Nun existiert sie also wirklich: die „Österreichische Musikcharta“. Aber noch gilt es, das Abkommen mit dem ORF mit Leben zu erfüllen. Zuvorderst im Visier: der Küniglberg und dessen TV-Studios.

Zuerst tobte der Streit jahre-, fast jahrzehntelang. Dann einigte man sich innerhalb weniger Tage. Die Rede ist von der Vereinbarung zwischen dem ORF, der grössten elektronischen Medienorgel des Landes, und einer Armada diverser Fachverbände, Interessensvertreter, SOS-musikland.at-Wappenträger und Einzelkämpfer im Namen der Musik.
Was knapp vor Weihnachten 2009 besprochen, beschlossen und unterzeichnet wurde, ist keine Revolution. Und schon gar keine kleinliche „Quotenregelung“ mit Daumenschrauben-Charakter. Eher die Festschreibung einer Evolution, die mit kleinen, aber konkreten und konzentrierten Schritten bergauf führen soll. Und den Medienpartner ORF nicht in die (zu lange seinerseits vermutete) Sackgasse oder gar schnurstracks in den Untergang, sondern zu einem gedeihlichen Neben- und Miteinander bewegen wird. Die Währung heisst Aufmerksamkeit. Das Fundament gegenseitiger Respekt. Erstmals wurde die Existenzberechtigung der Thematik praktisch anerkannt, auch die Festlegung auf Mindeststandards und Messmethoden ist ein Quantensprung.
Gestatten Sie also selbst einem alten Berufszyniker wie mir eine vorsichtig positive Beurteilung des Kontrakts, den Alexander Wrabetz einerseits, Universal- und IFPI-Chef Hannes Eder andererseits geschlossen haben. Und die Hoffnung, dass die „Österreichische Musikcharta“ ein Eckpfeiler eines neuen Selbstverständnisses und Selbstbewußtseins lokaler, regionaler, nationaler Kreativität (mit Drang zu internationalem Erfolg) ist. Hie wie da. Das in diesem Kontext äusserst treffliche Bild der kommunizierenden Röhren schliesst Medium und Botschaft, Sender und Empfänger, Künstler und Berichterstatter mit ein.
Damit wir uns aber nicht im Allgemeinen verlieren, und damit die Sache und der damit verbundene kommunikative Schwung nicht allzu rasch wieder einschlafen, erlaube ich mir ein paar konkrete Fingerzeige. Lassen wir Ö3 mal aussen vor, dazu haben sich (zu) viele schon erschöpfend geäussert, mich eingeschlossen. Auch Ö1 ist ein zu eigenwilliges Spielfeld und die zeitgenössische Klassik ein zu sensibles Pflänzchen, um hier einfach drauflos zu schwadronieren. Zu Radio Wien, einem der grössten Problemfälle des ORF in punkto „Österreicher-Anteil“, fiele mir schon mehr ein. Es kann wirklich nicht der Weisheit letzter Schluss sein, Oldie-Drall hin oder her, ewig Peter Cornelius, Ganymed und Rainhard Fendrich zu repetieren. Vorzugsweise spätnächtens. Und mit Falco, Christl Stürmer und Vera Böhnisch bewegt man sich schon wieder auf Ö3-Terrain; dabei gilt es die Sender zu beidseitigem Quotenvorteil und zur Abwehr von „Radio Arabella“ und „KroneHit“ strikt zu entflechten. Was tun?
Simpler Vorschlag: es gibt gerade eine hoch aktive, hochinteressante Wiener Szene, die nur partiell auf FM4 eine Heimat fand und findet. Ich sage nur: Ernst Molden. Könnte genauso gut aber auch Birgit Denk, 5 8terl in Ehr’n, Kollegium Kalksburg, Sterzinger, Der Nino aus Wien, Des Ano, Die Strottern, Garish, Kempf oder Das Trojanische Pferd nennen. Da würd’ ich gern mehr hören. Und andere wohl auch: Live-Novitäten wie das „Popfest Wien“ am Karlsplatz, programmiert von Robert Rotifer, aber auch generell die zunehmende Nachfrage nach den „guten Kräften“ dreissig Jahre nach Chuzpe dürfen als Indiz herhalten.
Der wesentliche Faktor ist und bleibt aber das Fernsehen. Dass anno 2010 immer noch zur Diskussion steht, ob und, wenn ja, wie der ORF seine – eh nicht mehr staatstragende, aber immer noch immanent identitätsstiftende – Rolle etwa in Hinsicht auf den Branchen-Jahrmarkt (der Eitelkeiten, aber auch der Marketing-Botschaften) „Amadeus“ zu definieren hätte, macht mich ein bissl fassungslos. Ja, wann und wie will man denn berichten über die Popszene dieses Landes, wenn nicht zumindest anlässlich des einzigen Events, auf den man sich szeneweit verständigt? Meinetwegen mit Ostrowski-Schmäh und Heinzl-Ironie (der Mann versteht mehr von Pop-Spielregeln, als ihm viele zutrauen), besser wohl mit Mut zur geschickten, innovativen Verbindung von Tönen, Zwischentönen und Bildern. Und einem Grundrespekt der Kundschaft – den MusikerInnen und MusikliebhaberInnen – gegenüber. Ja, ich will den „Amadeus“ wieder im ORF sehen. Oder soll auch hier „Red Bull“-Erfinder Didi Mateschitz via „Servus TV“ zeigen, wo’s lang geht?
