Archive for Februar, 2012

Fashionistas & Bergbauernmädel

25. Februar 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (149) Der eleganteste Trick, uns ein Smartphone zu verkaufen, ist „Prada“ draufzuschreiben.

It’s a dirty job but someone’s gotta do it. Nachdem Herr Vasek im „Falter“ seit ein paar Wochen partout nicht mehr über neue, neueste und allerneueste Mobiltelefone berichten will (hat er gar die letztwöchige Kolumne gelesen?), liegt es an mir, auf Lifestyle-Berichterstattung umzuschwenken. Die Prozessoren und Innereien der Geräte sind eh alle baugleich – IT-Diplomingenieure werden mich da amateurhafter Unschärfe zeihen, aber wen interessiert das schon –, also wenden wir uns gleich dem Modefaktor zu.

Telefonieren ist bei Smartphones ja nur mehr eine Nebenfunktion. Für Fashionistas (das scheint mir eine noblere Bezeichnung für „Fashion Victims“, also Opfer der Modeindustrie, zu sein) sind die High Tech-Tools vorrangig trendige Accessoires. Insofern darf es niemanden wundern, wenn es – neben eigenen Nobelmarken wie Vertu – Handies von Jil Sander oder Armani gibt. Und selbstverständlich auch eins von Prada.

Sie werden lachen: mir gefällt das Prada (exakter: das Modell „P940 Prada phone by LG 3.0“). Nicht, dass ich eines besässe, aber ich hab’ mal einen längeren Blick über die Schulter einer Frau geworfen, die das tut. Eigentlich ist das schicke Teil ja ein schnödes Android-Handy des koreanischen Massenherstellers mit Dual Core-Prozessor und „typischem Saffiano-Dekor“ (ich habe jetzt keine Lust, extra nachzugooglen, was das zu bedeuten hat). Doch die Benutzeroberfläche ist die eleganteste, die mir bislang untergekommen ist.

Nicht so zuckerlbunt wie Apple, nicht so streng stylish wie die neue Nokia-Generation, nicht so verspielt, geschmacksunsicher und unlogisch wie all die Nachahmer, Me Too-Fabrikate und Fernost-Plagiate. Das Smartphone von Prada trägt Schwarz-Weiß. Und fällt mit diesem radikal reduktionistischen Schritt ziemlich aus der Reihe. Das Statement lautet: Eleganz ist gleich Schlichtheit. Wer protzen will, soll sich weiterhin Swarovski-Kristalle auf die Plastikoberfläche kleben.

Man muss übrigens keine Fashion-Tussi sein, um den einen oder anderen technischen Mehrwert von Smartphones nicht zu entdecken. Neulich postete eine Freundin auf Facebook Folgendes: „Bistdudeppert, das Bergbauernmädel rafft es nicht mehr – ich kann das Handy als Modem fürs Netbook benutzen! Pure Science Fiction!“ Ja, das geht tatsächlich (abhängig von Ihrem Tarif und Anbieter). Bei meinem iPhone z.B. heisst diese Option, von Experten „Tethering“ genannt, „Persönlicher Hotspot“. Derlei erspart unterwegs die Suche nach WLAN-Anbindungen und „Free WiFi“-Spelunken. Ziemlich praktisch. Sie können ja demnächst Ihren Mobilfunkberater fragen, warum die Netzanbieter das nie zur grossen Mode erklärt haben…

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Die Unerträglichkeit der Makellosigkeit

20. Februar 2012

Es gibt eine Schnittmenge von Kunst und Leben, von Schönheit und Wirkungsmacht, von Pop und Propaganda. Sie sollte über Radiowellen kommunizierbar sein. Anmerkungen zu „We All Yell“, dem Debutalbum der Wiener Band GIANTREE.

Es gibt einen Moment auf diesem Album – und wir nehmen gleich vorweg, dass es das beste Pop-Album in und aus Österreich ist, das Sie in diesem Jahr zu hören bekommen werden –, da verschießen Giantree einen aufgelegten Elfmeter. Verschenken einen potentiellen Hit. Lassen eventuell die Feinspitze jubeln, aber die Ö3-Musikredaktion wieder einmal hängen. Das ist der Moment, wo Track 8 („SmilingDrowningLaughingCrawling“) nach zweiminütigem, unbeirrtem, unbeirrbaren Vorwärtspreschen plötzlich alles fallen und stehen lässt. Wo eine zwingende Hookline in eine gläserne, unwirkliche Slow Motion-Starre übergeht. Wo gerade mal ein wenig Klaviergeklimper den unendlichen Hallraum füllt. Wo ein Bruch stattfindet, wo ihn keiner erwartet hätte. Jedenfalls kein Hitradio-Programmchef. Und das, meine Damen und Herren, ist Ambition. Eventuell sogar Kunst. Große Kunst. Jedenfalls alles andere als stromgeladene Stromlinienförmigkeit.

