Archive for November, 2008

Blut, Schweiß, Tränen

28. November 2008

Regenbogenkoalition, Programmreform, Gebührenerhöhung – es hat alles nichts geholfen: der ORF kommt mehr und mehr in die Bredouille. Hier zehn Spar- & Reformvorschläge. Ernstgemeinte, wohlgemerkt.

orf-krise

Vorweg: ich bin kein Feind des ORF. Auch wenn mich manche dafür halten, aus welchen Gründen immer auch. Im Gegenteil. Die Idee eines öffentlich-rechtlichen Medienangebots, das nicht – oder zumindest nicht ausschliesslich – dem kategorischen Imperativ des Marktes, dem Drang nach Reichweite, Rendite und machtpolitischer Relevanz, gehorcht, ist mir grundsätzlich sympathisch. Der ORF hat einen Mehrwert, eine Qualitätsverpflichtung, eine Aufgabenstellung. Und gar nicht so selten erfüllt er diese Aufgabe auch. Schon recht, werden Spötter einwenden, aber es gibt auch jede Menge Fragwürdigkeiten und Gegenbeispiele. Warum muß Ö3 exakt so tönen, wie es tönt? Was unterscheidet CSI Miami auf ORF 1 essentiell von CSI New York auf RTL? Erschliesst sich der genuin österreichische „Public Value“ des Senders in Programmangeboten wie „Vera exklusiv“, der „Brieflos-Show“ oder „Weihnachten auf Gut Aiderbichl“? Und wenn Landesonkel Pröll eine tägliche Belangsendung wünscht, braucht es dafür ein eigenes ORF-Minimundus in Sankt Pölten?

Nun: über all das lässt sich trefflich streiten. Das wird auch getan. Im Übermaß. Zumindest an hitzigen Scheingefechten mangelt es nicht. Geführt vornehmlich von den Abgesandten und Lobbyisten der politischen Parteien, die sich den ORF pfründemässig in ähnlicher Weise aufzuteilen versuchen wie den Rest der Republik. Das ist die wahre Crux des Unternehmens, und jeder Versuch, die ungenierte Umklammerung aufzusprengen, hat sich bislang als als üble Farce und Schuß in den Ofen herausgestellt. Zudem kommt der Ex-Monopolist mehr und mehr unter strukturellen Druck: zuviel Personal, wuchernde Lohnkosten, privilegienfette Alt- und Sonderverträge, marktferne Werbetarife, sinkende Publikums-Loyalität, zunehmende Hinterfragung des Status Quo im EU-Kontext. Ob Alexander Wrabetz – spät, aber doch – mit seinen vor dem Menetekel der Wirtschaftskrise forcierten Sparvorschlägen sowohl seine Mitarbeiter (samt Betriebsrat), den gravitätischen und oft genug (be)fremd(lich)en Interessen verpflichteten Stiftungsrat und letztlich auch den sog. anonymen Gebührenzahler überzeugt, steht noch in den Sternen. Zu wünschen wäre es ihm. Und uns. Denn eine wirkliche Alternative zur – jahrzehntelang eingeübten und mehrheitlich gern gelittenen – Staatsreligion ORF ist weit und breit nicht in Sicht.

Was tun? Es liegt mir fern, den ungebetenen Besserwisser raushängen zu lassen. Aber natürlich fällt einem als Konsument und (schon historisch ORF-affiner) Medienmensch so einiges auf. Abspeckpotentiale und Einsparmöglichkeiten liegen förmlich auf der Hand. Es scheint jedoch weithin ein Tabu zu sein, sie auch nur anzudenken oder offen auszusprechen. Man könnte ja als Kollegenschwein gelten. Oder als Kulturbanause. Oder als verkappter  McKinsey-Kapitalist. Mir egal. Der gemeine Kolumnist gilt eh als Träger einer güldenen Narrenkappe, also will ich Sie, pardon!, durchaus auch mal mit heiligem Ernst belästigen dürfen. Hier also ein kleiner Merkzettel für ORF-Notretter. Gehen wir der Reihe nach vor.

