Archive for Januar, 2009

Affenzirkus 2.0

28. Januar 2009

Herzlich willkommen in dieser meiner bescheidenen virtuellen Hütte. Ich habe Schaumwein eingekühlt. Wenn das so weitergeht, kann ich morgen einen runden Fünfundzwanzigtausender feiern.

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25.000 Zugriffe auf diesen Blog (dieses Blog?, bin immer noch unsicher, ob Weblogs jetzt männlich oder sächlich sind… Plädiere, zeitgeistsensitiv, final für einen weiblichen Artikel… aber ich irre vom Thema ab) nämlich. Kann, soll, darf man auf ein derartiges Jubiläum stolz sein? Im Schnitt hat diese Seite so um die fünfzig Besucher täglich, und die meisten verirren sich hierher, weil sie Stichworte wie „Falco“, „Schallplatte“, „Ö3“ oder „Roxy Music“ in die Google-Suchzeile eingegeben haben. Soll sein, klein, fein. Und mein. Mein Archiv nämlich. Ein öffentlich zugängliches Archiv. Voller Artikel, Kolumnen und Kommentare, die ich zuvor meist schon andernorts veröffentlicht hatte (ja, doch, in Old School-Printmedien, gegen Bezahlung!). Im Gegensatz zu vielen Bloggern – die dafür meinen Respekt haben – schrieb und schreibe ich nur selten etwas exklusiv für diese intime Lesergemeinde. Das erschiene mir denn doch ein wenig als Energie- und Ressourcenverschwendung. Oder sagen wir so: bislang verspürte ich nicht den inneren Antrieb, mich intensiver der Blogosphäre zu widmen.

Ich will’s nicht verschreien, aber das könnte sich ändern. Und kurioserweise ist immer ein Mann daran (mit) schuld, der mich nun auch schon mehr als fünfundzwanzig Jahre durch’s Leben begleitet, um es mal so prosaisch zu formulieren. Das verbindet, bei allen Abstossungskräften, die gelegentlich auch querschlagen, als hätte man einem Magneten das falsche Ende zugekehrt. Der gute Mann heisst Martin Blumenau, und mit aller gebotenen Vor- und Rücksicht wage ich ihn als Freund zu bezeichnen. Und Pappenheimer. Blumenau, ein Überzeugungstäter vor dem Herrn, war schuld daran, daß diese Site „on air“, also online ging – der Aufhänger und Anlaß (nachzulesen hier) war definitiv kein biographisches Highlight. Weder für ihn. Noch für mich.

Sagen wir so: es handelte sich um eine (wie mir ungebrochen dünkt) notwendige Auseinandersetzung. Die zu allerhand Erörterungen, Erkenntnissen und auch zu substantiellen Detailverbesserungen geführt hat. Zumindest empfinde ich heute das Reizthema „Zensur“ auf fm4.at nicht mehr als solches. Nur das Stalin-Konterfei würde ich, nebstbei, nicht mehr zur Illustration der Causa heranziehen. Im Oktober 2005 hab ich’s getan, da wusste ich noch nicht so recht Bescheid in Sachen Netiquette. Doch was liegt, das pickt, wie man so sagt. Im World Wide Web sollte man sich das doppelt und dreifach hinter die Ohren schreiben.

Nun, etwas mehr als drei Jahre später, spielt’s abermals Granada. Warum? Weil gerade Intellekto-Wrestling en vogue zu sein scheint in der heimischen Medienarena. Nicht nur „Presse“-Chefredakteur Michael Fleischhacker und „Falter“-Doyen Armin Thurnher prügeln und stechen aktuell aufeinander ein (allright, Thurnher mit vergleichsweise feiner Klinge), aus vergleichsweise nichtigem Anlaß, sondern auch Freund Blumenau und Freund Fluch. Der Karl hat dabei aber keinen Karl, wie mir scheint. Und der Martin ist auch ein wenig gefangen in der sich selbst zugedachten Rolle des Hauruck-Provokateurs im Auftrag der Denkrevolte. Tja. Eigentlich gings und geht’s hier, hier und in unmittelbarer Folge hier und hier um – nichts. Oder zumindest nicht viel. Eventuell eine persönliche Verstimmung. Eventuell auch um eine Generalrettung des österreichischen Musikjournalismus und seiner Protagonisten.

