Archive for Januar, 2007

Speed kills!

27. Januar 2007

Musik, Film und Hochgeschwindigkeit, das fügt sich rasant. Zwischen Speed Metal, „Highway Star“, Beats per Minute, „Kill Bill“ und MTV macht es sich der Autor dieser Zeilen gemütlich.

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Gingen Form und Inhalt dieses Blogbeitrags Hand in Hand, müssten die Buchstaben loshetzen wie die sprichwörtliche angesengte Sau. Ein Stakkato an Gedanken, Formulierungen, Assoziationen auf den Leser hereinbrechen wie eine apokalyptische Flut. Die „Fast Forward“-Taste festklemmen. Aber was macht es für einen Sinn, um Helmut Qualtinger zu bemühen, wenn wir schneller dort sind, wenn wir nicht wissen, wohin?

Hierhin: die Geschwindigkeit selbst ist das Thema. Nicht die Geschwindigkeit der Medienkanäle und Übertragungswege. Sondern die Rasanz der Inhalte, „the sound of speed“, der uns allerorten entgegenschlägt. Die Welt, so scheint es, beschleunigt immer mehr. Höher, schneller, weiter lautet der kategorische Imperativ der Leistungsgesellschaft, und für die sogenannten schönen Künste – denen man vielleicht vor Jahrzehnten noch die Möglichkeit, ja garantierte Wirkung der Kontemplation zuordnete – gilt keine Ausnahme.

Dazu eine persönliche Anekdote: als vor wenigen Monaten im Fernsehen die mehrteilige Dokumentation „Weltberühmt in Österreich – 50 Jahre AustroPop“ von Dolezal/Rossacher lief (ein journalistisch eher dürftiges Werk, nebstbei), konnte man sich nachhaltig über die schaumgebremste Dramatik heimischen Musikschaffens der sechziger und siebziger Jahre wundern. Während in den USA und England längst Stromgitarren zu Bruch gingen und der Beat radikal beschleunigte, regierten hierzulande – von Ambros bis Danzer, von Heller bis Hirsch – noch die Gemütlichkeit des Wienerlieds. Noch verwunderlicher waren aber die Publikumsreaktionen auf die Ausstrahlung. Anno 2006! Der Tenor: es sei ja schön und herzerweichend, die alten Heroen nochmals so konzentriert vorgeführt zu bekommen. Aber die ständigen Schnitte, kurzen Interview-Sequenzen und raschen Bildabfolgen hätten einem gehörig den Spass verdorben. Was war passiert? Dolezal/Rossacher orientierten sich schlichtweg an der Ästhetik von VIVA und MTV. Leider konnte das Material da nicht mithalten. Das leicht angegraute, sentimentale Publikum ebenfalls nicht. Ein „Generation Gap“ im ORF, wer hätte das gedacht…

Nun ist Geschwindigkeit im Bereich der Musik, des Videoclips oder Kinofilms selten Selbstzweck. Sondern seit jeher ein Ventil der Dringlichkeit, der Wucht, der Rasanz und Brisanz der Inhalte. Zwischen alten Stummfilmen, deren Erzähltempo heute selbst Kinder langweilt, und dem Sandra Bullock-Heuler „Speed“, Steve McQueens Klassiker „Bullit“, Quentin Tarantinos „Kill Bill“ oder Tom Tykwers „Lola rennt“ (um einige atemlose Beispiele moderner Kinodramaturgie zu nennen) liegen Welten. Der mittlerweile beliebte Spezialeffekt, die Ballistik eines Kugelhagels quasi sicht- und greifbar zu machen sollte nicht dazu verleiten, „Matrix“ oder die letzte Folge von „CSI“ daheim im Badezimmer nachzuspielen. Auch vor der Wiederholung der wohl berühmtesten Beschleunigungssequenz der Filmgeschichte wird gewarnt. Oder wollen Sie so enden wie der einsame Astronaut in Stanley Kubricks „2001“? Man ist versucht, über Alpha und Omega zu philosophieren, über Einstein, die Lichtgeschwindigkeit (als das absolute Maß der Dinge) und die Relativitätstheorie. Aber lassen wir das. Nicht die Rakete hat sich durchgesetzt als Metapher für Geschwindigkeit, sondern – alltäglicher, naheliegender – das Auto.