Eins: TW1. Ich hör’ da immer etwas von „strategischem Interesse“, aber bislang hat mir kein Mensch erklären können, wofür man eisern eine Frequenz mit einem Trash-, Randsport- und Nebelwetter-Sammelsurium besetzt hält. Insbesondere, wenn man das alternativ erträumte Informations- & Kultur-Angebot absehbar nicht finanzieren kann. Und sich eventuell überhaupt auf nur einen – hochwertigen! –  TV-Kanal beschränken sollte.

Zwei:  Mittel- und Kurzwelle. Leute, das World Wide Web ist schon erfunden. Und Internet-Radio lässt sich aus jedem Wohnzimmer betreiben. Von jedermann, ganz ohne ORF-Entwicklungshilfe.

Drei: das Radio-Symphonieorchester. Nice to have, und kulturell natürlich wertvoll. Aber zu den Essentials eines Rundfunkunternehmens hat der Betrieb eines eigenen Orchesters vielleicht noch vor fünfzig Jahren gehört. Längstens. Die ORF-Bigband existiert auch nicht mehr.

Vier: fünf von neun Landesstudios. Tut mir leid, Herr Landeshauptmann. Jeweils ein Stützpunkt im Osten, Westen, Norden, Süden reicht allemal. Provinzkaisertum hat keine Zukunft.

Fünf: externe Beratungsunternehmen. Kein Geheimnis: meist dient Consulting nur der vorsorglichen Absicherung entscheidungsschwacher oder gänzlich unfähiger Manager. Wer immer z.B. BCI zu Ö3 geholt hat und für Kommerz-Rezepturen und Strategie-Banalitäten ungebrochen Millionen zahlt, gehört schlichtweg gefeuert.

Sechs: die Formel Eins-Übertragungen. Sauteuer. Langweilig. Vollkommen unzeitgemäß. Bernie Ecclestone, go home.

Sieben: die ORF-Entwicklungsabteilung.  Sorry, wenn man immer nur „Starmania“ und „Dancing Stars“ (nebstbei: dreist kopierte oder schlicht im Ausland eingekaufte Formate) in einer Art Endlosschleife laufen lässt, kann man sich gleich sparen, so zu tun, als ob („Es ist eh kein Geld da für neue Konzepte…“)

Acht: Abfertigungen für aktive Manager. Das ist, wenngleich ein „wohlerworbenes Recht“, doch eher ein falsches Signal, wenn nicht gar ein handfester Skandal. Übrigens: wie sieht’s denn mit diversen Nebenjobs vorgeblich schwerbeschäftigter Spitzenkräfte aus?

Neun: Leider-nein-Pensionisten. Viele werden zwangspensioniert, einige können sich’s anscheinend ewig richten. Und halten sich für unersetzlich – von Buchner bis Fiedler, von Seledec bis… Sind sie aber nicht.

Zehn: HDTV. Chef-Eierkopf Franz Manola & die Techniker-Elite werden jaulen, aber was soll’s – man kann nicht eisern sparen und gleichzeitig Technologie-Trendsetter sein. Die BluRay-Klientel wird’s verschmerzen.

Zehn sachte Fingerzeige. Zuviel? Zuwenig? Zu radikal? Zu soft? Wie immer auch: die ORF-Zukunft bringt in jedem Fall Blut, Schweiß und Tränen mit sich. Da gibt’s noch viel zu tun. Da muß man durch. Besser mit Schwung als ohne. 