Aber keine Sorge: „Alternative Mainstream“-Klischees von Brüchigkeit, LoFi-Ästhetik und L’art pour l’art-Notwendigkeiten (hinter denen sich nicht selten Unbeholfenheit, Rat- und Richtungslosigkeit verbergen) erfüllt „We All Yell“ weniger. Dieses Album ist purer Pop. Und deswegen, weil dieser Drang nach dem perfekten dreiminütigen Kunstwerk so selten geworden ist, eine willkommene Ausnahmeerscheinung. Giantree haben für jeden Hit, den sie selbst knapp vor dem Einschlag noch eine elegante, unbedingt gewollte, künstlerisch notwendige Kurve kratzen lassen, zwei weitere Hits in petto. Die dann diesen Umweg nicht nehmen. Und mitten ins Herz treffen. Kategorisch. Punktgenau. Und die auf einem anderen Planeten, in einer idealen Welt in jedem Radio, dessen Propaganda-Material Pop, Pop, Pop ist und nichts anderes, rauf und runter laufen müssten, tagaus, tagein. Und erst recht die ganze Nacht hindurch.

Ja, „We All Yell“ ist wirklich so gut geworden. Beinahe beängstigend gut. Dabei handelt es sich um ein Debutalbum. Einen Erstling. Auch wenn die Band, Giantree, eine Vorgeschichte hat. Die heute unter „Erfahrungsammeln“ archiviert werden darf (und gleich wieder vergessen). Die Geschichte beginnt im Jahre 2010. Eine erste EP unter dem Namen Giantree erscheint. Zum Kern um das Brüderpaar Roland und Hele Maurer findet – über ein Kurzfilmprojekt – die Publizistik-Studentin Ada Joachimsthaler zur Band und schließlich zum Synthesizer und zum Mikrofon. Franziska Kleinschmidt, Studentin an der Angewandten, stösst aus Deutschland und via Inserat zum Bass vor, der Studiobetreiber Konstantin Spork kommt als Studienkollege Roland Maurers an Bord und spielt Schlagzeug. Team komplett.

Eine Akustik-Tour durch alle Bezirke Berlins festigt den frisch zusammengewürfelten Haufen. „Time Loops“ und „Communicate“ entstehen, erste Single-Titel samt Videos (und befreundeten Schauspielern wie Sabrina Reiter und Michael Fuith). Die Radios springen umgehend darauf an – von FM4 in Wien über SoundPortal in Graz bis Radio Fritz in Berlin. Und diese Songs sind es auch, die man kennt. Weil sie z.B. in den FM4 Charts ganz an die Spitze vordringen (was Ö3 nicht stutzig machen sollte, wirklich nicht). Weil sie bei den Live-Konzerten mittlerweile begeistert mitgesungen werden. Weil sie das Potential, das ihnen innewohnt, – Ohrwürmer zu sein – schamlos ausreizen. Was auch „Life Was Young“ gelingen dürfte. „Cobwebbed & Frayed“. „Cascade“. Oder „Nord Rhodes“. Oder… Es gibt hier jede Menge Edelsteine zu entdecken. Sie sind nicht ungeschliffen. Eben nicht. Im Gegenteil.

Die Texte sind dito nicht nebensächlich. Es geht – klarerweise – um existentielle Fragen. Liebe (glücklich/unglücklich), Kommunikation, Tod, Gegenwarts- und Zukunftsängste, Fehleinschätzungen, Nähe und Fernweh, ein ewiges Auf-und-Ab, ein notwendiges Loslassen-Können. Um einen Anfang und ein Ende. Aber wozu druckt man heute noch Booklets und Lyric Sheets, wenn nicht, um dringend Gelegenheiten zur Eigeninterpretation offen zu lassen?

Es gibt übrigens auch ruhige Momente auf „We All Yell“, Interludes, die das Hit-Stakkato in all seiner bestürzenden Makellosigkeit, juvenilen Farbenpracht und ungestümen Opulenz, beinahe ist man versucht zu schreiben: erträglicher machen. Aber dann setzt wieder dieser markante Bass ein, ein Wall von Synthesizern oder auch nur ein atmosphärischer Layer, diese luftige, souveräne Gitarre, die leicht rauhe, selbstbewusste Stimme von Hele Maurer. „Filled with an ocean able to take / ready to give I’m awake…“

Mehr gibt es im Augenblick nicht zu sagen. Wir scheuen nicht davor zurück, es nochmals zu sagen. Außer, vielleicht: es wird die Welt niederreißen. Es wird groß werden. Es wird der Anfang von allem gewesen sein. Das ist die Botschaft, die Dringlichkeit, die Kraft von Pop. Das ist die Botschaft, die Dringlichkeit, die Mission von Giantree. Das ist „We All Yell“.

