Archive for Juli, 2011

Content Kings & Drama Queens

30. Juli 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (120) „Medien gegen Anti-Medien“ – das ist doch wohl nicht das Szenario für eine rosige ORF-Zukunft. Oder?

Vielleicht liegt es ja nur am Zuspitzungsdrang einzelner Journalisten. Die Headline der heimischen Branchen-Gazette „medianet“ verkündete jedenfalls neulich den „Kampf der Medien gegen die Anti-Medien“ – eine Wortwahl, die den Synapsen-Schaltkreisen eines „Terminator“-Fans entsprungen sein dürfte. Das plakative Kampfgeheul spiegelte sich allerdings nur bedingt im zugehörigen Interview mit dem alten, neuen ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz wider.

Der sprach von „Nicht-Medien“. Und meint damit Social Networks, Suchmaschinen und Video On Demand-Kanäle wie YouTube. Was natürlich genauso fragwürdig ist. Oder sagen wir so: zumindest ziemlich durchsichtig und schlitzohrig um einen Schulterschluss bemüht. Eine Allianz der heimischen Medien gegen die supranationalen „Anti/Nicht“-Giganten Google, Apple, Facebook & Co. David gegen Goliath quasi. Aber basiert dieses mitleidsheischende Szenario nicht grundsätzlich auf einem Trugschluss?

Denn der Transformationsprozess hat alte und neue Player mittlerweile in einer Rasanz und Dynamik ergriffen, der die Frage nach den „Ausspielkanälen“ weitgehend zur Makulatur erklärt. Fernsehen und Internet wachsen zusammen, Print bedeutet spätestens anno 2025 nur mehr für Nostalgiker und Zellulosefetischisten bedrucktes Papier. RTL-Oberboss Gerhard Zeiler – der leider nicht die Eier hatte, sich selbstbewusst der Wahl zum ORF-GD zu stellen, ohne von der Politik den Sessel vorgewärmt zu bekommen – spricht längst von der „Entgrenzung“ der Medien, Inhalte und Distributionsformen.

Und das ist der Punkt. Übersetzt heisst das ja nichts anderes als: hoppla, wir besitzen plötzlich unendlich viele Konkurrenten! Denn natürlich haben RTL, ORF und alle anderen Medienhäuser mit dem Phänomen zu kämpfen, dass sich Leser, Hörer, Seher selbst zu Produzenten, Marken und Sendern erklären. Die vereinzelt schon mehr Reichweite besitzen als eine durchschnittliche „Chili“-Folge. Und, schmerzlicher noch, dass der grosse Rest, der sich wohl niemals aus seiner passiven Couch Potatoe-Position erheben wird, die neuen Content Kings & Drama Queens auch entdeckt und goutiert.

Was etwa, wenn die Obermuftis draufkommen, dass die Gegenstrategie des Beharrens auf einer „grossen Marke“ (Zeiler scheint ernsthaft zu glauben, RTL wäre eine) eine Schimäre ist? Und der Konsument weit flexibler als angenommen? Eine kurze Nachfrage bei CEOs etwa von Nokia, MySpace, Saab oder Sony Pictures könnte da hilfreich sein. Alles grosse Marken, denen Fachleute einen baldigen Untergang prophezeihen. (Okay, um die Finanzkraft der RTL-Group, die den Bertelsmann-Konzern weithin unterfüttert, mache ich mir aktuell noch keine Sorgen. Um den gesellschaftlichen Wert schon eher.)

Und auch ein für die Erhaltung des staatspolitischen Status Quo scheinbar unabdingbares Konstrukt wie „öffentlich-rechtliches Fernsehen“ erklärt Zeiler-Vorgänger Wolfgang Thoma mittlerweile zum Auslaufmodell. Gut, der neigt auch zur „Selbstinfektion mit dem eigenen Schmäh“ (wie der Erfinder dieses Krankheitsbildes und ewige ORF-Besserwisser, Gerd Bacher).