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Das grosse Das-Gras-Wachsen-Hören

14. November 2008

Wo einst bloß uniforme Charts-Helden regierten, erblühen nun charmanter Neo-Folk, abgründige Emotionen und kleinteilige Business-Strukturen: Österreichs Musikszene erfindet sich gegenwärtig neu – und sucht den Weg von der Nische in den (alternativen) Mainstream.

 marilies_jagsch

Wenn es in diesem Business – fernab ästhetischer Detail-Debatten in Insider-Zirkeln – letztlich nur um Verkaufszahlen und Besucherquantitäten, um zähl- und messbare Erfolge ginge, müsste man mit den neuen Helden des österreichischen Pop-Mainstreams glatt Mitleid haben. Auftritt: Cardiac Move. Nie gehört? Es handelt sich immerhin um die diesjährigen Gewinner des „Ö3 Soundchecks”, des grössten Bandwettbewerbs des Landes. Gesucht wurden, wohl in bewusstem Kontrast zu reinen Klon-Maschinerien wie „Starmania”, „echte Bands, die besten Musiker, Sänger und Songwriter mit eigenen Songs” (ORF-Presseaussendung). Gefolgt waren dem löblichen Unterfangen über sechshundert Nachwuchskräfte, erkoren wurden Jonny, Manu, Emi und Kari aus Salzburg. Alias Cardiac Move. Ihre dem Oeuvre der britischen Top-Stars Coldplay spektakulär nachempfundene Hymne „Running In Your Mind” fand via Ö3-Wecker umgehend ein Millionenpublikum und erscheint noch im November beim Major Sony Music. Allein: auf MySpace,  einem der Tummelplätze der potenziellen Käuferschicht, gratulierten der hoffnungsfrohen Combo gerade mal eine Handvoll Freunde. Und „Friends” sind mittlerweile die harte Währung des Musikgeschäfts, Version 2.0. Wer in diesem Internet-Forum auf nicht mehr als 4900 deklarierte Anhänger kommt, bloß 35.000 Profil-Aufrufe vorweisen kann und keine zweieinhalbtausend Hörer findet, die sich per Stream den kalkulierten Charts-Anwärter („Wir machen keine Hits, wir spielen sie”, so Ö3-Musikchef Alfred Rosenauer) vorab zu Gemüte führen mochten, läuft Gefahr, sich alsbald in der tiefen Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit wiederzufinden.

Schnitt. Von den Rändern her, keine zwei Mausklicks entfernt, kriecht, zunächst ganz leise, ein Klaviermotiv in Richtung Gehörgänge. Eine schlichte Akkordzerlegung, mollig-dunkel, elegisch, voll Spieldosen-Dramatik. Dann setzt eine Stimme ein, deren anfängliche Zurückhaltung und Zerbrechlichkeit einer immer grösseren Bestimmtheit weicht. Ehe die Sängerin – und mit ihr der Hörer – sich final und wollüstig dem Pathos ergibt, ist der Spuk auch schon vorbei. „The Sun”, zu finden auf der „MySpace”-Seite von Anja Plaschg alias Soap&Skin, nennt sich das erste reguläre Lebenszeichen der jungen steirischen Sängerin. Das doch – kontrastierend zum Titel – reichlich düstere Stück wollten bislang zwanzigmal soviele entdeckungsfreudige Fans hören wie den zukünftigen Ö3-Hit. Mit knapp einer halben Million Profil-Aufrufen und einer nicht endenwollenden Mitteilungsflut enthusiasmierter Adoranten („Ich brenne für diese Musik!”) ist Soap&Skin kein Geheimtipp der FM4-Szene mehr. Auch im Ausland hat man die Story vom Wunderkind und „nächsten großen Ding” schon antizipiert. Gerade wurde ein Vertrag mit dem weltweit operierenden Indie-Label PIAS unterzeichnet, die deutsche Musikpresse und Kunst-Klientel scharrt in den Startlöchern.

