Archive for Mai, 2007

Clever & Smart

25. Mai 2007

Das Kleinstwagen-Konzept des Smart fährt zwar Millionenverluste für Mercedes ein, hat aber dennoch Zukunft. Die lässt sich schon in der Gegenwart erfahren: in Gestalt des Smart ForTwo der zweiten Generation.

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Das Vehikel ist auch nicht lang, also machen wir’s kurz: die 735 Millionen Euro Verlust, die die Mercedes Car Group im Vorjahr einfuhr, hat sie – Achtung, Doppeldeutigkeit! – nicht verdient. Angeblich war ja Smart dran schuld, die schnuckelige Microcar-Corporation unter dem grossen Firmendach von Daimler-Chrysler. Seit Jahren drehen die Aktionäre durch, überwiegend die Araber (Ölmogulen muss das Konzept seit jeher ein Dorn im Auge sein), und werfen dem Vorstand und Management bei jeder sich bietenden Gelegenheit an den Kopf, daß die Kleinwagenfamilie ein Milliardengrab sei. Ist sie auch. Vielleicht war der Smart ja sogar das Sargwägelchen der frisch geschiedenen Ehe Daimler-Chrysler, wer weiß. Die Produktion des Viersitzers und des Roadsters wurde jedenfalls eingestellt, die Hälfte der Mitarbeiter gekündigt, die eigenständige Tochtergesellschaft wieder in den Mutterkonzern eingegliedert. „Konsequente Fokussierung“ heisst das im Branchen-Jargon. Jetzt rollt nur mehr der ForTwo vom Fliessband, etwas gewachsen (um 19 Zentimeter) und erstmals auch mit Zielrichtung USA. Und dennoch werden Skeptiker vermuten, daß der Verbrennungsmotor des Fahrzeugs (im Testfahrzeug ein spritziger Dreizylinder-Aluminium-Turbo) weiterhin die Banknoten seines Herstellers und dessen Aktionären als Energiequelle nutzt.

Ich wollte mich selbst davon überzeugen, und muß Sie enttäuschen. Aus dem Auspuff kommt der übliche, benzolhältige Duft der westlichen Wohlstandsgesellschaft, versetzt mit weniger als 110 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer, das ist schon mal ein beachtlicher Wert. Ja, wir werden das allmähliche Erliegen des Individualverkehrs noch erleben, meine Damen und Herren! Und genau das ist die Chance des Smart. Das ahnen, oder besser: wissen auch die MCG-Strategen. Und werden ihre Renditen schon noch einfahren. Schlucken tut das Ding unter 5 Liter, auch das durchaus probat (wenn auch gerade wieder mal in den Zeitgeist-Magazinen Ein-Liter-Magersüchtler abgefeiert werden, aber das glaube ich erst, wenn ich selbst Zapfhahn spielen darf). Tatsächlich kommt man mit einem vollen Tank gut zwei Wochen durch, wenn man seine Kreise im üblichen Rahmen und im urbanen Raum dreht.

Ich gestehe: einen Wochenenausflug habe ich mit dem zitronengelben Test-Vehikel unterlassen. Nicht, weil ich Angst gehabt hätte, auf der Autobahn von einem Laster überrollt zu werden oder auf den Feldwegen des nördlichen Weinviertels den Elchtest nicht zu bestehen. Sondern weil ein solch futuristischer Kabinenroller in Gegenden wie dieser immer noch ein Exotikum ersten Ranges ist. Und das knapp zehn Jahre nach der Vorstellung der ersten fahrtauglichen Konzeptstudie. Ich höre imaginär den Swatch-Erfinder und Smart-Propheten Nicolas Hayek fluchen, die Ingenieure aus Stuttgart hätten die Sache verbockt. Und die geniale Vision konkurrenzloser Kleinheit, Praktikabilität und Wendigkeit an den Rand des Abgrunds gekarrt.

