Aus Anlass der Neuauflage des legendären Buchs zum legendären Lokal: zirka achtunddreißig Flash Memories eines U4-Veteranen.
”Im U4 geig’n die Goldfisch‘ / der Bruno längst im sich’ren Land”
(Falco)
Flash 1. Früheste Erinnerung: die U4-Plakate. Klebten in der ganzen Stadt, man konnte gar nicht dran vorbei. Ein erster Blitzkontakt ergab sich Ecke Neubaugürtel/Goldschlagstraße, gleich beim berüchtigten Café Effenberger, wo sich die Trankler gegenseitig gern die Taschenfeitln in die Lungenflügel stießen. Muss noch zur Schule gegangen, aber mit dem Herzen schon ganz woanders gewesen sein – jedenfalls markiert das plötzliche In-Erscheinung-Treten dieses Namens (“U4”, da waren U-Bahnen in Wien ja noch – Plastiksitze! Popfarben! Kreisky-Gratz-Zilk-Eröffnungen! – Vehikel des Zeitgeists) samt modernistischem Plakatdesign eines der Scharniere zwischen zwei Jahrzehnten. Hie die siebziger, da die achtziger Jahre. Aufbruch, meine Damen und Herren. Also, auf ins U4.
Flash 2. Dann war man drinnen. Mittendrin. Und machte z.b. mit beim “Air Band Wettbewerb”, einem höchst skurrilen Spektakel, wo Wiener “Szene-Menschen” berühmte Bands und Künstler jener Tage nachstellten. Erinnere mich an einen schlanken, ranken, feschen Werner Geier als Andreas Dorau. Und an Johnny Reggae, den ich dann – er äußerlich quasi unverändert – 19 Jahre später im “Amadeus” auf der Mariahilferstraße wiedertraf, ohne dass wir in nostalgische Zuckungen ob seiner “Air Band”- Konzeption verfallen wären. Johnny Reggae (auch so ein Künstlername, der nur damals entstanden sein kann) hatte mich, wenn mich nicht alles trügt, als eine Art Keyboarder-Laiendarsteller verpflichtet. Angeblich gibt’s irgendwo ein Video davon. So wie‘s es von allem und jedem, das/die/der mit dem U4 zu tun hatte, angeblich ein Video oder ein Foto oder sonst was gibt. Muss mal Conny fragen.
Flash. Conny. De Beauclair. Seltsamer Name, dachte ich damals. Denke ich heute manchmal auch noch. Guter Typ. Die Ruhe und Freundlichkeit in Person. Ganz anders als die mir sonst so verhassten Türlsteher. Thront heute immer noch als Zerberus und Zeremonienmeister knapp vor oder hinter dem U4-Eingang. Institution, sprichwörtlich. Like Christine Oberrauch, ganz zu Beginn (erinnert sie sich noch an die zufällige Begegnung auf der Portobello Road ’82, als ich als Ö3-Frischling zum Interview mit – dem damals noch stupend unbekannten – Boy George eilte?). Like Ossi Schellmann, Wolfgang Strobl. Karin Löffler. Bella. Venus. Willi Brumec, Marc und Boris Wörister, Nadja Sarwat und die ganze Brüder- und Schwestern-Partie.
Flash 3. Hansi Lang, ca. 1983, “Keine Angst”, live im U4. Drückte mich im Dunkel rum mit Martina R., die dann später berühmt werden sollte als “Willkommen Österreich”-Moderatorin und Billa-Pappfigur. Und die Mutter einer gemeinsamen Tochter (die das U4 auch schon von innen kennt). Irgendwo muss ja der Ursprung allen Lebens, aller Begierde, aller zwischenmenschlichen Hitze sein. Damals lag er in diesem Labyrinth in Wien-Meidling, zwischen all diesen euphorisierten, schwitzenden, zuckenden Leibern. Keine Angst. Gutes Konzert, übrigens. Sehr gutes Konzert. Hansi Lang war knapp dran an Falco, eine Zeit lang. Die Cyber-Musicals kamen erst später in Mode. Zwei Dezennien später, um exakt zu sein.
Flash 4. Gutes Stichwort: Konzerte. Ja, da war Prince (und ich hab‘ das Bootleg von seinem U4-Gig im Plattenschrank stehen, yes Sir). Und Ronnie Urini. Sade. Die Brüder. Nirvana. Die Happy. Wasweißichweraller. Nicht zu vergessen Der Schnakenkönig (alias Gerhard Potuznik) im Vorprogramm von Nikki Sudden. Aber jenes Gastspiel, das mir am grellsten und plastischsten in Erinnerung ist, war jenes der Godfathers. Muss gegen Ende der Achtziger gewesen sein. “Birth School Work Death”. Punk/Wave/Rock in seiner pursten Essenz: Schweiß. Der troff ob der unfassbaren Zusammenballung von Godfathers-Adoranten und ob der exorbitanten Hitze von der Decke. Tatsächlich. Greifbar. Wie in einer Tropfsteinhöhle.
