Die Hits von heute sind die Oldies von morgen. Die Zukunftsmusik für das gute, alte Dampfradio spielt möglicherweise im Internet. Digital, aber ohne Grenzen und Monopole, die EU-Bürokraten und UKW-Platzhirsche gerne geschützt wüssten.
Ein ganzer Kofferraum voll Technik: so präsentierte man mir einst, es muß gegen Ende der achtziger Jahre gewesen sein, die Zukunft des Radios. DAB, Digital Audio Broadcasting, so lautete der in verschwörerischem Ton vorgetragene Expertenspruch auf der Berliner Funkausstellung, werde die analoge Ultrakurzwelle schon bald ablösen. Spätestens dann nämlich, wenn das zentnerschwere Ausstellungsstück, das als Prototyp eines „Autoradios“ den staunenden Betrachter eher LKW als UKW oder DAB assoziieren ließ, zu eleganter Handlichkeit, Normgröße und Alltagstauglichkeit geschrumpft wäre. Also in längstens drei bis fünf Jahren. Das ist, wie gesagt, rund zwei Dezennien her. Und mittlerweile wird zwar Fernsehen digital übertragen, sei’s terrestrisch, per Kabel oder Satellit, und auch Rest der Medienwelt hat sich strikt auf Nullen und Einsen eingeschworen – nur der Rundfunk strahlt sein Programm ungebrochen über jene Sendemasten ab, die vor einem halben Jahrhundert oder mehr errichtet wurden. Und wird das noch lange tun. Auch wenn die Europäische Kommission ebenso hochoffiziell wie unbeirrt erklärt, Ziel sei es, analoges Radio bis zum Jahr 2010 abzulösen. Da trifft sich’s ja gut, daß der ORF mit Ende des Vorjahrs sein DAB-Versuchsprogramm eingestellt hat. Ka Geld, ka Zukunftsmusi.
Gibt es nun einen Silberstreif am Horizont für Digitalrundfunk – oder nicht? Gute Frage. Nächste Frage. DAB-Empfänger findet man zwar auch hierzulande vereinzelt in den Regalen der Elektromärkte, aber es sind Exoten für Radio-Erotomanen. Oder Nichtsahnende, die ein Stück Technik nur dem Formfaktor oder Preistaferl nach beurteilen. In Großbritannien soll das mit dem fortschrittlichen Broadcasting gut funktionieren, was aber stellt man in Wien, Krems oder Schruns-Tschagguns mit solch einem Gerät an? Eventuell strahlt ja im Westen ein deutscher Sender ein. Oder einer aus der Schweiz. Denn diese Länder halten DAB die Stange. Mehr oder weniger loyal. Andere Staaten argumentieren, eigentlich sei diese Technik auch schon wieder ein alter Hut, und haben sich anderen Verfahren wie DAB+ zugewandt. Oder setzen forsch auf Abwarten. Wie die Gerätehersteller. Der Markt soll entscheiden. Dabei beißt sich die Katze seit Dezennien in den eigenen Schwanz: keine Digitalprogramme, keine Nachfrage, keine Geräte, keine Hörer, keine Reichweiten, keine (oder nur derivative, hoch subventionierte Alibi-)Programme, keine Nachfrage… Und so weiter und so fort. Ob wir alle solchermaßen noch mal auf das Kürzel DAB eingeschworen werden, darf nun allmählich doch bezweifelt werden. Trotz einiger hundert Millionen Euro, die seitens der EU in eine technokratische Idee gesteckt wurden. Und eventuell noch werden. Mindestens gleichviele, omnipräsente und klaglos funktionierende UKW-Empfänger sprechen dagegen.
Der Radio-Enthusiast hat längst ein anderes Lieblingsspielzeug erkoren: Webradio. (Fast) jedes Handy kann das heutzutage, jeder PC und Laptop, von Spielkonsolen, Streaming Clients und HiFi-Anlagen mit Netzanschluß ganz zu schweigen. Seit es selbst bei Eduscho WLAN-taugliche Küchenradios zu erstehen gibt, muß man kein Early Adopter mit Nerd-Tendenzen sein, um sich solch ein Ding selbstverständlich neben die Brotdose zu stellen. Und rasch mal zum südafrikanischen Roots Reggae-Sender oder zur Sonntagspredigt auf Spirit FM (Tampa, Florida) zu kurbeln. Der „Carrier“, also der Weg, wie derlei an meine Ohren kommt, ob per Langwelle, Satellitensignal oder World Wide Web, ist mir letztlich so schnurzegal wie jedem durchschnittlichen Konsumenten. Hauptsache, es tönt erfrischend.
Ich hatte vor einigen Wochen ein handliches Gerät von Terratec namens Noxon iCube zum Rumspielen zur Verfügung – und, ja, das kann was. Man wähnt sich am Weltempfänger 2.0. Mehr als 11.000 Radiostationen stehen auf Abruf zur Verfügung, tausende Podcasts, und, hoppla!, die gute alte Ultrakurzwelle. Für den, der’s braucht. Oder risikolos seinen Siebziger Jahre-Radiowecker ersetzen will. Liegt die Zukunft für Ö3 in Regionalnachrichten und lokalen Verkehrsdurchsagen? Sagen wir so: daß der Sender gerade eine iPhone-Applikation präsentiert und in Facebook ein Fan-Forum eröffnet hat, ist kein Zufall. Oder wie es der deutsche Radioexperte Klaus Goldhammer auf den Medientagen München formulierte: „Die Zeiten überschau- und kontrollierbarer UKW-Naturschutzgebiete sind vorüber“. Selbst die RMS Austria, die Radiovermarktungsgesellschaft der Privatsender, hat das erkannt – und will in Hinkunft, vielen Widerständen zum Trotz, auch Webradios in ihr Angebot für Werbekunden aufnehmen.
Einen probaten ersten Überblick über die Situation verschafft die kürzlich online geschaltete Seite www.radio.at. Natürlich knabbern auch andere Entwicklungen und neue Konkurrenten am Status Quo. Von artifiziellen Streaming-Angeboten wie Last.fm (sic!), Byte.fm oder dem Wiener DJ-Speicher Play.fm über UMTS- und DVB-H-Handies mit Radioempfang bis hin zu TelKo-Providern, Entertainment-Giganten und Hardware-Herstellern wie Apple, Sony oder Nokia, die demnächst mit opulenten „All You Can Eat“-Download-Offerten eine Art alternatives Schlaraffenland für Musik-Fanatiker eröffnen wollen. Und werden. Wer personalisierten Playlists den Vorzug gibt, ist wohl sowieso rasch verloren für lineare Programmangebote. Das Radio, das fundierte Information, kurzweilige Comedy und die Ansagen der Lieblings-Moderatoren mit meiner höchstpersönlichen Jukebox-Bestückung kombiniert, ist noch nicht erfunden. Leider.
Wie leider auch noch keine Lösung für den weiland größten Nachteil aller web-basierten Stationen vorliegt: im Auto gibt es kein brauchbares Empfangssignal. Erfinder, Entwickler, Elektrobastler – bitte melden! Wer für die Blech-Kathedralen unserer mobilen Gesellschaft den Anschlußstecker in petto hat, dürfte bald in einem Atemzug mit Edison, Tesla, Marconi, Gates und Jobs genannt werden. Meanwhile we’re stayin’ tuned.