Allein im Papierschiffchen

21. Oktober 2009

Ein Meerschweinchen blökt, pardon: quietscht zurück. Oder: warum die Print/Web-Debatte allmählich ins Lächerliche kippt. Anmerkungen zu einer „Zwischenwarnung“ von Armin Thurnher, nachzulesen im aktuellen „Falter“. Und zwar nur dort. Dem Urheberrecht sei dank.

Falterschweinchen

Ich kaufe, schätze, lese den „Falter“ seit seiner Gründung anno 1977. Schon als Schüler war mir die Idee der Stadt- und Programmzeitung samt Kulturberichterstattung auf der Höhe der Zeit sympathisch; nebstbei nutzte ich den Gratis-Kleinanzeigenteil für allerlei pubertäre Scherze (die mir erstmals die Aufmerksamkeit des Chefredakteurs Armin Thurnher einbrachten). Ich habe den „Falter“ selbstverständlich abonniert. Selbst meiner Tochter ein Abonnement geschenkt. Und daheim im Fahrradkeller ein „Falter“-Rad stehen, Typus holländisches Bobo-Opa-Vehikel, mit dem ich selten rumgurke, aber wenn, dann mit dem Vergnügen der bequemen, weil aufrechten Sitzposition. Und im Lauf der Jahrzehnte hab‘ ich immer wieder mal Artikel, Rezensionen oder Kommentare für den „Falter“ geschrieben, nicht selten getrieben von Goodwill. Denn die Honorare, die der „Falter“ zahlte, waren eher gering. Und trafen oft erst mit Monaten Verspätung ein. Ich weiß nicht, ob sich das drastisch verändert hat – aber ich habe die Honorarfrage, insbesondere bei Medien wie dem „Falter“, nie für die zentrale gehalten. Wenn auch nicht für gänzlich vernachlässigbar.

Insofern verstehe ich Armin Thurnhers Begehr, für publizistische Leistung tunlichst bezahlt zu werden. Und ich bin der letzte, der mit dem Begriff „Copyright“ fahrlässig umginge. Schließlich hängt auch das Geschäftsmodell eines Label- und Verlagsbetreibers, eines Beraters und Konzeptionisten und jenes eines freien Autors und Kolumnisten nicht unwesentlich davon ab, als Urheber die Art der Auswertung jeglichen „contents“, die Verbreitung, die Vertriebskanäle und kommerziellen Rahmenumstände entscheidend (mit)bestimmen zu können. In diesem Kontext hat sich, wie in vielem anderen auch, in den letzten Jahren doch einiges radikal geändert; Kulturphilosophen sprechen in Bezug auf die Digitalisierung der Medien und die Entwicklung des World Wide Web von einem „Paradigmenwechsel“, andere gar von einer Revolution. Wohl nicht ganz zu unrecht. Schon die Erfindung des Hyperlinks, um ein klitzekleines Beispiel zu geben, hat unser Verständnis, was ein Querverweis ist und kann, ein Zitat oder ein redaktioneller Fingerzeig, drastisch verändert. Es ist heute Usus, einfach zu „verlinken“, wenn ich eine weitergehende Recherche des Lesers umgehend und unkompliziert ermöglichen möchte. Und natürlich macht auch der „Falter“ ausgiebig davon Gebrauch, keine Frage. Zumindest in punkto Eigenrecherche – wäre ich zynisch, würde ich schreiben: in parasitärer Manier.

In der heute erschienenen Ausgabe Nr. 43/09 des „Falter“ verlinkt nun Armin Thurnher, in einer Art Anhängsel auf den „Kommentar des Chefredakteurs“, auf den Verein der Meerschweinchenfreunde in Österreich: www.meerschweinchenverein.at. Das ist zwar nett gedacht (ja, es gibt ihn wirklich, diesen Verein!), hat aber – allein auf Papier – den Nachteil, daß man sich ggf. zum Computer bemühen muß, die Tastatur dito, und nicht einfach wie ein dressierter Affe auf die Maus klicken und sich weiterer Informationen erfreuen kann. Apropos, ob all der tierischen Analogien: rattenscharfe Sache! Denn der Link samt putziger Karikatur ist Bestandteil einer „Zwischenwarnung“. Die schlichtweg darauf abzielt, den Informationsfluß insgesamt auszudünnen und raschest in die rechten, sprich: üblichen Bahnen zu lenken. Sollte dies nicht gelingen, droht mir (und anderen) der Empfang einer Honorarnote, Mindestbetrag 250.- Euro . Dieser Betrag – die Honorarhöhen des „Falter“ scheinen sich doch ein wenig nach oben bewegt zu haben – wäre auf das Konto des genannten Meerschweinchen-Vereins zu überweisen.

