Archive for April, 2011

Heiter bis wolkig

30. April 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (107) „I leb’ in ana Wolk’n“ sang einst Austro-Popper Peter Cornelius. Ein visionäres Liedlein.

Ich muss ja immer leicht grinsen, wenn ich Peter Kruder – einen der wenigen Pop-Stars von Weltgeltung, die ihre Wurzeln in Österreich haben – aktuell am Fernsehschirm auftauchen sehe. Sie wissen schon: in dieser Werbung, wo der Discjockey cool erklärt, dass ein über seinem DJ-Laptop verschüttetes Getränk (samt daraus resultierender Zerstörung des Geräts und aller Musikdateien) kein gröberes Malheur sei. Auch wenn man gerade in Barcelona weilt, die Original-Schallplatten und MP3-Backups aber daheim in Wien im Regal stehen hat.

Die „Cloud“ macht’s möglich. Sprich: ein virtueller Datenspeicher im Netz, auf den man mit beliebigen Endgeräten zugreifen kann. T-Mobile bietet bis zu 100 Gigabyte Volumen. Ein Gigabyte ist gratis, der Rest fast geschenkt. Andere Provider folgen wohl demnächst nach. Oder haben’s längst getan. Da zieht eine mächtige Wolkenfront auf.

Warum ich darüber ins Grinsen gerate? Erstens: weil eine so offensiv nach Glaubwürdigkeit heischende Werbung von und mit Kruder & Dorfmeister vor Jahren noch undenkbar gewesen wäre. Und zweitens: weil der Trend, Musik, Videos, Hollywood-Filme et al „in the cloud“ zwischenzulagern, ja nicht gerade der allerneueste Schrei ist. Sondern eigentlich ein alter Hut. Den sich aber alle Anbieter gerade gern aufsetzen, von Amazon über Google bis zu heimischen Telekommunikationsunternehmen.

Auch Apple ist dabei, Wolken rund um das betriebseigene Mediencenter iTunes zusammenzuschieben. Die Songs, die wir alle digital auf unseren Computern oder externen Festplatten horten, sollen in Zukunft nicht mehr lokal, sondern in sogenannten „music lockers“, virtuellen Musikspinden, auf unternehmenseigenen Servern abgelegt werden. Klingt nach einer guten Idee: derlei erspart Speicherplatz. Und es lässt sich von jedem Gerät mit Internetzugang darauf zugreifen. Eventuell auch von Freunden. Der heisse Scheiss der Saison also?

Ja und nein. Denn – nicht unwesentliche – Fragen zur Datensicherheit, der Verfügbarkeit bei Netzausfall und der Berücksichtigung aller Urheber- und Labelrechte sind ungeklärt. Die Plattenfirmen sind einmal mehr, vorsichtig ausgedrückt: zurückhaltend. Was Google & Co. in den Wahnsinn treibt. Und dann existieren ja – neben den bekannten Pay per Download-Plattformen – auch noch Streaming-Anbieter wie Spotify oder Simfy. Deren Geschäftsmodell – das ich selbst nach intensiver Auseinandersetzung mit der Materie bis dato nur ansatzweise kapiere – bröckelt. Heftig. So sie es denn nicht sowieso darauf anlegen, von Apple oder der Konkurrenz geschluckt zu werden. Zukunftsaussichten also: heiter bis wolkig.

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Return To Fantasy

27. April 2011

Am 12. Mai spielen Nazareth und Uriah Heep im „Planet Music“ im Gasometer in Wien. Ein 70er-Jahre-Doppelpack par excellence. Egal, was uns erwartet: ein Zeitreise-Ticket, bitte, und ein kräftiges “Heep Heep Naz Naz”!

Freilich kann man argumentieren, ein Magazin namens „inwien“ solle, nein: müsse sich zuvorderst dem hiesigen & heutigen Kultur- und Musikschaffen widmen. Aber abgesehen davon, dass Sie z.B. über das lobenswerte „Pop Fest Wien“ oder die neuen, exzellenten Tonträger von Attwenger, Ja, Panik, Kreisky oder Clara Luzia auch andernorts zu lesen bekommen (und sei es nur ein paar Seiten weiter in diesem Blog), atmet Popkultur den Geist der Grenzüberschreitung, der Modewellen, des Kosmopolitischen. Wenn man sie unter einem lokalpatriotischen Quargelsturz hält, riecht sie rasch streng. Und ein Blick über den Tellerrand und eine Portion Gastfreundlichkeit haben noch nie und niemandem geschadet.

