Archive for Januar, 2008

Willkommen im neuen Jahrtausend

15. Januar 2008

Der iPod sei „die erste kulturelle Ikone des 21. Jahrhunderts“, urteilte der Soziologe Michael Bull der englischen Universität Sussex. Das iPhone ist die zweite. Wenn nicht mehr.

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Meine letzte Zeitschriften-Kolumne des Jahres 2007 strotzte gewiss nicht vor Optimismus und Lebensfreude. Sie erinnern sich? Ich betrauerte den Tod eines Freundes und Kollegen, der als Bester seiner, unserer Generation eine tiefe Lücke in der Radio-, Musik- und Kulturlandschaft dieses Landes hinterliess: Werner Geier. Ich bedauerte den zu frühen Tod von prägenden, lokal verwurzelten Künstlerpersönlichkeiten wie Georg Danzer und Joe Zawinul, hätte ruhig aber auch Gerhard Bronner, George Tabori, Jörg Kalt, Herbert Fux, Georg Staudacher oder Franz Hubmann nennen können. Und ich antizipierte den Niedergang der Musikindustrie (wie wir sie kennen; ich hoffe, dieser Fingerzeig blieb nicht unbeachtet) und meinte, die Zeichen der Zeit sprächen eine deutliche Sprache. Wenige Tage später erfuhr ich vom Konkurs der “Soul Seduction” und des “Black Market”. Überrascht hat mich die Nachricht nicht.

Die Abwärtsspirale einer ganzen Branche war für den Wiener Vertrieb rund um Impresario Alexander Hirschenhauser und den angeschlossenen Shop in der Gonzagagasse letal. Zwangsläufig. Denn gerade die Avantgarde der Musikkonsumenten – und das war die eigentliche Zielgruppe, nicht ausschliesslich notorisch vinylverliebte und gutbetuchte Profi-DJs –, ist es, die sich als weniger nostalgisch, qualitätsbewusst und loyal erwies und erweist, als man ihr eventuell zudenkt. Gerade in dieser Schicht von Vielhörern und (Nachwuchs-)Auskennern grassierte früh das iPod- und Download-Fieber, und es ist wohl kein Zufall, dass der Digitalvertrieb als zukunftsträchtigster Teil des Soul Seduction-Imperiums überlebt. Glückauf!

Aber es wird schwierig werden: denn unerbittlicherweise ist das Musikgeschäft – egal, welches Businessmodell man forciert – kein probates Spielfeld für Verfechter ewiger Werte, sondern ziemlich zeit- und modeabhängig. Was gestern noch schwer angesagt war (der Kaffeehaus-Sound von Kruder, Dorfmeister & Cie. etwa), gilt heute als Gähn-Faktor. Als abgegriffen. Als gestrig. Die Geduld, Ruhe und innere Kraft – von der Finanzdecke ganz zu schweigen –, eine modische Baisse zu durchtauchen oder seinen Repertoire-Schwerpunkt umzustellen (oder schlicht zu erweitern), ohne sich komplett zu verbiegen, haben die wenigsten. Und gegen den unbezwingbaren Gegenwind einer technologischen Revolution voranzuschreiten, schaffen nicht einmal die Majors (ich muss hier wohl nicht auf die Schlagzeilen der letzten Wochen verweisen, von der endgültigen Abkehr vom DRM-Dogma bis zu den Massenentlassungen bei EMI). Meine Standard-Antwort auf die Frage, wie es mir denn ginge mit all dem Niedergang und Elend um einen herum, lautete letztlich: Leute, die neunziger Jahre sind vorbei! Endgültig. Dass dieser Prozess bis 2007 gedauert hat, ist das eigentlich Erstaunliche.

Dass derlei für die Opfer eines weiträumigen, globalen Prozesses wenig Trost bietet, liegt auf der Hand. Da aber nicht der, der fällt, als schwach gilt in unserer spätkapitalistischen Gesellschaft, sondern der, der liegen bleibt und keine Kraft findet, sich wieder hochzurappeln, dürfen wir Hoffnung schöpfen. Die Beschwörungsformel, die Musik selbst werde gewiss nicht sterben und Künstler wie Konsumenten auch in Zukunft die eine oder andere Dienstleistung und Hilfestellung zu schätzen wissen, gilt natürlich. Ungebrochen. Und da gewisse Goodies nun mal nicht aus der digitalen Klon-Maschinerie gezogen werden können wie eine endlose Serie von duftenden Toastbroten, sollte man sich allmählich beruhigen. Seine Augen, Ohren und Gehirnzellen anwerfen. Und eventuell soetwas wie Optimismus entwickeln.