Aber Hayek sollte sich mal im Weinviertel umschauen: da gurken Hundertscharen in bizarren Micro-Cars über die Landstrassen. Führerscheinlos. Das wird, unter uns, wohl der Grund sein, weswegen hier so wenige Winz-Mercedes’ unterwegs sind. Am Preis kanns nicht liegen. Die Matchbox-Wägelchen kosten alle relativ viel. Vielleicht reissen ja die avisierten tolldreisten Billig-Kopien aus China die Grenzen zwischen Stadt und Land nieder. Beim Smart kann man den hohen Grundpreis (wie getestet rund 15.000 Euro – und dennoch verdient MCG kein Geld damit, wie zur Hölle geht das?) noch nachvollziehen: Sicherheitszelle, Panoramadach, Projektionsscheinwerfer, ESP und und und. Ein Luxus-Einkaufskorb.

Was weniger taugt, und da müssen sich die Ingenieure tatsächlich mal an die Nase fassen: die Automatik. Man hat in Permanenz das Gefühl, als Wackeldackel auf der Hutablage unterwegs zu sein – das Getriebe ruckt, daß es keine Freude ist. Experten versichern, das hätte mit der Kürze des Wagens zu tun, wäre durchaus Stand der Technik und schon weit besser als im alten Smart. Aber, sorry!, das ist – im Kontrast zur knalligen Farbgebung – nicht das Gelbe vom Ei. Da geht noch was. Auch die Plastiklandschaft im Cockpit verträgt ein Quentchen mehr Originalität und Solidität. Und eine Servolenkung sollte selbstverständlich zur Serienausstattung gehören. Der Winz-Parkraumbedarf macht ja Freude, das Ansteuern der Lücke ob des gehörigen Rumkurbelns weniger.

Der kleine Hüpfer ist, allen Unkenrufen zum Trotz, ein Kraftfahrzeug. Clever, smart, mit Zukunft. Vergessen Sie die Araber, behalten Sie die Aktien.

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Classic Rock

18. Mai 2007

Von Paul McCartney bis Sting: Klassik und Pop – ein Paar ewiger Gegensätze und Anziehungen. Im heutigen Musikgeschäft aber auch eine kleine Machtmusik.

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Vielleicht hat Waldo de los Rios ja mehr für mein Klassik-Verständnis (wahlweise: Klassik-Unverständnis) getan als Heerscharen von Musikprofessoren und Feuilletonisten vor und nach ihm. Denn der Mann mit dem plüschigen Namen, 1934 in Buenos Aires geboren und ab 1962 – zufälligerweise auch mein Geburtsjahr – in Spanien tätig, war soetwas wie der James Last der iberischen Halbinsel. Mehr noch. De los Rios schlug die erste tragfähige Brücke von der Klassik-Hemisphäre in mein präpubertäres Pop-Universum. Nicht, daß ich seine ungezwungene Vermählung von E (wie erwachsen, ernst, erratisch) und U (wie unschuldig, unterhaltend, ursuper), mit der der Arrangeur und Dirigent nebst meiner Abermillionen begeisterte, heute noch zum ultimativen Kulturerbe der Menschheit zählen würde. Aber er hat mir Mozart in den Kopf gesetzt. „Mozart 40“ etwa. Das klang gut. Das klang modern. Das klang besser als Udo ´70, zum Beispiel. Das Köchelverzeichnis als Leitfaden der Aufklärung war mir fremd, das Mozartjahr noch fern. So wurde ausgerechnet Maestro de los Rios mein Lehrmeister. Quasi zum Generalschuhlöffel für die ersten Schritte in eine fremde, seltsame Welt.