Ob Plaschg, die als Vorbilder Pop-Ikonen wie Björk, Nico, Cat Power, aber auch Namen wie Aphex Twin, Xiu Xiu, Sergej Rachmaninov oder Arvo Pärt nennt, solche Erwartungen erfüllen kann, bleibt angesichts der erstaunlichen Ernsthaftigkeit und Reife ihres künstlerischen Egos zweitrangig. Den zartbitteren Edelkitsch der Piano-Etüden konterkariert sie gern mit einem Elektronikinferno, das samplingtechnisch unter anderem auf der Geräuschkulisse der ländlichen Schweinezucht der Eltern basiert. Eine Diamanda Galas für die eskapistischen Tendenzen der – Copyright Wolfgang Lorenz – „Scheiss Internet”-Generation? Nein, meint Soap&Skin-Mentor Fritz Ostermayer, der den Werdegang der Künstlerin seit einer frühen Eloge in seiner Radiosendung „Im Sumpf” verfolgt. „Mit pubertärer Depro-Seligkeit hat das nichts zu tun. Wenn Soap&Skin ein Stück dem Kinderzimmertod widmet, dann trägt sie die Erfahrung des beschädigten Lebens in sich, dann ist das kein Kokettieren mit den melancholischen Säften der Adoleszenz.” Die Wirkung auf das Zielpublikum dürfte das Seriositätssiegel aber keineswegs schmälern.

Der Hang zu Weltschmerz, Fluchten in imaginierte Fernen und latente Melancholie ist aber auch anderen Szenegrößen nicht fremd. Mit „Black Air” legen diese Woche etwa A Life, A Song, A Cigarette ihr zweites Album vor. Lassen wir die – letztlich kindische – Erbsenzählerei um „MySpace”-Freunde, Airplay und CD-Verkaufszahlen beiseite. Die Gruppe, die der Wiener Sänger, Texter und Gitarrist Stephan Stanzel zusammengetrommelt hat, sorgt ebenfalls seit einiger Zeit für Aufhorchen. „Unbeirrbar” nennt der Liedermacher und Schriftsteller Ernst Molden, das Epizentrum einer wachsenden lokalen Singer-/Songwriter-Szene, den Drang von A Life, A Song, A Cigarette, Töne und Texte zu schaffen, „die ihre Unschuld verloren haben, ohne deshalb auf die Seite der Verlogenen gewechselt zu sein”. Die trefflichste Schublade für die Genre-Zuordnung von Stanzel, Plaschg & Co. ergibt sich somit quasi von selbst: Adult Pop. Puristen werden jede Menge Neo-Folk orten, Americana und europäisches Kunstlied, Post-Punk, Vaudeville, Spurenelemente von Dylan bis Conor Oberst, den Hang zu Graswurzelforschung, ausgefranstem Dandytum und hippieskem Neobiedermeier. Bisweilen wohl auch Epigonales. Doch die Unverdorbenheit und Konsequenz, mit der eine ganz neue Generation hier versucht, eine eigene Spur und Sprache zu finden, ist erstaunlich. In den besten Momenten wird sie fündig, und die Momente werden mehr und ausdauernder.

In einem Atemzug mit A Life, A Song, A Cigarette zu nennen wäre eine ganze Armada begabter (und in der Mehrzahl keineswegs mehr unbekannter) heimischer Aktivisten: allen voran die Niederösterreicherin Clara Humpel, mit ihrer Band Clara Luzia „mittlerweile so ziemlich das Beste, was an Folk europaweit zu hören ist”, um das deutsche Magazin „Intro” zu zitieren. Gleich hinterdrein Marilies Jagsch, Son Of The Velvet Rat, Chris Gelbmann, Mika Vember, Lonely Drifter Karen, Chris & The Other Girls, Paper Bird, wemakemusic*, Agnes Milewski, Axel Wolph, Ben Martin, Fuzzman, Esteban’s, Violetta Parisini, Bernhard Eder. Sogar die szeneweit populäre Protest-Poetin Gustav wurde und wird gern im Umfeld verortet. Mit der alten Austropop-Historie hat diese gewiss inhomogene Kreativgemeinde so wenig am Hut wie mit dem allmählich abgestandenen Vienna Electronic-Hype der neunziger Jahre rund um die Säulenheiligen Kruder & Dorfmeister. Bricht sich hier, spät, aber doch, die Welle der Nuller-Jahre Bahn?