Jedoch, ohne das (insgesamt wenig erhellende) Hickhack nochmals aufdröseln, analysieren oder gar ausführlicher kommentieren zu wollen: der Anlaßfall, ein routiniert-belangloser „Standard“-Artikel zur Historie und zum Status Quo von Franz Ferdinand, aufgehängt weniger am Live-Auftritt beim FM4-Fest als am neuen Album, war als vermeintliches Negativbeispiel schlecht gewählt. Weil insignifikant. Die Kritik an der Kritik unsachlich, überspannt, unnötig. Das teilte ich Blumenau mit. Online. Öffentlich einsehbar. Ich war somit, zugegeben, nicht nur Zaungast beim Insider-Infight, sondern mischte ein klein wenig mit. Thema, Protagonisten und Procedere – allesamt aufreizend. Meine Freundin, die sich aus derlei notorisch raushält (bis ihr professionell und/oder persönlich der Kragen platzt, was selten vorkommt), beschimpft mich dann als weiteren bösen Buben im Böse-Buben-Zoo. Und sie hat ja nicht gänzlich unrecht (und keinen Facebook-Account).

Aber man kann nun mal schwerlich raus aus seiner Haut. Hie Glashaus, da Steine. Und es ist, hoppla!, lasterhaft lustig und latent lehrreich, sich in dieser postmodernen Denksporthalle zu tummeln. Und eventuell noch extraordinär zu exhibitionieren. Affenzirkus 2.0. Wenn dann der Zeiger zuckt, dann kitzelt das das Ego doppelt. Irgendein Kommentator (zeitgemässer: Posterboy) hat diese Seite im „Standard Online“ verlinkt, und das treibt die Zugriffszahlen in ungeahnte Sphären. Mehr als 500 Zugriffe verzeichnete das WordPress-Dashboard heute, und gestern waren’s nicht viel weniger. Na bumm. Da geht die Elektropost ab. Vielleicht sollte ich einen Online-Kiosk aufmachen, und die neugierigen Flaneure mit Würsteln, Bier und Senf bewirten. Oder Kontakt mit einer Agentur aufnehmen und Banner schalten. Oder Rupert Murdoch anrufen. Werd‘ ich am Ende noch, Blumenau und Fluch sei’s gedankt, reich und berühmt mit prima Primatenkacke und Blog-O-Matic-Sekundär-Absonderungen?

Nö. Nicht die Bohne. Nicht der Funken einer Chance. Das ist auch gut und gerecht so. Keine Ahnung, was man hier zu finden glaubt oder hofft, ich plädiere auf Freispruch. Dank mildernder Umstände. „That’s entertainment!“, frei nach The Jam. Zumindest ein paar kurzweilige Zeilen werden sich schon finden (wenn auch nicht von jener erregten Dringlichkeit wie in der Blumenau-Fluch-Schlammschlacht vor johlendem Publikum). Zeilenhonorar fürs Lesen gibt’s keines. Dabei ist das hier keine (!) Zweitverwertung.

Sondern ein beiläufig hingekritzeltes, eigenadressiertes, bügelfaltenfreies Jubiläums-Billet.

Und das Medium die Botschaft. Danke für die Blumen, danket Blumenau im speziellen, lasst Fluch in Ruhe, hört die neue Franz Ferdinand-CD (die ist nicht schlecht), meinetwegen auch 1000 Robota oder Kurt Sowinetz („Alle Menschen werden Brüder“), startet einen eigenen Meta-Blog, geht jetzt schlafen, es ist spät, auf Wiederlesen.

P.S.: Der Lach-Satz des Jahres 2009 ist übrigens auch schon öffentlich dokumentiert, kurioserweise vom Urheber selbst – hier. „Mein Essen bestand aus einem halben Grillhuhn und einem kleinen Bier“.

P.P.S.: Knecht hat mich in den Facebook-Wahnsinn reingetrieben. Darüber wird auch noch zu reden sein.

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Merci de votre demande

21. Januar 2009

Die Musikbranche pflegt, wie verwandte Branchen, diverse Folklore-Veranstaltungen, allen voran das alljährliche Come Together auf der MIDEM in Cannes. Auch wenn das geschäftige Gewusel in sonnigen Cafés und schummrigen Hotel-Bars am Boulevard de la Croisette etwas von der Zeit überholt wirkt, war sie bislang ein Fixtermin. But times are a-changin‘. Danke der Nachfrage, ich war heuer nicht auf der MIDEM.

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Warum? Weil mir die Franzosen mit ihrem Schmäh, der Musikbranche überteuerten, abgeblätterten Siebziger-Jahre-Snobismus als Business-Umfeld anzudienen, seit längerem schon auf die Nerven gehen. Und weil es für Betriebsausflüge mit Sektempfang und Austernschlürfen anno 2009 sowieso wenig Grund gibt. Eventuell sogar gar keinen.