Unter uns: seit Weihnachten spiele ich mit einem (noch) ziemlich exklusiven Gadget namens iPhone rum. War ein Geschenk, importiert aus New York, für den hiesigen Markt – abseits des verlautbarten Monopol-Anbieters – zurechtgeschnitzt von einem freundlichen Apple-Dealer. Meine erste Reaktion nach einigen Stunden frischfröhlicher Intensivbeschäftigung mit dem High Tech-Tool war: Killer! Das Ding (als eine Art Vorbote kommender Entwicklungen) wird alles umkrempeln. Der Hype ist eher noch untertrieben. Die Anbindung an den Plattenladen der Zukunft – in diesem Fall heisst er iTunes Music Store –, an das Fernsehen der Zukunft (YouTube), das Radio der Zukunft (iRadio) und den Kommunikationsfluss der Zukunft (da gibt es das Wort “offline” gar nicht mehr, ausser man zieht sich in ein Kloster nahe Pjöngjang zurück) steckt man ab sofort in die Hosentasche. Es sind weniger die Detaillösungen des iPhone-Konzepts, das einen mit seiner Eleganz, Nutzer-Orientierung und Funktionalität förmlich in ein neues Medienuniversum hineinsaugt, als das handliche Endprodukt, das sprichwörtlich mehr ist als die Summe der Einzelteile. Mehr dazu demnächst in diesem Theater.

Doch warum löst ein – okay, nicht ganz schnödes – neues Handy bei mir derartige Euphorie aus? Die Antwort lautet: weil es uns eine Ahnung davon gibt, wie die Welt im neuen Jahrtausend funktionieren könnte. Und das Geschäft. Vergessen Sie CD-Shops und UKW-Empfänger und SUVs und Faltpläne und Parkscheine. Undundund. Vergessen Sie die die neunziger Jahre. Endgültig. Hier gibt es Sender und Empfänger, Anbieter und Kunden, Kritiker und Konsumenten, Produzenten und Seher bzw. Hörer. Sie sind identifizierbar (und ich meine das nicht datenschützerisch-negativ). Sie sind adressierbar. Sie sind viele: nämlich alle. Oder zumindest fast alle. Sie legen Wert auf frische Inhalte. Und alte Qualitäten. Und sie haben den Zauberstab in der Hand.

Man stelle sich vor: eine Art ORF-Gebühr gilt plötzlich nicht allein für den ORF, sondern für Information und Kulturgut jeder Art. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. Bluetooth-Kopfhörer und Panorama-Laserbrillen sind im Preis inbegriffen. Die schwerfällige Produktverschieberei der grauen Vorzeit, die übervollen Warenlager (und die aus ihnen resultierenden Insolvenzen), der alte Wein in alten Schläuchen und die leeren Versprechungen der Old School-Marktschreier sind dann endgültig Makulatur.

Nebstbei: Sie dürfen mir diese in ein paar launige Sätze gegossene Vision in, sagen wir, zwanzig Jahren laut vorlesen. Und dann entweder in Lachen ausbrechen. Oder dumm aus der Wäsche gucken.

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Gepflegte Melancholie

14. Januar 2008

Der dritte Teil der Compilation-Serie „Gloomy Afternoon“ ist gleichzeitig der letzte. Das verstärkt die Wirkung noch.

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Das Weinhaus Sittl am Lerchenfelder Gürtel ist wohl nur notorischen Weinbeissern und Hobby-Historikern mit Hang zu Wiener Lokalkolorit ein Begriff. Wenn aber die Plattenfirma Universal, so ziemlich der letzte Gigant der Branche, dort eine CD-Präsentation inszeniert und legér einen angestaubten Cassettenrecorder ans Stromnetz anschliesst, um die versammelte Glaubensgemeinschaft mit Jazz-, Blues- und Soul-Kleinodien zu beschallen, dann zeugt das von Grösse. Und vom Status Quo des Musikgeschäfts in Österreich, der zwischenzeitlich ins Gegenteil lappt. Drauf geschissen und einen guten Schluck genossen!

