Archive for November, 2010

Idealzone U4

29. November 2010

Aus Anlass der Neuauflage des legendären Buchs zum legendären Lokal: zirka achtunddreißig Flash Memories eines U4-Veteranen.

”Im U4 geig’n die Goldfisch‘ / der Bruno längst im sich’ren Land”
(Falco)

Flash 1. Früheste Erinnerung: die U4-Plakate. Klebten in der ganzen Stadt, man konnte gar nicht dran vorbei. Ein erster Blitzkontakt ergab sich Ecke Neubaugürtel/Goldschlagstraße, gleich beim berüchtigten Café Effenberger, wo sich die Trankler gegenseitig gern die Taschenfeitln in die Lungenflügel stießen. Muss noch zur Schule gegangen, aber mit dem Herzen schon ganz woanders gewesen sein – jedenfalls markiert das plötzliche In-Erscheinung-Treten dieses Namens (“U4”, da waren U-Bahnen in Wien ja noch – Plastiksitze! Popfarben! Kreisky-Gratz-Zilk-Eröffnungen! – Vehikel des Zeitgeists) samt modernistischem Plakatdesign eines der Scharniere zwischen zwei Jahrzehnten. Hie die siebziger, da die achtziger Jahre. Aufbruch, meine Damen und Herren. Also, auf ins U4.

Flash 2. Dann war man drinnen. Mittendrin. Und machte z.b. mit beim “Air Band Wettbewerb”, einem höchst skurrilen Spektakel, wo Wiener “Szene-Menschen” berühmte Bands und Künstler jener Tage nachstellten. Erinnere mich an einen schlanken, ranken, feschen Werner Geier als Andreas Dorau. Und an Johnny Reggae, den ich dann – er äußerlich quasi unverändert – 19 Jahre später im “Amadeus” auf der Mariahilferstraße wiedertraf, ohne dass wir in nostalgische Zuckungen ob seiner “Air Band”- Konzeption verfallen wären. Johnny Reggae (auch so ein Künstlername, der nur damals entstanden sein kann) hatte mich, wenn mich nicht alles trügt, als eine Art Keyboarder-Laiendarsteller verpflichtet. Angeblich gibt’s irgendwo ein Video davon. So wie‘s es von allem und jedem, das/die/der mit dem U4 zu tun hatte, angeblich ein Video oder ein Foto oder sonst was gibt. Muss mal Conny fragen.

Flash. Conny. De Beauclair. Seltsamer Name, dachte ich damals. Denke ich heute manchmal auch noch. Guter Typ. Die Ruhe und Freundlichkeit in Person. Ganz anders als die mir sonst so verhassten Türlsteher. Thront heute immer noch als Zerberus und Zeremonienmeister knapp vor oder hinter dem U4-Eingang. Institution, sprichwörtlich. Like Christine Oberrauch, ganz zu Beginn (erinnert sie sich noch an die zufällige Begegnung auf der Portobello Road ’82, als ich als Ö3-Frischling zum Interview mit – dem damals noch stupend unbekannten – Boy George eilte?). Like Ossi Schellmann, Wolfgang Strobl. Karin Löffler. Bella. Venus. Willi Brumec, Marc und Boris Wörister, Nadja Sarwat und die ganze Brüder- und Schwestern-Partie.

Flash 3. Hansi Lang, ca. 1983, “Keine Angst”, live im U4. Drückte mich im Dunkel rum mit Martina R., die dann später berühmt werden sollte als “Willkommen Österreich”-Moderatorin und Billa-Pappfigur. Und die Mutter einer gemeinsamen Tochter (die das U4 auch schon von innen kennt). Irgendwo muss ja der Ursprung allen Lebens, aller Begierde, aller zwischenmenschlichen Hitze sein. Damals lag er in diesem Labyrinth in Wien-Meidling, zwischen all diesen euphorisierten, schwitzenden, zuckenden Leibern. Keine Angst. Gutes Konzert, übrigens. Sehr gutes Konzert. Hansi Lang war knapp dran an Falco, eine Zeit lang. Die Cyber-Musicals kamen erst später in Mode. Zwei Dezennien später, um exakt zu sein.