Flash 5. Hitze. Feuer. Qualm. Flammendes Inferno im Kleinformat, so oder ähnlich. War ja nicht dabei. Gottseidank. Ich stand erst am nächsten Tag vor der feuerpolizeilich verschlossenen Tür, mit dem Plattenkoffer in der Hand. Hätte auflegen sollen, mit dem Geier, am Neujahrsabend 1989/90. Aber da war nichts mehr zum Auflegen, nur ein zerschmolzener Klumpen aus Plastik und Metall statt der Technics-Laufwerke (keine 1210er übrigens, für Kenner, sondern die noch massiveren Vorgänger-Modelle). Und ein ausgebranntes, geschwärztes, devastiertes U4. Eine Zäsur. Es wurde umgebaut und neu eröffnet, nach wenigen Wochen. Aber irgendwie war’s nicht mehr dasselbe, sagen Kenner. Ich sage nur: dieser Brand hat mir die zerfahrenste und unwirklichste Silvesternacht meines Lebens beschert. Ohne Job und Aufgabe, heimatlos förmlich, verbrachte ich sie auf dem Stephansplatz. Muss nicht nochmals sein.
Flash 6. Flash Gordon. Queen auch, manchmal. Oder Depeche Mode. Stroboskop-Blitzlichter. Flüchtige Erinnerungen. Karin Löffler und der kleine, speckdreckige Raum hinter der Bar, wo man abhängen und den aktuellen Dienstplan studieren konnte. “Demon Flowers”-Plakate mit wunderschönem Logo und “Dirty Dancing”-Parole (und einer Inschrift, die Angelika Lang nebst Werner Geier als Gastgeber anführte, was dann ja irgendwie nicht zutraf). Der ORF-Ü-Wagen auf dem Busbahnhof hinter dem Lokal, mit Gerald Pally an den Reglern oder Christian Sodl oder sonst irgendeinem Fuchs, der Bänder für einen “MusicBox”-Live-Mittschnitt mitlaufen ließ. Falco als legendenumraunter Stammgast in aller Herrgottsfrüh, leider nur bedingt ansprechbar. Gabi Dorschner als umschwärmte Frischblutzufuhr. Lisi Rühl bei einer “Rennbahn Express”-Weihnachtsfeier (?). Der kurios dreiste Annäherungsversuch an Barfrau Bella, nicht unerfolgreich, bestraft mit dem Versäumen eines Fliegers nach München (Virgin-Mann Wolfgang Pötsch zeigte Verständnis). Wolfgang Kopper im “Seniorenclub”. Willi Brumecs Daktari-Land Rover, fix geparkt vor dem Bankomaten auf der dem U4 gegenüberliegenden Straßenseite. Ich selbst als langzotteliger “Speak Easy”-DJ mit John Lennon-Brille, mit seltsamen Lieblings-Platten (etwa “Stranglehold” von Ted Nugent oder “Don’t Fear The Reaper” von Blue Oyster Cult). Ein zu letzterem Titel exzessiv tanzender Chris Duller. Wieder ich selbst beim manisch-jenseitigen Versuch, eine aufkeimende Grippe mittels noch exzessiverer Tanzeinlagen zu exorzieren. Oder beim gleichfalls manischen Experiment, “Ballroom Blitz” von Sweet mittels zweier Vinylsingles auf zirka dreißig Minuten Länge zu strecken. Zombies, die auch zur absoluten Sperrstunde noch auf der Tanzfläche rumzuckten. Gleißende Sonne beim Verlassen des Lokals in der Morgenstunde. Augenblickliches Eintreten des berüchtigten Boris Karloff-Effekts: Zerfall zu Mumienstaub. Schlafsucht. Ewige Alltagsferne. Ewige Jugend.
Flash 7. Bin erst neulich wieder in den dunklen Mutterschlund abgestiegen. Von wegen ewige Jugend. Verbleib bis zur Sperrstunde. Hab‘ “One” schätzen gelernt (und behaupte nur noch schwach, dass “New Years Day” doch der bessere U2-Song ist, Lisaschatz), habe mich gewundert, dass Venus immer noch hinter der Bar steht (und besser aussieht denn je), habe wie eh und je die vergrätzten Toilettenanlagen umschifft, Wolfgang Strobl hinter dem Mischpult zugewinkt, mit Conny geplaudert, Flyer eingestreift, Twinni-Eis in der Mitte geknackt, einen weißen Spritzer bestellt, mit dem Fuß gewippt und Nachtschattengewächse angegafft (werden immer jünger, die Dinger). Same as it ever was.
Flash 8. Frühjahr 2020. Total Recall. Ich soll einen Beitrag für den Prachtband “40 Jahre U4” abliefern, meint Conny. Geht in Ordnung. Unter einer Bedingung. Ich möchte, nein, ich muss das Video von jener schon heute legendären “Idealzone”-Nacht haben, wo am Mischpult DJ Elk gegen Peter Rauhofer antrat, Jimmy Deix am Lichtschalter saß (auf dem Schoß von Willi Türk, oder war’s doch Harry Lametta?), die Parole “Tonight Free Drinks / Free Sweets / Free Willie!” hieß und die Lotte Tobisch des U4, Karin Löffler herself, aufs Gogo-Podest stieg. Und am Schluss, tatsächlich nicht übermäßig überraschend, ein nur leicht gealterter Hans Hölzel um die Ecke bog und aufreizend beiläufig meinte “Wos is los, Buarschn? Ihr werdt’s doch net wirklich glaub’t ham, daß I mi auf aner Insel in der Karibik zur ewigen Ruah begeben werd‘?”.
Nein, wir hatten immer an das U4 gedacht. Conny Island. Das Goldfisch-Mausoleum.