Zu weit abgedriftet, pardon. Eine aktuelle Studie, die Alexander Wrabetz gerne zitiert, hat ergeben, dass der Durchschnittsösterreicher weniger als 30 Minuten pro Tag im Internet verbringt, aber 162 Minuten vor dem TV-Bildschirm. (*) Nennen wir das, stark abhängig von der Präzision der Fragestellung und der Antworten, einen möglichen Zwischenstand anno 2011. Aber schon in einem spontanen Rundruf mit willkürlichen Sample, der Einfachheit halber rekrutiert aus dem Bekanntenkreis, fällt die Bilanz – und erst recht die Tendenz – weit weniger eindeutig zugunsten des linearen Old School-Mediums Fernsehen aus.

Keine Ahnung, welcher Auftraggeber (und welcher Auftrag) hinter der Studie steckt – ich könnte mal meine Twitter-Expertenrunde diesbezüglich fragen. In der ORF-Online-Direktion ruf’ ich wohl eher nicht an: die ist mit dem Aufräumen und Zusperren des Büros beschäftigt genug.

(*) Hans Peter Lehofer twittert, „162 Min TV: teletest, 30 Min Web sind Unsinn, lt. mediaresearch.orf.at sind es Qu I/2011 rd 77 Min; er meinte wohl 30 Min Print“

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Fragen, Fragen, Fragen

26. Juli 2011

Fragen gelten im System Österreich – und damit auch in hochoffiziellen Standesvertretungen, marktorientierten Brancheneinrichtungen und monopolistischen Verwertungsgesellschaften – als tendenziell unberechtigt, lästig, querulantisch. Sie sind aber notwendig, um klare Analysen treffen – und eventuell sogar Konsequenzen ziehen – zu können.

Ich habe vor wenigen Tagen Christoph Leitl – wahrscheinlich ist er Doktor, Oberkommerzialrat und sonstnochwas, manche sprechen ihn ja fast ehrfürchtig mit „Herr Präsident“ an, aber für mich ist der gute Mann einfach der ewig grinsende Funktionär Leitl – einen Brief geschrieben. Nach Lektüre eines „profil“-Artikels, der einem unbedarften Wirtschaftskammer-Pflichtmitglied wie mir die Grausbirnen aufsteigen liess.

Der Pensionsfonds der Kammer hätte, stand da zu lesen, nach äusserst dilletantischen, unkontrollierten und nunmehr aufklärungsbedürftigen Spekulationsversuchen – Verluste bis dato rund 23 Millionen Euro – eine Unterdeckung in der Höhe von mindestens 350 Millionen Euro aufzuweisen. Man müsse daher absehbar die aktiven Mitglieder und ihre Beiträge heranziehen, um die vertraglich garantierten Zusagen der Kammer an ihre Pensionisten auch nur annähernd einhalten zu können.

Was hatte man zugesagt? Eine Pension in Höhe von 70 Prozent des Letzteinkommens. Nicht der ehrenamtlichen Funktionsträger der Wirtschaftskammer freilich. Sondern der höheren und höchsten Chargen des bürokratischen Apparats einer Einrichtung, deren in der Verfassung einbetonierte Grundexistenz – sollte eine Standesvertretung von Wirtschaftstreibenden nicht für grundsätzliche Marktfreiheit plädieren? – per se fragwürdig ist. Aber wir kennen derlei ja seit jeher aus dem engen, strengen Kammerstaat Österreich: egal ob Ärzte-, Bauern-, Wirtschafts- oder Kammer der Arbeiter und Angestellten (AK), gern kassiert man einen Mitgliedsbeitrag, ohne vorher zu fragen. Und vermeldet, dass dies alles nur zum Besten der Betroffenen sei. Und alles andere quasi undenkbar.

Wenn aber durch sogenannte „wohlerworbene Rechte“ und erstaunliche Pensions-Garantien sich die einen aus dem Topf bedienen können, um sich von den anderen – dem Plebs der gewöhnlichen ASVG- und GSVG-Rentner, die absehbar auf geringe und geringste Pensionen zusteuern – abzuheben, stellen sich ein paar grundsätzliche Fragen. Etwa: wie kann es sein, dass eine öffentliche Institution, die sich aus Pflicht-Mitgliedsbeiträgen nährt, freihändig derart mit Geld um sich schmeisst? Und dann, wenn die Voraussetzungen dafür – Spekulationsgewinne nämlich, nehmen wir das heutzutage schal klingende Wort ruhig in den Mund – leider in die Binsen gegangen sind und durch exorbitante Spekulationsverluste ins Gegenteil verkehrt werden, Dritte zur Kasse bittet?

