Streaming Services wie „Spotify“ mischen den Musikmarkt auf. Diese Woche startete der schwedische Anbieter auch in Österreich. Revolution, Evolution oder Irrweg?

„Das Internet setzt Realitäten und der Musikmarkt hechelt hinterher.“ Der Kommentar von Philipp Dorfmeister zum Österreich-Start des Streaming-Dienstes „Spotify“ fällt demonstrativ trocken aus. Philipp Dorfmeister ist nicht nur ein Bruder des ungleich bekannteren Künstlers Richard („Kruder & Dorfmeister“), sondern auch einer der wenigen Branchen-Grosshändler, die den Sprung in das 21. Jahrhundert geschafft haben. Mit dem Digital-Vertrieb „Ordis“ beliefert er weltweit Download-Plattformen wie iTunes oder Amazon mit immateriellen Gütern. Der überwiegende Teil seiner Kunden sind heimische Labels.
Ab sofort steht Philipp Dorfmeister und seinem Team noch mehr Arbeit ins Haus: mit einem Gesamtangebot von über 15 Millionen Songs will „Spotify“ innert weniger Wochen mehr als 200.000 User erreichen. Quasi auf Knopfdruck können neben Rosenstolz, David Guetta und Amy Winehouse auch annähernd alle Produktionen österreichischer Künstler abgerufen und angehört werden – so führen aktuell Hubert von Goisern („Brenna tuats guat“) und der „Volks-Rock’n’Roller“ Andreas Gabalier die „Spotify“-Charts an.
Hineinschnuppern ist gratis, verlangt aber – massiv kritisiert von potentiellen Interessenten – einen Facebook-Account. Die enge Verzahnung mit der Social Media-Datenkrake ist Teil der PR- und Geschäfts-Strategie. Wenn man Musik geniessen will, ohne zwischendurch von Werbung belästigt zu werden, kostet „Spotify“ 4,99 Euro im Monat. Für die doppelte Summe kann man auch offline und per Mobiltelefon auf das annähernd unerschöpfliche Archiv zugreifen, zudem in besserer Audio-Qualität. Das „Freemium“-Angebot ist zweifelsfrei attraktiv. Etwa ein Fünftel aller User werden zahlende Kunden.
Das Cloud-Service durchbricht das Paradigma, dass Fans und Liebhaber ihre Lieblingsmusik in Form von Tonträgern oder MP3-Files „besitzen“ wollen. „Spotify“ hat die Anmutung einer Radio-Station, deren Programmchef einem täglich aus dem Spiegel entgegenlacht. Vergleichbare Anbieter heissen „Simfy“, „Pandora“, „Rdio“ oder „Grooveshark“, letzterer operiert knapp an (oder jenseits) der Grenze zur Illegalität. Auch Apple, Google und andere Web-Giganten bereiten ähnliche Services vor. „Man hat der Musikindustrie gern vorgeworfen, die digitale Revolution verschlafen zu haben“, erläutert „Spotify“-Europachef Jonathan Forster. „Aber derzeit ist sie innovativ und progressiv wie nie zuvor.“
„Spotify“ ist der Sieg des Prinzips Bequemlichkeit über die vergleichsweise Mühsal und moralische Fragwürdigkeit des Musikdiebstahls in Form von Peer-to-peer-Netzwerken, des Klonens gigabytepraller Festplatten und der Nebenher-Nutzung von YouTube als Audio-Jukebox. „Wir freuen uns über den Markteintritt jedes Anbieters, der das Urheberrecht respektiert“, kommentierte folgerichtig der Generaldirektor der AKM, Gernot Graninger, den Coup. Die spezifische Vereinbarung mit dem schwedischen Unternehmen wird aber – nicht zuletzt der Konkurrenzsituation zu europäischen Schwester-Urheberrechtsgesellschaften wegen – keineswegs detailliert klargelegt. Künstler, Verlage und Labels müssen abwarten, welche Summen der von ihnen gelieferte Business-Treibstoff wert ist.
Pragmatiker meinen, jeder Cent, den man den Piraten entreisse und der „Generation Gratis“ abknöpfe, sei ein Gewinn. Pessimisten verweisen auf die Intransparenz der Musik-Maschinerie 2.0 und die stupend niedrigen Erträge, die bislang in Aussicht gestellt werden – jeder Abspielvorgang sei gerade mal 0,0003 Cent wert. Für ein durchschnittliches Monatseinkommen von rund tausend Euro muss ein Musiker vier Millionen User erreichen. Dennoch: „Wir haben bisher über 100 Millionen Euro ausgezahlt“, merkt Forster an. „Für die schwedische Musikindustrie etwa sind wir längst die wichtigste Einnahmequelle.“
Vor fünf Jahren startete „Spotify“, gegründet von Daniel Ek und Martin Lorentzon, im Heimatmarkt. Schon 2009 zählte man eine Million Nutzer. Bislang ist der Dienst in Skandinavien, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Holland und den USA legal und unkompliziert nutzbar. Dass Österreich – noch vor dem „Grossen Bruder“ Deutschland, wo der AKM-Pendant GEMA hinreichend Widerstand leistet und deutlich bessere Konditionen für seine Klienten herausschlagen möchte – sich nun in diese Liste einreiht, überraschte selbst Branchen-Insider. „Ich habe einen Business Development-Manager bei einem weissen Spritzer davon überzeugen können, dass wir alle notwendigen Verhandlungen für ein „Roll Out“ in sechs Monaten schaffen“, plaudert der Wiener Statthalter des weltgrössten Musikkonzerns Universal und Präsident des Lobbyingverbands IFPI, Hannes Eder, aus dem Nähkästchen. „Legale Streaming-Plattformen wie Spotify sind für uns überlebensnotwendig. Daher die offensive Einladung.“
Gerade in Zeiten turbulenter Umbrüche – erst vor wenigen Tagen schluckte Universal den langjährigen Major-Konkurrenten EMI Records, der Verlagsarm des britischen Traditionsunternehmens ging an Sony Music – könnte sich dieses Wagnis langfristig als „Erfolgsstory“ (so der Branchendienst „MediaNet“ schon vorab) erweisen. „In allen Ländern, wo Spotify am Markt ist, werden deutlich steigende legale Downloads und ein Rückgang der Piraterie um bis zu 25 Prozent beobachtet“, so Eder. Auch kritische Branchenexperten schlagen in dieselbe Kerbe, wenngleich ihre Schlußfolgerungen gerade für die Major-Konzerne keine rosigeren Zukunftsaussichten bieten. Erfahrungswerte, welche Kannibalisierungseffekte ein Streaming-Shangri La für konservativere Vermarktungsformen, unabhängige Nischenanbieter und Off-Mainstream-Künstler bedeutet, stehen aber noch aus.
Wie zufällig häufen sich Gerüchte, schon 2012 würden die verbliebenen „Grossen Drei“ Universal, Sony und Warner Music das CD-Format begraben. Wenn die Gewinne aus Internet-Dienstleistungen – die Majors und der Indie-Verband Merlin haben sich an der Schwedenbombe strategisch beteiligt – das Erlöspotential der Silberscheiben übersteigen (statistisch gesehen kauft jeder Österreicher pro Jahr 1,19 CDs), könnte das tatsächlich rascher geschehen als erwartet. Noch schreibt „Spotify“ aber, den Gesetzen der Web-Ökonomie folgend, operativ keine schwarzen Zahlen.
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