„Von einer neuen Wiener Schule würde ich nicht reden, aber man hat eine sehr feine, stilvolle Art gefunden, mit einer wichtigen internationalen Strömung umzugehen”, meint dazu der ORF-Journalist Klaus Totzler. In seiner spärlichen Freizeit hat der ehemalige Discjockey ein dezidiertes Biotop für die jungen, zarten Pflänzchen der Musiklandschaft geschaffen: die Vienna Songwriting Association, kurz VSA. Neben liebevoll betreuten Einzel-Gigs kann der Verein mit dem „Bluebird Festival” (heuer von 20. bis 22.11. im Wiener Porgy & Bess) mittlerweile einen Dauerbrenner im Konzertkalender vorweisen, wo sich heimische Kräfte mit internationalen Größen und Neuentdeckungen messen. „Das alte Star-Modell ist ein wenig brüchig geworden”, so Totzler, „aber in einer ironischen, alternativen Spielart bleibt es natürlich bestehen – auch wenn wir mittlerweile am elektronischen Lagerfeuer sitzen”.

Letztlich spiegelt die rührige, aber allmählich Früchte tragende, mehr ehrenamtlich denn kommerziell orientierte Tätigkeit des VSA den radikalen Paradigmenwechsel der Musikbranche wider. Man arbeitet mit Do-it-yourself-Pragmatik, kleinteiligen Strukturen und inhaltlichem Anspruch. „Das Cherry-Picking, also die Konzentration der Konsumenten auf wenige Songs, die sie billig oder gratis aus dem Netz herunterladen, ist einer der wesentlichen Faktoren für den Untergang der Musikindustrie, wie wir sie bislang kannten”, merkt dazu der Kulturtheoretiker und Medienfuturist Gerd Leonhard („Music 2.0”) an. „Konsistente Qualität und Originalität bieten die Chance, gegenzusteuern. Und natürlich bringt das World Wide Web ganz neue Möglichkeiten mit sich, ein Publikum zu finden und direkt zu adressieren. Das Konzept von massenkompatiblen Hits verliert an Bedeutung, die Zukunft findet in der Nische statt”, weiß Leonhard.

Tatsächlich konzentrieren sich die wenigen verbliebenen Major-Firmen mittlerweile fast zur Gänze auf „Starmania”-Phänomene und setzen ungebrochen  auf die alten medialen Durchlauferhitzer á la Ö3. Die wesentlichen ideellen Investoren mit Weltanschluss tragen jedoch Namen wie Asinella, Couch, Wohnzimmer, Siluh, Schönwetter oder Buntspecht. Selbstausbeutung ist bei diesen Labels nur am Rande ein Thema. „Noch fressen wir das Gras, das andere wachsen hören”, so Buntspecht-Label-Betreiber Chris Gelbmann. Früher betreute der nunmehrige Songwriter als sogenannter A&R-Manager heimische Pop-Größen wie Christina Stürmer oder André Heller. Heute zieht er im tiefsten Waldviertel eigenes Gemüse: karg, aber selbstbestimmt. „Es schmeckt einfach besser. Bleibt die Hoffnung, daß der Nährwert zu mehr reicht als zum bloßen Überleben.” 

(profil 39/2008)

Goldkehlchen

10. November 2008

Auf der Opernbühne wird gelitten, gestorben, gesungen wie eh und je. Hinter den Kulissen aber tobt ein gnadenloser Krieg um die Renditen der Gegenwart und Zukunft. Ein neuer, skrupelloser Management-Imperativ modelliert Künstlerkarrieren, diktiert Spielpläne, veranstaltet Mega-Spektakel und macht selbst vor klassischen Unvereinbarkeiten nicht halt. 