Okay, werden Sie einwenden, so läuft das nunmal auf der Insel der Unseligen. Man kennt ja auch von der ÖBB oder dem ORF, der Nationalbank oder dem Beamtenapparat per se nichts anderes. Schon die Nachfrage, woher denn die Betriebsmittel kommen und wohin sie gehen, also die selbstverständlichste Offenlegung der Geldflüsse in einem der Allgemeinheit verpflichteten System, gilt als Blasphemie. Nein: wir schreiben nicht das 19. Jahrhundert. Wir schreiben das Jahr 2011.

Apropos: fragen Sie einmal – ungeachtet der Coleur – einen x-beliebigen (höchstwahrscheinlich pragmatisierten und von seinem Arbeitgeber freigestellten) Parlamentarier nach dem finanziellen Deckungsgrad seiner Polit-Pension. Sie werden aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Sofern Sie eine ehrliche Antwort bekommen. Meistens ist’s aber nur ein Achselzucken und ein verstohlen gemurmeltes „Das ist halt gesetzlich so geregelt“, das man als Reaktion erwarten darf. Dabei wäre es hoch an der Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen: hier bedient sich eine Minderheit schamlos an der Mehrheit. Und die alles ermöglichende Grundlage ist mangelnde Transparenz.

Aber nähren wir damit nicht eine „Neid-Debatte“? Und was hat das alles mit der Film- und Musikwirtschaft zu tun? Gute Fragen (ich liebe Fragen generell, das haben Sie schon gemerkt). Zunächst einmal: der Zug der Zeit geht – man muß dabei nicht WikiLeaks und Anonymous bemühen – eindeutig in Richtung erhöhte Transparenz. Mehr und mehr Leute durchschauen das subtile Umverteilungssystem, dass sich die Nomenklatura in den letzten Jahren und Jahrzehnten geschaffen hat. Mehr und mehr Fragen tauchen auf. Es zählt zu den durchschaubarsten Tricks der Privilegierten, Vorwärtsverteidigung zu betreiben und die moralische Keule zu schwingen. „Geiz!“ und „Neid!“ werden stantepede in die Diskussion geworfen, wenn man sachte auf das nunmehr offen zutage liegende Operationsbesteck der Gier verweist. Oder auch nur auf die eine oder andere grundsätzliche Fragwürdigkeit.

Die Wirtschaftskammer – samt den damit verbundenen Pflicht-Sozialversicherungseinrichtungen und einem Flechtwerk von Partei-Querverbindungen – muss sich diese Diskussion freilich gefallen lassen. Konsequenzen sind, wir sind ja in Österreich!, eh nicht wirklich zu erwarten. Oder doch? Es soll ja Leute geben, die auch bei IFPI-, AustroMechana-, LSG- oder AKM-Generalversammlungen bedenklich das Haupt wiegen, wenn die eine oder andere Frage abseits der müden Sitzungsroutine gestellt wird. Etwa jene nach den Pensionszahlungen für privilegierte Mitglieder. Oder nach eventuellen Spekulationsverlusten. Oder nach der Verwendung von nicht unerheblichen Beträgen, die eigentlich „sozialen und kulturellen Zwecken“ gewidmet sind. Oder wenn – einmal mehr via „profil“, das seine journalistische Rolle mit grosser Hartnäckigkeit und Verve erfüllt – gar die Mutmassung auftaucht, dass eine der unzähligen Rechte- und Tantiemen-„Verwertungsgesellschaften“ dieses Landes ihre Aufgabenstellung nicht wirklich akurat erfüllt (wie zuletzt, so meinen kritische Geister, die VDFS, die Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden).

