Menschmaschine – was ist, kann, soll das? Diese Frage taucht dieser Tage öfter mal auf. Zurecht? Sagen wir so: eigentlich sollte die Frage lauten: Menschmaschine – was ist, kann, soll, will, darf das nicht? Denn wir haben es mit einer, nun ja: Menschheitsbeglückung ganz neuen Typs und unfassbarer Dimension zu tun.

Ich ahne mittlerweile, worauf ich mich da eingelassen habe. Oder sagen wir so: ich weiß es, aber noch tue ich so, als wüsste ich’s nicht. Alles hat mit einer flapsigen, unvorsichtigen, spontanen Bemerkung zu Thomas Gratzer begonnen. Gratzer ist, wie mittlerweile nicht nur Eingeweihte wissen, Direktor des Wiener Rabenhof Theaters, das sich mehr und mehr als alternative Semi-Kult-Spielstätte etabliert (ich sage immer „die Löwingerbühne der FM4-Generation“ dazu). Es war wohl irgendeine Maschek-, Stermann & Grissemann- oder Neo-Kottan-Premiere, wo ich, wie üblich, als „+1“ der Senderchefin herumlungerte. Und dann kam, ganz Hausherr, Gratzer vorbei und spendierte, wie üblich, ein Bier. Oder zwei. Jedenfalls sah ich mich irgendwann, in dieser launigen Atmosphäre generell auf Modernismus und Zeitgeistiges pochend, zu der erwähnten Flapsigkeit veranlasst. Sie lautete: „Wann bringt das Rabenhof Theater das erste Facebook-Musical auf die Bühne?“.
Und schon nahm das Unglück seinen Lauf. Denn Gratzer replizierte trocken: „Wenn Du es schreibst, sofort“. Nun schreibe ich gerne, aber eher Kolumnen, Kurzgeschichten und Kleinkram, und mit dem Genre „Musical“ habe ich bekanntermaßen wenig am Hut. Mit Facebook schon mehr. Aber natürlich war das nur so dahingesagt, wie gesagt: dem Drang nach Modernismus und Zeitgeist geschuldet, den mir Übelmeinende eher als modischen Opportunismus auslegen werden. Noch konnte ich ja nicht ahnen, daß man schon wenige Monate später allerorten auf ähnlich krude Ideen kommen würde – von der Twitter-Oper bis zum einschlägigen Hollywood-Film und Facebook-Roman. Wahrscheinlich schreibt Daniel Glattauer gerade an einem. Video killed the radio star, und jetzt frisst die digitale Revolution ihre eigenen Kinder.
Was soll das überhaupt sein, was ich da so forsch als „Facebook-Musical“ in Aussicht gestellt hatte (und was sowieso die Absichten und Möglichkeiten des Rabenhof Theaters schon im Ansatz übersteigen musste)? Gute Frage. Nächste Frage. Denn außer einem dünnen, unabsichtlich als Konzept mißzuverstehenden Propagandatext – der sich allerdings keineswegs verstiegener Superlative und apokalyptischer Szenarios enthielt – hatte ich zunächst nichts. Keine Idee. Keine Ahnung. Keinen blassen Schimmer. Ja, gewiß, da gab und gibt es halblustige Bildchen und Videos én masse im Internet, und jede Menge Idioten (darunter ich), die diversen Fetischen 2.0 huldigen. Die sich für die Intelligenteren unter uns rasch als unheimliche Zeiträuber, Banalitäten-Zentrifugen und Beziehungskiller erwiesen. Die noch Intelligenteren verliessen alsbald also Facebook, Twitter, Xing & Co. Die anderen (darunter ich) blieben kleben wie Fliegen an einem Honigfliegenfänger.
Okay, daraus ließ sich ein Drama ableiten. Eine Tragödie. Oder ein Lustspiel. Eine Tragikomödie. Eventuell auch eine Farce. Was tun? Das hat nicht nur Lenin beschäftigt. Das sollte bald auch die Rabenhof-Crew beschäftigen. Ich wollte ja das, äh, Musical innert weniger Tage auf die Bühne hieven, von wegen Aktualität, Dringlichkeit, Spontanität (und wer weiß, vielleicht will im Herbst ja niemand mehr etwas von Facebook wissen? Und Zwitschern bei Twitter ist gänzlich aus der Mode geraten? Und selbst YouPorn interessiert keine Sau mehr?). Aber Gratzer & Co. rieten davon ab. So rasch gehe das nun mal nicht. Als besonders pessimistischer Quertreiber („Was soll das überhaupt sein, dieses Web 2.0-Ding?“) stellte sich ein gewisser Roman Freigassner heraus, seines Zeichens Co-Direktor des Rabenhof. Der Wichtigmacher stellte doch glatt eine Wette in Aussicht (und eine Flasche Wodka für den Gewinner): ich würde es niemals schaffen, mit diesem ominösen Vorhaben den Zuschauerraum zu füllen. Und das Publikum für dieses Machwerk Eintritt zahlen zu lassen. Freiwillig. Und überhaupt. Top, die Wette galt!