(Das Album erscheint am 23.03.2012 bei monkey./Rough Trade. Eine Möglichkeit, es zu hören, gibt es schon vorab – hier.)

Fescher Fetisch

18. Februar 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (148) Das Nokia Lumia 800 ist ein schickes neues Handy. Mit “Windows Phone”. Reicht das?

Letzte Woche war ich beim „Falter“ eingeladen, jener Zeitung, die sich vom wöchentlich erscheinenden Wiener Programmheft im Lauf der Jahre zu einem der wesentlichen Politik- und Kultur-Magazine des Landes emporgeschwungen hat (ich bin seit 1979 Abonnent des „Falter“, das sagt wohl alles über meine Wertschätzung). Es ging der Redaktion um eine „Blattkritik“. Und weil sie von einem Externen kommt, muss man sich da kein Blatt vor den Mund nehmen. Neben der einen oder anderen launigen Anmerkung zum Design und Inhalt der Zeitung konnte ich es mir nicht verkneifen, die Technikkolumne des „Falter“ ins Visier zu nehmen. Dort schreibt nämlich der geschätzte Kollege Thomas Vasek vorzugsweise, wenn nicht gar ausschliesslich über – Handies.

Nun kann man diese Gerätegattung, die sich ja mittlerweile als „Smartphone“ zur zentralen Intelligenzagentur im Hosensack, wenn nicht gar zur eierlegenden Digitalwollmilchsau entwickelt hat, schon ziemlich faszinierend finden. Andererseits wird’s auf Dauer auch öd, über nichts anderes mehr zu berichten. Insofern hat mir Vasek diese Woche einen Streich gespielt, weil er plötzlich und unerwartet eine Freisprechanlage zum Thema seiner Kolumne machte. Oder war’s eine Navigations-App? Letztlich doch wieder etwas, das am Fetisch Mobiltelefon klebt.

Ironie des Schicksals: jetzt komme ich auch nicht mehr dran vorbei, über ein Handy zu schreiben. Man hat mir das neue Nokia Lumia 800 geschickt, über das eigentlich auf diesen Seiten, denk’ ich, eh schon ausführlich berichtet wurde. Man merkt den Druck und Drang der PR-Agentur und des Herstellers Nokia, deutlich zu sagen: „He, alle mal aufpassen! Was Apple und Samsung können, das können wir auch. Eventuell sogar besser.“ Oberflächlich anders ist das Ding jedenfalls. Denn es kommt mit „Windows Phone“ ins Haus, einem Betriebsssystem, das generell einen Vorgeschmack auf „Windows 8“ und dessen elegantes, aber nicht unumstrittenes „Kachel“-Design bietet.

Mir gefällt’s. Sehr sogar. Denn dagegen sieht sogar mein iPhone relativ bieder und konservativ aus (über Android-Geräte kann ich nichts sagen, ich teste eben nicht jeden Tag Handies). Das Nokia hat zudem eine brauchbare Kamera an Bord, Gratis-Navigation und ist ausreichend schnell. Der Bildschirm ist brillant. Die Batterielaufzeit angeblich mau, aber das habe ich nur gelesen. Schick, aber fragwürdig ist in jedem Fall die (in meinem Fall hellblaue) Plastikummantelung: sie wird erstaunlich rasch schmutzig. Und ein Plastikklapperl fehlt auch schon.

Das Rad hat man also nicht neu erfunden. Trotzdem: weiter so, Nokia! Es wird schon wieder werden mit den Marktanteilen (auch wenn’s aktuell nicht danach aussieht). Und es ist gewiss kein strategischer Fehler, gemeinsam mit Microsoft eine Alternative zum Einheitsbrei zu bieten.

Shine On You Crazy Diamond

14. Februar 2012

Ohne Geld ka Musi. Das gilt nicht nur für die Musikproduktion, sondern auch für Fernsehprogramme. Der Kultur- & Informations-Kanal ORF III leidet, liest man, schon kurz dem Start an Budgetproblemen. Dem lässt sich mit gutem Willen und klaren inhaltlichen Gewichtungen abhelfen. Ein Plädoyer.