Weil wir schon dabei sind: im neuen ORF-Gesetz, an dem unsere Volksvertreter ganz uneigennützig seit Monaten herumschrauben, hat doch ein zusätzlicher Kultur- und Informationskanal seine Existenzberechtigung festgeschrieben bekommen. Mehr als das: der ORF wird quasi zwangsverpflichtet, aus dem halb öffentlich-rechtlichen, halb privaten Obskuranten-Programm TW1 etwas Brauchbares zu machen. Man könnte dort z.B. ein Nachwuchsbiotop installieren, wie es früher die Jugendredaktionen von „Ohne Maulkorb“, „Okay“ und „X-Large“ waren. Und heute etwa FM4 ist. Der inneren Vergreisung bei gleichzeitig galoppierenden Personalkosten lässt sich so am ehesten entgegenwirken. Ebenso dem augenfälligen Überhang von Operninszenierungen, Schlager-Tralala und Volksmusik-Humtata, der einer dem Markt und der Demoskopie konformen Berücksichtigung von Pop im weitesten Sinne Hohn spricht. Mehr Mut, Herr Lorenz, Herr Böhm, Herr Strobl, Frau Roscic! Es muss ja nicht gleich die grosse Hauptabend-Show sein, die Anna F., Soap&Skin, Parov Stelar und Texta bis in die letzten Winkel und Dorfgasthäuser der Alpenrepublik trägt.
Thomas Rabitsch, Oberkapellmeister der Nation, hat neulich angedeutet, dass man am Küniglberg abseits von „Musikantenstadl“, „Starmania“ und ähnlichen Formaten tatsächlich nicht gänzlich uninteressiert sei an Ideen, Konzepten und Vorschlägen zum Thema Musik. Wiewohl: schwierige Materie. Aber doch. Nun, wenn’s denn so ist – hier ein simpler Vorschlag: lasst die Protagonisten doch für sich selbst sprechen. „15 minutes of fame“, ein knapper, aber dezidierter Freiraum, generös eingeräumt von der Programmdirektion. Und beinhart genutzt von den „Helden von heute“. Respektive morgen. Birgit Denk, Michael Ostrowski, Valerie Sajdik und/oder Eberhard Forcher als Moderator(inn)en, eine dichte, sympathische, respektvolle redaktionelle Introduktion und dann: Manege frei!
Drei Acts in sechzig Minuten, aus durchaus unterschiedlichen Biotopen und Subszenen. Live. Sagen wir mal, exemplarisch: Luttenberger/Klug, Die Vamummtn, Parov Stelar. Oder: Christl Stürmer, Bunny Lake, Attwenger. Oder: Norbert Schneider. Die Seer. Richard Dorfmeister. Für alle gibt es jeweils eine Viertelstunde, gestaltet nach eigenem Ermessen, der Rest auf die volle Stunde ist Drumherum, lockerer Talk und eine kurze Bedienungsanleitung. Inkludiert: unmittelbares Feedback. Von einem Fachmann á la Markus Spiegel. Oder einem Kritiker wie Karl Fluch („Der Standard“) oder Samir Köck („Die Presse“). Oder einem Altvorderen wie Sigi Maron. Willi Resetarits. Wolfgang Kos. Oder.
Und von den drei Acts, die in einer Sendung vorgestellt werden, darf einer beim nächsten Mal wieder ran. Quasi eine Verlängerung der Spielzeit „on public demand“. Per Internet-Voting. Via Widgets. Auf Facebook, MySpace & Co. Und auf einer eigenen Website. Dort gibt’s Downloads, Videos, Links und ausführliche Infos zu den vorgestellten Künstlern. Und Buttons wie „Mehr davon auf Ö3!“. Oder „Radio Wien, bitte herhören!“. Also im Idealfall mehr als „15 minutes of fame“. Andy Warhol hätte wohl mächtig Spass an solch einer weitgehend unzynischen, aber gewiss nicht spannungsfreien „Gong Show“ gehabt.
Ein bisserl was wird man sich doch noch wünschen dürfen von der ORF-Entwicklungsabteilung (und sagen Sie bloss nicht, die wäre aus Kostengründen aufgelöst worden. „Die wahren Abenteuer sind im Kopf“, sang schon André Heller. „Und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.“ Nicht mal im Internet, wage ich zu ergänzen.) Im Idealfall eine frische, unkonventionelle, zeitgemässe, spannende, unprätentiöse, clevere, ernstzunehmende, sich selbst, die Künstler und das Publikum ernst nehmende neue TV-Musik-Plattform. Einen Abglanz der Warhol’schen „15 minutes of fame for everyone“. Meine persönliche Viertelstunde reiche ich weiter an Willi Resetarits & Ernst Molden. Clara Luzia. Michi Gaissmaier. Franz Adrian Wenzl alias „Austrofred“. Olga Neuwirth. Oder Patrick Pulsinger (um noch mehr Namen zu nennen). Die wissen damit jede Menge anzufangen. Mit Garantie.
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