Archive for September, 2011

Die dunklere Seite des Mondes

24. September 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (128) Die Pink Floyd-Klassiker liegen, neu verpackt, in den Auslagen der analogen Welt. Man staune, höre, (re)kapituliere.

In einer Welt, die zunehmend wuseliger, komplexer und eventuell auch bedrohlicher wird, ist Kultur-Eskapismus eine probate Fluchtmöglichkeit. Auf Twitter z.B., diesem Live-Ticker für die globale Trivia- und News-Junkie-Gemeinde, verfolgen mich die Meldungen eines monomanischen Literaturapostels. „Heute schon Goethe gelesen?“ Derlei macht stutzig. Mitten im Stakkato der Eilmeldungen und individuellen Sensatiönchen nimmt sich die Frage nach Goethe ein bisschen wunderlich aus, wie aus Raum und Zeit gefallen. Aber sie ringt mir jedes Mal ein leises Lächeln ab. Und den Wunsch, jenseits aller Charlotte Roche- und Niki Glattauer-Lektionen vielleicht doch mal wieder zum guten, alten Johann Wolfgang von G. zu greifen.

Gelegentlich paart sich dann ja auch das Einknicken vor den Bestsellerlisten mit der Absicht, sich dem wirklich Wahren, Guten, Schönen zu widmen. Wobei die Ansichten, was darunter exakt zu verstehen wäre, natürlich auseinandergehen. Ich jedenfalls mache mich nach dem Niederschreiben dieser Zeilen auf in die Webgasse 43 in Wien, um in der hiesigen Filiale der Plattenfirma EMI einen popkulturellen Popanz sondergleichen zu begutachten. Und eventuell das eine oder andere Stück abzustauben.

Sie haben es sicher schon andernorts gelesen oder gehört: der Musikkonzern wirft das gesamte Oeuvre von Pink Floyd auf den Markt, re-mastered, re-packaged, re-irgendwas. In jeder erdenklichen Konfiguration, mit zusätzlichen Live-CDs, DVDs, Blu-Rays, Surround-Mixes, Bonus-Tracks, Vinyl, Bücher, Karten und sonstigem Pipapo. Verpackt als „Immersion Box Set“, „Experience Edition“ oder vergleichsweise lächerliche „Discovery“-Schmalhans-Neuauflage. Auch eine neue „Best Of“-Kollektion gilt es zu erwerben, zumindest für Vollständigkeitsfanatiker.

Es passiert, was jedem HiFi- und Musik-Narren im Lauf eines Lebens mindestens einmal passiert: man trägt diese – eng mit der eigenen kulturellen Sozialisation verwobenen – Konsumfetische stolz nach Hause und vergleicht den aktuellen State of the Art-5.1-Surround Mix von „Dark Side of the Moon“ mit der Erinnerung an die eigene Jugend. Damals hatte man nur einen billigen Philips-Plattenspieler als Hörkrücke, heute ist es eine sauteure Anlage vom Allerfeinsten. Es klingt besser, gewiss, aber selbst die ewigen Säulenheiligen des Progressive Rock entwickeln anno 2011 nur mehr einen Abglanz jener Tage, als Marketing zuvorderst ein Begriff für verbiesterte WU-Studenten war. Die Wucht, mit der diese Klangkaskaden Mitte der siebziger Jahre auf unvorbereitete Hörer einstürzten, lässt sich nur bedingt reproduzieren. Das gilt übrigens in gleichem Masse, auch wenn es sich um musikideologische Anti-Materie handelt, für das prototypische Neunziger Jahre-Album „Nevermind“ von Nirvana. Auch das stellt man dieser Tage frisch aufpoliert in die Auslagen. Irgendein Jubiläum, das es konsumtechnisch zu feiern gilt, findet sich immer.