Wenn man dann letztlich einige elegante Regelungen, die meist hinter hohen Mauern der „Berechtigten“ – die feinsäuberlich von „Nichtberechtigten“ zu unterscheiden sind, wie etwa die „ordentlichen“ von den, hm, unordentlichen (natürlich: ausserordentlichen) Mitgliedern – blühen, grundsätzlich in Zweifel zieht, könnte es rasch sein, dass man vom schlichten Fragesteller zum geschäftsschädigenden Anarchisten mutiert. Zumindest aus dem Blickwinkel mancher. Tendenziell „Berechtigter“. Oder solcher, die sich – eventuell vergeblich, die Uhr tickt – Hoffnungen machen, eines Tages zum inneren Kreis zählen zu dürfen.

Wer sagt denn eigentlich, dass es die Aufgabenstellung von Verwertungsgesellschaften ist, gewissen – natürlich nicht allen – Mitgliedern Zusatz-Pensionszahlungen zu gewähren? Wäre es vielmehr nicht gerechter, die Gelder, die man monopolistisch kanalisiert, nach Abzug einer möglichst geringen Verwaltungspauschale 1:1 zeitnah und ohne Spekulationsreserven an die Bezugsberechtigten auszuzahlen? „Soziale Härtefälle“ edlerweise nur dann zu berücksichtigen, wenn es sich wirklich um solche handelt? Und generell mal die eine oder andere „Einstufung“, das tradierte Geschäftsmodell und das eigene Selbstverständnis im 21. Jahrhundert zu überprüfen? Eventuell, bevor der Zug der Zeit – technisch, politisch, gesellschaftlich – über einen hinwegrast?

Fragen über Fragen. Erwarten Sie keine Antworten. Zunächst. Es kommen aber noch mehr Fragen. Mit Garantie. Und ewig wird man sich um ihre Beantwortung nicht herumdrücken können.

Trommelbremse & Königswelle

23. Juli 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (119) Retro-Vehikel á la Kawasaki W800 sind in Bulgarien unbekannt. Hier fährt man noch das Original.

Fein, wenn man sich im Web – fern der Heimat – den Wetterbericht ansieht und feststellen darf, dass zwischen Sofia und Wien ein Temperaturgefälle von zwanzig Grad Celsius herrscht. Gerade zum richtigen Zeitpunkt weggekommen also. Und ich zerbrech’ mir hier unter dem Sonnenschirm garantiert nicht den Kopf über Google+, Mac OS X Lion oder Anonymous. Die Ferien-Destination Bulgarien bietet ja – vor allem abseits der Großstädte – den speziellen Reiz, weithin eine Art Freiluft-Museum für technische Artefakte längst verblichener Jahrzehnte zu sein.

Besonders augenfällig wird dies im Strassenverkehr. Neben protzigen BMW- und Toyota-Geländewagen aktueller Bauart, deren verdunkelte Scheiben kaum Rückschlüsse auf die Besitzer zulassen (dafür umso mehr Spielraum für Vermutungen), gurken hier allerlei seltsame Gefährte durch die Gegend. Vehikel, die man tausend Kilometer weiter westlich kaum mehr zu Gesicht bekommt. Die Namen waren einst im Autoquartett nicht gerade grosse Bringer – oder überhaupt unbekannt: Moskwitsch, Trabant, Wartburg, Skoda, Dacia, Lada, Saporoshez, Oltcit, Wolga, Tatra, Polski-Fiat, Polenz, Yugo, Zastava. Gibt es dafür eigentlich mittlerweile eine Sammlerszene? Oder überantwortet man die östliche Technik-Hemisphäre mit der Überheblichkeit siegreicher Casino-Kapitalisten dem Rostfrass der Geschichte?

Solche Überlegungen – und nicht nur die glühende Hitze – gebieten mir, die Schrittgeschwindigkeit auf dem Weg zum Strand zu senken. Und den verbeulten Bussen, Autos und Motorrädern auf der Landstrasse nachzuschauen, deren Fahrer sich um Geschwindigkeitsbegrenzungen und Strassenmarkierungen nicht weiter zu kümmern scheinen. In der Badetasche trage ich seit Tagen ein Magazin spazieren, das gerade unter solchen Umständen doppelt und dreifach perverses Lesevergnügen verspricht: ein westliches Sportvehikel-Pornoheft, das eigentlich nur Porsche und Ferrari kennt. Und sonst kaum etwas.

