der Rekorde auf, als meistverkaufter Roadster aller Zeiten. Daß ich mein höchstpersönliches Exemplar im Sommer ´04 mit Tachostand hundertzwanzigtausend und verschmorter Zylinderkopfdichtung nah der Autobahnraststätte Michendorf bei Berlin parkte, war vielleicht nicht das glücklichste Ende einer Romanze. Aber es sollte nicht das ultimative Ende sein, das dachte, fühlte, wußte ich. Und ich ahnte auch, daß der silberne Gefährte mit den Schlafaugen nicht, wie vom ostdeutschen Autoverwerter verkündet, unter die Schrottpresse kam. Sondern in Polen sein Dasein fristet oder in Kasachstan, als unkaputtbarer Sendbote westlicher Dekadenz. Adé, unteurer Freund!

Im Juni dieses Jahres, nachdem der vom Kalender seit Wochen verkündete Sommer letztlich doch – Sie erinnern sich – seine Existenz demonstrierte, mit schier unsäglicher Brutalität, mußte ein neues Fluchtfahrzeug her. Und, man mag es drehen oder wenden, wie man will, um der Hitze zu entfliehen und dem Büro und der eigenen, alltagstrotteligen Existenz, dafür taugt nun mal kein Kombi mit Schiebedach und Kindersitz oder Kompakt-Van mit Klimaautomatik. Ein neuer MX-5 mußte her. Ich hatte davon gelesen, daß die dritte Generation des Amateursportwagens nun auch mit neumodischem Blech-Falt-Klapp-Dach zu bekommen wäre. Also nix mehr mit Stoffmütze samt vergilbtem und zerkratztem Plastik-Heckfenster (das hatte schon die zweite Generation gegen Glas eingetauscht, war dafür aber der Klapp-Scheinwerfer verlustig gegangen). Doch diese Ausführung war beim Importeur noch nicht vorrätig. Egal. Auch ein schnöder MX-5 2,0i Revolution in Galaxy Grau mit gewohntem Klappverdeck tut es.

Revolution? Daß sich derlei nicht mit Sitzheizungen und Chromdekor und Scheinwerferreinigungsanlagen samt Füllstand-Anzeige verträgt, wußte schon John Lennon zu besingen. Gnarls Barkley, vulgo Danger Mouse und Cee-Lo-Green, ist das aber, pardon, scheißegal. Für Wohlstands-HipHop-Anarchos darf es auch feinstes Leder sein. „Crazy“, dafür aber geschmeidig. Der Innenraum des neuen MX-5 hat angeblich auch ein wenig Raum zugelegt und harmoniert jetzt besser mit Schmerbäuchen und Mittlebens-Krisen. Das komplette Interieur tut es. Wo vorher eine dezidierte Bauhaus-Kargheit herrschte, platzen nun Plastik-Rohre, -Abdeckungen und -Wülste im Aluminium-Look aus dem Armaturenbrett. Trinkbecherhalter links und rechts, wo bislang nichts war. Ein Windschott. Sechsganggetriebe. Sogar Klavierlack. Heißt das nun: Konterrevolution!? Die ewige Fünferbande auf dem Marsch durch die Institutionen des guten Geschmacks? Wie immer auch: die Soundanlage von Bose macht namentlich einiges her, klingt aber leider nur halb so gut. Aber vielleicht hat ja auch nur das eigene Gehör gelitten unter der jähen Beschleunigung des Daseins. Mit 160 PS bei wirklich nur filigraner Gewichtszunahme (1100 Kilogramm), da geht deutlich mehr weiter als in der 115-Pferdestärken-Erstausgabe. Alles in allem ist der Neue, dieses Fazit läßt sich bald ziehen, dieselbe Instant-Sex-Pistole geblieben wie der alte MX-5.

Ein Wort nur zum Design: ja, es ist eine Kunst, sich ständig frisch zu erfinden und dabei seinen Wesens-Kern nicht zu verlieren. Ganz bin ich mir noch nicht sicher, ob das Peter Birtwhistle, Chef des europäischen Mazda-Designstudios in Oberursel (wo gemeinsam mit Kollegen in Los Angeles und Yokohama der Generation Drei-Look entstand), wirklich stimmig hingekriegt hat. Wir leben ja in einer Zeit, und Auto-Design sagt eine Menge darüber aus, die mehr und mehr ins Paranoid-Militaristische kippt. Man muß, um derlei zu konstatieren, keinen Hummer betrachten. Oder gar einen Eurofighter. Es genügt der Blick aus den Schießscharten eines Audi TT oder Chrysler 300 oder gar Crossfire (sic!). Die Zierlichkeit und Leichtigkeit der sechziger Jahre, vielfach – und zu Recht – immer noch die Referenz für sportliches Laissez-Faire, ist einer groben Klobigkeit und Klotzigkeit gewichen. Unter 17 Zoll-Felgen im Imperatoren-Streitwagen-Design geht gar nichts mehr. Auch der Mazda fordert lauter denn je Platz da! mit einem immer großmäuligeren Haifisch-Frontverlauf. Sorry, aber da fallen meine Sympathien doch deutlich mehr Pininfarina zu als „Mad Max“.

Und wahrscheinlich würde ich mich, unter uns, auch eher für das billigste Modell entscheiden, das der Basic Sports Car-Idee mit knapp 10.000 Euro weniger auf der Rechnung erstaunlich näher kommt. Ich meine, wer braucht schon Xenon-Scheinwerfer, diese dem gemeinen Volk in jeder Hinsicht ins Auge stechenden Laserschwerter der Upper Class? Einen 6Fach-CD-Wechsler? (Obwohl, von MP3 und iPods haben sie auch schon was klingeln hören bei Mazda). Oder gar ein „LSD-Sperrdifferential“? John Lennon hätte bloß die Augen gerollt, den ersten Buchstaben im Modellnamen gestrichen und leise „Lucy In The Sky With Diamonds“ vor sich hin gepfiffen. Crazy. Aber doch nicht ganz von allen guten Geistern verlassen. Im Gegenteil.

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