Der iPod sei „die erste kulturelle Ikone des 21. Jahrhunderts“, urteilte der Soziologe Michael Bull der englischen Universität Sussex. Das iPhone ist die zweite. Wenn nicht mehr.
Meine letzte Zeitschriften-Kolumne des Jahres 2007 strotzte gewiss nicht vor Optimismus und Lebensfreude. Sie erinnern sich? Ich betrauerte den Tod eines Freundes und Kollegen, der als Bester seiner, unserer Generation eine tiefe Lücke in der Radio-, Musik- und Kulturlandschaft dieses Landes hinterliess: Werner Geier. Ich bedauerte den zu frühen Tod von prägenden, lokal verwurzelten Künstlerpersönlichkeiten wie Georg Danzer und Joe Zawinul, hätte ruhig aber auch Gerhard Bronner, George Tabori, Jörg Kalt, Herbert Fux, Georg Staudacher oder Franz Hubmann nennen können. Und ich antizipierte den Niedergang der Musikindustrie (wie wir sie kennen; ich hoffe, dieser Fingerzeig blieb nicht unbeachtet) und meinte, die Zeichen der Zeit sprächen eine deutliche Sprache. Wenige Tage später erfuhr ich vom Konkurs der “Soul Seduction” und des “Black Market”. Überrascht hat mich die Nachricht nicht.
Die Abwärtsspirale einer ganzen Branche war für den Wiener Vertrieb rund um Impresario Alexander Hirschenhauser und den angeschlossenen Shop in der Gonzagagasse letal. Zwangsläufig. Denn gerade die Avantgarde der Musikkonsumenten – und das war die eigentliche Zielgruppe, nicht ausschliesslich notorisch vinylverliebte und gutbetuchte Profi-DJs –, ist es, die sich als weniger nostalgisch, qualitätsbewusst und loyal erwies und erweist, als man ihr eventuell zudenkt. Gerade in dieser Schicht von Vielhörern und (Nachwuchs-)Auskennern grassierte früh das iPod- und Download-Fieber, und es ist wohl kein Zufall, dass der Digitalvertrieb als zukunftsträchtigster Teil des Soul Seduction-Imperiums überlebt. Glückauf!
Aber es wird schwierig werden: denn unerbittlicherweise ist das Musikgeschäft – egal, welches Businessmodell man forciert – kein probates Spielfeld für Verfechter ewiger Werte, sondern ziemlich zeit- und modeabhängig. Was gestern noch schwer angesagt war (der Kaffeehaus-Sound von Kruder, Dorfmeister & Cie. etwa), gilt heute als Gähn-Faktor. Als abgegriffen. Als gestrig. Die Geduld, Ruhe und innere Kraft – von der Finanzdecke ganz zu schweigen –, eine modische Baisse zu durchtauchen oder seinen Repertoire-Schwerpunkt umzustellen (oder schlicht zu erweitern), ohne sich komplett zu verbiegen, haben die wenigsten. Und gegen den unbezwingbaren Gegenwind einer technologischen Revolution voranzuschreiten, schaffen nicht einmal die Majors (ich muss hier wohl nicht auf die Schlagzeilen der letzten Wochen verweisen, von der endgültigen Abkehr vom DRM-Dogma bis zu den Massenentlassungen bei EMI). Meine Standard-Antwort auf die Frage, wie es mir denn ginge mit all dem Niedergang und Elend um einen herum, lautete letztlich: Leute, die neunziger Jahre sind vorbei! Endgültig. Dass dieser Prozess bis 2007 gedauert hat, ist das eigentlich Erstaunliche.
Dass derlei für die Opfer eines weiträumigen, globalen Prozesses wenig Trost bietet, liegt auf der Hand. Da aber nicht der, der fällt, als schwach gilt in unserer spätkapitalistischen Gesellschaft, sondern der, der liegen bleibt und keine Kraft findet, sich wieder hochzurappeln, dürfen wir Hoffnung schöpfen. Die Beschwörungsformel, die Musik selbst werde gewiss nicht sterben und Künstler wie Konsumenten auch in Zukunft die eine oder andere Dienstleistung und Hilfestellung zu schätzen wissen, gilt natürlich. Ungebrochen. Und da gewisse Goodies nun mal nicht aus der digitalen Klon-Maschinerie gezogen werden können wie eine endlose Serie von duftenden Toastbroten, sollte man sich allmählich beruhigen. Seine Augen, Ohren und Gehirnzellen anwerfen. Und eventuell soetwas wie Optimismus entwickeln.
Unter uns: seit Weihnachten spiele ich mit einem (noch) ziemlich exklusiven Gadget namens iPhone rum. War ein Geschenk, importiert aus New York, für den hiesigen Markt – abseits des verlautbarten Monopol-Anbieters – zurechtgeschnitzt von einem freundlichen Apple-Dealer. Meine erste Reaktion nach einigen Stunden frischfröhlicher Intensivbeschäftigung mit dem High Tech-Tool war: Killer! Das Ding (als eine Art Vorbote kommender Entwicklungen) wird alles umkrempeln. Der Hype ist eher noch untertrieben. Die Anbindung an den Plattenladen der Zukunft – in diesem Fall heisst er iTunes Music Store –, an das Fernsehen der Zukunft (YouTube), das Radio der Zukunft (iRadio) und den Kommunikationsfluss der Zukunft (da gibt es das Wort “offline” gar nicht mehr, ausser man zieht sich in ein Kloster nahe Pjöngjang zurück) steckt man ab sofort in die Hosentasche. Es sind weniger die Detaillösungen des iPhone-Konzepts, das einen mit seiner Eleganz, Nutzer-Orientierung und Funktionalität förmlich in ein neues Medienuniversum hineinsaugt, als das handliche Endprodukt, das sprichwörtlich mehr ist als die Summe der Einzelteile. Mehr dazu demnächst in diesem Theater.
Doch warum löst ein – okay, nicht ganz schnödes – neues Handy bei mir derartige Euphorie aus? Die Antwort lautet: weil es uns eine Ahnung davon gibt, wie die Welt im neuen Jahrtausend funktionieren könnte. Und das Geschäft. Vergessen Sie CD-Shops und UKW-Empfänger und SUVs und Faltpläne und Parkscheine. Undundund. Vergessen Sie die die neunziger Jahre. Endgültig. Hier gibt es Sender und Empfänger, Anbieter und Kunden, Kritiker und Konsumenten, Produzenten und Seher bzw. Hörer. Sie sind identifizierbar (und ich meine das nicht datenschützerisch-negativ). Sie sind adressierbar. Sie sind viele: nämlich alle. Oder zumindest fast alle. Sie legen Wert auf frische Inhalte. Und alte Qualitäten. Und sie haben den Zauberstab in der Hand.
Man stelle sich vor: eine Art ORF-Gebühr gilt plötzlich nicht allein für den ORF, sondern für Information und Kulturgut jeder Art. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. Bluetooth-Kopfhörer und Panorama-Laserbrillen sind im Preis inbegriffen. Die schwerfällige Produktverschieberei der grauen Vorzeit, die übervollen Warenlager (und die aus ihnen resultierenden Insolvenzen), der alte Wein in alten Schläuchen und die leeren Versprechungen der Old School-Marktschreier sind dann endgültig Makulatur.
Nebstbei: Sie dürfen mir diese in ein paar launige Sätze gegossene Vision in, sagen wir, zwanzig Jahren laut vorlesen. Und dann entweder in Lachen ausbrechen. Oder dumm aus der Wäsche gucken.