Same procedure as every year: dreihundertvierundsechzig Tage, um diesen einen, besonderen mit Bedacht anzusteuern. Und dann rinnt einem doch wieder die Zeit aus.
24. Dezember, 13 Uhr 31, in nicht einmal einer halben Stunden schliessen die Geschäfte. Gottseidank. Es reicht. Mir ist schon klar, daß ein vormals besinnliches Fest – das Licht in eine lange Jahrtausende sehr dunkle Welt brachte – in Zeiten des Turbokonsumismus einer Konsumorgie gleicht. Gleichen muss. Die Zeitungen überschlagen sich mit Berichten über Umsatzrekorde (seltsamerweise parallel zu Stories über Kaufsucht, Armutswachstum und Privatkonkurse), der Äther dröhnt, Wham!, ob einer Mixtur aus „Last Christmas“ und schlagerseligen „Stille Nacht“-Adaptionen (die schon im November anhebt). Und der Kopf ist schwer. Nicht nur von den Firmen-, Freundeskreis- und Branchen-Feiern der letzten Tage und Wochen.
Denn wieder mal bin ich nicht fertig geworden mit meiner Jahres-CD. Ist ein alter Brauch, quasi, Weihnachts- respektive Jahresend-Folklore. Für die liebsten Freunde bastel‘ ich da eine persönliche „Greatest Hits“-Compilation des Jahres. Strikt subjektiv, streng persönlich. Da sind abseitige Fundstücke dabei, jenseits der Jahrescharts von FM4, Spex & Cie., einige common sense-Kleinode und natürlich auch die peinlichsten Lieblingssongs, die man gerne in der Badewanne trällert (anno 2007 war das Mikas „Take It Easy“, ein picksüsser Radioschlager mit exakt null Inhaltsstoffen).
Diese Zusammenstellung wird tage-, nein: wochenlang überlegt, abgestimmt, verworfen, neu begonnen und letztendlich final auf eine CD gebrannt. Was heisst auf eine. Auf dutzende Rohlinge. Die wiederum zur Abrundung mit einer Aufschrift und einem Cover versehen, eingetütet und per Post (oder auch persönlich) an die Adressaten übermittelt werden. Diese revanchieren sich bisweilen mit einer eigenen, selbstgebrannten Jahres-CD. Und allerorten rotieren die CD-Maschinen (bzw. surren die MP3-Player). Wie gesagt: ein schöner, alter Brauch.
Höre ich da irgendjemanden im Hintergrund murmeln, derlei wäre illegal? Von wegen Kopierschutz und Copyright und…? Sorry, das ist natürlich engstirniger Unsinn. Formal (ich bin kein Jurist, glauben Sie mir einfach), und dem Sinn nach erst recht. Selbst als mich Freund S. vor Jahren einmal in einer „Kurier“-Kolumne öffentlich outete als jemand, der als Musikindustrie-Heini gut und gerne zwanzig selbst erstellte Jahres-CDs verschickt, blieb das grosse Aufheulen aus. Warum? Weil es wohl letztendlich gar keine bessere Werbung für gute Musik gibt als persönliche Empfehlungen und Fingerzeige. Und natürlich wirkt Hören hier noch viel mehr als Reden oder Schreiben. In diesem Sinne: Frohe Weihnacht!
Hier der Inhalt meiner Jahres-CD anno 2007. Dem/der einen oder anderen wird sie noch vor Jahresende ins Haus flattern. Versprochen.
01. Intro/Outro Werner Geier
02. DAVID LIPP & DIE LIEBE – Creep
03. ROBERT PLANT & ALISON KRAUSS – Polly Come Home
04. WILCO – Impossible Germany
05. KLAXONS – Two Receivers
06. IRON & WINE – Ressurection Fern
07. ERDMÖBEL – Reich wie Teen Spirit
08. AMY WINEHOUSE – Rehab
09. MIKA – Relax (Take It Easy)
10. NAOMI – Gone
11. PORTUGAL THE MAN – Shade
12. SPOON – The Underdog
13. UNDER THE INFLUENCE OF GIANTS – Faces
14. UNDERWORLD – Crocodile
15. MOONBABIES – Take Me To The Ballroom
16. RADIOHEAD – Nude
17. ALASKA IN WINTER – Close Your Eyes We Are Blind
P.S.: Natürlich ist das Ding noch unfertig (bis zur letzten Sekunde). Zum Beispiel fehlen die Lieblinge aus dem eigenen Haus. WEMAKEMUSIC*, etwa mit dem wunderbaren „Risk It All“. Oder ERNST MOLDEN. Oder HANS PLATZGUMER mit seinem sträflich unterschätzten, dritten CONVERTIBLE-Album. Oder… Und wäre nicht „Sister Rosetta“ von ROBERT PLANT & ALISON KRAUSS, dem Konsens-Album des Jahres, weit besser? Oder „Sky Blue Sky“ von WILCO? Und fehlt nicht ein Track von ARCADE FIRE, die wahrscheinlich das Konzert des Jahres geliefert haben? Und müsste man dann nicht eventuell auch LED ZEPPELIN… öh…
P.P.S.: „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“. Good ol‘ Nietzsche. Jahreszeitlich milde gestimmt, bin ich sogar ausnahmsweise einer Meinung mit dem „Wiener Zeitung“-Kollegen Edwin Baumgartner. Nachzulesen hier…
Zitat: „Die Katastrophe dabei ist, dass diese teilweise wirklich schönen Weihnachtslieder von ihrer eigentlichen Funktion, nämlich einer naiv-gläubigen Einstimmung auf das Mysterium der Geburt Jesu Christi, entfernt wurden in einen Bereich, der nur noch als Kommerz wahrgenommen wird. Die Lieder werden profanisiert. Letzten Endes stehen sie mit dem Spielzeugladen und dem Damenunterwäschegeschäft in engerer Beziehung als mit dem Mysterium. Und wenn sie dann, spätestens am 24. Dezember, in der Kirche gesungen werden, bringen sie diesen Hauch von Spielwaren und Damenunterwäsche unweigerlich in den Gottesdienst….“