netrebko-souvenirs

Es gibt keine Ouvertüre zu „La Bohème“. Trotzdem versucht das Premierenpublikum von Robert Dornhelms filmischer Umsetzung des Klassik-Schmachtfetzens keineswegs, der aufdringlichen Nachfrage des „Hi Society“-Kamerateams mit dem simplen Hinweis auf genau diesen Umstand  zu entkommen. „Wie klingt die Ouvertüre zu „La Bohème“?“ Verschämtes Abwinken. Ratlose Seitenblicke. Ab und an ein leises Summen in Richtung TV-Mikrofon, haarscharf an einer nachvollziehbaren Stimm- und Melodieführung vorbeischrammend. Nun: man kann schwerlich beschreiben (oder gar besingen), was es nicht gibt.  Giacomo Puccini kam ohne Ouvertüre aus, er hatte die Oper als durchkomponierte dramatische Grossform in vier Bildern angelegt. Dornhelms Transfer des artifiziellen Groschenromans auf die Kinoleinwand („Ein Stummfilm mit Ton“, so ein diplomatischer Premieren-Gast) benötigt einige Kader mehr. Aber auch hier existiert natürlich kein dezidierter Auftakt, nur eine von Puccini zweckentfremdete orchestrale Einleitung. Das offenherzig ahnungslose Publikum klatscht final Applaus. Das PR-Team der MR-Film ist zufrieden. Letztlich geht es beim Millionenprojekt „La Bohème“ nicht um Klassik-Basiswissen. Sondern um Umsatzzahlen.

Willkommen im Club! Einem Club, dem Sie – frei nach Groucho Marx – niemals angehören wollten. Auch wenn Sie sich nicht betroffen fühlen: sie sind mittendrinnen. Im Pulk der vorgeblichen Klassik-Liebhaber, die die Kosenamen von Anna Netrebkos Nachwuchs auswendig wissen, aber nicht den Familiennamen des neuen Direktors der Wiener Staatsoper („Wie, Holender ist 2010 gar nicht mehr Chef?“). Der Fangemeinde von Elina Garanca und Cecilia Bartoli, die eher an einer optischen „dunkler Nougat/heller Nougat“-Geschmacksnote interessiert scheint als an einem seriösen Vergleich von Gesangsleistungen und Repertoirewahl. Der Kennerschar, die Jonas Kaufmann natürlich nicht, niemals!, mit Paul Potts verwechselt, aber insgeheim schon beider Highflyer-Halbwertszeiten absteckt wie vordem die Aktienkurse der EMI, Warner Music oder DEAG (als derlei noch in Mode war, lang lang ist’s her). Merke: there’s no business like showbusiness. Es soll ja Spötter geben, die die Inszenierungen hinter den Bühnenkulissen dieses Gewerbes anno 2008 für schicksalsträchtiger und spannungsgeladener halten als jene auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten. Solange sich aber ein Publikum in ausreichender Quantität einfindet (die individuelle Rezeptions-Qualität im Zuschauerparkett ist, wie gesagt, ein für Controller eher sekundärer Faktor), wird nichts und niemand die Hegemonie der Walter, Schalter und Verwalter des klassischen Kulturerbes in Frage stellen.

Auftritt Jeffrey Vanderveen. Der Mann gilt nicht gerade als zurückhaltender Impresario, eher schon als „Haifisch im Klassikteich“ („Die Welt“). Vanderveen ist Manager der Netrebko, aber auch von Elina Garanca, Thomas Hampson und ein paar anderen Pferdchen im Stall der neugegründeten Firma UMG (Universal Music Classical Artists Management & Productions). Zur Zeit hält er sich etwas im Hintergrund mit dem Strippenziehen, denn Art und Umfang seiner Tätigkeit sind Gegenstand eines Gerichtsprozesses. Der dreht sich schlichtweg um Macht, um Millionen und die bekanntesten Opernstars der Welt. Und die Geschichte dazu geht so: der Amerikaner Vanderveen, bis Mitte 2008 Vizepräsident der Künstleragentur IMG Artists, wechselte einfach den Arbeitgeber, gemeinsam mit den Kollegen Manfred Seipt und Tom Graham. Dieses Trio leitet nun UMG, ein smartes Business-Vehikel, mit dem der Weltkonzert Vivendi-Universal erstmals auch in das Agentur-, Management- und Veranstaltungsgeschäft einsteigt. Die Firma soll die Topstars der Klassiklabels Deutsche Grammophon, Decca und Philips vermarkten. Praktischerweise nahm Vanderveen gleich Goldkehlchen Netrebko mit. Tenor Rolando Villazón erwägt ebenfalls einen Wechsel. Eigentlich gilt derlei aber unter Gentlemen als unsauber bis unlauter, und Manager-Verträge für Top-Positionen halten für den Fall der Fälle penibelste Sperrfristen, Konkurrenz- und Ausschliessungsklauseln parat. Äusserst erbost reagierte verständlicherweise auch der Firmengründer der IMGA, Barrett Wissmann, der gegen Vanderveen & Co. Klage vor dem State Supreme Court in New York eingereicht hat. Zum Verfahren wird er so zitiert: „Manager wechseln ständig Firmen. Aber hier steht viel mehr auf dem Spiel. Der Prozess dreht sich um grundlegende Interessenskonflikte. Wer schützt in Zukunft die Künstler?“