Dieser Sicht der Dinge schloß sich die Populärkultur, wie wir wissen, vollinhaltlich an. Allein: die Überhöhung des Objekts – bis hin zur Vergötterung – mußte in einfacheren, griffigeren, massenwirksameren Formeln stattfinden. Die Malerei hatte damit mehr Probleme als der Film. Der Rasanz der Bildersprache eines Steven Spielberg („Duell“) oder George Lucas („American Graffiti“) hatten selbst die Pop-Art-Künstler Lichtenstein und Warhol wenig entgegenzusetzen, sieht man BMW-M1-Bemalungsaktionen ab. Und gegen „Mad Max“ nehmen sich die statischen Tankstellen- und Motel-Idyllen Edward Hoppers zwangsläufig aus wie unscharfe Erinnerungen aus einer fernen, vergangenen Welt. Die amerikanische Beatnik-Literatur der späten Fünfziger formulierte erstmals – sieht man von der kühnen Visionen der Futuristen Jahrzehnte zuvor ab – das neue Lebensgefühl. Jack Kerouac’s „On The Road“ wurde zum Kultbuch einer Generation. Tom Wolfe, Chronist der Pop-Kultur, beschrieb ein „bonbonfarben mandarinrot gespritztes Stromlinien-Baby“.Die Musikmaschinerie war am Warmlaufen. Rock’n’Roll, Beat, Soul, Rock und alles, was damit und danach kam, schnappte begierig zu.

Das Auto, das Fahren, die Strasse als direkteste, verlockendste Metapher für Bewegung, Freiheit, Ungebundenheit waren en vogue. Und kamen nie aus der Mode. Vom wiederentdeckten Highway 61, den Bob Dylan besang über den „Speed King“ Deep Purples hin zu Ministrys „Jesus Built My Hotrod“ ist es ein ziemlich geradliniger Weg. Das Ausloten der Extreme war nur eine Frage der Zeit.

Es bleibt heute, zwischen hyperrealistischen Videospielen und einem „Coffee On The Go“, ganz dem persönlichen Geschmack überlassen, ob man eher Speed Metal (als artistischer Ausprägung von Hochgeschwindigkeits-Wahn und Zivilisationsüberdruss) oder stumpf-mechanischem Techno jenseits der 200 Beats per Minute zuneigt. Sagen sie bloß, Sie hätten derlei gerade nicht parat! Das Internet – als aktuellste Ausprägung der Unmittelbarkeits-Sucht unserer Zivilisation – besorgt es Ihnen auf Knopfdruck. „Speed kills“ lautet die Maxime der Jetzt-Zeit. Zumindest die Langeweile bleibt bisweilen auf der Strecke.

(now!)

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Versuch über Christina Stürmer, gescheitert.

13. Januar 2007

Es gilt für jeden “Starmania”-Gewinner: die berühmten 15 Minuten Aufmerksamkeit nach Andy Warhol sind ihm bzw. ihr sicher. Ruhm und Erfolg, die dagegen jahrelang vorhalten, müssen tiefere Ursachen haben. Und zwangsläufig ein Thema für Kultur-Journalisten sein. Oder doch nicht? Überlegungen anhand des Pop-Phänomens Christina Stürmer.

„Das ist ein beinhartes Protestlied. Allerdings richtet sich die Kritik nicht gegen eine bestimmte Gruppe, sondern gegen jedermann, der sich betroffen fühlt – auch gegen mich selbst.“ (Arik Brauer, „Köpferl im Sand“)

Wenn man Andy Warhol nachschlägt, um sich des Zeitpunkts und der Hintergründe seines Verdikts “In the future, everyone will be famous for 15 minutes” zu vergewissern, stösst man rasch auch auf einen weiteren Satz aus dem Mund des legendären Pop Art-Ideologen: “Die Ästhetik unserer Tage heisst Erfolg”. Womit wir schon beim Thema wären. Die Warhol’sche Gleichsetzung der Begriffe impliziert, daß ästhetische Qualitäten und Kriterien – benennen wir sie ebenso großzügig wie generalistisch mit einem einzigen Wort: Kunst – auch quantifizierbar, also zähl- und messbar sind. Was aber bedeutet Erfolg, in Zahlen gegossen? Und was darüber hinaus?