Was ist geschehen? Ich hatte mich erdreistet, einen früheren Kommentar Thurnhers („An meine Meerschweinchen: Entwarnung! Das Internet kann bleiben“) mir nichts, dir nichts themenadäquat dem Papier zu entreissen und in gescannter Form ins Netz zu stellen. Denn dieser Kommentar stellte – und Thurnher wird auch jetzt nicht müde, diesen Aspekt zu betonen – eine „Aufforderung zur Debatte“ dar, zuvorderst gerichtet an die „Netz-Community“. Nun: ich fand es aufreizend bescheuert oder zumindest plump provokativ, sich an diese – eventuell real vorhandene oder auch nur herbeiimaginierte, sicherlich aber zuvorderst, wenn überhaupt, in punkto Zugangstechnik homogene – Versammlung zu wenden und diesen Aufruf nicht gleich (auch) ins Netz zu stellen. Und habe das einfach nachgeholt, für die vielleicht gar nicht so wenigen Digital-Nomaden, die den papierenen „Falter“ gerade nicht zur Hand hatten oder nie in die Hand nehmen. Aus welchen Gründen auch immer. Ich empfand das als simple Service-Leistung und initialen Beitrag zu einer Debatte, die ja vom „Falter“ explizit erbeten und erwünscht war und ist. Zumindest, wenn man seinesgleichen Chefredakteur beim Wort nimmt.

Nebstbei: der „Falter“ hat dann im Lauf der folgenden Diskussion – die aber eher einer potjemkinschen Dorfwirtshausdebatte glich als einer wirklich mit Verve, Ernsthaftigkeit und Mut zu offener Kommunikation geführten Auseinandersetzung – sein Versäumnis partiell nachgebessert und doch das eine oder andere Stückchen Originaltext online verfügbar gemacht. Gratis. Auch für Nicht-„Falter“-Leser und -Abonnenten. Armin Thurnhers Originalkommentar, auf den sich das ganze Tohuwabohu bezog, war aber meiner Erinnerung nach nicht darunter (pardon, ich irre, er war nur, hm, relativ versteckt).

Nun beklagt sich jener, der zuvorderst den launigen, aber auch nicht hundertprozentig menschenfreundlichen Terminus „Meerschweinchen“ in die Debatte einbrachte – ja, ich finde ihn eh witzig!, wir bewegen uns nicht in einer humorfreien Zone – darüber, daß die „so zuverlässig auf Reize reagierenden“ Tierchen widerspenstig sind, den Dompteur und seine hochgeworfenen Bälle ignorieren, gern mal die meinungsverfütternde Hand beißen und auch nicht auf Zuruf durch brennende Reifen springen oder sonstige Dressur-Akte vorführen wollen. Und vor allem nicht aufhören, keine Ruhe zu geben. Ich fürchte, das wird anhalten. Und zwar solange, wie Thurnher den Zirkusdirektor gibt und sich als Idealbesetzung für die Rolle des Internet-Bezwingers und Web 2.0-Bändigers wähnt. Das ist er nämlich aus verschiedensten Gründen nicht. Das spricht auch seiner Vita, seinem Denken und Können und seiner Rolle im Medienstadl Österreich insgesamt Hohn. Aber vielleicht wird er ja auch nur „so schnell so falsch verstanden, wie es sich noch nie in meinem ganzen Leben ergeben hat“ (Originalton A.T., siehe „Falter“ 43/09).

Ich hab‘ kurz nachgedacht, ob ich Thurnhers „Zwischenwarnung“ einfach ignorieren soll. Oder offensiv der Beurteilung durch die Meerschweinchen-Gemeinde und andere Interessierte überlassen mag. Aber es ist eben nicht so, wie Thurnher meint und schreibt: das Internet ist kein rechtsfreier Raum. „Anonyme Gestalten“, die dort „herumtappen“, können im Fall von Gesetzesverletzungen dingfest gemacht werden (daß sich Thurnher & Co. gern über Postings unter Pseudonymen ärgern, ist eine ganz andere Sache).