Vor wenigen Tagen habe ich – gemeinsam mit einigen anderen – eine „Pink Floyd Nacht“ im Radiokulturhaus inszeniert, die vom Kulturkanal ORF III aufgezeichnet wurde. Einerseits als exemplarische Übung, weil immer wieder (und vollkommen zurecht) beklagt wird, dass der ORF mit Populärkultur eigentlich nicht umzugehen weiss. Andererseits auch, um zu sehen, ob solch eine launige Mixtur aus Musik, Wort und Bewegtbild überhaupt Sinn & Spaß macht. Fazit: sie macht. (Natürlich gab’s auch kritische Stimmen, das sei nicht verschwiegen).

Pink Floyd sind nun ein recht populistisches, aber auch spannendes und generationenumspannendes Topic für einen – immerhin über vier Stunden langen – TV-Pop-Diskurs, trotzdem waren die Erwartungen zunächst nicht allzu hoch. Schliesslich ist ORF III Cross-Promotion in den zwei reichweitenstarken TV-Kanälen des ORF verboten (warum, sollten einem Normalbürger mal die beamteten Juristen der KommAustria beantworten). Und ein paar Hinweise auf Facebook und der eine oder andere launige Hinweis im Radio können natürlich kein Wunder bewirken. Trotzdem herrschte am Tag nach der Ausstrahlung Freude, ja Jubel: 3 Prozent der Fernsehzuseher hatten die „Pink Floyd Nacht“ – Höhepunkt: wunderbares Originalmaterial aus dem ORF-Archiv – gesehen. Und das teilweise bis zwei Uhr früh. Das ist für einen Spartenkanal ein beachtlicher Erfolg. Die Quote fiel für diese Zeit etwa dreimal so hoch aus wie üblich. Der vergleichbare, aber millionenschwere Kanal des „Red Bull“-Eigners Dietrich Mateschitz, Servus TV, kommt auf einen (im breiten Bouquet technisch empfangbarer Sender auch durchaus respektablen) durchschnittlichen Marktanteil von 0,7 Prozent. ORF III liegt in der Regel deutlich darüber.

Nun sind Quoten für deklarierte Minderheitenprogramme nur zweitrangig. Insbesondere für Sport-, Kultur- & Informations-Zusatzangebote. Aber natürlich macht niemand Fernsehen, um möglichst wenige oder keine Zuseher zu haben. Im Gegenteil. ORF III ist insofern generell ein beachtlicher Erfolg. Und ein grosser Pluspunkt der Ära Wrabetz. Dass einige Spötter den Kanal als eine Art Mogelpackung, als Potemkinsches Dorf oder gar als „programmiertes Desaster“ bezeichnen, weil hauptsächlich Archivmaterial aufbereitet wird (Zielgruppe: > 60-Jährige) und Wiederholungen angesetzt werden, darf als voreilige Polemik gewertet werden. Denn natürlich gibt es auch Eigenproduktionen. Und eine wirklich griffige, breite, sinnmachende Programm-Mixtur muss erst gefunden und bedächtig entwickelt werden. Aber ich gebe zu: auch ich würde mir von einem Angebot wie ORF III mehr Gegenwarts- und Popkultur wünschen. Mehr Experimente. Mehr Quergebürstetes. Mehr Jugend. Und weniger repräsentative oder gar museale Hochkultur. Pink Floyd darf in diesem Zusammenhang nur als aufreizend moderates und relativ risikoloses Signal verstanden werden. Aber: immerhin.

Nun lese ich, noch beflügelt von diesem (pekuniär selbstausbeuterischen) Ausflug in die Fernsehwelt, dass seitens der Direktion „Maschine stop!“ durchgesagt wurde. Oder gar die Parole „Maschine retour!“. Denn es fehlt Geld. Geld, um etwa das – immerhin ORF-eigene – Radiokulturhaus als Produktionsstätte nutzen zu können. Für Talk-Sendungen. Für Diskussionen. Für Konzertaufzeichnungen. Und für Produktionen wie die „Pink Floyd Nacht“. Warum das? Weil das Gesamtbudget von ORF III einfach von Beginn an unrealistisch niedrig angesetzt war. Weil die Auslagerung der Produktion an billige, externe TV-Teams nicht reicht. Weil mit einem gewissen technischen und inhaltlichen Anspruch und Mindestniveau exzessives Preisdumping nicht möglich ist. Und weil zwar für einige Sendereihen Sponsoren gefunden wurden, aber längst nicht für alle. Pecunia non olet. Aber das Geld fehlt. Und diese Situation stinkt zum Himmel.