Seitdem bin ich rastlos auf der Suche nach Inhalten. Mitstreitern. Artisten, Tieren, Attraktionen. Bill Gates ist leider verhindert (irgendwelche Charity-Projekte, wasweißich), Steve Jobs dito (die Gesundheit, ja, dabei keept doch an Apple a day the doctor away, sagt man). Und Ritchie Pettauer, Robert Misik oder Comandantina Dusl haben wahrscheinlich auch keine Zeit. Die Online-Generation geht ja eigentlich gar nicht mehr aus dem Haus. Armin Wolf habe ich noch nicht gefragt, das würde ich mich nie trauen.
Aber wenn wir schon beim guten alten ORF sind: mir wurde das latente Interesse der Herren Hermes und Haipl (beide FM4) und Forcher (Ö3) zugetragen. Alle drei, das stellte sich rasch beim vertraulichen Plausch in der Funkhaus-Kantine heraus, sehen in ihren derzeitigen Jobs keine grosse Perspektive. UKW-Dampfradio, wer will und braucht das noch? Und nur weil der ORF auch ein wenig im World Wide Web mitmischt und hie und da ein paar Bits- und Bytes-Brosamen für altgediente DJs und Moderatoren abfallen, heisst das noch nicht, daß hier die Zukunftsmusik spielt. „Kannst Du da nicht etwas für uns tun?“ fragte zögerlich Herr Hermes. Clemens Haipl setzte nach: „Weisst Du nicht einen Rat?“ und Eberhard Forcher ergänzte hurtig: „Womit können wir anno 2009 unsere Schäfchen ins Trockene retten?“. Nun: er und die anderen zeigten sich alsbald von funkelnden Schlagwörtern wie „Social Communities“, „Schwarmintelligenz“, „Streaming Media“ und „Web 2.0“ magisch angezogen. Twitter, Facebook, MySpace & Co., ja davon hatte man schon einmal gehört (von YouPorn sowieso). Das könnte etwas sein, das könnte vor allem noch mehr werden, das klang nach dem Shangri-La des dritten Jahrtausends. Nach der Chance schlechthin.
Seitdem habe ich leichtes Spiel. Das vormalige „Musical“ würde jetzt, AusdruckstänzerInnen kannte ich sowieso keine, ein Art öffentliches Bühnen-Happening mit Publikumsbeteiligung werden. Und die Herren Hermes, Haipl, Forcher – rasch zur „Menschmaschine“ geformt (danke, Kraftwerk, für die unterlassene Unterlassungsklage!) und als solche kostümiert und tituliert – surfen, mailen, tweeten, twittern, xingen, googlen und blättern öffentlich im Gesichtsbuch, was das Zeug hält, führen launige Gespräche und spontane Kuscheldialoge, versuchen mit dem mächtigen Maschinenpark (danke an den generösen Sponsor Digitalstore Vienna!) klarzukommen und haben sich dazu einige Gäste, Freunde, flüchtige Online-Bekanntschaften und musikalische Kontributoren eingeladen. Und immer mischt das p.t. Publikum innerhalb und ausserhalb des Rabenhofs mit. Per Twitter-Wall. Und Live-Blog. Und und und. Absehbar: Chaos pur. Und von tiefsinnigem Konzept, Diskurs, Gehalt keine Spur.
Aber egal: ein wenig Kurzweil, semierotisches Knisterknaster, pseudoideologische Medienkritik und lustiges Zeit-Totschlagen sind drin. Und dran. Kurzum: ein bunter Abend 2.0 ist garantiert. Natürlich nur, wenn Sie – sollten Sie am 1. September nichts Besseres vorhaben – ein wenig Nachsicht, Kommunikationslaune und Irrwitz mitbringen. Eventuell auch Lachgas (Alkohol gibt’s am Rabenhof-Buffet). Und natürlich einen Laptop (UMTS-Stick nicht vergessen!), ein iPhone oder sonst irgendeins dieser netztauglichen Geräte. Damit Sie mitreden können. Interaktiv mitmachen. Oder eventuell sogar die Hauptrolle übernehmen. Ohne High Tech-Schnickschnack geht da heute gar nichts mehr. Der Hashtag (das hat nichts mit Drogen zu tun!) lautet #menschmaschine. Die Menschmaschine ist zwar dampfgetrieben – jedenfalls von heißer Luft befeuert -, aber durchwegs digital.
Eventuell lassen wir analogen Schlußapplaus gelten. Eventuell. Aber keine Ausreden, Sie hätten nicht gewusst, was Sie erwartet.
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