Die folgende (Zwischen-)Bilanz lässt sich unter diesem Stichwort verbuchen. Zweifelsohne. Es ist die Erfolgsbilanz von Christina Stürmer. Zunächst, gerade mal vier Jahre ist das her, war da ein vermeintlicher Fehlstart mit einem zweiten Platz in der ersten Staffel von “Starmania”, dem ORF-TV-Wettsingen nach internationalem Format-Vorbild. Rasch gerät aber der Sieger ins Hintertreffen. Anno 2003 verkauft Stürmers Debut-Album “Freier Fall” mehr als 100.000 Exemplare. Zwei Hit-Singles (“Ich lebe”, “Mama Ana Ahabak”) rangieren jeweils je 9 Wochen lang an der Spitze der österreichischen Charts. 2004 dann das zweite Album “Soll das wirklich alles sein”, das noch erfolgreicher ist. Geschlagen wird es von “Schwarz Weiss”, einer extra für den Nachbarmarkt kompilierten Zusammenstellung der probatesten Songs. Das im Juni 2005 veröffentlichte Werk erreicht Platz drei der deutschen Hitparade, hält sich mehr als ein Jahr in den Top 20 und verkauft Doppel-Platin, sprich: mehr als 400.000 Exemplare. Nach dem “Amadeus” geht auch eine “Echo”-Trophäe an den Shooting Star.

Im April 2006 folgt die neue Single “Nie genug”, die umgehend die Spitze der heimischen Charts einnimmt. Am 15. September 2006 erscheint endlich das dritte Album “Lebe lauter” zeitgleich in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Es belegt da wie dort auf Anhieb Platz eins der Charts, in der Schweiz Platz sechs. Das Konzert zur Release-Party wird vom Mobilfunkunternehmen 3 live auf UMTS-Handys übertragen, die erste derartige Aktion in Österreich. Werbeverträge für 3, Eskimo, McDonalds und andere Unternehmen machen die Künstlerin und ihre Band im Herbst und Winter förmlich omnipräsent. Ö3 spielt im Durchschnitt zweimal täglich einen Song aus “Lebe lauter” oder den Vorgänger-Alben. Eine nächste Tour ist für das Frühjahr 2007 geplant. Kein Ende der Erfolgssträhne in Sicht.

Soweit eine erste Bilanz. Beeindruckend, in der Tat. Seit Falco selig hat Österreich kein Pop-Phänomen mehr erlebt, das in vergleichbare Grössenordnungen fällt (sieht man eventuell von den Club-Heroen Kruder & Dorfmeister ab, die zwar faktisch Weltgeltung erlangt haben, für ein breites Publikum aber exotische Nachtschattengewächse blieben). Nur Peter Alexander und Udo Jürgens rangieren vor ihr in der deutschen Charts-Historie. Christina Stürmer nimmt heute, das hat auch der vormalige “Austropop”-Kaiser Wolfgang Ambros erkannt, den Thron ein im lokalen Musikgeschäft. Einen wahrhaft güldenen Thron. Das Wirtschaftsmagazin “Format” errechnete flink einen Millionen-Euro-Umsatz. “News” zählt sie zu den wichtigsten Österreichern (wie auch die gleichnamige Tageszeitung), wichtiger als Natascha Kampusch oder gar der Bundespräsident. Für Stürmers Plattenfirma Universal Music ist sie der beste Garant, auch weiterhin in heimische Nachwuchs-Künstler investieren zu können. Die Branche huldigt unisono der androgyn-mädchenhaften
Ex-Buchhändlerin aus Oberösterreich.

Nun gibt es aber auf dem Planeten Pop nicht nur eine Temperatur, die mit Celsius-Graden exakt zu bemessen ist, sondern auch eine gefühlte Temperatur. Diese müssen nicht übereinstimmen. Meine Gefühle für Christina Stürmer zum Beispiel haben sich beim Ziehen obiger Bilanz nicht erwärmt. Im Gegenteil. Statistik und Wahrnehmung klaffen auseinander. Eklatant. Natürlich ist Christl, wie sie hierzulande nachwievor genannt wird (in Deutschland ist ihr Publikum älter, konservativer, Schlager-affiner), nicht nur höchst erfolgreich, sondern auch höchst sympathisch. Authentisch. Meinetwegen auch stilprägend. Ein Sprachrohr für ihre Generation. Oder sonstwas. Aber sie sagt und gibt mir – nichts.