Das ist jedenfalls das Motto von DJ Samir (welcher unter dem bürgerlichen Namen Samir H. Köck auch als feinsinniger Kritiker der “Presse” in Erscheinung tritt), der nun schon die dritte Folge der Compilation-Reihe “Gloomy Afternoon” vorlegt. Die Spannbreite des Songmaterials, das Anti-Depressiva allemal wirkungsvoll ausser Kraft setzt, reicht von Billie Holiday über John Lee Hooker und Nick Cave bis zum späten Georg Danzer (“Wer ma wirklich is”). Da die hochklassige Kollektion auch noch intime Einsichten und Ansichten – man beachte das Familienfoto auf der Innenseite der Doppel-CD! – birgt, verleihen wir den hiefür Verantwortlichen das Verdienstkreuz für gepflegte Liedkultur in Blei. Und beten inbrünstig darum, daß der Tonträger nicht wie selbiges in den noch verbliebenen Verkaufsregalen liegen bleibt. In der Metropole mit einer der höchsten Selbstmordraten Europas sollte das Gegenteil der Fall sein. Und “Gloomy Afternoon Vol. 3” ein Renner sondergleichen.

GLOOMY AFTERNOON 3, compiled by Samir H.Köck (Emarcy/Universal)

Gut bei Stimme

12. Januar 2008

Jahrzehntelang prägten Radio-Legenden wie Heinz Conrads, Rosemarie Isopp, Gerhard Bronner, Axel Corti oder Walter Richard Langer den Äther. Doch neuere Moderator(inn)en-Generationen lassen die Erinnerung allmählich verblassen. Eine Hitparade persönlicher Favoriten.

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1. WERNER GEIER. Im Herbst 2007 starb nach langer Krankheit jener Radiomacher, der wie kein Zweiter den Musikgeschmack und die Hörgewohnheiten der achtziger Jahre prägte – zumindest, was avancierte Pop-Konsumenten betrifft. Ohne den Überzeugungstäter aus Mürzzuschlag („MusicBox“, „Nachtexpress“) hätten wir Joy Division, Nick Cave, Stereo MCs oder A Tribe Called Quest nie so hautnah kennengelernt.

2. DORIS GLASER. Macht sich und uns „Gedanken“, wenn man ihre Stimme im Äther hört. Auch das „Ö1 Kulturquiz“ könnte zurückkehren, by public demand.

3. ANGELIKA LANG. War ein ziemlicher Fehler, daß Ö3 seine beste Moderatorin an „Radio Wien“ abgegeben hat. Senderchefin Jasmin Dolati darf sich über profunde Verstärkung (ORF-TV-Station Voice, FM4-Mitbegründerin) freuen.

4. MICHAEL SCHROTT. Steht für die Ö1-„Diagonal“-Feuilleton-Schule, die Wert auf Form, Inhalt und Hörbarkeit setzt. Alternativen: „Popmuseum“-Legende Wolfgang Kos. Oder „Kontext“-Gestalter Wolfgang Ritschl. Oder…

5. ROBERT KRATKY. Die einen nervt er, die anderen himmeln ihn an – Kratky ist sicher der gefragteste Ö3-Star. Und hat nebst Deep Throat-Voice Witz, Biss, Charme (wenn er will). Das Problem ist: bei Ö3 lauern noch zwanzig Robert Kratky-Klone neben dem Mikrofon.

6. FIVA MC. Die Rapperin steht stellvertretend für eine neue Generation von kecken FM4-Talenten. Dabei hat sich auch die alte Riege, insbesondere die englischsprachige – von Duncan Larkin bis Riem Higazi – einen Platz auf dem Stockerl verdient.

7. FRANK HOFFMANN. Von 1975 bis 1994 moderierte Hoffmann das legendäre ORF-Kinomagazin „Trailer“. Noch heute ist der Jazz-Fan eine der gefragtesten Stimmen Österreichs. Zu hören in zahlreichen Werbespots und als Station Voice einiger Privatsender.

8. EBERHARD FORCHER. Der ehemalige Popmusiker („Tom Pettings Hertzattacken“) und „Radio Gaga“-Miterfinder ist ein tragfähiges Urgestein bei Ö3. Gerade in Sachen Musikkompetenz läuft dem Osttiroler kaum jemand den Rang ab.

