MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (120) „Medien gegen Anti-Medien“ – das ist doch wohl nicht das Szenario für eine rosige ORF-Zukunft. Oder?
Vielleicht liegt es ja nur am Zuspitzungsdrang einzelner Journalisten. Die Headline der heimischen Branchen-Gazette „medianet“ verkündete jedenfalls neulich den „Kampf der Medien gegen die Anti-Medien“ – eine Wortwahl, die den Synapsen-Schaltkreisen eines „Terminator“-Fans entsprungen sein dürfte. Das plakative Kampfgeheul spiegelte sich allerdings nur bedingt im zugehörigen Interview mit dem alten, neuen ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wider.
Der sprach von „Nicht-Medien“. Und meint damit Social Networks, Suchmaschinen und Video On Demand-Kanäle wie YouTube. Was natürlich genauso fragwürdig ist. Oder sagen wir so: zumindest ziemlich durchsichtig und schlitzohrig um einen Schulterschluss bemüht. Eine Allianz der heimischen Medien gegen die supranationalen „Anti/Nicht“-Giganten Google, Apple, Facebook & Co. David gegen Goliath quasi. Aber basiert dieses mitleidsheischende Szenario nicht grundsätzlich auf einem Trugschluss?
Denn der Transformationsprozess hat alte und neue Player mittlerweile in einer Rasanz und Dynamik ergriffen, der die Frage nach den „Ausspielkanälen“ weitgehend zur Makulatur erklärt. Fernsehen und Internet wachsen zusammen, Print bedeutet spätestens anno 2025 nur mehr für Nostalgiker und Zellulosefetischisten bedrucktes Papier. RTL-Oberboss Gerhard Zeiler – der leider nicht die Eier hatte, sich selbstbewusst der Wahl zum ORF-GD zu stellen, ohne von der Politik den Sessel vorgewärmt zu bekommen – spricht längst von der „Entgrenzung“ der Medien, Inhalte und Distributionsformen.
Und das ist der Punkt. Übersetzt heisst das ja nichts anderes als: hoppla, wir besitzen plötzlich unendlich viele Konkurrenten! Denn natürlich haben RTL, ORF und alle anderen Medienhäuser mit dem Phänomen zu kämpfen, dass sich Leser, Hörer, Seher selbst zu Produzenten, Marken und Sendern erklären. Die vereinzelt schon mehr Reichweite besitzen als eine durchschnittliche „Chili“-Folge. Und, schmerzlicher noch, dass der grosse Rest, der sich wohl niemals aus seiner passiven Couch Potatoe-Position erheben wird, die neuen Content Kings & Drama Queens auch entdeckt und goutiert.
Was etwa, wenn die Obermuftis draufkommen, dass die Gegenstrategie des Beharrens auf einer „grossen Marke“ (Zeiler scheint ernsthaft zu glauben, RTL wäre eine) eine Schimäre ist? Und der Konsument weit flexibler als angenommen? Eine kurze Nachfrage bei CEOs etwa von Nokia, MySpace, Saab oder Sony Pictures könnte da hilfreich sein. Alles grosse Marken, denen Fachleute einen baldigen Untergang prophezeihen. (Okay, um die Finanzkraft der RTL-Group, die den Bertelsmann-Konzern weithin unterfüttert, mache ich mir aktuell noch keine Sorgen. Um den gesellschaftlichen Wert schon eher.)
Und auch ein für die Erhaltung des staatspolitischen Status Quo scheinbar unabdingbares Konstrukt wie „öffentlich-rechtliches Fernsehen“ erklärt Zeiler-Vorgänger Wolfgang Thoma mittlerweile zum Auslaufmodell. Gut, der neigt auch zur „Selbstinfektion mit dem eigenen Schmäh“ (wie der Erfinder dieses Krankheitsbildes und ewige ORF-Besserwisser, Gerd Bacher).
Zu weit abgedriftet, pardon. Eine aktuelle Studie, die Alexander Wrabetz gerne zitiert, hat ergeben, dass der Durchschnittsösterreicher weniger als 30 Minuten pro Tag im Internet verbringt, aber 162 Minuten vor dem TV-Bildschirm. (*) Nennen wir das, stark abhängig von der Präzision der Fragestellung und der Antworten, einen möglichen Zwischenstand anno 2011. Aber schon in einem spontanen Rundruf mit willkürlichen Sample, der Einfachheit halber rekrutiert aus dem Bekanntenkreis, fällt die Bilanz – und erst recht die Tendenz – weit weniger eindeutig zugunsten des linearen Old School-Mediums Fernsehen aus.
Keine Ahnung, welcher Auftraggeber (und welcher Auftrag) hinter der Studie steckt – ich könnte mal meine Twitter-Expertenrunde diesbezüglich fragen. In der ORF-Online-Direktion ruf’ ich wohl eher nicht an: die ist mit dem Aufräumen und Zusperren des Büros beschäftigt genug.
(*) Hans Peter Lehofer twittert, „162 Min TV: teletest, 30 Min Web sind Unsinn, lt. mediaresearch.orf.at sind es Qu I/2011 rd 77 Min; er meinte wohl 30 Min Print“