Denn wir sprechen hier von einem Budgetposten in der Höhe des Produktionsbudgets von zwei „Dancing Stars“-Folgen, wie ich dem „Standard“ entnehme. Und, ja, es gehört zu den Aufgaben der Führungs-Crew des ORF, zu entscheiden, ob es einem öffentlich-rechtlichen Sender gut ansteht, das eine zugunsten des anderen sein zu lassen. Oder eben auch nicht. Ohne solch einen internen Verteilungskampf von außen kommentieren zu wollen (und weit davon entfernt, ihn auch nur annähernd beeinflussen zu können), erlaube ich mir, die entscheidende Frage an die Leserin, den Leser dieser Zeilen weiterzureichen: wollen Sie, wollen wir mehr „Dancing Stars“, mehr „Chili“, mehr Sido, mehr Formel 1-Übertragungen und mehr US-Fliessband-Serien? Oder wollen Sie, wollen wir auch Alternativen? Kleine, feine, entwicklungsfähige, quotenzwangferne Nischen und Programmzonen wie ORF III?

Meine Antwort liegt auf der Hand. Und ich fände es enorm enttäuschend, wenn man das mit viel Lob, Verve und Stolz gestartete ORF III nun zur Randnotiz erklärt. Zum Billigsberger-Alibi. Zum Kulturfederl, das man sich bei Bedarf gern an den Hut steckt, das aber tunlichst nichts kosten darf. Wenn man überhaupt in einer Mehrklassen-Gesellschaft der freien Produzenten, Mitarbeiter und Gestalter ein gutes Gewissen behalten kann und darf, dann dort. Ein Experimentierfeld muß nicht – oder zumindest nicht immer – Hochglanz-Fernsehen sein. Lernen, Üben, Ausprobieren schreit nicht nach Angestellten-Dasein und teuren Budgets. ORF III kann, nein: müsste ein Biotop der TV-Zukunft sein. Aber auch das kleinste Biotop kommt nicht ohne Sauerstoff aus.

Daher ein schlichter Appell: Herr Wrabetz, Herr Grasl, Frau Zechner, Herr Ströbitzer – schaufeln Sie ein, zwei zusätzliche Millionen frei. Für ORF III. Ohne Zaudern. Mit der x-ten Staffel von „Dancing Stars“ werden Sie nicht in die Mediengeschichte dieses Landes eingehen. Mit einem Bekenntnis zu ihrem eigenen, öffentlich-rechtlichen Wunderkind – das in seiner Frühphase generell der Anerkennung und Zuwendung bedarf und bislang mehr als verdient hat – schon eher. Es ist ja nicht das eigene Geld, das Sie da reinstecken. Sondern das der ORF-Gebührenzahler. Und die scheinen mehr übrigen zu haben für derartige „Minderheitenprogramme“, als viele für denkbar und möglich hielten. Und dem vielbeschworenen „Public Value“ dient es auch. Zweifellos.

Und wenn es hilft bei der Entscheidungsfindung: eine zweite Sendung nach dem Muster der „Pink Floyd Nacht“ aus dem Radiokulturhaus in der Argentinierstrasse liefern wir gratis. Als kleinen Beitrag zur ORF III-Zukunft. Motto: „Shine On You Crazy Diamond“. Auch wenn es auf Dauer nicht ohne realistische Budgetierung, sensible Grundsatzentscheidungen und klare hausinterne Bekenntnisse gehen wird.

Ad ACTA

10. Februar 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (147) Ist das Urheberrecht anno 2012 totes Recht? Oder verhilft ihm ACTA zu einer neuen Hochblüte?

Interessiert Sie das alles überhaupt? Wissen Sie Bescheid, zu welchem Thema sich gerade Anwälte, Lobbyisten, Web-Aktivisten und Urheberrechtsexperten gegenseitig die Schädel einschlagen? Haben Sie sich schon eine Meinung ad ACTA zugelegt?

Wenn ja, können Sie die Kolumne getrost überspringen. Denn ich zumindest habe in diesem unübersichtlichen Komplex an Grundsatzfragen, divergenten Antworten, mehr oder weniger fundierten Meinungen, Vertrags- und Gesetzesentwürfen und Bedrohungsszenarien noch keine (end)gültige Antwort gefunden. Ganz im Gegenteil: ich bin zwiegespalten. Meine Gefühlslage ist ambivalent. Ich fühle mich reichlich unwohl in der Haut eines Managers, der täglich mit dem Status Quo konfrontiert ist.

Einem Status Quo, der niemandem mehr so richtig schmeckt. Weder den Künstlern noch den Konsumenten. Und schon gar nicht der Kreativindustrie. ACTA, ein Kürzel für „Anti Counterfeiting Trade Agreement“, ist ein internationales Handelsabkommen gegen Produktpiraterie, das noch 2012 in Kraft treten soll. Da Produkte heute in zunehmendem Mass auf Ideen, Erfindungsgeist, Marken und Patenten beruhen, ist „geistiges Eigentum“ ein zentrales Thema. ACTA soll dazu beitragen, das Urheberrecht – das im Digitalzeitalter immer brüchiger wird – zu stärken. Und das „Copyright“, also das vom Urheber veräusserbare Recht, geistige (und reale) Produkte auszuwerten, neu definieren. Ob es das wirklich kann, ist, gelinde gesagt, umstritten.