Stopp. Stimmt nicht ganz: auch eine fabriksneue Retro-Kawasaki, Modell W800, wird da vorgestellt. Eine Remineszenz an die sechziger Jahre, mit Luftkühlung, Trommelbremsen und Königswelle. 48 PS stark, ein stilvolles Gefährt der japanischen Motorrad-Schmiede – ganz in der Tradition britischer Vorbilder wie der Triumph Bonneville. Derlei ist ja wieder mächtig in Mode. Erst neulich hat mich jemand im Büro mit einer restaurierten Oldie-Honda besucht. Und auch die indischen und chinesischen Nachbauten sind keine Exoten mehr.

Nur in Bulgarien hat man von dieser „Back to the future“-Welle noch nichts gehört. Auch die Einführung des Euro will man sich in Sofia nochmals genau überlegen (mit gutem Grund): gelegentlich ist es von Vorteil, dem Lauf der Welt etwas hinterherzuhinken.

Von Klicksgefühlen und Blödmaschinen

16. Juli 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (118) Warum sowohl Papierbücher als auch das iPad – eine Blödmaschine? – mit ins Urlaubsgepäck kommen.

Eigentlich verlangt die Schwerkraft gewisser Themen, genau dort fortzusetzen, wo man letzte Woche einen Punkt gesetzt hat. Oder, zutreffender, ein Komma. Denn der Hype um Google+ wird mittlerweile konterkariert durch die spassige Komplementär-Erfindung von Google– (ausgeschrieben: Google Minus), einem „Anti-Social Network“. Noch ist’s nur ein Gedankenspiel, aber natürlich hat derlei Potential. Alleine die Überlegung, durch einen Minus-/Dislike-Button – derlei fehlt auch bei Facebook – seinem Unmut oder gar glühenden Hass Ausdruck verleihen zu können, macht Misanthropen und Menschenfeinde richtig gut gelaunt.

Aber handelt es nicht um die Rückseite derselben Medaille? Bewegen wir uns tatsächlich schon in solch vorformatierten Bahnen, dass wir für spontane Regungen Buttons brauchen? „Klicks-Gefühle“, wie es mein Lieblings-Netz-Philosoph Peter Glaser wohl nennen würde. Wohlan: meine Freundin erklärt mich sowieso schon seit Jahren zum Computer-Idioten. Immerhin könnte es sein, dass es sich um einen glücklichen Idioten handelt.

Da trifft es sich gut, dass ich gerade ein Buch in die Reisetasche gepackt habe, das den wenig anheimelnden, aber für diese Kolumne probat erscheinenden Titel „Blödmaschinen“ trägt. Geschrieben von den deutschen Kulturwissenschaftlern Georg Seeßlen und Markus März, widmet es sich der individuellen und industriellen „Fabrikation von Stupidität“. Natürlich spielen Medien und Hyper-Medien wie das Internet darin eine grosse Rolle.

Aber ich werde jetzt hier nicht den Oberschlauen spielen und Ihnen das Buch – gewiss keine leichte Urlaubslektüre – ans Herz legen, wenn ich es selbst noch nicht gelesen habe. Vielleicht ist es ja auch nur der übliche Topfen kulturpessimistischer Maschinenstürmer, die sich gesellschaftliche Aufblähungen wie Google+ samt virtuellem Antimaterie-Tank Google– in ihren kühnsten Albträumen nicht ausmalen wollen. So sie denn in ihren Elfenbeintürmen davon überhaupt zu hören bekommen.

Wenn wir schon bei Büchern sind: gezwungenermassen habe ich auch ein iPad im Reisegepäck. Denn als ich neulich bei einem Verlag anfragte, ob man mir nicht Tim Renners neuestes Opus „Digital ist besser“ als Rezensionsexemplar übersenden könnte, lautete die schnöde Antwort: „Unser Kontingent ist bereits erschöpft. Um Ihnen das Buch trotzdem zur Verfügung zu stellen, senden wir Ihnen eine PDF-Version im Anhang.“

Danke. Der Verlag hat offenbar wirklich verstanden, worum es sich in „Digital ist besser“ dreht. Nur verkauft er das etwas, hm, ungeschickt nach aussen.

Plus Eins

9. Juli 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (117) Google+ ist, wiewohl noch nicht offiziell gestartet, der Social Media-Hype der Saison. Aber hat es Zukunft?