9. BERND SEBOR. Mittlerweile etwas aus der Realität ausgeklinkt, ist der ehemalige Geschäftsführer und Programmchef von Antenne Steiermark, 88.6 und KroneHit doch ein erfrischend anarchistisches Irrlicht („Wir spielen, was wir wollen“). Und kommt wohl nie vom Radio los. „Tomorrow never knows“, wie schon die Beatles sangen.

10. STERMANN & GRISSEMANN. Mittlerweile ist das Duo mehr auf der Bühne, im TV („Wilkommen Österreich“), Kino oder YouTube daheim. Aber die Basis bleiben Talkshows im unanstrengendsten Medium. Wiewohl ihre Anstrengungen, uns (nach)lässig zu unterhalten, nicht zu verachten sind.

Paketlösung

6. Januar 2008

Ein Software-Paket aus Österreich revolutioniert den Musikmarkt. Endlich wird es für jeden Musiker möglich, vom eigenen PC aus die wichtigsten Download-Shops weltweit zu bestücken – rasch, unkompliziert und kostengünstig.

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Kann es sein, daß die Zukunft der Musikindustrie gerade am Rande von Tulln, einer beschaulichen Donau-Gemeinde in Niederösterreich, erfunden wird? Es sieht ganz danach aus. Mit ihrer Distributions-Software „Rebeat Digital“ zeigen Günter Loibl und sein kleines Vertriebsteam, daß sich in Zeiten des Umbruchs – die CD-Verkäufe sinken seit Jahren, legale Downloads machen illegales File-Sharing und Umsatzverluste durch gebrannte CDs noch lange nicht wett – glänzende Visionen entwickeln lassen.

„In meinem eigenen Tonstudio produzierte ich Demos sonder Zahl“, so der ehemalige Hobbymusiker und Autoverkäufer Loibl. „Doch was dann? Ich lief mir die Hacken wund, keine Plattenfirma interessierte sich dafür. Ich wurde fast täglich mit der Nase darauf gestossen, wo Musiker der Schuh drückt!“. Resultat: die Gründung eines eigenen Vertriebs im Jahr 2001. „Ein kleiner, wendiger Segler zwischen den grossen Tankern“, so Loibl.

Die rasche Etablierung seiner Idee und erste Charts-Erfolge konnten aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Handel mit der altgedienten Silberscheibe immer zäher lief. Und läuft. Mittlerweile erklären Experten die CD zum nostalgischen Staubfänger. MP3-Player, etwa der kultige iPod von Apple, Musikhandys, LAN-Server und Multimedia-PCs laufen ihr den Rang ab. Damit lag der nächste Schritt, die Entwicklung einer eigenen Internet-Vertriebsschiene, auf der Hand. Günter Loibl zeigte sich von den Herausforderungen der neuen Ära, an denen selbst Major-Musikfirmen zerbrachen, begeistert. „Wir wollten für alle Kreativen quasi auf Knopfdruck einen Zugang zu möglichst allen legalen Download-Portalen möglich machen“. Nach einem Investititionszuschuss des österreichischen Wirtschaftsfonds, der sich von der Idee dito höchst angetan zeigte, und zweijähriger Entwicklungszeit ist das Ergebnis nun seit wenigen Wochen auf dem Markt. Und sorgt für Aufhorchen.

„Rebeat Digital“, so der Name der Software-Lösung „out of the box“, hat einige wesentliche Details unkomplizierter und eleganter gelöst als die Konkurrenz (die noch dazu meist nur den US-Markt bedient). Zum weltweiten Vertrieb der eigenen Musik bedarf es in Zukunft keiner Bittsteller-Touren bei Plattenfirmen, komplizierter Verträge oder umfangreicher Manager-Aktivitäten mehr. Es reichen die Installation der Software (auf dem eigenen PC wohlgemerkt, wo alle Daten verwaltet werden), eine gültige Bankverbindung mit Kreditkarte, eine unbürokratische Registrierung und eine Portion Selbstbewusstsein bei der Bewerbung und Vermarktung der eigenen Kreativität. Letzteres ist durch Plattformen wie MySpace, YouTube, Last.fm oder den FM4 Soundpark in den letzten Jahren auch deutlich leichter und attraktiver geworden. Eine eigene Homepage und ständige Kontaktpflege mit dem Publikum via Newsletter oder vor Ort bei Konzerten gehören sowieso zum guten Ton.