Und natürlich ist auch die Frage des Urheberrechts nicht „ungeklärt“, wie Thurnher schreibt. Sondern glasklar: das Urheberrecht gilt selbstverständlich auch im World Wide Web. Allein: wie es anno 2009 exakt auszulegen, anzuwenden und durchzusetzen ist, ob es durch diese und jene neue Kulturtechnik nicht ausgehebelt wird, ob es nicht überhaupt einer radikalen Überarbeitung, Erweiterung oder Neudefinition bedürfte, darüber streiten Experten, Betroffene, Konsumenten, Urheber, Politiker. Und zwar seit Jahren. Und zwar sehr intensiv. Kann mir nicht vorstellen, daß Thurnher diese Debatte – eine der dringlichsten, schwierigsten und umstrittensten unserer Zeit – entgangen ist. Möglich aber, daß „Abt Armin“ – diesen Spitznamen verpassten ihm vice versa einige „Meerschweinchen“ – meint, das alles ex cathedra für obsolet erklären zu können. Und die Realitäten der Digitalära (die uns gefallen mögen oder nicht) einfach als Kapitän Nemo auf der Kommandobrücke eines vereinzelten Papierschiffchens umschiffen zu können.

Anyway: es gilt, diese – en gros und en detail – demonstrativ trotzige Haltung, kuriose Konservativität und á la longue ohnehin unhaltbare Position nicht noch weiter zu befeuern. Ich werde also folgendes tun: ich nehme das Web-Faksimilie am 23.10., sprich: übermorgen, vom Netz (bis dahin gilt eine Art Gnadenfrist). Ich respektiere das Urheberrecht. Ich respektiere den Wunsch Armin Thurnhers (auch wenn mich sein Befehlston, gelinde gesagt, befremdet). Zudem ist der Schwanz, den es einzuziehen gilt, bei einem Meerschweinchen eh nicht grad‘ lang. Ich fürchte nur, ich werde wenig tun können für oder gegen Kopien, Links oder weitreichende Zitate. Schon gar nichts gegen anderer Leute Meinung, Kommentarwut oder Humorverständnis. Eventuell richtet auch jemand, von wegen „Communitiykohle“, ein Spendenkonto ein. Die Meerschweinchen wollen schliesslich gefüttert werden.

Und, nein, ich werde das „Falter“-Abo nicht kündigen. Gewiss nicht. Ich liebe diese Knirschgeräusche zwischen Papier und Netz.

16 Antworten to “Allein im Papierschiffchen”

  1. Tochter Says:

    Das Abo ist längst ausgelaufen :-P

    • davidzimba Says:

      meine einschätzung: ich glaube, die eskalation ist allein darauf zurückzuführen, dass blumenaus immer in großer herrschafts- und besserwissergeste dahingeschwurbelten diffusitäten und plattitüden bei halbwegs strukturiert denkenden einen schwer zu unterdrückenden aggressionsreflex auslösen (ich nenne das den „gscheiterl“- oder „supergescheiterl“-aggressionsreflex). gröbchen ist wohl nur kollateral ins feuer geraten.

      • blumenau Says:

        das ist eine fehleinschätzung.
        t. meint in erster linie g. ich hab ja nur g.s kopie seines artikels noch einmal kopiert. zudem bezieht sich g. in seinen repliken auch immer dezidiert auf die vorlage, ich streife die meist nur.

  2. Michael Says:

    ich habs an anderer Stelle schon mal gesagt:
    * In diesem Blog habe ich zum ersten mal seit ueber zehn Jahren wieder einen Thurnher-Kommentar im Volltext gelesen. Wenn das unerwuenscht ist, mache ich das eben nicht mehr… :)
    * Mich interessiert wirklich, was die Meerschweinchen dafuer koennen: zuverlaessig auf Reize zu reagieren gilt auch fuer Topfpflanzen, Ratten oder Nobelpreistraeger – kurz, fuer alles Lebende. Sinnlosigkeit in Kauf zu nehmen, weil es lustig klingt haette ich fuer eines der journalistische No-Nos gehalten…

  3. Udo Says:

    Also ohne Herrn Thurnher – als bekennender Piefke – zu kennen und was er davor schon zu dem Thema geäußert hat: im verlinkten Artikel hat er nicht ganz Unrecht. Mir ist eine ausführlich dargelegte und gut begründete Meinung, selbst wenn sie nicht deckungsgleich mit meiner ist, immer noch tausendmal lieber, als alles Gezwitscher drumherum. Und das kann tatsächlich ziemlich nerven und viel zu schnell von der Sache ablenken.