Gute Frage. Nächste Frage. Denn Ziel der gefinkelten Operationen sind laut Universal-Klassik-Chef Christopher Roberts doch nur „grossartige Künstlerkarrieren, Live-Events und lang währende Marken“. Per Pressemitteilung fügte er noch mit mildem Understatement hinzu: „Das Team um Jeffrey ist ideal geeignet, um Stars anzuziehen oder neue einzigartige Talente zu erkennen.“ Nun: wer die Macht hat, braucht für Magnetismus nicht mehr zu sorgen. Vanderveens Pop-Strategien, die schon Anna Netrebko („In meinen Träumen singe ich nackt“) vom einfachen Mädel aus Krasnodar über gelegentliche Putzfrauendienste im Marinskij-Theater zum Shooting Star der Salzburger Festspiele gepusht haben, funktionieren in der anfänglich beschriebenen, absatzrelevanten Seitenblicke-Society blendend. 

Zum Image-Aufbau und -Transfer bedarf es noch der traditionellen, ungebrochen kultur- und qualitätsversessenen Opernhäuser und Festspiele und deren Intendanten. Noch, aber immer weniger. Die Alteingesessenen schafften es immerhin, sich untereinander zu koordinieren und den Anlauf der UMG, das Geschäft in den Klammergriff zu bekommen und die Gagen der Top-Stars quasi im Alleingang bestimmen zu können, abzublocken. Auch das grossherzige Angebot, Sänger-/innen, Regisseure, Dirigenten zu Rundum-sorglos-Paketen zu schnüren und en gros anzubieten, wurde kühl abgewunken. Vanderveen und seine Mitstreiter wechseln damit tendenziell auf ein anderes Spielfeld: CDs, DVDs, Merchandising- und Devotionalienramsch, Kinofilme (wie eben „La Bohème“) und vor allem gross aufgezogene Live-Megaspektakel samt TV- und Internet-Auswertung sollen den Rubel stärker rollen lassen denn je. Vom kalifornischen Napa Valley über Abu Dhabi bis Singapur reicht das Roll-Out der Fliessband-Events, 15 bis 20 Prozent Vermittlungsgebühren wandern – unter Vermeidung von Zwischenhändlern – direkt in die UMG-Kasse, die auch von den Kartenverkäufen profitiert. Wenn aber die Rollen des Spielplangestalters und Veranstalters, der kommerziellen Rechteauswertung und jene des Künstlermanagements in einer Hand liegen, liegt das Erpressungspotential in der anderen. Ein Schelm, wer Schlechtes dabei denkt.

IMGA-Gründer Wissmann, selbst kein Waisenkind, hat flott reagiert und einen gewissen Jack Mastroianni als Nachfolger von Jeffrey Vanderveen engagiert. Der Mann mit dem südländisch klingenden Namen gilt ebenfalls als „scharfer Beisser im Haifischbecken“ („Die Welt“). Einst machte er sich als Manager von Cecilia Bartoli selbstständig. Mittlerweile kommt die Sopranistin ohne ihn aus. Die Gagen kassiert sie nun auf eigene Rechnung. 

(FESTSPIEL MAGAZIN)

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