Passend dazu, nebstbei, diese Meldung:

„Nach Meinung der Experten auf der diesjährigen internationalen Musikmesse MIDEM im französischen Cannes wird die entscheidende Innovation in der Musik nicht aus der Musikindustrie selbst, sondern von außen kommen. „Die sind nicht hier auf der MIDEM. Die arbeiten fleißig in irgendeiner Garage“, sagte Terry McBride vom kanadischen Label „Nettwerk“ auf die Frage, welche Innovation das Musikbusiness der Zukunft formen werde. Aber eines sei klar: „Entwickler werden dieses Business von außen so stark umwälzen, wie es noch nie zuvor geschehen ist. In einem Jahr werden wir auf der MIDEM über ein radikal anderes Musikbusiness reden.“

Na, da warten wir mal auf nächstes Jahr ;-). Und wärmen uns inzwischen an Worten wie diesen:

„Trost für die Musikindustrie hatte zuletzt Zukunftsforscher David Smith („Global Futures and Foresight“) über – sie sei mit ihrer Innovations-Trägheit nicht alleine. Auch die Ketchup-Industrie sei mit einer ganz schlechten Idee gestartet, einer Glasflasche, aus der die rote Sauce nur schwer herauszubekommen war. Die Lösung war einfach – aber bis jemand auf die Idee kam, stattdessen zusammendrückbare Plastikflaschen auf den Kopf zu stellen, dauerte es 130 Jahre.“

Scheiss-Internet, revisited

20. Januar 2009

Was ist los mit den Gurus, Vordenkern und Experten der heimischen Medienszene? Nicht wenige üben sich in angewandtem Kulturpessimismus und aggressivem Internet-Bashing. Ein irritierendes Zeichen zur Zeit.

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Es war ein Sturm im Wasserglas, gewiss, aber die Reaktion darauf deutlich. Und womit? Mit Recht. Denn alles nur auf ein absichtsvolles Momentum der Provokation zurückführen zu wollen, greift leider zu kurz. Wir erinnern uns: bei einer Podiumsdiskussion beim Grazer “Elevate”-Festival im November 2008 sorgte ORF-Programmchef Wolfgang Lorenz für Aufhorchen, als er vom “Scheiss-Internet” sprach und davon, daß sich eine ganze Generation in den Weiten des World Wide Web “verkrümle”. Lorenz wurde im Lauf der hitzigen Diskussion nicht müde zu betonen, daß er von neuen Medien wenig Ahnung hat. Im Gegenteil. Es sei “ihm scheissegal, was drinnen steht und was Jugendliche darin machen”. Gesellschaftspolitisches Gewicht hätte derlei Firlefanz eher nicht. Und so weiter. Und so fort. Die Frage bleibt: kanalisiert sich so der Frust über den ungebremsten Relevanz-Verlust des Fernsehens in der Zielgruppe 10 – 45? Handelte es sich bei den Statements um launige Sticheleien, um die „Digital Natives“ aus der Reserve zu locken? Oder stecken hinter diesem Ausbruch ein signifikanter “Hinter mir die Sintflut”-Zynismus, ungebremste Scheuklappen-Mentalität, ein latenter (oder ganz realer) Generationenkonflikt?

Das dumpfe Bedrohungsszenario Internet scheint dieser Tage ja fröhliche Urständ’ zu feiern. Schwerpunktmässig bei den
Leithammeln der Old School-Medien (um das mal so flapsig zu formulieren). So hat etwa ORF-Kollege Franz Manola, der den einen als origineller Querdenker, anderen als manische “unguided missile” gilt, in einem bemerkenswerten Beitrag im “Standard” folgende – ungrob dem Kontext entrissene – Thesen aufgestellt: “In unserem medialen Alltag hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht furchtbar viel verändert”… “Der Fernseh-/Radio-Komplex ist 2008 real das unbestrittene Primär- und Leitmedium, vielleicht mehr denn je”… “Als Medienexperte kann nur einer anerkannt sein, der die Medienrealität ausblendet und träumt”. Vom Web 2.0, 3.0 et al nämlich, von User Generated Content, von Google, YouTube und Wikipedia, Twitter und Facebook, von der New Media-Medienmacht. Alles Papperlapapp. Zumindest im Vergleich zum Fernseh-/Radio-Komplex. Zumindest aus der Warte des ORF-Chefdenkers.