Zudem, und das ist der eigentlich Aufhänger für meine staatstragende Einleitung: wo/was wären wir denn ohne ordentliche musikalische Sozialisierung? Wir würden ewig Peter Alexander nachtrauern (er ruhe in Frieden), uralte Austropop-Hadern pfeifen und die Wiener Sängerknaben für Sendboten ewiger Werte halten. Da aber die Beatles auch hierzulande stattfanden und Ö3 Ende der sechziger Jahre ein Tor zur Welt öffnete, haben wir Anschluß an die Pop-Internationale gefunden.

Gestatten Sie mir den persönlichen Fingerzeig: Suzie Quatro (live in der Wiener Stadthalle 1974) oder die Deutsch-Amerikanische Freundschaft (im 20er-Haus bei den Festwochen 1981) zählen zu Erweckungserlebnissen meiner Generation. The Clash anno ´77 im Porrhaus am Karlsplatz samt anschliessender Sesselzertrümmerung habe ich leider versäumt. Dafür könnte ich mich heute noch ohrfeigen.

Und dann rumorten da einst Nazareth und Uriah Heep. Absolute Heroen pickeliger Schülerhorden der Siebziger. Zu „This Flight Tonight“, einer genial-brachialen Adaption eines Joni Mitchell-Songs, wurde die Luftgitarre malträtiert. „Love Hurts“ war, neben „Samba Pa Ti“ von Santana und „Sailing“ von Rod Stewart, der Engtanz-Klassiker schlechthin. Später hörte man dann kaum mehr etwas von Nazareth. Im Gegensatz zu den Hardrock-Dinosauriern Uriah Heep. Mick Box und seine Mannen sind immer noch unterwegs. Seit Jahrzehnten. Dass beide Bands jetzt an einem Abend gemeinsam in Wien aufschlagen, hätte ich einst nicht zu erträumen gewagt.

Diesen Spass auszulassen, wäre Verrat an der eigenen Pop-Historie. „Return To Fantasy“ oder „July Morning“: ich kann diese Songs immer noch in- und auswendig. Und er gibt ein treffliches Motto für eine extra-extravagante Zeitreise ab.

Das Justin Bieber-Syndrom

23. April 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (106) Seltsam, wenn Journalisten meinen, dem „Facebook-Mob“ moralisch überlegen sein zu müssen. Oder tatsächlich zu sein.

Noch einmal schreibe ich nicht darüber, das Thema hängt mir schon zum Hals raus. Ihnen hoffentlich ja nicht. Aber es ist schon erstaunlich, wie sich alte und neue Medien wechselseitig hochschaukeln, wenn es um die – hochgradig emotional besetzte, doch im Vergleich zur Katastrophenlage in Japan, Syrien, Libyien et al vergleichsweise nebensächliche – österreichische Innenpolitik geht. Konkret um die Besetzung eines Staatssekretärpostens mit dem 24-jährigen „Justin Bieber der Politik“ names Sebastian Kurz.

Lassen wir die Debatte, ob Kurz geeignet und gebildet genug ist für solch ein gewichtiges Amt, beiseite; sie hat hierorts nichts verloren. Lassen Sie uns stattdessen über die Funktion von Medien reden, über Techniken und Strategien der Meinungsmanipulation und über mein Erstaunen über das Erstaunen nicht weniger Journalistenkollegen.

Den „Justin Bieber“ etwa – der Name steht für eine (nicht ganz unbegabte) Star-Marionette der US-Musikindustrie, die damit automatisch auch den Spott und Hass von Postern, Bloggern und Social Media-Usern auf sich zieht – habe ich den „Salzburger Nachrichten“ entnommen (dort schreibt er sich „Biber“). Deren Redakteur wiederum hat das klebrig-böse Synonym der Facebook-Gruppe „Ich mach’ den Integrationsstaatssekretär bei Humboldt“ entliehen. Um damit das Tohuwabohu rund um den Pro- und Contra-Kreuzzug, der „Biber“ Kurz seit seiner Ernennung begleitet, zu illustrieren. Ohne diese explizite Print-Hervorhebung wäre der Vergleich in einem von hunderten spontan entstandenen Threads online untergegangen. Ich jedenfalls hätte ihn als Leider-nein-Mitglied des „Humboldt-Freundeskreises“ (wohl eher: Feindes-Heerlagers) eher nicht zu Gesicht bekommen.