Es gibt drei Dinge, die im Hickhack um diesen grenzüberschreitenden Vertragsentwurf wirklich nerven. Erstens: alles wurde jahrelang hinter verschlossenenen Türen verhandelt (das widerspricht an sich schon der Kern-Verhandlungsmaterie: Information). Und muss dann innerhalb weniger Wochen von Parlamentariern, die damit klar überfordert sind, gelesen, verstanden, ausdiskutiert und unterschrieben werden. Oder auch nicht. Viele werfen das Handtuch, distanzieren sich oder schieben die Urteilsfindung auf die lange Bank, weil man zwischen Propaganda, Gegenpropaganda und komplettem Verschwörungstheoretiker-Unsinn kaum mehr unterscheiden kann. Eine sachliche Debatte sieht anders aus.

Zweitens: es wird unheimlich (sic!) viel in einen Topf geworfen und zu einem heissen, (bewusst?) undurchschaubaren, relativ ungeniessbaren Brei verrührt. Von Musik- und Filmrechten über freien Informationsaustausch bis zu gefälschten Medikamenten. Auch Journalisten, die sich in diesem Kontext nicht selten – obwohl gerade sie beim Thema „Copyright“ besonders sensibel sein sollten – megakritisch gebärden, landen on und off topic gern mal bei umstrittenen Themen wie der Urheberrechtsabgabe auf Festplatten oder aktuellen, lokalen Initiativen wie „Kunst hat Recht“. Die haben mit ACTA, wenn überhaupt, nur am Rande zu tun. Auch wenn natürlich, global betrachtet, alles mit allem zusammenhängt.

Und, drittens: aufgeregte Rechthaberei kommt eigentlich nie besonders sympathisch rüber. Das gilt sowohl für das – notwendige? naive? nützliche? – Aufbegehren von Künstlern. Wie auch für den massiven Druck diverser Lobbyisten, Scheuklappen-Ideologen, Stimmungsmacher und Interessensvertreter.

Jede Wette, dass die Schlacht nicht am Verhandlungstisch entschieden wird, sondern durch Sie. Den Konsumenten 2.0. Auch wenn Sie ACTA momentan eventuell gar nicht kratzt.

Auf Foto-Safari

4. Februar 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (146) Wer braucht noch Feldstecher, Fernrohre und Teleskope, wenn schlichte Zoom-Kameras alles ganz nahe rücken?

Megapixelrekorde machen noch keine gute Kamera. Das gilt inzwischen als allgemein bekannt, sogar unter weithin technikabstinenten Hobbyfotografen. Aber gelegentlich greift die triviale Regel „Mehr hilft mehr“ dann doch. Zumindest in punkto Brennweite. Etwa auf einer – bei den eisigen Temperaturen im fernen Europa besonders attraktiven – Safari im Tsavo National Park in Kenia. Auf knapp 22.000 Quadratkilometern, einer Fläche grösser als Niederösterreich, kann man hier allerlei exotische Lebewesen vor die Linse bekommen: Löwen, Elefanten, Giraffen, Nashörner, Zebras, Gazellen und Büffel sonder Zahl. Tierisch!

Die wahren Rindviecher sitzen dabei allerdings nicht selten in den Touristen-Jeeps und Kleinbussen, die auf den rötlich-lehmigen Feldwegen quer durch die Landschaft preschen. Denn bei einer Fotosafari ist es nunmal kein Ausweis besonderer Schläue, auf sein Smartphone, eine Kodak Instamatic (apropos: Ruhe wohl, Traditionsmarke! Dein Todeskampf war lang und schmerzlich) oder sonst eine Billig-Plastikkamera zu setzen. Zwar bemühen sich die Guides, möglichst nahe an die – ob der Auto-Karawanen erstaunlich gelassene – Fauna heranzukurven. Aber ein scheues Impala bleibt ein scheues Impala. Und die freie Wildbahn ist kein Streichelzoo.