Flash 4. Gutes Stichwort: Konzerte. Ja, da war Prince (und ich hab‘ das Bootleg von seinem U4-Gig im Plattenschrank stehen, yes Sir). Und Ronnie Urini. Sade. Die Brüder. Nirvana. Die Happy. Wasweißichweraller. Nicht zu vergessen Der Schnakenkönig (alias Gerhard Potuznik) im Vorprogramm von Nikki Sudden. Aber jenes Gastspiel, das mir am grellsten und plastischsten in Erinnerung ist, war jenes der Godfathers. Muss gegen Ende der Achtziger gewesen sein. “Birth School Work Death”. Punk/Wave/Rock in seiner pursten Essenz: Schweiß. Der troff ob der unfassbaren Zusammenballung von Godfathers-Adoranten und ob der exorbitanten Hitze von der Decke. Tatsächlich. Greifbar. Wie in einer Tropfsteinhöhle.

Flash 5. Hitze. Feuer. Qualm. Flammendes Inferno im Kleinformat, so oder ähnlich. War ja nicht dabei. Gottseidank. Ich stand erst am nächsten Tag vor der feuerpolizeilich verschlossenen Tür, mit dem Plattenkoffer in der Hand. Hätte auflegen sollen, mit dem Geier, am Neujahrsabend 1989/90. Aber da war nichts mehr zum Auflegen, nur ein zerschmolzener Klumpen aus Plastik und Metall statt der Technics-Laufwerke (keine 1210er übrigens, für Kenner, sondern die noch massiveren Vorgänger-Modelle). Und ein ausgebranntes, geschwärztes, devastiertes U4. Eine Zäsur. Es wurde umgebaut und neu eröffnet, nach wenigen Wochen. Aber irgendwie war’s nicht mehr dasselbe, sagen Kenner. Ich sage nur: dieser Brand hat mir die zerfahrenste und unwirklichste Silvesternacht meines Lebens beschert. Ohne Job und Aufgabe, heimatlos förmlich, verbrachte ich sie auf dem Stephansplatz. Muss nicht nochmals sein.

Flash 6. Flash Gordon. Queen auch, manchmal. Oder Depeche Mode. Stroboskop-Blitzlichter. Flüchtige Erinnerungen. Karin Löffler und der kleine, speckdreckige Raum hinter der Bar, wo man abhängen und den aktuellen Dienstplan studieren konnte. “Demon Flowers”-Plakate mit wunderschönem Logo und “Dirty Dancing”-Parole (und einer Inschrift, die Angelika Lang nebst Werner Geier als Gastgeber anführte, was dann ja irgendwie nicht zutraf). Der ORF-Ü-Wagen auf dem Busbahnhof hinter dem Lokal, mit Gerald Pally an den Reglern oder Christian Sodl oder sonst irgendeinem Fuchs, der Bänder für einen “MusicBox”-Live-Mittschnitt mitlaufen ließ. Falco als legendenumraunter Stammgast in aller Herrgottsfrüh, leider nur bedingt ansprechbar. Gabi Dorschner als umschwärmte Frischblutzufuhr. Lisi Rühl bei einer “Rennbahn Express”-Weihnachtsfeier (?). Der kurios dreiste Annäherungsversuch an Barfrau Bella, nicht unerfolgreich, bestraft mit dem Versäumen eines Fliegers nach München (Virgin-Mann Wolfgang Pötsch zeigte Verständnis). Wolfgang Kopper im “Seniorenclub”. Willi Brumecs Daktari-Land Rover, fix geparkt vor dem Bankomaten auf der dem U4 gegenüberliegenden Straßenseite. Ich selbst als langzotteliger “Speak Easy”-DJ mit John Lennon-Brille, mit seltsamen Lieblings-Platten (etwa “Stranglehold” von Ted Nugent oder “Don’t Fear The Reaper” von Blue Oyster Cult). Ein zu letzterem Titel exzessiv tanzender Chris Duller. Wieder ich selbst beim manisch-jenseitigen Versuch, eine aufkeimende Grippe mittels noch exzessiverer Tanzeinlagen zu exorzieren. Oder beim gleichfalls manischen Experiment, “Ballroom Blitz” von Sweet mittels zweier Vinylsingles auf zirka dreißig Minuten Länge zu strecken. Zombies, die auch zur absoluten Sperrstunde noch auf der Tanzfläche rumzuckten. Gleißende Sonne beim Verlassen des Lokals in der Morgenstunde. Augenblickliches Eintreten des berüchtigten Boris Karloff-Effekts: Zerfall zu Mumienstaub. Schlafsucht. Ewige Alltagsferne. Ewige Jugend.