„Ich würde nie einem Club beitreten, der mich als Mitglied aufnimmt.“ Der Spruch von Groucho Marx – ins noch amüsantere Gegenteil verkehrt – fiel mir ein, als ich die verzweifelten Versuche vieler Freunde und Bekannter verfolgte, zur Closed Beta-Testphase von Google+ eingeladen zu werden. Sogar der stellvertretende Ö3-Chef vermeldete: „Ich komm’ nicht rein. Was ist denn das für eine Türsteherpolitik?“ Tja, gute Frage.

Das neue, erst ab Ende Juli wirklich allgemein zugängliche Social Network der Datenkrake Google ist offensichtlich der Hype der Saison. Selbst als der logische Konkurrent Facebook, der ja, was Teilnehmerzahlen und Alltagsdurchdringung betrifft, Lichtjahre vorne liegt, „eine grosse Sensation“ ankündigte – die sich dann als banale Integration der Videochat-Funktion von Skype entpuppte –, galt das Geschnatter der Internet-Gemeinde weiterhin dem Plus Eins-Verein.

„Es wäre mal Zeit für eine soziologische Betrachtung über die wiederkehrenden Abläufe der Besiedelung neuer digitaler Lebensräume“, meldete sich umgehend der deutsche Web-Leithammel Sascha Lobo zu Wort. Tatsächlich punktet Google+ mit einer innovativen Gruppierung der Kontakte in Kreise („Circles“) und einer stark personalisierten Strukturierung des Nachrichtenflusses. „Plus eins“ markiert Wohlwollen. Mit „Hangouts“ ist man Facebook und Skype zudem deutlich voraus: hier kann man bis zu zehn Personen in ein virtuelles Separée mit Bild und Ton einladen.

Ob Frater Lobo, mit dem kreuzartigen „+“ der Konquistadoren-Truppe voranmarschierend, aber solche Räume nicht rasch zu eng werden? Wohl nur, wenn seine Gemeinde nicht erfährt, dass er sie unter anderem in Circles namens „Deppen“, „Möchtegern-Wannabes“, „Versuchte PR“, „Politclowns“, „Schon bei Facebook nervig“ und „Internetfixierte“ einteilt. Und einen Freundeskreis namens „NIE anschauen“, der – Zitat – „den Leuten das Gefühl geben soll, man hätte sie zurückgecircelt.“ Das entlockt dem Betrachter dann doch spontan ein „LOL“, ein Lachen aus vollem Hals.

So ist das nun mal, wenn sich abgebrühte Early Adopters – die auch schon „1st Generation User“-Plaketten für die Erstbesiedler des Planeten Google+ verteilen – über die Heerscharen der Nachkommenden unterhalten. Ich schätze, dass es im 17. Jahrhundert in der Neuen Welt auch nicht anders zuging. Aber ist die grosse Aufbruchs- und Auswanderungsstimmung wirklich spürbar? Und erfasst sie breitere Bevölkerungsschichten als die überschaubare, unstete Gemeinde der Zukunfts-Evangelisten? Um hier eine Antwort geben zu können, ist es wohl noch zu früh.

Ich weiss nur eines: es nervt jetzt schon gewaltig, neben Twitter, Facebook, Diaspora, Xing, Netlog, LinkedIn & Co. eventuell noch weitere Social Media-Plattformen mit Persönlichem, Propaganda und Pustekuchen füttern zu müssen.

I want the future – now!

7. Juli 2011

Musikmagazine. Wen scheren schon Musikmagazine? Heute fischt man sich seine Informationsbrocken doch aus dem Internet. Und Popkultur ist nun mal keine Spielfläche für intellektuellen Diskurs. Oder seriösen Journalismus. Und, wenn schon: dann genügt doch ein Magazin auf dem österreichischen Markt… Oder? Ein Plädoyer für ein offensives Umdenken. Und ein Fingerzeig auf das exzellente Exempel NOW!

