MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (111) Die „Vorratsdatenspeicherung“ eint russische Diktatoren und heimische Parlamentarier.
Zum Thema „Vorratsdatenspeicherung“ habe ich mich bislang nicht geäussert. Darüber schreibt sich’s nicht so locker und flockig wie über ein neues Produkt oder ein wunderliches, aber nebensächliches Gadget. Es geht um bürgerliche Grundrechte. Und die betreffen nun einmal jede(n) von uns. Höchstpersönlich.
Vor wenigen Wochen beschloss man im Parlament – auf Druck der EU, die bereits mit Strafen gedroht hatte – eine Bestimmung, die Telekommunikationsunternehmen verpflichtet, alle Verbindungsdaten für sechs Monate zu speichern. Damit wird der „gläserne Mensch“, dessen Intimsphäre für jeden Mistelbacher Polizeibeamten einsichtig ist, Realität. Denn in Verbindung mit entsprechenden Ermächtigungsgesetzen, die z.B. das Abhören von Telefonen oder Abfragen von Daten auch ohne „Anfangsverdacht“ und Genehmigung eines unabhängigen Richters gestatten, ist dem Missbrauch komplexer Möglichkeiten Tür und Tor geöffnet. Die Lebenserfahrung, aber auch aktuelle Fälle wie dieser, dieser oder dieser sagen uns: was technisch möglich ist, wird auch getan und genutzt. Allen Regulativen, Schranken und Bekenntnissen zum Trotz.
Warnungen vor dieser Entwicklung lieferte sogar der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes (!), der die neuen Regulative als „nicht nur unverhältnismässig, sondern auch mit ernsten Gefahren für die Privatsphäre, Meinungs- und Pressefreiheit der Bürger insgesamt verbunden“ sieht. Trotzdem besiegelten SPÖ und ÖVP das Gesetz. Man müsste jede einzelne Abgeordnete und jeden einzelnen Abgeordneten der betreffenden Parteien fragen warum. Paranoia? Terror-Angst? Tierschützer-Traumata? EU-Devotheit? Sehnsucht nach dem Grossen Bruder?
Keine vier Wochen später werden in Weißrussland – das ist keine tausend Kilometer entfernt – Oppositionelle abgestraft, die gegen den Präsidenten Alexander Lukaschenko („Europas letzten Diktator“, so „Die Presse“) protestiert hatten. Bei einer Demonstration in der Hauptstadt Minsk. Und dabei den Fehler machten, das Mobiltelefon eingeschaltet zu lassen. Die Polizeibehörde wertete die Daten aus und verhaftete hunderte Aktivisten. Auch solche, die sich nur zufällig auf den Schauplatz des Geschehens verirrt hatten. Personen- und Rufdaten kamen von der Telekom Austria, die in Weißrussland über ihre Tochterfirma Velcom 4,4 Millionen Kunden betreut. Marktanteil: knapp 42 Prozent. Grösster Einzelaktionär: der Staat Österreich. Das ist nicht „peinlich“. Das ist eine unfassbare Schande. Und ein probates Exempel dafür, wie soetwas – technologisch, juristisch, gesellschaftlich – funktioniert. Auf Knopfdruck.
Natürlich hat Velcom die Daten nicht vorsätzlich, absichtsvoll oder gar gefragtermassen zur Verfügung gestellt. Man muss einfach nur eine „technische Schnittstelle“ zu den Handlangern des Regimes bereithalten (und diese Schnittstelle ist natürlich umso effektiver und effizienter, wenn sie auf monatelang vorrätig gehaltene Daten zugreifen und sie verknüpfen kann). Von Gesetzes wegen. Das ist in Österreich nun nicht anders. Grundsätzlich. Mit Glück eventuell noch graduell.