Flash 7. Bin erst neulich wieder in den dunklen Mutterschlund abgestiegen. Von wegen ewige Jugend. Verbleib bis zur Sperrstunde. Hab‘ “One” schätzen gelernt (und behaupte nur noch schwach, dass “New Years Day” doch der bessere U2-Song ist, Lisaschatz), habe mich gewundert, dass Venus immer noch hinter der Bar steht (und besser aussieht denn je), habe wie eh und je die vergrätzten Toilettenanlagen umschifft, Wolfgang Strobl hinter dem Mischpult zugewinkt, mit Conny geplaudert, Flyer eingestreift, Twinni-Eis in der Mitte geknackt, einen weißen Spritzer bestellt, mit dem Fuß gewippt und Nachtschattengewächse angegafft (werden immer jünger, die Dinger). Same as it ever was.

Flash 8. Frühjahr 2020. Total Recall. Ich soll einen Beitrag für den Prachtband “40 Jahre U4” abliefern, meint Conny. Geht in Ordnung. Unter einer Bedingung. Ich möchte, nein, ich muss das Video von jener schon heute legendären “Idealzone”-Nacht haben, wo am Mischpult DJ Elk gegen Peter Rauhofer antrat, Jimmy Deix am Lichtschalter saß (auf dem Schoß von Willi Türk, oder war’s doch Harry Lametta?), die Parole “Tonight Free Drinks / Free Sweets / Free Willie!” hieß und die Lotte Tobisch des U4, Karin Löffler herself, aufs Gogo-Podest stieg. Und am Schluss, tatsächlich nicht übermäßig überraschend, ein nur leicht gealterter Hans Hölzel um die Ecke bog und aufreizend beiläufig meinte “Wos is los, Buarschn? Ihr werdt’s doch net wirklich glaub’t ham, daß I mi auf aner Insel in der Karibik zur ewigen Ruah begeben werd‘?”.

Nein, wir hatten immer an das U4 gedacht. Conny Island. Das Goldfisch-Mausoleum.

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Wer zu früh kommt, kommt zu spät

27. November 2010

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (87) iPhone & iPad sind – dank „AirPlay“ – zu eleganten, drahtlosen Miniatur-Musiktruhen mutiert.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Dieser Satz, den Michail Sergejewitsch Gorbatschow so nie gesagt hat, traf nicht nur den DDR-Despoten Erich Honecker und seine Reichsverweser ins Herz. Er gilt auch – und erst recht – unter strikt kapitalistischen Rahmenbedingungen.

Jedenfalls musste ich daran denken, als ich dieser Tage zwei Päckchen schnürte und an den Absender zurücksandte. Ihr Inhalt: „Streaming Devices“, also Schnittstellen für die kabellose Übertragung von Musik. Vom Laptop an eine Stereoanlage z.B.; das ständige An- und Abstöpseln irgendwelcher Kabel zählt ja nicht gerade zur Lieblingsbeschäftigung des durchschnittlichen Pop-, Klassik- oder Jazz-Fans. Dabei hatte ich beide Kästchen auf ihre Weise als hinreichend brauchbar, ja gut empfunden.

Der „Bluetooth Music Receiver“ des Zubehör-Herstellers Belkin etwa ist klein, kostengünstig und leicht in Betrieb zu nehmen. Den Nachteil, gelegentliche Aussetzer zu produzieren (etwa wenn dem Musikempfang eine andere Bluetooth-Quelle in die Quere kommt), nimmt man dafür mit leisem Murren in Kauf.

Die „Squeezebox Touch“ von Logitech ist da ein weit stabileres und ausgeklügelteres System. Mit berührungsempfindlichen Display, LAN- und WLAN-tauglich und stressfrei ins Heim-Computernetz einzubinden. Auch der Klang verdient ein Extra-Lob. Noch vor wenigen Wochen hätte ich, sieht man von deutlich teureren HiFi-Komponenten ab, genau dieses Produkt Freunden als „State of the Art“ anempfohlen.

Nun aber hielt – ich berichtete schon vergangene Woche darüber – das ominöse schwarze „Apple TV“-Kästchen Einzug in den Haushalt. Ich missbrauche es zumeist als Audio-Übertrager, das (noch überschaubare) Online-Video-Angebot ist nur eine hübsche Zugabe. Apple hat nachgerüstet und das Betriebssystem iOS zur Version 4.2.1 aufgebohrt; damit werden alle iPhones, iPod Touch-Player und vor allem das iPad im Kombination mit dem Streaming-Gegenstück zur ultimativ eleganten Miniatur-Musiktruhe.