„Rebeat Digital wurde von Musikern für Musiker entwickelt, darauf sind wir stolz“, merkt Günter Loibl an. „Wir verstehen uns als eine Art kreative Gemeinschaft, hinter der kein großer Konzern steckt“. Daß es nie zuvor so rasch, unkompliziert und kostengünstig möglich war, seine eigenen Songs in Online-Stores wie iTunes, MusicLoad, Libro Online oder AON unterzubringen (um die lokal wichtigsten unter einigen hundert Anbietern weltweit zu nennen), betrachtet der Vertriebsexperte als positive Revolution. „Für Hobby-Musiker, aber auch unabhängige Profis und kleine Labels stellen wir Chancengleichheit her“.

Loibl legt Wert auf Fairness. 85 Prozent der Erlöse (abzüglich Urheberrechtsabgaben) verbleiben beim Künstler, hinderlich lange Vertragsbindungen existieren nicht. Tantiemen werden weltweit über die österreichische Urheberrechtsgesellschaft AustroMechana abgerechnet. Und es gibt einen jederzeit transparenten Einblick in die Verkaufszahlen, Downloads und Abrechnungen. Die Kosten für die Software (99 Euro, im Musikfachhandel oder via Web http://www.rebeat.com) und die Speichergebühren (einmalig ein Euro pro Song) sind ebenfalls überschaubar. Daß „Rebeat Digital“ – noch – nicht für das in Musikerkreisen weit verbreiteten Apple-Betriebssystem Mac OS X verfügbar ist, stellt ebenfalls kein unüberwindliches Problem dar: die Rechner sind inzwischen per Knopfdruck auch als PCs konfigurierbar.

„Rebeat Digital“ kümmert sich um die administrativen Aufgaben des Musikverkaufens und hält den Kreativen den Rücken frei für das, was das Business seit jeher angetrieben und ausgemacht hat: die Musik“, zieht Günter Loibl ein Resümé. In den nächsten Wochen und Monaten ist der innovative Jungunternehmer auf den wichtigsten Branchenevents der Welt zu finden: der NAMM Show in Kalifornien, der MIDEM in Cannes, bei „London Calling“ und bei den Musikmessen in Frankfurt und Shanghai. „Das Interesse ist gewaltig“, so Loibl lächelnd. „Die Zukunftsmusik findet schon in der Gegenwart Gehör“.

The Dear Hunter

6. Januar 2008

Rodney Hunter ist einer der wenigen international vernetzten DJs, Produzenten und Pop-Künstler in und aus Österreich. Gemeinsam mit dem prominenten Experten basteln wir uns einen Remix.

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„There’s not a problem that I can’t fix ‚cause I can do it in the mix“
(Indeep, „Last Night a DJ Saved My Life“)

Der Ort der Verabredung ist Legende: Goldeggasse 1. Eine nicht unnoble Ecke gleich gegenüber dem Wiener Belvedere. Hier ist das G-Stone-Studio Richard Dorfmeisters beheimatet, ein loftartiges Hybrid aus Partykeller, Home Office und Studio. Letzteres, ausgestattet mit einem mächtigen Mischpult, Röhrenverstärkern und dem üblichen folkloristischen Computer-Technologiepark, ohne den kaum eine Musikproduktion der Gegenwart auskommt, findet sich ein paar Kilometer Luftlinie weiter nochmals wieder. In annähernd identer Ausführung. In der Grundsteingasse in Ottakring, wo Peter Kruder zuhause ist. Wenn er denn zuhause ist. Die eine namensgebende Hälfte des Duos, das der Popkultur der neunziger Jahre ihren Stempel aufdrückte, residiert inzwischen vorzugsweise in Paris, die andere vorzugsweise in Zürich. Nur gelegentlich treffen einander Kruder und Dorfmeister noch, und wenn, dann eher auf einem Flughafen in Fernost als im Zentrum der einst so mächtigen Achse zwischen Grundstein- (jenem Ort, dem das K&D-Label den Namen verdankt) und Goldeggasse. Man kann nicht sagen, daß die Studios verwaist wären. Aber von hektischer Betriebsamkeit kann auch nicht gerade die Rede sein.