Gut, ich zähle gewiß nicht zur Zielgruppe. Ich bin dafür zu alt. Zu abgeklärt. Zu skeptisch, generell. Jemandem, der mit Neil Young, Patti Smith und Fehlfarben kulturell soziologisiert wurde, die Stürmerin als das Non-Plus-Ultra der Musikhistorie anzudienen, und sei es auch nur der lokalen (da seien Chuzpe & Co. vor!), muß zwangsläufig scheitern. Aber darum geht es auch nicht. Geschmack ist etwas höchst Subjektives, Privates. Sieht man von jener Handvoll ab, die professionell ihr Innerstes nach Aussen kehren müssen, weil sie davon leben: Künstler. Und ihre Kritiker. Kultur-Journalisten. Nun, wir alle kennen das Phänomen der Kritiker-Lieblinge, die genau dies sind und bleiben – Papiertiger, die im Alltag oft nur eine marginale Rolle spielen. Christina Stürmer ist das Gegenteil davon.

Damit komme ich allmählich zum Punkt: wie steht es um Alltags-Grössen, die auf dem Papier nicht stattfinden? Sprich: in den wichtigsten Blättern des Landes grade mal für ein paar Zeilen am Rande gut sind? Hier stimmt doch etwas nicht. Und zwar grundsätzlich. Ich habe mir die Arbeit gemacht und nachgeblättert, wie Christina Stürmer im Vorjahr im hiesigen Feuilleton wahrgenommen wurde. Um es kurz zu fassen: (fast) gar nicht. Das aktuelle Album “Lebe Lauter” war nirgendwo und nirgendwem (!) eine ausführliche Kritik wert. Im Archiv und im Internet findet man schon einiges, von den Regenbogen-Presse-Gschichtln, Pressetext-Copy- & Paste-Textblöcken und Werbepartner-Propaganda-Verlautbarungen mal abgesehen. Aber es sind fast ausschliesslich deutsche Medien, die sich der Mühe der Reflektion hingaben – vom “Stern” über “Laut” bis zu “CDstarts.de”. Fast durchwegs resümiert man das Hörerlebnis mit zurückhaltender Sympathie, nach dem Motto: weh tun oder stören tut diese Musik nun wirklich nicht.

Das angebliche (und per Erfolgsbilanz festgeschriebene) Ausnahme-Phänomen Stürmer erhellt derlei Journalismus aber auch nicht. Im Seichten kann man nicht ertrinken, gewiß, aber das Ausloten von Tiefen und Untiefen ist der eigentliche Job. Wenn das Objekt der Betrachtung vom “Standard” als “Verkaufsmaskottchen für Nudelgerichte und Klingeltöne” geschmäht wird, mag das Seelen-Balsam für jene sein, die den Dauerbeschuß mit Christl-TV- und Radio-Spots nicht mehr ertragen. Aber die Ratlosigkeit und Unlust der hiesigen Journaille, sich ernsthaft mit Stürmer als Künstlerin, die sich merkbar vom Retorten-Dasein als “Starmania”-Schöpfung und Interpretin vorgeschriebener Fast Food-Melodien und -Texte zu emanzipieren versucht, auseinanderzusetzen, wäre eigener Nachforschung wert. Das rasche Abwinken von Kollegen, bietet man einen einschlägigen Text an, spricht Bände. Stürmer? Eventuell etwas für den “Rennbahn Express”. Oder “Bravo”. Hierorts verschwende man keine Zeile für etwas, dem á priori keinerlei Werthaltigkeit zu konstatieren ist. Signifikanz? Phänomenologie? Status Quo der Jugendkultur? “Masse & Macht”? Eventuell auch nur biedere, aber pflichteifrige Berichterstattung? Ach wo. Pure Zeilen- und Zeitverschwendung.

Nun hätte ich, als eilfertiger Querkopf im engen Spannungsfeld zwischen Business, Popkultur und Medien, schon längst zum Flammenschwert gegriffen, sprich: zur Tastatur meines Computers, um einerseits ein Plädoyer für den – contradictio in adjecto – verschmähten Superstar zu schreiben, und andererseits die p.t. Kolleginnen und Kollegen zu rüffeln. Und es war mir, zugegeben, ein Anliegen, jene ausführliche CD-Kritik nachzuliefern, die ich selbst über Wochen und Monate hinweg vermisst habe (“Lebe lauter” erschien, wie gesagt, im September des Vorjahrs). Wenn schon mit Verspätung, dann ordentlich. In jeder Hinsicht. Und ohne Rücksicht auf schiefe Blicke und scheele Ansagen.