So profitiert der Moralist vom vermeintlichen Anti-Christ. Was in den „Salzburger Nachrichten“ noch fehlte (aber andernorts natürlich prominent ins Blatt gerückt wurde), war ein entsprechender Kommentar. Von wegen: ekelhafte Kampagne, 100-Tage-Schonfrist, Klassenkampf, lauter frustrierte Trolle, Neider und Web-Wichtigtuer. Nur das geflügelte Wort von den „unqualifizierten“ Stimmen aus dem Volk wäre unangebracht gewesen: denn von Erfahrung, Kompetenz und Qualifikation kann hier peinlicherweise tatsächlich keine Rede sein.

Eigentlich bedarf es – die Kurz-Geschichte ist dafür ein probates und aktuelles Exempel, aber schon die Causa Guttenberg war es oder der Wikileaks-Komplex – nicht einmal besonderer Sensibilität oder aussergewöhnlicher technischer Aufgeschlossenheit: Facebook, Twitter & Co. sind äusserst markante Indikatoren für gesellschaftliche Stimmungslagen. Und gehören längst zum Alltag jedes Medienprofis. Die Lage ist klar: die Apathie und Politik-Verdrossenheit weiter Kreise der Bevölkerung kippt allmählich in aggressive Ablehnung des Systems an sich. Die Gründe dafür liegen auf der Hand. Wer sich also über das, was in Social Media-Kanälen so läuft, nur wundert (oder klischeehaft eine von aussen gesteuerte „Kampagne“ ortet), eignet sich nicht zum Innenpolitik-Redakteur im Speziellen. Und zum Zeitgeist-Kommentator im Allgemeinen. Eventuell gerade noch zum einsamen Mahner und wunderlichen Moralapostel, an dem links und rechts die Massen vorbeiströmen, woher und wohin auch immer.

Damit zum Punkt: Spötter und Zeilenschinder in den Old School-Medien, die aus Egozentrik und professioneller Lust an Polemik letztlich höchstpersönlich Profit schlagen (abzulesen u.a. am Gehaltszettel), mögen sich bitt’schön nicht über das gemeine Volk erheben. Oder gar zu Kreuzrittern und Edelfedern adeln, die vox populi 2.0 kommentieren, kanalisieren oder gar abmahnen müssten. Diese Zeiten sind vorbei. Die Mehrheit des Journalisten-Clubs ist auch nicht besser als die Online-Spass-Guerilla. Oder treffsicherer. Vom Witz ganz zu schweigen.

Oder, wie es eine Facebook-Freundin formulierte: „Es gibt einen Unterschied zwischen bösem Schmäh, harter Kritik und Mob-Rausch. Jeder muss selbst reflektieren, ob er noch intellektuell bei der Sache ist oder in ein Mobverhalten kippt. Mobs sind das Letzte. Das Allerletzte.“ Gültigkeit: allseits. Und jetzt soll und kann Staatssekretär Kurz zeigen, was er drauf hat. Oder auch nicht.

The Angst And The Amen

19. April 2011

Sie sind die neuen Lieblinge des deutschsprachigen Pop-Feuilletons: Ja, Panik. Zurecht? Zumindest haben sie es geschafft, einen Hymnus des Wohlwollens zu provozieren.

Neulich war ich auf einer Pressekonferenz. Zum „Popfest Wien“. Da sassen weit mehr (zumeist junge, oft sehr junge) Damen und Herren herum, als der Veranstalter antizipiert hatte. Die Kaffeekannen waren rasch leer, Nachschub blieb aus. Grundsätzlich erfreulich, ein solcher Andrang. Grundsätzlich erstaunlich aber auch: nach einer etwas länglichen Präsentation eines pracht- und prallvollen Programms gab es keine Fragen mehr. Weder an den Kurator. Noch an die Veranstalter. Auch nicht an den Kulturstadtrat. Bis sich dann doch ein Journalist aufraffte und nach dem Stellenwert der elektronischen Musik im Festival-Kontext fragte. Und weithin eine launige Anmerkung hängenblieb: jemand hätte eine Stinkbomben-Attacke angekündigt. Wer? Was? Warum? Dann wieder Schweigen. Stummes Kopfnicken. Geschäftig gute Laune allseits. Brot & Spiele, aber keine Fragen. Keine Kritik. Kein Widerspruch.