Warum überhaupt die Materialschlacht? Weil die Zeit der Popkultur in/auf Scheiben demnächst vorbei sei, merkte der Pink Floyd-Trommler Nick Mason an. Und weil auch die Traditionsmarke EMI wohl nicht mehr lange existieren wird. Wer sich dem physischen Produkt-Fetischismus grundsätzlich verweigert, wird „Wish You Were Here“ längst als unsichtbare Abfolge von Nullen und Einsen aus der allgegenwärtigen Daten-Wolke beziehen.

Was aber, wenn partout die Verpackung ein immanenter Teil der Botschaft war und ist? Wie es Will Groves, Herausgeber von MusicRadar.com, formuliert: „… eine Erinnerung an eine Zeit, als ein Plattencover noch mehr war als ein paar hundert Pixel breites jpeg in der iTunes-Bibliothek.“ Oder, um good old Goethe hervorzukramen: „Schönheit ist ein gar willkommener Gast.“ Auch im 21. Jahrhundert.

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Die fehlende Dimension

17. September 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (127) 3D macht Spass, aber auch viele Probleme. Und verkommt so zum Modegag ohne Zuschauer und Zukunft.

Unlängst erzählte mir ein Freund eine Geschichte, wie sie das Leben so schreibt. Eine Konsum-Parabel, die schliesslich in einem deftigen Lachanfall mündete, zuvor aber für Verblüffung, Rätselraten und einigen Ärger gesorgt hatte.

Die Geschichte geht so: die Freundin des Freundes gewinnt bei einem Preisausschreiben einen Fernseher. Hurra! Es handelt sich um ein schickes, flaches, mächtiges Teil. Auf dem neuesten Stand der Technik. Und es ist, wie die Beschreibung verkündet, 3D-fähig. Man holt also das TV-Gerät aus dem Karton, schliesst das Programmkabel an und setzt es unter Strom. Sich selbst setzt man 3D-Brillen auf, die dem Apparat beiliegen, denn ohne wird es klarerweise nichts mit der dritten Dimension. Das Bild ist, sagen wir mal: gewöhnungsbedürftig. Und erscheint eher, hm, zweidimensional. Oder ragt die Nase des Nachrichtensprechers nicht doch ein wenig aus dem Bildschirm heraus und ins Wohnzimmer hinein? Man sitzt ein Viertelstündchen da, zappt sich durch die Programme und sieht sich wechselseitig ratlos an. Und zunehmend enttäuscht. 3D: ein Humbug, ein Schwindel, eine Farce?

Meine Nachfrage, ob man denn auch eine codierte Sendung, DVD oder Blu-Ray-Disc ausgewählt hätte, löste das Rätsel. Wie, dafür brauche es spezielle Programmangebote? Die 3D-Brillen wandeln nicht einfach das stinknormale Fernsehbild und verleihen ihm Räumlichkeit und Tiefe? Und wenn dem schon so sei, wo kriegt man bloss die entsprechenden TV-Kanäle, Sendungen und Filme her? Gute Frage. Nächste Frage. Denn natürlich existieren solche Angebote. Aber sie sind nachwievor recht dünn gesät. Und 3D-Movies fallen zumeist in die Kategorie „Holzkeule“ (die wird dann aber, wir wollen nicht ungerecht sein, drastisch plastisch geschwungen). Man kann sich die Bilder auch vom Computerchip hochrechnen lassen, aber derlei Trickserei kann die Anmutung des Artifiziellen nie ganz abschütteln.

Dazu kommt ein weiteres Problem: die Inkompatibilität der Systeme. Samsung, Sony und Panasonic setzen auf Shutter-Brillen, LG, Philips und Toshiba forcieren dagegen die Polfilter-Technik mit billigen, leichten und jetzt schon geräteübergreifend nutzbaren Brillen. Nun hat auch die Konkurrenz einen „M-3DI“-Standard angekündigt, der aktive (und damit stromfressende und schwere) Sehbehelfe austauschbar macht. Kopfschmerzen sind da wie dort vorprogrammiert. Um aber die babylonische Verwirrung noch zu steigern, wurde auf der Funkausstellung in Berlin aber auch schon eine 3D-Technologie vorgestellt, die ganz ohne Brillen auskommt.