Allein: der gute Vorsatz lässt sich nicht recht in stimmige Zeilen verwandeln. Eigentlich ganz und gar nicht. Ich höre das erwähnte Opus nun seit Stunden am Stück. Ja, das Album ist schon in Ordnung. Nett. Und adrett. Voll mit quasi-coolen Quasi-Rocksongs, mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt. Betroffenheits-Hymnen, Wodka-Red Bull-Wahrheiten, Feuerzeug-Balladen. Symptomatisch sympathisch. Eventuell optimal für nichtssagende und nichtswollende Zeiten, Medien, Konsumenten. Meinem Geschmack nach jedenfalls. Gewiss nicht besser und nicht schlechter als die Miaheldenzweiraumzweitfraujulisilbermond-Konkurrenz. Solides Kunsthandwerk. That’s it. Ich verstehe diese exorbitante Erfolgsstory nicht, oder nicht mehr, oder auch nicht nicht mehr. Ein Offenbarungseid? Eventuell gar die “intellektuelle Niederkunft” nach Ambros? Mir fällt zu Christina Stürmer nichts ein. Beim besten Willen nicht.

Eine ebenso befreiende wie banale wie grausame Erkenntnis. Insofern bitte ich um Pardon. Die Leser. Die Künstlerin. Aber auch die Kollegen vom Feuilleton. Eventuell hatte Andy Warhol doch recht. Der Erfolg an sich ist schon die Kunst.

P.S.: Zu Nadine, Jetzt anders!, Mario Lang und dem namentlich schon wieder entfallenen Rest der letzten “Starmania”-Staffel fällt mir schon gar nichts ein.

15 Minuten Aufmerksamkeit

4. Januar 2007

Wer immer bei “Starmania” gewinnt: die berühmten 15 Minuten Aufmerksamkeit nach Warhol sind ihm bzw. ihr sicher. Ruhm und Erfolg, die dagegen jahrelang vorhalten, müssen tiefere Ursachen haben. Und zwangsläufig ein Thema für Kultur-Journalisten sein. Oder doch nicht? Überlegungen anhand des Pop-Phänomens Christina Stürmer.

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Wenn man Andy Warhol nachschlägt, um sich des Zeitpunkts und der Hintergründe seines Verdikts “In the future, everyone will be famous for 15 minutes” zu vergewissern, stösst man rasch auch auf einen weiteren Satz aus dem Mund des legendären Pop Art-Ideologen: “Die Ästhetik unserer Tage heisst Erfolg”. Womit wir schon beim Thema wären. Die Warhol’sche Gleichsetzung der Begriffe impliziert, daß ästhetische Qualitäten und Kriterien – benennen wir sie ebenso großzügig wie generalistisch mit einem Wort: Kunst – auch quantifizierbar, also zähl- und messbar sind. Was aber bedeutet Erfolg, in Zahlen gegossen? Und was darüber hinaus?

Die folgende (Zwischen-)Bilanz lässt sich unter diesem Stichwort verbuchen. Zweifelsohne. Es ist die Erfolgsbilanz von Christina Stürmer. Zunächst, gerade mal vier Jahre ist das her, war da ein vermeintlicher Fehlstart mit einem zweiten Platz in der ersten Staffel von “Starmania”, dem ORF-TV-Wettsingen nach internationalem Format-Vorbild. Rasch gerät aber der Sieger ins Hintertreffen. Anno 2003 verkauft Stürmers Debut-Albums “Freier Fall” mehr als 100.000 Exemplare. Zwei Hit-Singles (“Ich lebe”, “Mama Ana Ahabak”) rangieren jeweils je 9 Wochen lang an der Spitze der österreichischen Charts. 2004 dann das zweite Album “Soll das wirklich alles sein”, das noch erfolgreicher ist. Geschlagen wird es von “Schwarz Weiss”, einer extra für den Nachbarmarkt kompilierten Zusammenstellung der probatesten Songs. Das im Juni 2005 veröffentlichte Werk erreicht Platz drei der deutschen Hitparade, hält sich mehr als ein Jahr in den Top 20 und verkauft Doppel-Platin, sprich: mehr als 400.000 Exemplare. Nach dem “Amadeus” geht auch eine “Echo”-Trophäe an den Shooting Star. Im April 2006 folgt die neue Single “Nie genug”, die umgehend die Spitze der heimischen Charts einnimmt. Am 15. September 2006 erscheint endlich das dritte Album “Lebe lauter” zeitgleich in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Es belegt da wie dort auf Anhieb Platz eins der Charts, in der Schweiz Platz sechs. Das Konzert zur Release-Party wird vom Mobilfunkunternehmen 3 live auf UMTS-Handys übertragen, die erste derartige Aktion in Österreich. Werbeverträge für 3, Eskimo, McDonalds und andere Unternehmen machen die Künstlerin und ihre Band im Herbst und Winter förmlich omnipräsent. Ö3 spielt im Durchschnitt zweimal täglich einen Song aus “Lebe lauter” oder den Vorgänger-Alben. Eine nächste Tour ist für das Frühjahr 2007 geplant. Kein Ende der Erfolgssträhne in Sicht.