Während ich diese Zeilen in die Maschine hämmere, feiern Medien wie „Der Spiegel“, „Die Zeit“ oder „Die Welt“ – Blätter, die nicht nur in Deutschland die Welt bedeuten, sondern auch hierzulande – das neue Album von Ja, Panik ab. Von “Spex” und anderen Zentralorganen fortgeschrittenen Musikverständnisses ganz zu schweigen. Zurecht: Andreas Spechtl und seine Mitstreiter haben sich ungeniert selbst ermächtigt, die alten Granden des deutschsprachigen Diskurs-Pop vom Thron zu stossen. Für eine „hiesige“ Band eine beachtliche Leistung (auch wenn man auf dem besten Weg ist, sich vom notorischen Provinzdasein nachhaltig zu lösen). Live wird man Ja, Panik am 7. Mai am Karlsplatz in Aktion erleben dürfen. Sie werden beim „Popfest Wien“ ihr aktuelles, viertes Werk “DMD KIU LIDT” präsentieren. Ein definitiver Höhepunkt des Konzertreigens, soviel lässt sich risikolos vorab prognostizieren.

“DMD KIU LIDT” – der kryptische Name steht für “Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit”, zugleich ist es der Titel des 23minütigen Schlußstücks – ist ein einziges Vexierspiel. Ein Stakkato aus Zitaten, Anspielungen, Fangfragen und bruchstückhaften Antworten. Einmal mehr ein absichtsvoll verrätseltes, wunderbar labyrinthisches Manifest. Laut Mastermind Spechtl sind es “Langeweile und Verbitterung”, die Ja, Panik antreiben. Zu ergänzen wären: Ironie, Altklugheit, Ernst (eventuell: Todernst) und künstlerische Getriebenheit, die als Ziel aller Anstrengungen Gelassenheit fixiert.

Ein gefundenes Fressen für Musikjournalisten also, die sich an einer intellektuellen Steilvorlage abarbeiten können. Ja, müssen: denn sich dem Diskurs zu verweigern und das Album zu ignorieren, würde ja bedeuten, sich aus dem Kanon der Kollegenschar auszuklinken. Leichterhand auf die das Gewerbe determinierende Deutungshoheit zu verzichten. Und eventuell das nächste, grosse Ding zu verpassen. Oder, um den CD-Ankündigungstext auf amazon.de zu zitieren: „Das eigenständigste, poetischste, ja modernste Rock’n’Roll-Album, an dem sich die deutsche Sprache jemals beteiligen durfte.“

Aber hallo! Während ich diese Zeilen in die Maschine hämmere, habe ich noch nicht viel mehr gehört von “DMD KIU LIDT” als die gratis downloadbare Single “Trouble”. Und Album-Bruchstücke, die mir FM4 auf dem Radio-Präsentierteller serviert. In der Tat: ein schon bei flüchtigem Hinhören aufreizend radikales, gewitztes, verstörendes Werk. Auch im „Alternative Mainstream“ liegt derlei quer wie ein Walter Benjamin-Verweis in einem locker-flockigen Gratis-Printprodukt. Ich werde mir also das vierte Ja, Panik-Album besorgen. Wie schon die Vorgängeralben der burgenländischen, von Wien nach Berlin exilierten Band. Wer könnte sich dem Alle mal herhören!-Imperativ des versammelten deutschsprachigen Feuilletons widersetzen?

Was mir aber aufstösst (und auch Spechtl & Co. nicht nur Freude bereiten dürfte): es mischt sich keine kritische Stimme in den Diskurs. Bislang ist mir keine auch nur ansatzweise negative Rezension, keine seziermesserscharfe Analyse, kein Contra aufgefallen, das das einmütigen Hurra! der Pro-Fraktion konterkarieren würde. Ein Opus wie “DMD KIU LIDT” schreit aber förmlich nach Widerspruch. Nach intellektueller und emotionaler Reibung. Nach einer persönlichen Bewertung, die sich nicht in opportunistischer Copy & Paste-Meinungsfindung erschöpfen kann. Auch wenn sie letztlich positiv, ja hymnisch ausfällt. Oder, ganz im Gegenteil, aggressiv am dunkel glänzenden Lack des Ja, Panik-Konzepts und seiner Umsetzung kratzt. Gehen die Damen und Herren Kritiker schnurstracks in die Dialektik-Fallen, die Spechtl und seine Mitstreiter so konsequent auslegen? Und das p.t. Publikum folgt, dem Zug des Rattenfängers aus Hameln gleich, pfeifend hintnach? Diskurs-Shangri La, here we come! Die Manifestation des Journalismus in unserem Leben ist die Gleichgeschaltetheit.

Verstehen Sie mich nicht falsch: es ist eine der nobelsten Aufgaben des Musikkritikers, Interesse zu wecken. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Und Einordnungen zu ermöglichen. Die persönliche Urteilsfindung bleibt aber dem Hörer überlassen. Sofern es gelingt, den Impuls zu setzen und den Wunsch nach unbedingter höchstpersönlicher Urteilsfindung auch auszulösen. Für Künstler ist das die härteste Übung überhaupt: trotz (oder gerade wegen) der vielen Vorschußlorbeeren des Feuilletons auch adäquate Relevanz und nachhaltige Aufmerksamkeit beim Publikum zu erreichen. Respekt: Ja, Panik sind auf dem besten Weg dazu.