Ihnen fehlt da der Ein-, Aus-, Durch- und Weitblick? Unter uns: mir auch.

Datenstrom in Crypto City

9. September 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (126) Was immer Sie launig auf Facebook posten, lesen mehr Leute mit, als Ihnen eventuell lieb ist.

„Wer bei sozialen Netzwerken amerikanischer Anbieter, etwa Facebook oder Google+, ständig über die Vereinigten Staaten wettert, könnte beim nächsten Amerika-Urlaub Einreiseprobleme bekommen.“ Sage nicht ich. Sagt auch nicht der US-Botschafter. Das ist das Fazit eines Reports des grössten deutschsprachigen Spartenmagazins „ComputerBild“ zum Thema Daten-Scanning, der wohl nicht zufällig zum Jahrestag von 9/11 erscheint.

Dass ausgerechnet die plastisch-populistisch formulierenden, aber gewiss nicht unter Anti-Amerikanismus-Verdacht stehenden Produkte des Axel Springer-Verlags zu solch einem Schluß kommen, ist denkwürdig. Die Welt hat sich seit den Tagen des Kalten Krieges, der auf einem simplen West/Ost/Gut/Böse-Schema beruhte, rasant weitergedreht. Sind jetzt die Amis die neuen Schurken?

Natürlich nicht. Und gewiss sind nach dem 9/11-Trauma – das auch zehn Jahre nach den Geschehnissen unvermindert nachwirkt – erhöhte Sensibilität und Wachsamkeit durchaus verständlich (auch wenn sich viele Feindbilder als absurde Projektionen und üble Polit-Konstruktionen erwiesen haben). Man kann sich aber nur schwer des Eindrucks erwehren, dass das Land – zurecht oder zu Unrecht, darüber mögen Politikwissenschaftler, Historiker und Ideologen streiten – eine gewaltige Paranoia aufgerissen hat. Und stetig die Arsenale des Misstrauens aufrüstet. Der freiheitsliebende, locker kaugummikauende Cowboy von einst gleicht heute einem computerbewehrten, latent aggressiven Marshall der US-Einwanderungsbehörde mit verspiegelter Sonnenbrille.

Ich habe das Bild nicht zufällig gewählt: man begegnet dieser Symbolfigur des Status Quo auf jedem Flughafen und an jeder Grenzstation der Vereinigten Staaten. Unangenehm und fragwürdig genug. Der Arm des Gesetzes reicht aber weit über die Staatsgrenzen hinaus. Bis nach Europa. Und mitten hinein in unseren Alltag.

„Facebook darf Informationen weitergeben, wenn das Unternehmen im guten Glauben der Meinung ist, dass ihre Offenlegung zur Vermeidung von betrügerischen oder anderen rechtswidrigen Handlungen notwendig ist.“ Punkt. Gilt übrigens nicht nur bei Facebook, sondern auch für Amazon, Apple, Microsoft, Google, Twitter, Dropbox & Co. „Dazu zählt unter anderem die Weitergabe von Daten an Behörden.“ Lesen Sie ruhig mal im Kleingedruckten der Geschäftsbedingungen nach (Hut ab übrigens vor den Wiener Studenten, die genau das getan haben – und Klage einreichten. Mit noch unabsehbaren Folgen.)

Im Klartext: wir liefern freiwillig und freudig Persönlichkeits-Profile, Social Media-Röntgenbilder und prallvolle „Cloud“-Aktenschränke – kurzerhand unsere persönliche und professionelle Intimsphäre – gebündelt an einen Haufen Geheimdiensthansln, die dem US-„Patriot Act“ gemäss ganz legal in einem Gebäude- und Bunkerkomplex namens „Crypto City“ beständig den Nachrichtenstrom analysieren. Und, gewiss: die vergleichsweise strengen EU-Datenschutzbestimmungen sind den Antiterror-Agenten herzlich egal. Die Justizbehörde muss über diese Vorgänge zwar informiert werden, aber sie bedürfen nicht ihrer Genehmigung. Jeglichem Ge- und Missbrauch durch FBI, CIA, NSA und „befreundete“ Einrichtungen im In- und Ausland – zählten nicht auch Libyens Folterknechte bis vor kurzem zu den Partnern der US-Antiterror-Truppe? – ist nicht das kleinste Riegelchen vorgeschoben.