Ich kann nur raten: vergessen Sie alles, wo man die Dinger hinein-, an- und abstecken muss. Das war gestern. Die Stereoanlage der Zuk-, pardon, Gegenwart kennt keine Chinch-Kabel mehr (jedenfalls keine, die zur Sound-Quelle führen). Und auch keine Extra-Fernbedienung. HiFi-Grössen wie Marantz, Denon, Onkyo und Co. springen gerade auf den rasant losrollenden Zug auf. Natürlich ist’s, wie bei Apple üblich, nur im geschlossenen System („iTunes“, „AirPlay“) zu betreiben und hat für audiophile Gemüter noch reichlich Luft nach oben. Und via „Airport Express“ geht es allein mit Audio-Signalen noch eine Spur billiger.

Aber Logitech, Belkin & Co. sehen plötzlich alt aus. Und werden wohl vom Markt, den Apple derzeit fast nach Belieben dominiert, abgestraft. Obwohl sie doch eigentlich nicht als Zu-spät-Kommer gelten dürfen. Im Gegenteil.

Televisionen

20. November 2010

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (86) Sie kommen, die Kästchen: „Apple TV“ zeigt, wie das Fernsehen der Zukunft funkt(ioniert).

Es ist eh lustig, aber irgendwie auch todtraurig, die Diadochenkämpfe am Küniglberg mitverfolgen zu müssen (samt den Begleittönen, die altvordere Egomanen wie Gerd Bacher absondern, was allerorten nur mehr Kopfschütteln auslöst). Insofern mag es tröstlich sein, dass die Zukunft des ORF weder in den Parteizentralen noch in der Betriebskantine entschieden wird. Und gewiss auch nicht in der Chefetage im 6. Stock der ORF-Trutzburg.

Wie meinen? Sagen wir so: die Fernseh-Zukunft steht generell zur Disposition. Da ist das Schicksal des ORF – der ja in manchen Bereichen so schlecht nicht dasteht, wie ihn manche (un)gern sehen wollen – vergleichsweise nebensächlich. Die eigentlichen Kampflinien verlaufen weder zwischen profitorientierten Privat-TV-Magnaten und öffentlich-rechtlichen Besitzstandwahrern noch zwischen den Sendern selbst.

Sondern zwischen Medienunternehmen – die Grenzen zwischen Print, Radio, TV verschwinden zusehends – per se. Und jenen Neulingen, die vehement in einen Markt drängen, auf dem die Kakophonie des Ewiggleichen gewiss kein probates Überlebensrezept ist. Diese Ruhestörer heissen Google, Apple, Microsoft, Sony & Co. Nicht unbedingt klassische „Medienunternehmen“, gewiss. Aber sie profitieren von unserer Neugier. Und Inhalten, die wir selbst produzieren. Oder doch Hollywood, das nach neuen Absatzkanälen für seine Breitwandschinken sucht.

Ich habe seit wenigen Tagen ein kleines schwarzes Kästchen – Kantenlänge 10 x 10 Zentimeter – daheim, das auf den putzigen Namen „Apple TV“ hört, mit dem Flachbildschirm per HDMI-Kabel verbunden ist und sich jeglichen Content aus dem Netz fischt. Anstandslos. Musik, Fotos, YouTube-Kuriositäten, Podcasts, Spielfilme. Zwar funktioniert letzteres, wie bei Apple üblich, nur über den hauseigenen iTunes Store und man muss, abhängig von der Netzbandbreite, mal ein halbes Stündchen auf die Lieferung warten, aber es ersetzt definitiv den Gang zur Videothek. Das Anschauen per Streaming – es gibt nur einen Pufferspeicher, keine Festplatte – kostet ab 2,99 Euro, man hat dafür 30 Tage Zeit. Elegante Sache. Und dabei steckt‘ sie immer noch – lange Zeit wusste man überhaupt nicht so recht, was Steve Jobs mit „Apple TV“ vorhatte – in den Kinderschuhen.