Zu “DMD KIU LIDT” eine eigene, individuelle, nicht durch die Musikpresse vorformatierte Meinung zu formulieren wird dennoch nicht leicht fallen, auch ohne überzogene Demut vor “Spiegel” und „Spex“. Es gilt, den eigenen Sinnen zu trauen. Gehirn, Ohren, Solar Plexus auf Empfang zu schalten. Wohl ganz im Sinn der Band („DMD KIU LIDT“ ist eine Aufforderung: Nimm dir die Zeit und beschäftige dich nur damit. Und dann steh auf und stell Fragen!“, so Andreas Spechtl im „Kurier“-Interview). Ich geh’ jetzt mal los, mir das neue Ja, Panik-Album besorgen.

Hip, hipper, Hipstamatic

16. April 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (105) Nervt es, wenn „Hipstamatic“ teuren Spiegelreflexkameras und qualitätsbewussten Foto-Profis die Aufmerksamkeit raubt?

Ich habe beschlossen, eine Kamera herzuschenken. Eine solide, wertige, gute. Und zwar mir selbst. Zum Geburtstag. So lässt sich ein halb rationaler, halb von purer Lust und Laune getriebener Wunsch im Jahres-Ausgabenreigen rechtfertigen.

Nun stellt sich noch die Frage: was darf’s denn sein? Eine Vollformat-Spiegelreflex, bei der das Kameragehäuse („Body“) im Vergleich zu den horrend teuren adäquaten Objektiven noch der günstigste Kostenfaktor ist? Ein – auch nicht billiges – Mittelklasse-Modell? Wenn ja, von Canon oder Nikon? Sony (einst: Minolta), Pentax, Olympus hab’ ich biografisch schon durch: keine schlechten Kameras. Aber die Verkaufszahlen des japanischen Spitzen-Duos sprechen eine klare Sprache. Wie wär’s alternativ mit einer der neuartigen spiegellosen Systemkameras von Ricoh, Panasonic oder Samsung? Oder gar einer Leica?

Nach langem Hin- und Her hab’ ich mich entschieden, jetzt mal eine Canon EOS 60D und eine Nikon D5100 zu testen. Letzteres Modell ist so neu, dass es noch gar nicht wirklich lieferbar ist. Beide sind Kameras für den, wie man so sagt, „ambitionierten Amateur“ und können einiges mehr als nur gestochen scharfe Fotos schiessen. Full-HD-Filme drehen etwa. Da müsste schon das eine oder andere hobbyistische Musikvideo abfallen. Aber, gemach: solch eine Entscheidung verlangt eine gewisse Bedachtnahme, Spontankäufe sind in der Klasse nicht mehr drin. Letztlich hängt ein ganzer Rattenschwanz an absehbaren Folgeinvestitionen dran.

Und dann ist da noch ein Nebenaspekt. Einer der eher kuriosen Sorte. Früher konnte man ja mit teuren Kameras und wunderbaren Bildern, die man sorgfältig entwickelte und vergrösserte bzw. in Photoshop auf Maximalwirkung trimmte, Freund’ und Feind beeindrucken. Nachhaltig. Früher. Heute sitzt die Bekannten- und Gratulantenschar im Garten rum – und fotografiert sich gegenseitig mit iPhones und sonstigen smarten Handies. Vorzugsweise mit der „Hipstamatic“-App, die das Mobiltelefon per Digitalfilter zur Zeitmaschine macht. Ja, eh lustig, die Schnappschüsse sehen aus, als wären sie mit einer billigen Pocketkamera anno 1972 geschossen worden. Überstrahlt, farbuntreu, psychedelisch-grell. Aber stimmungsvoll.

Der „Hipstamatic“-Retro-Trend grassiert unter Bobos und Nachwuchs-Andy Warhols nun schon einige Zeit. Und wird allmählich zur Plage. Was sagt eigentlich die Canonikon-Fraktion dazu, wenn „Ahs“ und „Ohs“ vorrangig billigen Fun-Effekten gelten? Sich in stiller, zen-buddhistischer Verweigerungshaltung ausschliesslich vollendeter Architektur-, Stilleben- und Naturfotografie zu widmen, ist ja auch kein Ausweg. Zumindest nicht aus meinem Blickwinkel.