Wir leben in seltsamen Zeiten. In einer Kulturära, in der der kaufmännische Leiter eines Wiener Musical- & Opern-Imperiums – der sich selbst ein höheres Gehalt als der Bundeskanzler genehmigt – erklärt, es wäre ein „überaus erfreuliches Bild“, wenn man jährlich nur 38 Millionen Euro Subvention brauche, um Udo Jürgens-Huldigungen abzuspulen. In einer Zeit, da der ORF – die ungebrochen mächtigste Medienorgel des Landes – stolz ein neues Programm („ORF 3“) startet, bezeichnenderweise einen Kultur- und Informationskanal, und zeitgleich die Zahlungen an die AKM, die Geld an die Kulturschaffenden weitergibt, um zehn Prozent kürzen will. In einer Gesellschaft, die Transparenz, Inhalte und Reformen einfordert, aber zugleich weithin einer „Geiz ist geil“-Philosophie und einem tiefen Ressentiment gegen Fragensteller, Reformgeister und Systemkritiker anhängt.

Giuseppe Tomasi di Lampedusa („Der Leopard“) hat die Schizophrenie der Situation auf den Punkt gebracht: „Es muß sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist“. Die angepeilten Änderungen sind im Biotop Österreich freilich zumeist Lippenbekenntnisse, Halbherzigkeiten, Oberflächenkosmetik. Ein morscher Unterbau für den Status Quo, ein – wohl unbeabsichtigt – tragfähiges Fundament für radikale Umbrüche.

Schnitt. Nehmen wir das eingangs erwähnte Blatt in die Hand. Das in Salzburg verlegte und in ganz Österreich (und via Web) verbreitete Magazin NOW!: ein mit Herzblut, Idealismus und existenziellem persönlichen Einsatz hergestelltes Periodikum, das sich (grösstenteils) der Musik widmet. Populärer Musik, aber ohne Scheuklappen oder ausschliessliche Konzentration auf Mainstream-Fliessbandware. Dieses Magazin kostet die Leserin und den Leser nichts, wird aber hoffentlich nicht umsonst gelesen. Sondern mit Gewinn. Einem Informations- und Lustgewinn aufgrund kurzweiliger Artikel, profunder Rezensionen und kompetenter Einschätzungen.

Derlei kostet Geld. Geld, das in Zeiten der grassierenden Gratis-Kultur nur in Ausnahmefällen von Konsumentenseite einzufordern ist. Sondern von jenen stammt, die die Inhalte, die hierorts versammelt, besprochen und katalogisiert werden, herstellen und vertreiben. Von Künstlern, Labels, Management- und Booking-Agenturen, Distributoren und Händlern.

Und, ja, es gibt – hoffentlich – soetwas wie einen Grundkonsens, dass man nicht nur in schreiend-nichtssagende Werbeprospekte, müde Gefälligkeitsinterviews und bunten Copy & Paste-Papiermüll investiert, sondern auch in seriösen, unabhängigen, engagierten Musikjournalismus. Es soll ja auch ernsthafte Musikkonsumenten geben. Und ich garantiere, dass diese Minderheit für den Grossteil der Tonträgerverkäufe in den Plattenläden und CD-Stores dieses Landes verantwortlich zeichnet. Und sich längst auch lustvoll auf den Download-Plattformen tummelt.

Wir leben aber in seltsamen Zeiten. Einerseits herrscht Überfluss, Massenware, ein zudringliches Zuviel des Ewig-Gleichen – selbst ruinöses Preisdumping holt keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervor. Andererseits hat man für jene, die die Tugenden der Sinnesschärfung, der systematischen Durchforstung des Angebots, der permanenten Suche nach dem Wahren, Guten, Schönen pflegen – keinen müden Cent übrig. Angeblich. Zunehmend. Fragen Sie den Herausgeber dieses Magazins, mit welchen Argumenten ihn man immer öfter, immer schnöder, immer kühler abspeist. Permanente Selbstausbeutung ist aber kein partnerschaftliches Prinzip. Und selbstverständlich auch keine Zukunftsperspektive.

Diese Kolumne ist daher ein Appell: wer Magazine wie NOW! nicht missen mag, muss etwas dafür tun. Lesen und das Gelesene zu schätzen wissen ist schon mal ein guter Start. Den Inseraten und Inserenten wohlwollende Aufmerksamkeit schenken ein grossherziges Signal. Die Botschaft weiterzugeben – auf Facebook, Twitter, Google+, am Musik-Stammtisch oder im Business-Meeting – ein Gebot der Stunde. „I want the future now! I want to hold it in my hands.“ (Peter Hammill).