Um die Distanz zu verringern, hatte ich eine wahre Wunderwaffe im Reisegepäck: eine Canon Powershot SX40 HS. Die relativ klobige Kamera bietet eine treffliche Kombination aus optischem Bildstabilisator und einem 35-fach (!)-Zoom. Die niedrige Auflösung des Suchers und Displays erschien mir da weitgehend nebensächlich – denn egal, was in weiter Ferne kreuchte und fleuchte, man konnte abdrücken. Und auf ein gutes Resultat vertrauen (was sich dann daheim beim Foto-Archivieren bestätigte). Selbst die Safari-Profis mit ihren Spiegelreflexgehäusen und mächtigen Tele-Wechselobjektiven sahen da ein bisschen alt aus dagegen. Wer will schon tonnenschweres Equipment durch die Steppe schleppen?

Die Mega-Zoom-Klasse führt in einem solchen Umfeld mehr als ein Nischendasein. Auch Panasonic, Fuji, Sony, Olympus, Casio und Pentax beackern das Feld, Nikon hat gerade mit der P510 ein Modell mit 42-fachem Zoomfaktor vorgestellt. Das entspricht einer Kleinbild-Maximalbrennweite von 1000 Millimetern – Weltrekord! Fazit: Zoom Angewöhnen. Bald wird man mit den Dingern dem Mann im Mond auf den Pelz rücken können.

Sündenfall Sido

1. Februar 2012

Sieh’ einer an: der ORF hievt Populärkultur, Musik, Jugend ins Programm. Spätnächtens. Aber immerhin. Doch war Sidos „Blockstars“ nicht bloß ein zwiespältiges, zynisches – oder, schlimmer, „gut gemeintes“ – Laientheaterspektakel? Eine Nachbetrachtung.

Diese Kolumne wird einigen nicht schmecken. Denen, die zu gern ein bisserl Reibach gemacht hätten. Mit einer vorgeblich guten Sache. Denen, die legér die Karriere vorantreiben wollten. Mit einem denkwürdigen, unkonventionellen Überraschungserfolg. Und zuvorderst demjenigen, der meinte, die Quadratur des Kreises schaffen zu können: strikten, annähernd aggressiven Kommerz gepaart mit Würde, Anstand, guter Musik und pädagogischem Mehrwert. Dieser Mann heisst Sido.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Paul Hartmut Würdig. Alias Sido. Wirklich kennen (nein, auch das wäre übertrieben) tu’ ich nur die Kunstfigur. Den ehemaligen Maskenmann. Den selbstbewussten HipHopper. Den Star namens Sido. Und, ja, er hat einen gewissen Schmäh. Einen pointierten Witz (wenn auch nicht ohne Ausrutscher). Und eine, hm, erstaunlich vertrauenserweckende, kompetente Gelassenheit. Man könnte meinen, die weniger vertrauenerweckenden, klar kompetenzärmeren, um nicht zu sagen: ingesamt fragwürdigeren Typen in der ORF-Show „Blockstars“ hätten tatsächlich einen Mentor, einen Anwalt, eine Vaterfigur gefunden. Einen, der sie nicht nur verbal „rausholt aus der Scheisse“, sondern ihnen wirklich eine Perspektive gibt. Sido „macht Band“, bekanntlich (und sagen Sie bloss nicht, Sie hätten keine einzige Folge gesehen!). Nein, nicht nur „Band“, sondern Stars. „Blockstars“. Die stehen nun – surprise, surprise! – bei Universal unter Vertrag. Wenn diese Zeilen erscheinen, ist die TV-Kiste Geschichte. Und die Charts werden zeigen, ob das Publikum über das Fernsehflimmern hinaus Bock hat auf Zirkusdirektor Sido & seine Underdog-Truppe.

Ich wage eine Prognose: der Erfolg wird überschaubar sein. Die ORF-Medienforschung wies schon zum Ende der Serie hin eher unterdurchschnittliche Zahlen für „Blockstars“ aus. Und die Kritik konnte sich nie wirklich anfreunden mit dem Scripted Reality-Konzept. Es gab sogar Feinspitze, die meinten, damit wäre einmal mehr das Terrain trittsicherer öffentlich-rechtlicher Unterhaltung verlassen worden – aber diese Debatte ist längst abgelöst durch den nächsten lauwarmen Skandal und allerlei Provokations-Häppchen mehr aus dem Denkerstübchen am Küniglberg (aktuell fordert z.B. Niki Lauda eine ORF-Totalreform, weil Porno-Queen Dolly Buster bei den „Dancing Stars“ antanzt. Hat auch einen gewissen Unterhaltungswert.)