Deppensicher

9. April 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (104) Geräte, die eine „kinderleichte Einrichtung“ versprechen, sind nicht selten besonders heimtückisch.

Liebe Firma Samsung!

Entschuldigen Sie, dass ich so direkt und öffentlich vorstellig werde. Eigentlich bin ich ja ein Freund ihrer Erzeugnisse. Es sind Massenprodukte, gewiss, aber zumeist elegant designt, innovativ und funktionell. Und nicht zuletzt zu kompetetiven Preisen erwerbbar, was unsereins immer freut. Mit mehr als einer Viertelmillion Mitarbeitern, wie ich Wikipedia entnehme, und umgerechnet fünf Milliarden Euro Steuerleistung pro Jahr trägt ihr Unternehmen acht Prozent zu den Staatseinnahmen Südkoreas bei. Und ein Fünftel der gesamten Exporte. Samsung Electronics ist der grösste TV-Hersteller weltweit. Und der zweitgrösste Handy-Fabrikant. Gemessen an Umsatz, Wachstumsrate und Marktpräsenz zählt der Mischkonzern zu den absoluten Giganten dieses Planeten. Beeindruckend.

Trotzdem habe ich eine Beschwerde. Unlängst erwarb ich ein Produkt Ihres Hauses. Nichts Grosses. Im Gegenteil: der Laser-Drucker mit der Modellbezeichnung ML-1865W ist fast schon aberwitzig klein. Und passt somit auf jeden Schreibtisch. Das „W“ in seinem Namen deutet auf ein Feature hin, das mir besonders interessant und attraktiv erscheint: er lässt sich „wireless“, also kabellos mit dem Laptop verbinden. Per W-LAN, also über das Funknetz, das in jedem Haushalt auf der Höhe der Zeit längst Einzug gehalten hat. Schluss mit dem ewigen An- und Abstöpseln von USB-Kabeln!

Die Verpackung des Druckers versprach zudem eine besonders leichte Konfiguration. Per WPS (WiFi Protected Setup). Hier ein Knopf gedrückt und da ein Knopf gedrückt, und schon flutscht die Sache. „Mit One-Touch ein Kinderspiel!“. So stand es es zu lesen. So steht es ungebrochen zu lesen. In der Bedienungsanleitung. Auf der Samsung-Homepage. Und sonstwo.

Allein: es klappt nicht. Dabei habe ich extra noch einen neuen Belkin-WLAN-Router gekauft, der WPS-fähig ist. War gerade im Angebot. Und würde mir, dachte ich, die nervige Fummelei mit Sicherheitsschlüsseln und sonstigen kryptischen Parametern ersparen. Denkste! Zwar leuchten die Lämpchen sowohl auf dem Router wie auch auf dem Drucker nach ordnungsgemässer Einrichtung einträchtig grellblau. Laut Belkin- und Samsung-Handbuch ist somit alles in bester Ordung (nur blinkende Lämpchen gilt es zu vermeiden). Aber mein MacBook vermeldet stur „Drucker offline“. Seit Stunden. Was sag’ ich Ihnen: es ist zum Aus-der-Haut-Fahren. Ich komm’ nicht auf den Fehler drauf. Aber vielleicht liegt der gar nicht bei mir.

In diesem Sinne, liebe Firma Samsung: holen Sie den Krempel bitte wieder ab! Auf Ihre Kosten. Deppensichere Geräte sollten auch wirklich deppensicher sein.

Datenmüll

7. April 2011

Die CD mag und mag nicht von der Bildfläche verschwinden. Vinyl kehrt zurück wie einst Godzilla. Hochauflösende Download-Formate klopfen an die Hintertür. Und selbst das MP3-Format feiert fröhliche Urständ’. Und bald 25. Geburtstag. Hauptsache, die Musik spielt.

Die CD ist endgültig tot. Sage nicht ich. Sagt Bertelsmann. Genauer: Rolf Buch, Chef der Bertelsmann-Dienstleistungssparte Arvato, die mit 64.000 Mitarbeitern u.a. das Sonopress-Werk betreibt, die hauseigene Compact Disc-Herstellung. Buch sagt es vorsichtig: „Die CD-Produktion in grosser Stückzahl steht perspektivisch vor dem Ende.“ Und das auch erst anno 2020. Danach sieht der Manager nur mehr ein Nischendasein für den silbrigglänzenden Datenträger.

