Musik, Film und Hochgeschwindigkeit, das fügt sich rasant. Zwischen Speed Metal, „Highway Star“, Beats per Minute, „Kill Bill“ und MTV macht es sich der Autor dieser Zeilen gemütlich.
Gingen Form und Inhalt dieses Blogbeitrags Hand in Hand, müssten die Buchstaben loshetzen wie die sprichwörtliche angesengte Sau. Ein Stakkato an Gedanken, Formulierungen, Assoziationen auf den Leser hereinbrechen wie eine apokalyptische Flut. Die „Fast Forward“-Taste festklemmen. Aber was macht es für einen Sinn, um Helmut Qualtinger zu bemühen, wenn wir schneller dort sind, wenn wir nicht wissen, wohin?
Hierhin: die Geschwindigkeit selbst ist das Thema. Nicht die Geschwindigkeit der Medienkanäle und Übertragungswege. Sondern die Rasanz der Inhalte, „the sound of speed“, der uns allerorten entgegenschlägt. Die Welt, so scheint es, beschleunigt immer mehr. Höher, schneller, weiter lautet der kategorische Imperativ der Leistungsgesellschaft, und für die sogenannten schönen Künste – denen man vielleicht vor Jahrzehnten noch die Möglichkeit, ja garantierte Wirkung der Kontemplation zuordnete – gilt keine Ausnahme.
Dazu eine persönliche Anekdote: als vor wenigen Monaten im Fernsehen die mehrteilige Dokumentation „Weltberühmt in Österreich – 50 Jahre AustroPop“ von Dolezal/Rossacher lief (ein journalistisch eher dürftiges Werk, nebstbei), konnte man sich nachhaltig über die schaumgebremste Dramatik heimischen Musikschaffens der sechziger und siebziger Jahre wundern. Während in den USA und England längst Stromgitarren zu Bruch gingen und der Beat radikal beschleunigte, regierten hierzulande – von Ambros bis Danzer, von Heller bis Hirsch – noch die Gemütlichkeit des Wienerlieds. Noch verwunderlicher waren aber die Publikumsreaktionen auf die Ausstrahlung. Anno 2006! Der Tenor: es sei ja schön und herzerweichend, die alten Heroen nochmals so konzentriert vorgeführt zu bekommen. Aber die ständigen Schnitte, kurzen Interview-Sequenzen und raschen Bildabfolgen hätten einem gehörig den Spass verdorben. Was war passiert? Dolezal/Rossacher orientierten sich schlichtweg an der Ästhetik von VIVA und MTV. Leider konnte das Material da nicht mithalten. Das leicht angegraute, sentimentale Publikum ebenfalls nicht. Ein „Generation Gap“ im ORF, wer hätte das gedacht…
Nun ist Geschwindigkeit im Bereich der Musik, des Videoclips oder Kinofilms selten Selbstzweck. Sondern seit jeher ein Ventil der Dringlichkeit, der Wucht, der Rasanz und Brisanz der Inhalte. Zwischen alten Stummfilmen, deren Erzähltempo heute selbst Kinder langweilt, und dem Sandra Bullock-Heuler „Speed“, Steve McQueens Klassiker „Bullit“, Quentin Tarantinos „Kill Bill“ oder Tom Tykwers „Lola rennt“ (um einige atemlose Beispiele moderner Kinodramaturgie zu nennen) liegen Welten. Der mittlerweile beliebte Spezialeffekt, die Ballistik eines Kugelhagels quasi sicht- und greifbar zu machen sollte nicht dazu verleiten, „Matrix“ oder die letzte Folge von „CSI“ daheim im Badezimmer nachzuspielen. Auch vor der Wiederholung der wohl berühmtesten Beschleunigungssequenz der Filmgeschichte wird gewarnt. Oder wollen Sie so enden wie der einsame Astronaut in Stanley Kubricks „2001“? Man ist versucht, über Alpha und Omega zu philosophieren, über Einstein, die Lichtgeschwindigkeit (als das absolute Maß der Dinge) und die Relativitätstheorie. Aber lassen wir das. Nicht die Rakete hat sich durchgesetzt als Metapher für Geschwindigkeit, sondern – alltäglicher, naheliegender – das Auto.
Dieser Sicht der Dinge schloß sich die Populärkultur, wie wir wissen, vollinhaltlich an. Allein: die Überhöhung des Objekts – bis hin zur Vergötterung – mußte in einfacheren, griffigeren, massenwirksameren Formeln stattfinden. Die Malerei hatte damit mehr Probleme als der Film. Der Rasanz der Bildersprache eines Steven Spielberg („Duell“) oder George Lucas („American Graffiti“) hatten selbst die Pop-Art-Künstler Lichtenstein und Warhol wenig entgegenzusetzen, sieht man BMW-M1-Bemalungsaktionen ab. Und gegen „Mad Max“ nehmen sich die statischen Tankstellen- und Motel-Idyllen Edward Hoppers zwangsläufig aus wie unscharfe Erinnerungen aus einer fernen, vergangenen Welt. Die amerikanische Beatnik-Literatur der späten Fünfziger formulierte erstmals – sieht man von der kühnen Visionen der Futuristen Jahrzehnte zuvor ab – das neue Lebensgefühl. Jack Kerouac’s „On The Road“ wurde zum Kultbuch einer Generation. Tom Wolfe, Chronist der Pop-Kultur, beschrieb ein „bonbonfarben mandarinrot gespritztes Stromlinien-Baby“.Die Musikmaschinerie war am Warmlaufen. Rock’n’Roll, Beat, Soul, Rock und alles, was damit und danach kam, schnappte begierig zu.
Das Auto, das Fahren, die Strasse als direkteste, verlockendste Metapher für Bewegung, Freiheit, Ungebundenheit waren en vogue. Und kamen nie aus der Mode. Vom wiederentdeckten Highway 61, den Bob Dylan besang über den „Speed King“ Deep Purples hin zu Ministrys „Jesus Built My Hotrod“ ist es ein ziemlich geradliniger Weg. Das Ausloten der Extreme war nur eine Frage der Zeit.
Es bleibt heute, zwischen hyperrealistischen Videospielen und einem „Coffee On The Go“, ganz dem persönlichen Geschmack überlassen, ob man eher Speed Metal (als artistischer Ausprägung von Hochgeschwindigkeits-Wahn und Zivilisationsüberdruss) oder stumpf-mechanischem Techno jenseits der 200 Beats per Minute zuneigt. Sagen sie bloß, Sie hätten derlei gerade nicht parat! Das Internet – als aktuellste Ausprägung der Unmittelbarkeits-Sucht unserer Zivilisation – besorgt es Ihnen auf Knopfdruck. „Speed kills“ lautet die Maxime der Jetzt-Zeit. Zumindest die Langeweile bleibt bisweilen auf der Strecke.
(now!)