Wenn aber – die Entwicklungsabteilung des Senders wird das wütend dementieren – „Blockstars“ hauptsächlich, wenn nicht ausschliesslich der Quote wegen inszeniert wurde, dann ist es schon ein ordentlicher Flop, den man da hingelegt hat. Da gibt es nichts daran zu deuteln. Oder zu beschönigen. Ganz abgesehen von der brisanten sozialen Verantwortung, die sich Sido, Universal und der Österreichische Rundfunk aufgehalst haben – wie lange wird es dauern, bis die „Blockstars“ und ihre Protagonisten ihre 15 Minuten Ruhm ausgekostet haben und in der – Achtung, Doppeldeutigkeit! – Depression verschwunden sind? –, hat man unfreiwillig offengelegt, dass „gut gemeint“ ungebrochen das Gegenteil von „gut“ meint. Und Geld genug da ist für aufwändige Reality-Inszenierungen mit „authentischer“ Tonspur – eine Tatsache, die man sonst gerne nachdrücklich leugnet –, man aber nicht im Traum daran denkt, dieses in die Erkundung und Dramatisierung der High Potentials der hiesigen HipHop-, Pop- und Kultur-Landschaft zu stecken.

Ich bin ja neugierig darauf, schrieb ich vor einigen Wochen (noch vor Start der Sendung) im „Falter“, wie Sido, um soetwas wie Restglaubwürdigkeit beim kritischeren Teil seines Publikums und in der Szene zu behalten, erfolgreiche österreichische Acts wie Texta (samt „Kabinenparty“-Heroe Skero), Nazar, MaDoppelT oder Sua Kaan in das Blockmalzmännchen-Universum einbaut. Was er unter „Hip Pop“ – ein Genre-Widerspruch in sich – versteht. Wie YouTube-Lokalkaiser Moneyboy auf die ORF-Konkurrenz reagiert. Oder was die Spassguerilla namens Die Vamummtn dazu sagt (oder, entschiedener, rappt). Sie wurden eh konsequent links liegen gelassen.

All den genannten Acts hätte man in einem Sender auf der Höhe der Zeit längst Sendezeit galore eingeräumt. Im ORF ist’s ein ewiger Konjunktiv. Offensichtlich hat man sich vom Gedanken, dass das Medium Fernsehen mit Musik unspekulativ, aber aufmerksam, liebevoll und entdeckungsfreudig umgehen könnte (etwa durch schlichte journalistische Berichterstattung), schon weitgehend verabschiedet. Fernsehmacher interessiert sich für Quoten, Budgets und den Menüplan in der ORF-Kantine. Und nicht für Musik. Für Musiker. Für „den Nachwuchs“, den „kreativen Untergrund“ oder gar die tatsächlich boomende lokale Szene. Allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Das junge Publikum hat sich mittlerweile eh weitgehend in die wilden Weiten des Web verabschiedet. „Blockstars“ wird daran, auch das eine Prognose, nichts ändern. Sondern nur die fatalistische, faule, falsche Meinung der Programmverantwortlichen einbetonieren, mit HipHop oder gar Pop im weitesten Sinn wäre partout kein Hund hinterm Ofen hervorzuholen.

Ultimativer Zynismus steckt aber in der Vorspiegelung einer möglichen Selbstbefreiung aus der individuellen Misere mit dem Hebel eines funktionierenden Musikmarkts. Das ist ein schlechter Witz. Für Sido mag der Markt (allerdings zu 90 Prozent der deutsche Markt) ja noch einiges hergeben. Letzlich lebt er aber inzwischen besser von TV-Konzepten (aktuell zu 90 Prozent von in Österreich realisierten). Ein cleverer Geschäftsmann, der Kerl. Für die seiner Obhut anvertrauten Schicksale, die ein Pop-Amalgam weitgehend ungeachtet wirklichen Talents mit HipHop-Flavour und „Street Credibility“ aufladen dürfen, werden schon mittelfristig nur Brösel und Brotkrumen bleiben.

Das Absurde ist: an der Nicht-Existenz eines einschlägigen lokalen Marktes ist grösstenteils der ORF schuld. Ö3 hat in den Neunzigern und Nuller-Jahren HipHop komplett verschlafen, insbesondere deutschsprachigen (und ich weiss, wovon ich schreibe). Und das Fernsehen war und ist eine Katastrophenzone, was aktuelle Populärkultur betrifft. Würde nur ein Bruchteil der Aufmerksamkeit und des Geldes, das Formate wie „Blockstars“, „Helden von morgen“ oder „Starmania“ kosten, in die hiesige Szene gesteckt, gäbe es lokale Stars und Business-Strukturen (von denen wieder der ORF profitieren könnte).

So aber bleibt Texta & Co. ewig nur das Minderheiten-Reservat FM4, während Ö3 Sido und seiner Truppe eine „Perspektive“ bietet, indem man ihnen á priori einen Platz in der Eurovisions-Songcontest-Vorauswahl reserviert. Das ist lächerlich, das ist traurig, das ist vollkommen falsch gedacht.

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