Wir wissen natürlich: kein neues Medium verdrängt ein altes vollständig. Was zu der kuriosen Situation führt, dass der Schreiber dieser Zeilen zwar digitale, trägerlose Formate seit Mitte der neunziger Jahre kennt, schätzt und nutzt, zugleich aber weiterhin munter CDs produziert und auf den stetig schrumpfenden Markt wirft. Dazu gesellt sich zunehmend die noch antiquiertere Schallplatte: Vinyl ist auch für jüngere Fans und Käufer wieder attraktiv geworden. Tolle Covers, wertige Zugaben (vom MP3-Download-Bon bis zur Extra-CD) und anheimelnd analoge Klangqualität sind Argumente. Und die strikt limitierten Auflagen – selten mehr als 1000 Stück – adeln die Scheiben á priori zu Sammlerstücken, die im Wert nur steigen und steigen können. Da hat man was in der Hand!

In der Tat: nicht oft hat mir ein Tonträger solche Freude bereitet wie das Ginga-Album „They Should Have Told Us“, das wir jetzt auf dringendes Anraten der Freunde vom Substance Record Store auch als Vinyl in die Auslage stellen. Und ich wette, der vergleichsweise riesige „Saturn“ auf der Mariahilferstrasse schlichtet die Scheibe ebenfalls in die neuen LP-Regale. Man fühlt sich fast schon wie Anfang der achtziger Jahre beim „Why Not“ oder „Ton um Ton“, den legendären Musik-Dealern Wiens.

Jede Wette, dass man auch CDs über das Jahr 2020 hinaus verkaufen kann. Und heute weit mehr davon über den Ladentisch reichen könnte, wenn man denn wollte. Sofern man die Dinger grafisch adrett gestaltet und wertig verpackt (Plastikschachteln waren seit jeher keine gute Idee), mit kompetent getexteten Booklets und bester Klangqualität ausstattet und von kundigem Verkaufspersonal am gut sortierten „Point of Sale“ anpreisen lässt. Letzteres ist eher selten geworden. Der Verkaufsort hat sich auch drastisch gewandelt: bei Live-Konzerten von Ernst Molden & Willi Resetarits z.B. gehen durchaus mal ein paar dutzend (oder hundert, wie im Museumsquartier selbst beobachtet) CDs weg. Und LPs. Gern von den Künstlern höchstpersönlich signiert.

Währenddessen sind die CD-Abteilungen in Ketten wie Libro oder Kaufhäusern wie Müller oft gähnend leer. Mit Meterware und Mainstream-Kram werden zwar auch Emotionen verkauft, aber von der Zielgruppe zunehmend ignoriert. Wer seine Lieblingsmusik nur mehr auf dem Handy oder Laptop mit sich herumträgt, braucht einfach keine Kompakt-Staubfänger und Oldie-Datenträger. Die mit hunderten Gigabyte an MP3s zugemüllten Festplatten daheim beeindrucken aber dito niemanden mehr.

Apropos: im nächsten Jahr, anno 2012, wird das MP3-Format auch schon wieder 25 Jahre alt. Fünf-und-zwanzig! Man muss sich diese Jahreszahl auf der Zunge zergehen lassen. 1987 führte der junge Forscher Dr. Karl-Heinz Brandenburg am Fraunhofer Institut in Erlangen den Datenkomprimierungs-Algorithmus erstmals vor. Als tönendes Beispiel hatte man sich das Accappella-Stück „Tom’s Diner“ von Suzanne Vega auserkoren. „Es klang, als ob jemand am linken und rechten Ohr kratzt“, erinnert sich der Vater der Audio-Technologie. Die Künstlerin erfuhr erst viele Jahre später davon, als eine Freundin zu ihr sagte: „Gratulation, Du bist die Mutter von MP3!“.

Rasch wurde daraus eine Kindesweglegung: nicht wenige KünstlerInnen beschwerten sich über die „Ersatzdroge“ und fragwürdige Tonqualität des datenreduzierten Formats (das ursprünglich ja nur für begrenzte Leitungs- und Speicher-Kapazitäten entwickelt worden war), das US-Musikmagazin „Rolling Stone“ verkündete bereits den „Tod der High Fidelity“. Ein über sechs Jahre (!) hinweg angelegter Hörtest an der Universität Stanford hingegen erbrachte erstaunliche Ergebnisse: die Studenten bevorzugten das MP3-Format gegenüber der CD. Komprimierung als positive Verzerrung der Realität? Alles nur eine Frage der Hörgewohnheiten, analysieren Experten. Alles nur eine Frage des Angebots, meinen Marketingmanager (das sollte auch audiophilen Download-Stores und Hochbit-Formaten eine Chance geben).