Das hat Vorteile. Zumindest für Rodney Hunter. Dem es sichtlich leicht fällt, sich hier gemächlich auszubreiten und die Schalter umzulegen, auf dunkelrot signalisierte „On“-Stellung. So oder ähnlich muß es sich anfühlen, wenn ein Pilot seinen Platz in einer fremden Maschine einnimmt, mit der man nicht bis in die letzte Schraube vertraut ist, aber doch ein paar Loopings zu absolvieren gedenkt. Rodney Hunter kennt diese Maschinerie. Sie stand in einer rudimentären Spielzeugvariante schon im Kinderzimmer, in dem auch Nachbarsbub Peter ein- und ausging. Der Drang der „Original Bedroom Rockers“ Hunter und Kruder, der Musikwelt einen Haxen auszureissen, manifestierte sich schon früh. Wenn auch die ersten Anläufe mit Formationen wie der rotzigen Mordbuben AG, wo der Sohn eines US-Discjockeys und einer Wienerin den Bass klopfte, oder Dr.Moreaus Creatures, mit denen man es immerhin zum ersten Plattenvertrag brachte, noch nicht den Durchbruch markierten. Noch. Man verlor sich nicht aus den Augen, als es richtig abging: Kruder & Dorfmeister hie, all over the world, eine Grammy-Nominierung (für ein Jazzalbum auf dem gemeinsam mit dem Radiomoderator Werner Geier betriebenen Label „Uptight“), internationale Hits (wie Leena Conquests „Boundaries“) und unzählige Produzenten- und DJ-Jobs da. Zuletzt in Berlin, wo Rodney Hunter für Szenegrössen wie DJ Tomekk die Beats bastelte. Bis ihn Busenfreund Peter Kruder einlud, doch gefälligst einmal etwas unter eigenem Namen zu machen. Für G-Stone. Das Resultat kann sich hören lassen: da wurden zunächst die „Hunter Files“ aus der Schublade geholt, raffinierte Derivate seiner langjährigen Studio-Erfahrung. Und jetzt, im Winter 2007, macht Rodney mit dem pressfrischen „Hunterville“ auf dicke Hose. Das Album riecht förmlich nach Weltklasse.

Kann man dieses Odeur übertragen? Die Frage ist natürlich polemisch. Aber sie rührt am Wesenskern einer Erscheinung, die die Pop- und Dance-Kultur der letzten drei Jahrzehnte prägte: des Remixes. Ende der Siebziger tauchten die ersten „Disco-Mixe“ auf, verlängerte, beat- und basslastigere Versionen von Chartstiteln, die mit dem Original noch strikt verzahnt waren. Mit der Blüte der elektronischen Musik und mit dem Aufkommen von HipHop, House, Techno, Dub und Drum’n’Bass, geriet der Remix zur eigenen Kunstform. Namen wie Todd Terry, Norman Cook oder William Orbit wurden zu Trademarks. Werkschauen, wie etwa die Kruder & Dorfmeister Sessions von 1998, waren vielfach gefragter als die Ausgangsmaterialien. Sprich: die ursprünglichen Songs. Denn schnöderweise ist ein Remix nicht mehr, aber auch nicht weniger als „eine Neuabmischung eines noch zu veröffentlichenden oder schon veröffentlichten Musiktitels auf der Basis des Mehrspuroriginals“, wie sich auf Knopfdruck in der Online-Standardenzyklopädie nachlesen lässt.

Aber wozu haben wir einen Experten bei der Hand? „Das Spannende an Remixen ist, daß man eigentlich nicht weiß, was man bekommt“, doziert Doc Hunter. „Weder als Konsument oder DJ, wenn man zum ersten Mal in eine Maxi-Single hineinhorcht. Noch als Künstler, der den Remix in Auftrag gegeben hat.“ Natürlich drehe es sich auch darum, so der Produzent, der selbst schon dutzende Male sowohl als Auftraggeber wie auch Auftragnehmer zugange war, beidseitig Nimbus und Namen in die Waagschale zu werfen. Und eventuell eine blasse Vorlage mit deutlichem Signalwert aufzufetten. „Es geht beim Remixen nicht so sehr ums Geldverdienen“, so Rodney Hunter. „Mehr um Anerkennung, Kontakte und Netzwerke. Und um Wiedererkennungswerte für die internationale Musiker- und Fangemeinde“. Daß selbst Grössen wie David Bowie oder Peter Gabriel heute zu Remix-Contests einladen, sei ein Zeichen der Zeit. „Schwer zu sagen, ob es überhaupt noch „definitive“ Originale gibt. Unzählige Versionen eines Songs sind letztlich auch der Versuch, mit relativ wenig Risiko und Einsatz Markenpflege zu betreiben“. Der Nachteil: eine gewisse Übersättigung des Marktes. Nicht jede DJ Ötzi-Single kommt heute in siebzehn Varianten durch die Wirtshaustür.