Die Blackbox, technisch basierend auf dem iPhone (mit dem es bald auch Daten austauschen kann), kostet in den USA gerade mal 99 Dollar. Hierzulande sind es dito moderate 119 Euro. Voilá: eine potentielle Killerapplikation. Natürlich nur prototypisch. Denn was hie „Apple TV“ heisst, heisst dort „Boxee“. Oder sonstwie. Die Kästchen sind gerade mal erste Vorboten für die Generation Sofa Surfers.

Netzwerkspezialist Cisco geht davon aus, dass anno 2014 ganze 91 Prozent (!) des globalen Datenverkehrs bewegte Bilder sein werden. Sprich: das Patschenkino der Zukunft ist das World Wide Web. Der ORF darf eventuell ein wenig Kasperltheater, TVthek-Content und Lokalkolorit beisteuern. That’s it.

Science Fiction versus Senioren

13. November 2010

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (85) Für einen lebensentscheidenden Anruf braucht es nicht unbedingt ein überzüchtetes Smartphone.

Eigentlich sind mir ja Mobiltelefone – das seltsame Wortgeschöpf „Handy“ versteht ausserhalb des deutschsprachigen Raums kein Mensch – relativ egal. Relativ, wohlgemerkt, denn natürlich sind die Dinger inzwischen weithin Miniatur-Elektronengehirne mit einer Funktionsvielfalt jenseits von „Eine für alles“-Küchenmaschinen. Das gilt insbesondere für die Subspezies „Smartphone“. Ohne Touchscreen, eigenen App-Store und allerlei Goodies, die direkt aus der Werkstatt des James Bond-Bastelonkels Mister Q stammen könnten, geht heute gar nichts mehr. Egal ob es sich im ein iPhone, ein Modell mit Android- oder Symbian-Betriebssystem oder gar eins mit dem neuen Windows Mobile 7 (vulgo Windows Phone) handelt. Die Menschheit gewöhnt sich umgehend an jeglichen im Alltag probaten Fortschritt, obwohl’s uns noch vor zwei, drei Jahrzehnten wie Science Fiction vorgekommen wäre.

Man kann also mit Recht fasziniert sein von Mobiltelefonen. Bin ich auch (wobei meine Faszination nicht ganz so weit reicht wie jene des „Falter“-Technikkolumnisten-Kollegen, der praktisch nur mehr über neueste und allerneueste Handys schreibt). Wobei: die Frage, ob ein Gerät von Nokia, Samsung oder HTC lifestyle-mässig eher zu Männlein oder Weiblein passt – sogar das wurde dieser Tage erörtert, wenn auch nicht im vielgeschätzten „Falter“ – mag eventuell für Marketingstrategen relevant sein. Für den Rest der Welt weniger. Meiner Mutter etwa, deren Fixanschluss im nördlichen Niederösterreich gerade von „Viertel-Telefon“ (kennt das noch wer?) auf einen vollwertigen Anschluss umgerüstet wird, ist das gänzlich blunz’n. Aber neulich im Spital wurde sie auch – kein Wunder bei den Abzocker-Tarifen der Krankenanstalten – vom Mobile Phone-Virus infiziert. Also muss dringend ein Handy her.

Und damit kommen wir zum Nutzwert dieser Kolumne: überlegen Sie sich, ob es tatsächlich ein State Of The Art-Gerät sein soll. Oder nicht doch eins der bestechend simplen Dinger, die der Fachhandel, marketingtechnisch eher unclever, als „Senioren-Handies“ führt. Damit kann man ganz hervorragend telefonieren. Die Ziffern ohne Brille ablesen. Und, im Fall der Fälle, einen Notruf an seine Liebsten (oder eine sonstige eingespeicherte Nummer) absetzen. Der in Linz ansässige Hersteller emporia etwa macht mit solchen Mobiltelefonen Millionenumsätze. Und ist damit, Gratulation!, weltweit Marktführer. Das brandneue Modell „Solid“ sieht übrigens gar nicht nach Pensionistenverein aus. Sondern eher nach Adventure-Pfad. Ich glaub’, ich bestell’ mal ein Testexemplar.