Müssen wir wieder hören lernen? Ist das grösste Problem der Musikindustrie – zumindest in punkto Klangqualität, sonst kennt sie ja noch weit grössere Probleme – nicht der drastisch schrumpfende Dynamikumfang neuer und neuester Aufnahmen? Wann kommt der erste österreichische Online-Store für hochauflösende Download-Formate? Kauft Apple Spotify? Überlebt dann Simfy? Was wird aus AAC? Dürfen wir bald mal mit MPEG Surround rechnen? Werden die neuen HiFi-Streaming Devices – von Marantz bis Pro-Ject, von Linn bis Yamaha – alle Kopierschutz-Restriktionen und Format-Inkompabilitäten links liegen lassen? Was wird aus dem Thema High End? Hat sich der Austro-Popper Peter Cornelius – wenn man an die kommenden „Cloud Services“ von Amazon, Google & Co. denkt – als Prophet erwiesen, als er einst „I leb‘ in ana Wolk’n“ sang? Und was macht Walter Gröbchen im Vorstand des kuriosen Vereins AAAA (Analogue Audio Association Austria)?

Fragen über Fragen. Nur eines ist gewiss: ab sofort beginnt das Zeitalter der MP3-Nostalgie.

Reden und Schweigen

2. April 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (103) „Fortschritt wäre wunderbar – wenn er einmal aufhören würde.“ Meinte Robert Musil. Und wir?

Vorgestern war ich bei einem Vortrag. An der Donau-Universität in Krems, wo StudentInnen, Manager und Vortragende zum wiederholten Male den Status Quo der Musikwirtschaft durchkauten. Der ist im Digitalzeitalter weithin von Pragmatismus und Ratlosigkeit geprägt, aber das ist nichts Neues.

Denkwürdig fand ich das Abschluss-Referat von Alexander Zeitelhack, seines Zeichens „erfahrener Spezialist für visionäres Denken und innovative Konzepte“ (wie man auf der Homepage des Mannes nachlesen kann). Zeitelhack sprach über den „rechten Umgang mit dem Fortschritt“. Sein Vortrag war kurzweilig, erfrischend, brillant. Oberflächlich betrachtet. Denn wenn man zusammenfassen müsste, worum es eigentlich ging und welche Fragen tiefgehender erörtert oder gar ansatzweise gelöst wurden, muss ich leider passen. Aber vielleicht habe ich ja auch nicht verstanden, was der Consultant mit der sanften NLP-Stimme mir da erzählt hat. Es klang toll und kühn, bisweilen auch tollkühn: eigentlich sind die grossen Probleme der Menschheit – Energieversorgung, Armut, Überbevölkerung et al – längst gelöst. Wir wissen es nur noch nicht. Also: zumindest nicht alle.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil ich mir in diesem Kontext drei Sätze notiert habe, die ein gewisses Aha-Erlebnis bewirkten. Erstens: „In Zeiten grosser Veränderung ist die Erfahrung unser grösster Feind“. Warum sich Herr Zeitelhack dann explizit als „erfahrener Spezialist“ für Visionen präsentiert, ist eine gute Frage. Doch nebensächlich. Denn natürlich lassen sich mit dem Wissen von heute die Techniken von morgen zwar extrapolieren, aber nicht präzise in ihren (Aus-)Wirkungen voraussagen. Zudem ist, zweitens, „der Fortschritt eine Kränkung für den Menschen“. Diese These der Psychoanalytikerin Margarethe Mitscherlich umfasste elegant den weiten Bereich der Skeptiker, Bremser und Fortschrittsgegner. Die werden ja in gewissen Kreisen gar nicht gern gesehen.

Und dann fiel da noch ein dritter Satz: „If you understand everything you must be misinformed“. Ausgewiesen wurde der Sinnspruch als japanische Weisheit. Das ist in Zeiten wie diesen nicht unheikel. Die Öffentlichkeit giert nach Information, auch wenn z.B. Strahlenwerte aus Fukushima für 99,9 Prozent der Weltbevölkerung vollkommen abstrakte Zahlen sind. Wir wissen, dass wir – wiewohl wir alles, wirklich alles verstehen wollen – nichts wissen. Oder wissen Sie mehr?

Apropos: warum ich in einer Technik-Kolumne nichts über die akuten Gefahren und Perspektiven der Atomenergie – die ja zu einem nicht unerheblichen Teil all die hübschen Maschinchen, Geräte und Gadgets antreibt, über die hierorts regelmässig zu lesen ist – schriebe, fragte mich unlängst ein Freund. Weil Demut und Schweigen, so meine Antwort, bisweilen mehr sagen.

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