Nun könnte man den bilderstürmerischen Rundumschlag – vor allem die pauschale Herabwürdigung kontroversiell
argumentierender Medienexperten zu “Träumern” – natürlich leichterhand gegen seinen Urheber wenden. Der gute Mann (der immerhin ORF.ON zu dem gemacht hat, was es heute ist) versucht sich in Vorwärtsverteidigung, wo der Rest der Küniglberg-Truppe ein verzweifeltes Rückzugsgefecht führt. HDTV muss her, damit die strahlend helle TV-Zukunft noch feinpixeliger, schärfer und strahlkräftiger wird! Um jeden Preis. Scheiss’ auf non-lineare Medien (hochauflösende Bilder kann selbstverständlich auch das Web transportieren), spuck’ auf diesen Hort des billig zusammengeschusterten “contents” (den selbstverständlich zuvorderst die herkömmlichen Medien in ihren Online-Extensions produzieren, nicht zuletzt der ORF – man werfe einen Blick z.B. hierher), der Niveau-, Zügel- und Regelllosigkeit und galoppierenden Anarchie. Eventuell wird’s ja auch wieder besser, aber vorerst wurde und wird alles schlechter. Und so weiter. Und so fort. Sorry: ist es nicht extrem irritierend, dass sogar ein ausgewiesener Web-Flüsterer wie Manola so polemisch, durchsichtig und realitätsfern in das Geschrei der Kulturpessimisten einstimmt?

Aber vielleicht ist derlei auch nur gewollt origineller Mainstream-Antagonismus. Reich-Ranicki, umgelegt auf neuere Medien als das Fernsehen? Postpubertäre Pose? Oder schlichtweg der Versuch, These, Anti-These und Synthese in einer Person zu vereinen (und damit überhaupt unangreifbar zu sein). Aber wozu? Und für welches Publikum? Manola, der gewiss meint, von der Blogosphäre über Ö3 neu bis FM4 so allerhand (um nicht zu schreiben: so ziemlich alles) (mit)erfunden zu haben, lässt als dialektischer Missionar in eigener Sache ja auch Sätze wie diese vom Stapel: „Von allen Medien dieser Welt ist mir Radio zeitlebens fremd. Ich weiß nicht, warum Menschen Radio hören“ („Der Standard“, 29.10.2008). Eventuell geriert sich Mister Egghead demnächst aber auch, who knows, als entrückter Eremit, der noch nie etwas mit Medien zu tun hatte, aktuell zu tun hat und jemals zu tun haben wird. Abgesehen davon, dass er ihre Existenz determiniert.

Im aktuellen Triptychon der Lordsiegelbewahrer findet sich – zu meiner persönlichen Überraschung, ich gesteh’s – auch
“Falter”-Herausgeber Armin Thurnher. “Warum ich mich weigere, das Internet wirklich ernst zu nehmen” titelte er dieser Tage eine Polemik – leider nicht nachzulesen auf der auch sonst eher kargen „Falter“-Website – wider das dunkle Universum voll von “Elektromänaden, egomanischen Ich-AGs der Blogosphäre, hemmungslosen Dienstleistern (von Pornoindustrie bis Glücksspiel) und Massen von habituellen Selbstvermummern“. Auch hier blieb das grosse Kopfschütteln nicht lange aus. Zwischen Beobachtungen und Erkenntnissen, die gewiss diskussionswürdig sind (und auch intensiv diskutiert werden, z.B. hier, hier, hier, hier, hier oder, von wegen Anonymitätsdebatte, hier), und einer ansatzweise hysterischen, ressentimentgeladenen, rückwärtsgewandten Suada liegen Abgründe. Seltsam, was sich hier auftut.

Die Quantität und Qualität der Stimmen und Gegenstimmen – mir fiel etwa ein trefflicher Leserbrief (ja, das gibt’s noch!) des ORF ON-Redakteurs Gerald Heidegger auf; noch ist nicht aller Tage Abend am Küniglberg – wird den Diskurs voranbringen. Oder auch nicht. Die “Artikulationsmaschine” Internet sei, so Heidegger, vor allem ein Anlass für altgediente Medienmacher, über die eigene Medienbefindlichkeit und den publizistischen Grundauftrag neu nachzudenken. D’accord. Wer sich dem verweigert, läuft Gefahr, sich tolldreist selbst ins Out zu manövrieren. Und von der “Scheiss- Internet”-Generation ungerührt links liegen gelassen zu werden.

Und womit? Mit Recht.

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