MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (128) Die Pink Floyd-Klassiker liegen, neu verpackt, in den Auslagen der analogen Welt. Man staune, höre, (re)kapituliere.
In einer Welt, die zunehmend wuseliger, komplexer und eventuell auch bedrohlicher wird, ist Kultur-Eskapismus eine probate Fluchtmöglichkeit. Auf Twitter z.B., diesem Live-Ticker für die globale Trivia- und News-Junkie-Gemeinde, verfolgen mich die Meldungen eines monomanischen Literaturapostels. „Heute schon Goethe gelesen?“ Derlei macht stutzig. Mitten im Stakkato der Eilmeldungen und individuellen Sensatiönchen nimmt sich die Frage nach Goethe ein bisschen wunderlich aus, wie aus Raum und Zeit gefallen. Aber sie ringt mir jedes Mal ein leises Lächeln ab. Und den Wunsch, jenseits aller Charlotte Roche- und Niki Glattauer-Lektionen vielleicht doch mal wieder zum guten, alten Johann Wolfgang von G. zu greifen.
Gelegentlich paart sich dann ja auch das Einknicken vor den Bestsellerlisten mit der Absicht, sich dem wirklich Wahren, Guten, Schönen zu widmen. Wobei die Ansichten, was darunter exakt zu verstehen wäre, natürlich auseinandergehen. Ich jedenfalls mache mich nach dem Niederschreiben dieser Zeilen auf in die Webgasse 43 in Wien, um in der hiesigen Filiale der Plattenfirma EMI einen popkulturellen Popanz sondergleichen zu begutachten. Und eventuell das eine oder andere Stück abzustauben.
Sie haben es sicher schon andernorts gelesen oder gehört: der Musikkonzern wirft das gesamte Oeuvre von Pink Floyd auf den Markt, re-mastered, re-packaged, re-irgendwas. In jeder erdenklichen Konfiguration, mit zusätzlichen Live-CDs, DVDs, Blu-Rays, Surround-Mixes, Bonus-Tracks, Vinyl, Bücher, Karten und sonstigem Pipapo. Verpackt als „Immersion Box Set“, „Experience Edition“ oder vergleichsweise lächerliche „Discovery“-Schmalhans-Neuauflage. Auch eine neue „Best Of“-Kollektion gilt es zu erwerben, zumindest für Vollständigkeitsfanatiker.
Es passiert, was jedem HiFi- und Musik-Narren im Lauf eines Lebens mindestens einmal passiert: man trägt diese – eng mit der eigenen kulturellen Sozialisation verwobenen – Konsumfetische stolz nach Hause und vergleicht den aktuellen State of the Art-5.1-Surround Mix von „Dark Side of the Moon“ mit der Erinnerung an die eigene Jugend. Damals hatte man nur einen billigen Philips-Plattenspieler als Hörkrücke, heute ist es eine sauteure Anlage vom Allerfeinsten. Es klingt besser, gewiss, aber selbst die ewigen Säulenheiligen des Progressive Rock entwickeln anno 2011 nur mehr einen Abglanz jener Tage, als Marketing zuvorderst ein Begriff für verbiesterte WU-Studenten war. Die Wucht, mit der diese Klangkaskaden Mitte der siebziger Jahre auf unvorbereitete Hörer einstürzten, lässt sich nur bedingt reproduzieren. Das gilt übrigens in gleichem Masse, auch wenn es sich um musikideologische Anti-Materie handelt, für das prototypische Neunziger Jahre-Album „Nevermind“ von Nirvana. Auch das stellt man dieser Tage frisch aufpoliert in die Auslagen. Irgendein Jubiläum, das es konsumtechnisch zu feiern gilt, findet sich immer.
Warum überhaupt die Materialschlacht? Weil die Zeit der Popkultur in/auf Scheiben demnächst vorbei sei, merkte der Pink Floyd-Trommler Nick Mason an. Und weil auch die Traditionsmarke EMI wohl nicht mehr lange existieren wird. Wer sich dem physischen Produkt-Fetischismus grundsätzlich verweigert, wird „Wish You Were Here“ längst als unsichtbare Abfolge von Nullen und Einsen aus der allgegenwärtigen Daten-Wolke beziehen.
Was aber, wenn partout die Verpackung ein immanenter Teil der Botschaft war und ist? Wie es Will Groves, Herausgeber von MusicRadar.com, formuliert: „… eine Erinnerung an eine Zeit, als ein Plattencover noch mehr war als ein paar hundert Pixel breites jpeg in der iTunes-Bibliothek.“ Oder, um good old Goethe hervorzukramen: „Schönheit ist ein gar willkommener Gast.“ Auch im 21. Jahrhundert.