Beiläufige Musiktipps (10)

9. November 2010

Diese CD ist eine kleine Sensation. Denn mit Sigi Maron kehrt eine wirkliche Legende auf die Bühne, in die Feuilleton-Spalten und in die noch verbliebenen Plattenläden zurück. Es ist kein Comeback der üblichen, meist rein kommerziell motivierten Art. Krankheitsbedingt ist Maron, die Galionsfigur der heimischen Polit-Singer-/Songwriter-Szene, über fünfzehn lange Jahre nicht aufgetreten. Die Rückkehr des engagierten, impulsiven und geliebt-gefürchteten Schmäh- und Wortführers, der seit seiner Jugend im Rollstuhl sitzt, darf als überaus kräftiges Lebenszeichen gewertet werden. Und nie waren Marons Songs besser, bissiger, brisanter als heute.

Man kann mit Sigi Maron nicht streiten. Ich meine: natürlich kann man. Wie mit kaum jemandem sonst in unserem Kulturkreis. Dieser Künstler ist ein streitbarer Geist par excellence. Aber es macht – bei aller (Eigen-)Ironie, der ihm wie ein Schalk im Nacken sitzt – keinen Sinn, Details kleinlich in Frage zu stellen. Wie ich es versucht habe. Der Frosch zu Beispiel, dieses harmlose Tier, erschien mir zu niedlich, zu nichtssagend, zu – nunja, nichtig. Jedenfalls nicht passend für ein spätes, reifes Album eines wortgewaltigen und bildmächtigen Liedermachers. Bis mir Sigi Maron die Beweggründe erläuterte. Man kann sie nur in Demut und Respekt vor einer Grösse, die keine Kleinheit kennt, zur Kenntnis nehmen. „Es gibt kan Gott“ erscheint also mit einem Frosch auf dem Cover, gemalt von Nina Maron, Sigis Tochter. Die Motivation wird er Ihnen live auf der Bühne darlegen. Oder sonstwie und sonstwo. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Anno 2010 tritt Sigi Maron gemeinsam mit den jungen Musikern der Rocksteady Allstars auf – Ska und Reggae in Verbindung mit Maron-Texten (u.a. nachzulesen im Buch „Fahrrad gegen Mercedes. Gedichte und so“, erschienen im Verlag Bibliothek der Provinz), das ist eine ganz frische, unorthodoxe und vergnügliche Kombination. „Die Musik macht mir, bei aller Anstrengung, wieder eine unbändige Freude“, erläutert der Sänger. Die Unbill diverser Lebens-Handicaps, Zeitgeisterstunden und Alltagswidrigkeiten wird solchermassen flugs mit dem Rock’n’Rollstuhl entsorgt.

1944 in Wien geboren, wuchs Sigi Maron mit sechs Geschwistern in Gneixendorf bei Krems auf. In den siebziger Jahren reifte er im Umfeld der „Arena“-Bewegung zum sozialkritischen Liedermacher heran. Sein erstes Album („Schön is des Lebn“, 1976) produzierte André Heller. In Zusammenarbeit mit den Schmetterlingen, später mit dem Kevin Coyne-Produzenten Bob Ward und mit Konstantin Wecker schuf er zeitlos gültige Meisterwerke wie „Laut & leise“, „He Taxi“, „5 vor 12“ oder „Unterm Regenbogen“. Die Single „Geh’ no net fort“ rangierte 1985 zehn Wochen lang in den Charts. Maron galt dabei immer als eine der personellen Speerspitzen der heimischen Polit-Künstler. 1998 und 2003 kandidierte er für die Kommunistische Partei für den niederösterreichischen Landtag. Vom beissenden Spott, der zärtlichen Zynik und volksverbundenen Derbheit seiner Formulierungswut blieben aber auch die eigenen Genossen meist nicht verschont.

Manche erinnern sich: einst, Anfang der achtziger Jahre, protestierte Maron gegen den weitgehenden Ö3-Boykott der kritischen Liedermacher – die „Musicbox“ war eine Ausnahme – vor dem Wiener Funkhaus. Und wurde dafür von der Polizei in die Psychatrie eingeliefert. Daß er dereinst am selben Ort geliebt, gehört, geehrt würde, war damals nicht abzusehen. Es ist eine späte Wiedergutmachung.

Diese CD – und jene zweite, die die objektiv und subjektiv grössten „Hits“ einer langen Laufbahn versammelt, eine Handvoll Lieder, die drei bewegte Jahrzehnte umspannen – sollte jedenfalls einen Ehrenplatz finden im Pop-Archiv dieses Landes. Daß es sich keineswegs um harmlosen, schunkelseligen „Austro-Pop“ handelt, auch wenn Sigi Maron nie traditionellen, volksnahen Strickmustern entsagt hat, wird nach dem ersten Durchhören klar. Die Ehrenmitgliedschaft im Verein für deutliche Aussprache war und ist Maron sicher.