Soweit eine erste Bilanz. Beeindruckend, in der Tat. Das sind schon mehr als “15 Minuten Aufmerksamkeit”. Seit Falco selig hat Österreich kein Pop-Phänomen mehr erlebt, das in vergleichbare Grössenordnungen fällt (sieht man eventuell von Kruder & Dorfmeister ab, die zwar faktisch Weltgeltung erlangt haben, für ein breites Publikum aber exotische Nachtschattengewächse blieben). Nur Peter Alexander und Udo Jürgens rangieren vor ihr in der deutschen Charts-Historie. Christina Stürmer nimmt heute, das hat auch der vormalige “Austropop”-Kaiser Wolfgang Ambros erkannt, den Thron ein im lokalen Musikgeschäft. Einen wahrhaft güldenen Thron. Für Stürmers Plattenfirma Universal Music ist sie der beste Garant, auch weiterhin in heimische Nachwuchs-Künstler investieren zu können. Die Branche huldigt unisono der androgyn-mädchenhaften Ex-Buchhändlerin aus Oberösterreich.

Nun gibt es aber auf dem Planeten Pop nicht nur eine Temperatur, die mit Celsius-Graden exakt zu bemessen ist, sondern auch eine gefühlte Temperatur. Diese müssen nicht übereinstimmen. Meine Gefühle für Christina Stürmer zum Beispiel haben sich beim Ziehen obiger Bilanz nicht erwärmt. Im Gegenteil. Statistik und Wahrnehmung klaffen auseinander. Eklatant. Natürlich ist Christl, wie sie hierzulande nachwievor genannt wird (in Deutschland ist ihr Publikum älter, konservativer, Schlager-affiner), nicht nur höchst erfolgreich, sondern auch höchst sympathisch. Authentisch. Meinetwegen auch stilprägend. Ein Sprachrohr für ihre Generation. Oder sonstwas. Aber sie sagt und gibt mir – nichts.

Gewiß, ich zähle nicht zur Zielgruppe. Aber ich bin damit nicht allein. Ganz und gar nicht. Ich habe mir die Arbeit gemacht und nachgeblättert, wie Christina Stürmer im Vorjahr im hiesigen Feuilleton wahrgenommen wurde. Um es kurz zu fassen: (fast) gar nicht. Das aktuelle Album “Lebe Lauter” war nirgendwem eine ausführliche, ernsthafte, in die Tiefe gehende Kritik wert. Oder ist mir da Wesentliches entgangen? Dieses Desinteresse ist erstaunlich, per se kritisierenswert, aber auch symptomatisch. Leben Österreichs Pop-Kritiker im Elfenbeinturm? Im Internet findet man schon einiges, von den Regenbogen-Presse-Gschichtln, Pressetext-Copy- & Paste-Textblöcken und Werbepartner-Propaganda-Verlautbarungen mal abgesehen. Aber es sind fast ausschliesslich deutsche Medien, die sich der Mühe der Reflektion hingaben – vom “Stern” über “Laut” bis zu “CDstarts.de”. Fast durchwegs resümiert man das Hörerlebnis mit zurückhaltender Sympathie, nach dem Motto: weh tun oder stören tut diese Musik nun wirklich nicht.

Weh tun wollen derlei Kritiken auch nicht. Das Geschäft stören dito nicht. Aber sie verbannen “Starmania” und seinen historisch größten Star, so sehr er sich davon auch zu befreien versucht, einmal mehr ins Kinderzimmer. Eventuell auf ewig. Ein grausames Resümé. Nun – es wird Stürmer und ihre Mitstreiter nicht weiter kratzen. Eventuell auch den neuen “Starmania”-Winner nicht. Ausser es passiert Unvorhergesehenes. Andy Warhol hatte recht. Der Erfolg an sich ist schon die Kunst.

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