    Ich finde euren Disput durchaus spannend und wünsche mir viel mehr Geknirsche im Gebälk, überall. Zu viele wesentliche Fragen sind nach wie vor offen jenseits der ganzen schnell vergänglichen Online-Hypes (unter anderem jene, die Thurmher anspricht).

    Vor allem: was kommt nach Print und wer zahlt künftig für guten Journalismus? Im Internet gibt es noch keinen differenzierten Markt, kein Geschäftsmodell, das eine Vielfalt wirklich befördern würde und das ist ein Problem. Ein Klick auf einen x-beliebigen Facebook-Kommentar ist heute de facto so viel Wert wie ein Klick auf einen wochenlang recherchierten Artikel.
    Welchen Weg wird ein Verlag da wohl künftig einschlagen?

  4. Walter Gröbchen Says:

    Right on, Udo! Weiterführendes in dieser – ob des Hängenbleibens an eher unwesentlichen Details allmählich ermüdenden – „Falter“-Debatte gibt’s auch hier zu lesen:

    http://www.helge.at/2009/10/abt-armin-versteht-die-welt-nicht-mehr/

    Und hier:

    Thurnher will im Falter auf die Webdebatte eingehen #ROFL

    Eine grundsätzlichere Diskussion wird wohl noch Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte anhalten. „Ashes To Ashes, Blog To Blog“ (David Bowie 2.0 ;-)

  5. blumenau Says:

    man hat das gefühl, das er jetzt echt getroffen ist. wodurch? was hat den „jetzt nicht mehr auf lustig“-umschwung ausgelöst. nicht dass er/s vorher humorig war, aber zumindest die pose war ein wenig ironisch.
    jetzt aber – laus über leber! um bei den tierbildern zu bleiben. weißt du wieso?

    lgmb

  6. blumenau Says:

    im übrigen – dieselbe haltung, nur internatonaler: http://fm4.orf.at/stories/1629916/


  7. […] Und einer, der gerade ziemlich an der Realitätsverweigerung der Bevölkerung arbeitet, ist seltsamerweise wiedermal ein Journalist. Sorry @Armin Thurnherr, sie […]


  8. […] Denn das betrachte ich mal als ersten persönlichen Beitrag zur Debatte: hier ist er (Bild ggf. downloaden und vergrössern. Die Qualität ist mies, aber Besseres wohl bald in Griffweite). (Anm.: Das Dokument wurde entfernt, warum siehe hier) […]

  9. Gidi67 Says:

    Kann die Scanentfernungsaktion von Thurnher nicht verstehen und bin von seiner Art der Problembewältigung echt enttäuscht. Auf jeden Fall wird jetzt noch offensichtlicher, dass er mit dem Internet ein echtes Problem hat und dass ihm eine etwas lockerere bzw. differenziertere Betrachtungsweise nicht schaden würde.

    Ich kann nur sagen: Schade, schade schade! Das passt eigentlich überhaupt nicht zu einem Medium wie dem „Falter“, der für mich für Offenheit, Transparenz, Meinungsvielfalt, Brechen von Konventionen etc. steht.


  10. […] und parasitär” wie ein publizistisches Sturmtief Österreich durchquert ( siehe Futurezone , Gröbchen , digiom , Helge ) , droht eine Neuauflage des als Kulturkampf um […]


  11. […] gern um Urheberrechte streiten, symbolisch Blogger wegen gescannter Zeitungen von gestern abmahnen (Thurnher vs. Gröbchen) und in der digitalen Verbreitung von Inhalten böse Piraterie sehen, entstehen anderswo […]


  12. […] gern um Urheberrechte streiten, symbolisch Blogger wegen gescannter Zeitungen von gestern abmahnen (Thurnher vs. Gröbchen) und in der digitalen Verbreitung von Inhalten böse Piraterie sehen, entstehen anderswo […]


  13. […] Und gerade lese ich noch, dass beleidigte Zeitungsherausgeber es fuer lustig halten, die Zustellung von Honorarnoten fuer das Abbilden eingescannter Zeitungsseiten anzudrohen. – Uebertroffen wird das nur noch von […]


  14. […] gern um Urheberrechte streiten, symbolisch Blogger wegen gescannter Zeitungen von gestern abmahnen (Thurnher vs. Gröbchen) und in der digitalen Verbreitung von Inhalten böse Piraterie sehen, entstehen anderswo […]


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