Sie sind die neuen Lieblinge des deutschsprachigen Pop-Feuilletons: Ja, Panik. Zurecht? Zumindest haben sie es geschafft, einen Hymnus des Wohlwollens zu provozieren.

Neulich war ich auf einer Pressekonferenz. Zum „Popfest Wien“. Da sassen weit mehr (zumeist junge, oft sehr junge) Damen und Herren herum, als der Veranstalter antizipiert hatte. Die Kaffeekannen waren rasch leer, Nachschub blieb aus. Grundsätzlich erfreulich, ein solcher Andrang. Grundsätzlich erstaunlich aber auch: nach einer etwas länglichen Präsentation eines pracht- und prallvollen Programms gab es keine Fragen mehr. Weder an den Kurator. Noch an die Veranstalter. Auch nicht an den Kulturstadtrat. Bis sich dann doch ein Journalist aufraffte und nach dem Stellenwert der elektronischen Musik im Festival-Kontext fragte. Und weithin eine launige Anmerkung hängenblieb: jemand hätte eine Stinkbomben-Attacke angekündigt. Wer? Was? Warum? Dann wieder Schweigen. Stummes Kopfnicken. Geschäftig gute Laune allseits. Brot & Spiele, aber keine Fragen. Keine Kritik. Kein Widerspruch.
Während ich diese Zeilen in die Maschine hämmere, feiern Medien wie „Der Spiegel“, „Die Zeit“ oder „Die Welt“ – Blätter, die nicht nur in Deutschland die Welt bedeuten, sondern auch hierzulande – das neue Album von Ja, Panik ab. Von “Spex” und anderen Zentralorganen fortgeschrittenen Musikverständnisses ganz zu schweigen. Zurecht: Andreas Spechtl und seine Mitstreiter haben sich ungeniert selbst ermächtigt, die alten Granden des deutschsprachigen Diskurs-Pop vom Thron zu stossen. Für eine „hiesige“ Band eine beachtliche Leistung (auch wenn man auf dem besten Weg ist, sich vom notorischen Provinzdasein nachhaltig zu lösen). Live wird man Ja, Panik am 7. Mai am Karlsplatz in Aktion erleben dürfen. Sie werden beim „Popfest Wien“ ihr aktuelles, viertes Werk “DMD KIU LIDT” präsentieren. Ein definitiver Höhepunkt des Konzertreigens, soviel lässt sich risikolos vorab prognostizieren.
“DMD KIU LIDT” – der kryptische Name steht für “Die Manifestation des Kapitalismus in unserem Leben ist die Traurigkeit”, zugleich ist es der Titel des 23minütigen Schlußstücks – ist ein einziges Vexierspiel. Ein Stakkato aus Zitaten, Anspielungen, Fangfragen und bruchstückhaften Antworten. Einmal mehr ein absichtsvoll verrätseltes, wunderbar labyrinthisches Manifest. Laut Mastermind Spechtl sind es “Langeweile und Verbitterung”, die Ja, Panik antreiben. Zu ergänzen wären: Ironie, Altklugheit, Ernst (eventuell: Todernst) und künstlerische Getriebenheit, die als Ziel aller Anstrengungen Gelassenheit fixiert.
Ein gefundenes Fressen für Musikjournalisten also, die sich an einer intellektuellen Steilvorlage abarbeiten können. Ja, müssen: denn sich dem Diskurs zu verweigern und das Album zu ignorieren, würde ja bedeuten, sich aus dem Kanon der Kollegenschar auszuklinken. Leichterhand auf die das Gewerbe determinierende Deutungshoheit zu verzichten. Und eventuell das nächste, grosse Ding zu verpassen. Oder, um den CD-Ankündigungstext auf amazon.de zu zitieren: „Das eigenständigste, poetischste, ja modernste Rock’n’Roll-Album, an dem sich die deutsche Sprache jemals beteiligen durfte.“
Aber hallo! Während ich diese Zeilen in die Maschine hämmere, habe ich noch nicht viel mehr gehört von “DMD KIU LIDT” als die gratis downloadbare Single “Trouble”. Und Album-Bruchstücke, die mir FM4 auf dem Radio-Präsentierteller serviert. In der Tat: ein schon bei flüchtigem Hinhören aufreizend radikales, gewitztes, verstörendes Werk. Auch im „Alternative Mainstream“ liegt derlei quer wie ein Walter Benjamin-Verweis in einem locker-flockigen Gratis-Printprodukt. Ich werde mir also das vierte Ja, Panik-Album besorgen. Wie schon die Vorgängeralben der burgenländischen, von Wien nach Berlin exilierten Band. Wer könnte sich dem Alle mal herhören!-Imperativ des versammelten deutschsprachigen Feuilletons widersetzen?
Was mir aber aufstösst (und auch Spechtl & Co. nicht nur Freude bereiten dürfte): es mischt sich keine kritische Stimme in den Diskurs. Bislang ist mir keine auch nur ansatzweise negative Rezension, keine seziermesserscharfe Analyse, kein Contra aufgefallen, das das einmütigen Hurra! der Pro-Fraktion konterkarieren würde. Ein Opus wie “DMD KIU LIDT” schreit aber förmlich nach Widerspruch. Nach intellektueller und emotionaler Reibung. Nach einer persönlichen Bewertung, die sich nicht in opportunistischer Copy & Paste-Meinungsfindung erschöpfen kann. Auch wenn sie letztlich positiv, ja hymnisch ausfällt. Oder, ganz im Gegenteil, aggressiv am dunkel glänzenden Lack des Ja, Panik-Konzepts und seiner Umsetzung kratzt. Gehen die Damen und Herren Kritiker schnurstracks in die Dialektik-Fallen, die Spechtl und seine Mitstreiter so konsequent auslegen? Und das p.t. Publikum folgt, dem Zug des Rattenfängers aus Hameln gleich, pfeifend hintnach? Diskurs-Shangri La, here we come! Die Manifestation des Journalismus in unserem Leben ist die Gleichgeschaltetheit.
Verstehen Sie mich nicht falsch: es ist eine der nobelsten Aufgaben des Musikkritikers, Interesse zu wecken. Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Und Einordnungen zu ermöglichen. Die persönliche Urteilsfindung bleibt aber dem Hörer überlassen. Sofern es gelingt, den Impuls zu setzen und den Wunsch nach unbedingter höchstpersönlicher Urteilsfindung auch auszulösen. Für Künstler ist das die härteste Übung überhaupt: trotz (oder gerade wegen) der vielen Vorschußlorbeeren des Feuilletons auch adäquate Relevanz und nachhaltige Aufmerksamkeit beim Publikum zu erreichen. Respekt: Ja, Panik sind auf dem besten Weg dazu.
Zu “DMD KIU LIDT” eine eigene, individuelle, nicht durch die Musikpresse vorformatierte Meinung zu formulieren wird dennoch nicht leicht fallen, auch ohne überzogene Demut vor “Spiegel” und „Spex“. Es gilt, den eigenen Sinnen zu trauen. Gehirn, Ohren, Solar Plexus auf Empfang zu schalten. Wohl ganz im Sinn der Band („DMD KIU LIDT“ ist eine Aufforderung: Nimm dir die Zeit und beschäftige dich nur damit. Und dann steh auf und stell Fragen!“, so Andreas Spechtl im „Kurier“-Interview). Ich geh’ jetzt mal los, mir das neue Ja, Panik-Album besorgen.
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