„Kunst hat Recht“ versus „Kunst gegen Überwachung“ – der lokale, verbissene Zweikampf rund um das Urheberrecht 2.0 interessierte kaum jemanden. Bis der gesamte Themenkomplex, Stichwort „ACTA“, explosionsartig europaweit hochkochte.

Ich plaudere ja gern – man wird nicht umsonst Kolumnist – aus dem Nähkästchen. Andererseits muss ich mich davor hüten, als notorischer Krypto-Journalist, Geheimnisverräter und Nestbeschmutzer zu gelten. Natürlich wäre derlei in fast allen Fällen ein an den sprichwörtlichen Haaren herbeigezogener Vorwurf, aber die subjektiven Sensibilitäten sind oft gerade dort besonders ausgeprägt, wo man’s am allerwenigsten vermutet.
Wenn ich Ihnen z.B. erzähle, dass in einer Generalversammlung der österreichischen IFPI – der Denker- und Lenkerrunde der angeblich so mächtigen Musikindustrie – noch nie das Thema „ACTA“ erörtert wurde, löst das den Dritten Weltkrieg aus? Oder bleibt es bei ungläubigem Kopfschütteln? Tatsächlich erscheint es mir im Nachhinein ziemlich, hm, frappant, bei den halbjährlichen IFPI-Meetings (an denen ich als Betreiber eines kleinen Indie-Labels teilnehme) zwar regelmässig launige Bootleg-Vernichtungs-Videos, öde Wahlgänge und das eine oder andere Schinkenbrötchen serviert zu bekommen, aber keinerlei Diskussionbeiträge zu Themen, die die Branche wirklich durchschütteln. Und wachrütteln. Sollten (es bleibt routinemässig beim Konjunktiv).
Ganz umsonst können ja die letzten noch am Spielfeld verbliebenen Majors, die die IFPI selbstverständlich beherrschen, nicht als Gott-sei-bei-uns all der Robin Hoods 2.0, Politaktivisten und Guy Fawkes-Maskenträger gelten, oder? Vielleicht werden die Argumentationslinien und Zukunftsstrategien und Vernetzungsmöglichkeiten im Kampf gegen die Raubkopierer dieses Planeten hinter verschlossenen Türen ausgetüftelt – in der hiesigen Sektion der International Federation of the Phonografic Industry jedenfalls nicht. Oder nur dann, wenn ich nicht mit am Tisch sitze. Verständlich: wer will den grossen Masterplan, der gewiss in einem grandiosen Showdown und unabdingbaren Endsieg über die digitale Hydra mündet, schon vorab in „Film, Sound & Media“ ausgebreitet wissen?
Spass beiseite. Denn eigentlich nehme ich hier die falsche Gruppe auf’s Korn. Nicht die IFPI ist es, die dieser Tage „Kunst hat Recht“ verkündet, sondern es sind die Urheberrechts- und Verwertungsgesellschaften des Landes. Diese „Initiative für das Recht auf geistiges Eigentum“ – ihre Existenz und vielfältigen Aktivitäten werden Ihnen gewiss nicht entgangen sein – wird zudem von vielen weiteren Organisationen getragen, von der „Grazer AutorInnen Versammlung“ bis zum „Verband Filmregie Österreich“, insgesamt vierundzwanzig an der Zahl. Am alleraktivsten erscheint mir der Autor Gerhard Ruiss, den ich schon in einem halben Dutzend Podiumsdiskussionen das Wort ergreifen gesehen habe. Durchaus engagiert und wortgewaltig, wie es sich für einen gestandenen Literaten und Interessensvertreter gehört.