Für viele wird die Revue der alten Songs ein Wiederhören bedeuten. Für andere ein lustvolles Neu-Entdecken. „Es gibt kan Gott“, das aktuelle opus magnum, ist jedenfalls nicht von gestern. Eher im Gegenteil: auch Endlichkeit hat eine transzendente Perspektive. Auch wenn’s nunmal keinen Gott gibt. Fragen Sie die Fliegen. Beobachten Sie den Frosch. Erahnen Sie den Storch. Lauschen Sie Sigi Maron. Es gibt keinen zweiten wie ihn.

SIGI MARON : „Es gibt kan Gott“
Es Gibt Kan Gott – Sigi Maron

Old School Stereo Components

5. November 2010

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (84) Keine neue, aber eine erfrischende Erkenntnis: eine altmodische HiFi-Anlage kann auch eine topmodische Wertanlage sein.

Heissa!, jetzt bricht wieder der Rummel mit den Jahres-Bestenlisten los. Die beste CD-Veröffentlichung, das lesenswerteste Buch, die grösste Enttäuschung unter den Produktnovitäten, die dringlichste Empfehlung für den Weihnachtsgabentisch. Und so weiter und so fort. Die übliche Jahresausklangs-Folklore für Journalisten und Konsumenten.

Da die Halbwertszeit der – mehr oder minder nachvollziehbar begründeten, manchmal auch nur apodiktisch verkündeten – Urteile aber immer kürzer wird, hebt die Rückschau tendenziell immer früher an (ganz unabhängig von jenen Narren, die uns im Jänner weismachen wollen, sie hätten definitiv schon „das Album des Jahres“ ausgemacht… Ich hab‘ zu derlei Unfug sowieso eine ganz eigene Meinung).

So preschte dieser Tage das Nerd-Zentralorgan „Wired“ vor und kürte die „39 besten Gadgets des Jahres“. Darunter das iPad („Mobile Product Of The Year“), einen 3D-Fernseher von Panasonic, ein Film-Streaming-Service namens „Netflix“, das noch nicht bis Europa durchgedrungen ist, eine Spiegelreflexkamera von Nikon (D300S, „The Terminator of DSLRs“) und allerlei anderes State Of The Art-Spielzeug. Eine vergnügliche, aber durchaus vorhersehbare Liste. Nur bei einer Rubrik war dies nicht der Fall. Im Gegenteil: wer hätte gedacht, dass „Old School Stereo Components“ in einem zukunftsorientierten Medium wie „Wired“ einen Platz finden? Also Röhrenverstärker (!), Plattenspieler (!!) und Lautsprecher, die aussehen, als hätte man sie mittels einer Zeitmaschine direkt aus den frühen siebziger Jahren in die Gegenwart gebeamt?

Ich selbst habe noch vor Jahresfrist die ganze High Fidelity-Chose – abseits der AudioVideo- und PC/Streaming-Abteilung, die von Traditionalisten mit Verachtung gestraft wird – als leicht angestaubtes Hobby für alte Männer abgetan. Pah! Ich fröne ja selbst diesem Hobby. Am Tag, an dem Sie diesen Blog-Eintrag in der papierenen „Presse am Sonntag“ lesen – also am Sonntag – finden Sie den Autor wahrscheinlich quietschvergnügt bei der heimischen HiFi-Messe „KlangBilder“ im Wiener Hilton Plaza Hotel am Schottenring (die läuft übrigens auch schon heute). Inmitten mannshoher Boxen, audiophiler Hörgeräte (ohne Surroundschnickschnack) und gigantomanischer Plasmaschirme.

Oh ja, man kann für derlei Zeug viel Geld ausgeben. Man kann aber auch die eine odere andere Anschaffung fürs Leben tätigen. Die sich tendenziell – allein ob des Zuwachses an Hör-, Seh- und Lebensqualität – eher rechnet als ein Fast Food-Billigburger zwischendurch. Wenn dann mediale Durchlauferhitzer wie „Wired“ auch auf den Zug aufspringen und (im besten Sinn des Wortes) konservatives Konsumverhalten zum Trend des Jahres 2010 erklären, soll’s uns doppelt recht sein.

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