Sie ist mir, soviel sei vorweggenommen, nur bedingt ans Herz gewachsen. Die Bildungsbürger-Dünkel, Inszenierungs-Rituale und das – in jedem Sinn des Wortes – mächtige Brimborium um die klassische Musik waren mir zuwider. Und sind es ungebrochen. Die Salzburger Festspiele z.B. können mir gestohlen bleiben, ehrlich. Die Musik selbst kann nichts dafür, sie ist eine abstrakte Grösse. Sie vermag mich da und dort flüchtig zu erlangen, zu berühren, aus dem Alltag abzuholen. Ihre Schöpfer blieben mir fremd. Die Götterdämmerung: vertagt. Aber nicht ewig aufgeschoben. Denn natürlich kann man sich der gravitätischen Wirkung der Essenz von Jahrhunderten nicht leichterhand entziehen. Ob Bach oder Händel, ob Orff oder Wagner, ob Dvorák oder Stockhausen – letztlich lernte ich sie kennen, hören, schätzen. Die Klangwelten selbst wussten zu überzeugen, aus sich heraus, der musiktheoretische, historische und gesellschaftliche Unter- und Überbau blieb Stückwerk. Ein dunkler Mythos.

Ich erzähle Ihnen das alles nicht, um mich wichtig zu machen. Sondern um die Fronten abzustecken. Fronten und Grenzen, die eigentlich längst obsolet sein sollten. Wer immer zum Beispiel die Unterscheidung zwischen U- und E-Musik erfunden hat (AKM? Adorno? Aliens?), die fiktiv-faktisch Trennlinie zwischen populärer und seriöser Kunst mithin, gehört längst ins Ausgedinge verwiesen. Denn was scheidet eine Lehar-Operette so strikt vom ABBA-Musical? Ist die heftig rockende Mozartband jetzt E oder U? Und was trennt Albinoni, Morricone oder Gershwin an Wert und Gehalt von, sagen wir mal: Leslie Feist? Außer natürlich ökonomische Interessen im Tanz um den Futtertrog der Verwertungsgesellschaften und Subventionsgeber. Nur hier lässt sich diese Weltenteilung ungebrochen aufrecht erhalten. Nur hier spielt die Musik getrennt nach Buchstaben, Komponistenverbänden und vermeintlichen Zielgruppen. Nur hier kennt man ihn noch: den tiefen Graben zwischen Klassik und Pop.

Anderswo schert man sich nicht weiter drum. Sting singt, bevor er als Revival-Polizist auf Welttour geht, Renaissance-Arien von John Dowland. Paul McCartney versucht sich an Oratorien. Jimi Tenor schickt das Repertoire der Deutschen Grammophon durch den Remix-Reisswolf. Nigel Kennedy und Thomas Quasthoff machen einen auf Jazz. Sir Simon Rattle kümmert sich mit den Berliner Philharmonikern um das Rhythmusgefühl der Jugend. Die Netrebko schlägt längst Madonna in den Charts. „Was ist denn da los im Musikzirkus?“, fragte sich unlängst die alte Tante „Die Zeit“. Und schlug sich wacker auf die Seite der Jungen: „Die Empörung und Abscheu, die solche Grenzgänge zwischen den Genres auslösen, erwachsen aus einem törichten, überkommenen Gedanken: ernste und unterhaltende Musik seien unvereinbar. Ein Frevler, wer die edle Klassik durch die Niedertracht des Populären verunreinige!“

Mitnichten. Verunreinigung rules OK! Klassik ist nicht alt und verstaubt, Klassik ist aber auch nicht die neue Popmusik. Klassik ist ein Bereich populärer Musik der Gegenwart. Genauso wie Pop. Rock. Jazz. World Music. Schlager. Volksmusik. Laptop-Elektronik. Einstürzende Neubauten. Einstürzende Altbauten. Aufblasbare Zirkuszelte. Schluß mit Marketing-Tricks! Her mit Qualität und Originalität, Charisma und Emotion, egal unter welchem Signet. Nebstbei: der Wahlspruch John Dowlands lautete: „Aut furit, aut lacrimat, quem non fortuna beavit“. Wen das Schicksal nicht begünstigt, der tobt oder weint.

Sting singt. Schicksalsbegünstigt. Waldo de los Rios dagegen starb 1977 durch eigene Hand.

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