Sie merken schon: die Thematik – im weitesten Sinn die Verteidigung tradierter Verhältnisse im Wandel der digitalen Revolution – interessiert mich. Sehr sogar. Schon berufsbedingt. Also schaue ich mir all die Podiumsdiskussionen, die wie Pilze aus dem regenfeuchten Waldboden schiessen, auch an. Oder zumindest einen guten Teil davon (die personelle Besetzung und die Dramaturgie ähneln einander oft, nach einer gewissen Zeit wird man der Inszenierung tendenziell überdrüssig). Wie wäre es, auch einmal InitiatorInnen der Aktion wie Anja Franziska Plasch („Soap&Skin“), Willi Resetarits, Danny Krausz oder den Essayisten und Kritiker Karl-Markus Gauß vor den Vorhang zu bitten? Augenscheinlich sind es ja Künstler und Kreative, die man hier im ureigensten Interesse für sich sprechen lassen will. Und damit das alles nicht aus dem Ruder läuft, lässt man den Aktionismus von der PR-Company The Skills Group durchdenken, betreuen und abwickeln. Bemüht, brav, bieder. Und wenig breitenwirksam.
Bis „ACTA“ kam. War/ist die zeitliche Koinzidenz ein Zufall? Wie immer auch: plötzlich war das spröde Thema „Urheberrechte im 21. Jahrhundert“ ein heisses. Ein ultraheisses. So brisant, dass es sich in den TV-Nachrichten und Print-Schlagzeilen wiederfand, die Initialzündung für europaweite Demonstrationen lieferte und Parlamentarier in einem Dutzend Länder Distanz von ihren eigenen Entscheidungen nehmen liess. Ein multinationales Vertragswerk, das seit Jahren hinter gut gepolsterten Türen verhandelt wird und Copyrights festigen helfen soll, wurde zum Politikum. Und die kleine, unschuldige (um nicht zu sagen: naive) Initiative „Kunst hat Recht“ geriet umgehend in die – faktische und moralische – Geiselhaft des ungleich grösseren Themas „ACTA“.
Ist die Welt gerecht? Plötzlich mussten und müssen nämlich Gerhard Ruiss & Co. erklären, wie sie’s denn mit der faktischen Durchsetzbarkeit des Urheberrechts und (das interessiert die IFPI gewiss brennender) aller damit verbundenen Leistungsschutzrechte in Zukunft tatsächlich halten wollen… Strikte Kontrolle des Datenverkehrs? Haftbarmachung der Provider? Exekutive Ahndung (z.B. „Three Strikes“) bei Regelverstössen? Einschränkung oder Ausbau kollektiver Abgabemodelle? Das ist nämlich des Pudels Kern: entweder – oder. Oder auch nicht. Recht, das nicht in Anspruch genommen werden kann oder soll, ist jedenfalls relativ nutzlos. Oder, klarer formuliert: Recht, das nicht durchgesetzt wird (eventuell, weil es sich technisch, gesellschaftlich, politisch nicht durchsetzen lässt), ist totes Recht. Und sich hier um Antworten herumzudrücken, kann auf Dauer nicht gelingen.
Natürlich riefen die systemimmanenten Widersprüche sofort die Kritiker, Verschwörungstheoretiker und Spötter auf den Plan. „Kunst hat Recht“ wurde z.B. auf Facebook umgehend von einer Gegeninitiative namens „Kunst gegen Überwachung“ konterkariert. Die einen halten aktuell bei 1263 Freunden, die anderen bei 419 Unterstützern (beides ziemlich schwach, wenn sie mich fragen). Aber ein Gutes hat die solchermassen forcierte Debatte: sie ist erstmals wirklich eröffnet. Audiatur et altera pars! Sofern man sich nicht hinter ideologischen Mauern verschanzt und gewillt ist, wirklich etwas für Urheber und ihre Rechte zu tun. Und ihre Zukunft. Und ihre selbstgewählten Business-Strukturen. Unter uns: die Kreativen, die von ihrer Kreativität auch wirklich leben wollen, dürsten danach. Dringend.
Die fortgesetzten „ACTA“-Aktivitäten pro und contra werden auch die versammelte Politik und Bürokratie die Angelegenheit nicht rasch ad acta legen lassen können. Und „Kunst hat Recht“ sollte nicht nur raschest die eigenen Argumente und Positionen nachschärfen, sondern auch einen Stosseufzer des Dankes ausstossen dafür.
Gefällt mir:
Gefällt mir Wird geladen …