Zum Tod von Georg Danzer.
Irgendwann im Leben läuft alles auf ein Ende, ein Ziel, eine Schlusslinie zu. Die Strecke, die man bis dahin zurückgelegt hat – sie mag länger oder kürzer sein – wird dann unwesentlicher, allein das Überschreiten der Linie bleibt als finaler Akt. Für einen selbst, der man mit zunehmender Bewußtheit und auswegloser Konsequenz auf dieses Ziel zusteuert. Für das Publikum, Freunde, Feinde, Familienmitglieder, Weggefährten, Kenntnisreiche und Ahnungslose, die dieses letzte Stück Weges als das zur Kenntnis nehmen müssen, was es ist: eine Erfüllung. Eine Erlösung. Ein Ende. Und eventuell ein Anfang, jenseits unserer Begrifflichkeiten.
Ich kenne niemanden, der bewusster, demütiger, würdiger gestorben ist als Georg Danzer. Es war ein Sterben in aller Öffentlichkeit, man wusste oder ahnte zumindest um die Krankheit, die seinem Leben ein Ende setze, und um ihre Unerbittlichkeit. Georg Danzer ist daran nicht zerbrochen. Er ist daran gewachsen. Dabei war er, wie in allem, was er zum Inhalt seines Lebens machte, ein Grosser.
Danzer hat mehr für die hiesige Musikszene getan, als den meisten bewusst ist, dies- und jenseits hohler Chiffren wie jener vom „AustroPop“. Er hat darüber hinaus getan, was die wahrhaftigste Aufgabe eines Künstlers ist: zu einem Mehr an Bewusstsein, Sensibilität und Offenheit beizutragen in fast allen Dingen, die uns beschäftigen, tagein, tagaus, und bisweilen auch zu berühren vermögen, im tiefsten Inneren.
Danzers Tod berührt. Weil hier ein Mensch, der so unendlich kraftvoll, frei und voller Schöpfungsdrang und zugleich empfindsam, nachdenklich und leise erschien, nicht mehr seine Stimme erhebt. Nie wieder singt vom „Hawelka“ und vom „Tschik“, vom „Vorstadt-Casanova“ und vom „Klanan Bua im Winter“. Das war er selbst, der kleine Bub im viel zu dünnen Mantel, ein „schwarzer Fleck auf weissem Grund“. Danzer hat sich dieses Lied gewünscht, beim österreichischen Musikpreis „Amadeus“ vor wenigen Wochen, bei dem er so gerne dabei gewesen wäre und wo seine Stimme letztendlich doch nur mehr vom Band kam. Die Lobrede auf ihn wurde zum vorgezogenen Nachruf, aber sie traf die richtigen Worte. In ihrer Zögerlichkeit, in ihrer respektvollen Zurückhaltung, in ihrer Suche nach dem richtigen Ton und, mehr noch, nach den Zwischentönen.
Georg Danzer war, und ein essentieller Song wie jener vom „Klanan Bua im Winter“ belegt es, ein Meister der Zwischentöne. Gewiss, da finden sich auch derbe, grelle, unsinnige oder pfiffig populistische Songs in seinem Ouevre, das die Beachtlichkeit von 46 Alben und mehr als 400 Liedern umfasst, und nicht alle waren sie Meisterwerke wie „Ruaf’ mi net an“ oder „Der legendäre Wixer-Blues vom 7. Oktober 1976“.
Danzer hat über Sex, Alkohol, Sucht, Ängste und Abgründe gesungen, über Träume und Utopien, über das Ende. In einem Interview bekannte er: „Ich habe schon in den 70ern Lieder über das Sterben geschrieben, hab mich immer mit dem Gedanken auseinandergesetzt, daß man ein Ablaufdatum hat. Je jünger man ist, umso leichter schreibt man über den Tod. Je älter man wird, umso mehr hat man sich mit dem Leben verklebt und löst sich nur schwer davon.“ 1968 erschien Danzers erste Single, „Vera“, vor knapp einem Jahr sein letztes Album, „Träumer“. Als hätte der Autor erahnt, was kommen würde, sind hier leise, ironisch leichte, niemals larmoyante Botschaften wie „Mei Aschen“ oder „A letztes Lied“ zu hören.
Danzer hat sich getraut. Getraut zu träumen. Getraut, die Gitarre in die Hand zu nehmen. Getraut, Texte zu schreiben und anzubieten und schliesslich selbst zu interpretieren. Getraut, populär zu sein und Unpopuläres zu wagen. Getraut, keinen geradlinigen Weg zu gehen im Leben und im Pop-Business und in der Öffentlichkeit. Der Schurl war, wiewohl lange Jahre in Deutschland daheim und in Spanien, ein Wiener tiefster Prägung. Vom Dreigestirn Ambros-Danzer-Fendrich, das lange Jahre sehr erfolgreich unter dem Signet „Austria 3“ auftrat, wird er als derjenige in Erinnerung bleiben, der am zurückhaltendsten war, am vielfältigsten und am glaubwürdigsten. Mithin am begabtesten. Er selbst hätte derlei Einschätzungen sofort vom Tisch gewischt; die Loyalität zu seinen Freunden manifestierte sich jenseits der Regenbogenpresse. Und jenseits politischer oder auch nur imagetechnischer Korrektheit. Image, Karriere, Kontostände waren einfach keine Kategorien im Leben eines Singer-/Songwriters, der sich eher über den Werdegang junger Künstlerkollegen erkundigte als darüber, ob man seine neue Single denn gnädig im Radio spielen würde. Das blieb so bis zuletzt.
Morgen abend hätte Georg Danzer beim Donauinselfest auftreten sollen. Rainhard Fendrich wird es an seiner statt tun. Es ist hier nicht der Platz für Kleinlich-, ja Nichtigkeiten, ob dies richtig ist und gut. Es wird der Abschied von Georg Danzer sein, für Hunderttausende, Freunde, Feinde, Familienmitglieder, Weggefährten, Kenntnisreiche und Ahnungslose. Es wird die Wirksamkeit seiner Lieder, die längst zu Volksliedern geworden sind, noch einmal in voller Pracht erstrahlen lassen. Es wird ihr Urheber mitten drinnen wohnen – im Konzert, auf der Bühne, im Gedächtnis der Musiker und der Zuhörer. Es wird ein würdiger Abschied sein.
Adieu, Georg!