Wie entsteht ein Remix? Gehen wir die Bastel-Anleitung für den Heimgebrauch Punkt für Punkt durch. Erstens: zunächst gilt es, überhaupt einen geeigneten Track zu orten. „Glücklicherweise lassen einem da befreundete Musiker eine gewisse Wahl“, so der Profi. Nach dem Import der Einzelspuren in ein Programm seiner Wahl (Logic Audio, ProTools, Cubase oder zunehmend auch Ableton Live, das von einer progressiven Berliner Software-Schmiede entwickelt wurde) geht es um die Analyse des Ausgangsmaterials: Tonschlüssel, Grundstimmung, Harmonien, Rhythmus. „Ein wenig Musikverständnis ist grundsätzlich nicht schlecht“, konstatiert Hunter trocken. Schritt drei: es gilt, eine Entscheidung zu treffen, ob es ein Floor-Mix oder eher ein Radio-Mix werden soll. „Hängt natürlich auch von der Aufgabenstellung ab“, so Hunter. „Bei einer Variante für den Dancefloor geht’s vornehmlich um Bum-Bum. Das fällt bei der Selektion von Parts und Pieces, die ich verwenden will, ins Gewicht. Hooks, Gesangslinien, Bassläufe – ich versuche, die markanten Elemente eines Songs herauszuschälen.“ Vier. „Jetzt geht’s daran, die Zutaten zu mischen und die Suppe zu kochen. Wir ändern nach Belieben Rhythmus, Tempo, Tonlage. Ich rate dazu, drauflos zu improvisieren.“. Die Spannung ergibt sich aus Schritt fünf: Breaks, Stops, zusätzliche Melodiebögen, Soundelemente und Tongirlanden sorgen für Überraschungsmomente. „Das geht schon in Richtung Ausarrangieren“, merkt Rodney Hunter an. „Wenn eine gewisse Menge an Endorphinen freigesetzt wird, könnte das Ergebnis hinkommen. Aber es macht immer Sinn, den fertigen Remix ruhen zu lassen und nach ein paar Tagen mit Abstand nochmals zu hören.“

Wie lange dauert eigentlich der Remix-Prozess? „Das Arbeiten mit den modernen Studio-Tools ist recht einfach geworden. Fast schon zu einfach.“ Hunter zuckt die Achseln. „Die Leute sind handwerklich nicht mehr so gut. Früher brauchte man schon Stunden, um mit einer Bandmaschine einen Loop zu improvisieren. Heute ist das Legostein-Frickelei. Aber Genies basteln auch mit der Sony Playstation oder dem Apple-Anfänger-Programm GarageBand geniale Alben, Mixes, Reworks und Re-Interpretationen“. Zwei Tage bis zu einer Woche sitze man schon an einem wirklich probaten Remix, fügt der Jäger des frisch zu gewinnenden Schatzes an. Es gelte, „den Vogel abzuschiessen“. Wie damals, als Richard Dorfmeister den Track „Rollin’ On Chrome“ seiner Schützlinge Aphrodelics remixte. „Der Wild Motherfucker Dub, so hiess das Teil, das läuft heute noch rauf und runter. Weltweit.“

Eigentlich unbezahlbar. Aber unter Kollegen ist man ab zwei- bis dreitausend Euro mit dabei. Wobei sich die lange gepflogene Unsitte, den künstlerischen Subunternehmern keine Urheberrechte zuzugestehen – selbst, wenn sich der Remix fast zu hundert Prozent vom Original unterschied und dieses an Attraktivität weit übertraf – mittlerweise weitgehend verflüchtigt hat. „Es kommt immer drauf an, wer den gewichtigeren Namen besitzt“, so Rodney Hunter. Da dürfte der gute Mann im Umkreis einiger hundert Kilometer derzeit kaum zu schlagen sein.

(RED BULLETIN)

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