Was empfiehlt „ComputerBild“ in diesem Kontext? Eine kostenlose Verschlüsselungs-Software namens „TrueCrypt“. Na super! Ich wette: wer immer die runterlädt, kann sich in Zukunft die Reise und den forschen Blick der US-Marshalls gleich ersparen. Und sich präventiv selbst unter Generalverdacht stellen.

Bulb Fiction?

3. September 2011

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (125) Erzwungenes Energiesparen und ewiges EU-Bashing? Ein kosumentenfreundlicher Vorschlag zur Güte.

Zugegeben: das Ende der 60 Watt-Glühbirne, die kuriose Koinzidenz des Stichdatums 1. September mit einer abrupten Verteuerung von Energiesparlampen, die, gelinde gesagt, ungeschickte Kommunikationspolitik und die allseits wogenden Emotionen (jetzt gibt es sogar eine Film-Doku namens „Bulb Fiction“) lassen mich auch nicht kalt. Was aber, wenn man zu dieser Thematik längst alles gesagt hat?

Ich kann meinen Fingerzeig nur wiederholen: lassen Sie quecksilberhaltige Ersatzbirnen im Regal liegen. Und bitten Sie einen Fachhändler, Ihnen (noch) teure, aber sehr effiziente und tadelloses Licht abstrahlende LED-Lampen zu zeigen. Das ist die Zukunft. Vielleicht sollten sich die Hersteller ja mal zusammentun und – meinetwegen sogar EU-gefördert – eine Aktion starten: jeder Konsument bekommt ein Musterstück zum Ausprobieren im eigenen Haushalt. Zum Preis einer alten Glühbirne. Derlei würde die allgemeine Matschkerei und jede Verschwörungstheorie dorthin befördern, wo das Gaslicht, die Petroleumlampe und der Kienspan längst gelandet sind: auf dem Misthaufen der Geschichte.

In einem Punkt muss ich den Gegnern der EU-Glühlampen-Verordnungen aber recht geben: Zwang war noch nie ein gutes Instrument der Überzeugung. Warum hat man die Argumentation für das Gute, Wahre, Schöne – und, ja, Notwendige – nicht dem vielbeschworenen Markt überlassen? Wenn ich mit simplen Leuchtmitteln bei gleicher (oder zumindest vergleichbarer) Lichtqualität jede Menge Energiekosten sparen kann, müsste das eigentlich früher oder später jeden Depp überzeugen. Rechnen lernt man ja schon in der Volksschule.

Und wenn schon mehr oder minder sanfter Druck, dann sollte er vorrangig den Hardware-Herstellern gelten. Dass z.B. immer noch TV- und HiFi-Geräte, PCs und Espressoautomaten mit Stand-by-Verbrauchswerte von zehn Watt Watt und mehr in den Geschäften zu finden sind, ist absurd. Manche haben nicht mal einen richtigen Ein-Aus-Schalter. Oder ein ausgelagertes Steckernetzteil. Dass solche Geräte oft wie blöd Strom verbrauchen, auch wenn sie vermeintlich ausgeschaltet sind, sollten zumindest Elektrofachhändler verinnerlicht haben. Und auch renitenten „Geiz ist geil“-Kunden zuflüstern.

Nochmals ein pragmatischer Vorschlag an alle Ketten, Shops und Händler: geben Sie ihren Kunden zum Selbstkostenpreis eine Steckdosenleiste mit integriertem Schalter mit. Das ist eine Geste der Vernunft. Und der Konsumentenfreundlichkeit. Abgesehen von der Überraschung und Eigenwerbung: im ganzen Land ginge so manchem ein Licht auf.

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