Nur wird alles Pathos nichts helfen: wenn die mit den grossen und grösseren Hebeln auf den Büro-Schreibtischen nicht mitspielen, wird nichts draus. Ihr wisst schon, wer gemeint ist. Gebt euch einen Ruck. Jetzt.

Limbo-Tanz

2. Juli 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (116) Kaum ein Land in Europa hat niedrigere Handygebühren als Österreich. Freiwillig draufzahlen tun aber nicht nur Dumme.

Die Sache ist ganz einfach: das iPhone, das ich seit Jahr’ und Tag mit mir im Hosensack trage, ist schon ziemlich bedient. Gesprungenes Glas, kurze Batterielaufzeit, immer wieder spontane Funktionsfehler – mal läutet das Handy nicht, mal schaltet es sich unerwartet ab. Ausserdem ist es ein Gerät der zweiten Generation, also technisch nicht mehr am neuesten Stand der Dinge, vom Image ganz zu schweigen. Zeit, ein neues iPhone zu erwerben (und, nein, ich hab jetzt keine Lust, auf das allerneueste Modell zu warten). Zumal einem, traut man der Werbung, die Mobilfunkanbieter die Mutter aller Smartphones förmlich nachwerfen. Kostenlos! Grad’, dass sie einen nicht noch extra dafür bezahlen, dass man sich für ein Maschinchen entscheidet, das die Rechenleistung eines schrankgrossen, flüssigkeitsgekühlten Cray-Supercomputers der achtziger Jahre toppt.

Nun wird es aber kompliziert. Wirklich kompliziert. Denn so blöd, einfach den Uralt-Vertrag – den ich noch mit „One“ abgeschlossen habe – zu verlängern und 149 Euronen draufzulegen, wie mir das die Mitarbeiter im „Orange“-Shop vorschlagen, bin ich wieder auch nicht. Durch den mörderischen Konkurrenzkampf auf dem engen österreichischen Markt überschlagen sich die Netzbetreiber förmlich in punkto Preis-Dumping. Jede Woche ein neues Paketangebot – mal verbunden mit Breitband-Internet für zuhause (wie gerade bei A1), dann wieder mit Verdoppelung der Freiminuten und SMS-Kontingente. Oder Schnickschnack wie Fernsehen am Handy. Apps bis zum Abwinken sowieso. Das unschuldige Wort „gratis“ (wahlweise auch „kostenlos“ oder „null Euro“) glüht förmlich, weil es ständig zum Einsatz kommt.

Dabei muss man nur das Kleingedruckte lesen: da tauchen plötzlich Freischaltungsgebühren und Aktivierungsentgelte, SIM- und Service-Pauschalen und sonstige Überraschungseier auf. Manchmal auch im Nachhinein. Der Tarif-Dschungel blüht schlaumeierisch dicht und hinterhältig dornig im Land der Berge, Täler und Funklöcher. Wollen wir Gerechtigkeit walten lassen: letztere werden immer weniger. Und die Mobilfunkbetreiber stöhnen mehr und mehr über den Limbo-Tanz des Sich-unablässig-gegenseitig-Unterbietens. Mögen die Konsumenten auch noch so jauchzen und frohlocken – irgendwer zahlt am Ende die Rechnung. Oft freiwillig, weil nichtsahnend.

Ein kleiner Fingerzeig für all jene, die versuchen, den Durchblick zu bewahren: der „Handy-Tarifrechner“ der AK hält, was er verspricht. Dass etwa dasselbe Gesprächs- & SMS-Volumen im günstigsten Fall 18 Euro, mit einem grundfalschen, aber nicht denkunmöglichen Tarif aber bis zu 655 Euro (!) pro Monat kostet, verblüfft ziemlich. Da hilft allemal vorab ein Blick in die minutiösen Vergleichstabellen. Dass die Arbeiterkammer für solche und andere Konsumenten-Service-Leistungen selbst Zwangs-, pardon: Pflichtbeiträge einhebt, ist wieder ein anderes Thema.

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