„Die edelste Nation unter allen Nationen ist die Resignation“, wusste schon Johann Nepomuk Nestroy. Der gibt heute einem österreichischen Theaterpreis den Namen. Wir wollen aber – einmal mehr – über den grössten Musikpreis des Landes sprechen. Den „Amadeus“. Und ein paar andere Sachen mehr.

Neulich war ich versucht, ein mail abzuschicken, das dem Titel dieser Blog-Site alle Ehre machen würde. Weil es nämlich an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen hätte. „Trefflicher lässt sich die Visions- und Mittellosigkeit eines Vereins kaum mehr demonstrieren“, stand in dem Elektropoststück (das ich dann, begleitet von einem resignativen Achselzucken, doch nicht abgeschickt habe), „als durch die Homepage, die als aktuellsten Eintrag „News“ vom November 2010 (!) ausweist. News, die dem erstaunten Besucher verkünden, eine neue Website sei „in der Fertigstellungsphase“.
Ich hatte mir dieses Mahnmal frappierender Untätigkeit angesehen, weil ich eine Einladung zur Mitgliederversammlung und zur Wahl eines neuen Vorstands erhalten hatte – und kurz die Regung verspürte, nachzuschauen, was denn überhaupt der selbstdefinierte Aufgabenbereich dieser Assoziation ist, für die ich jährlich einen (vergleichsweise geringen) Mitgliedsbeitrag löhne. Und wo sich soetwas wie eine Leistungsbilanz ablesen liesse. Aber da war weithin wenig zu finden. Zur Vereinssitzung bin ich dann gar nicht mehr hingegangen. Wozu auch? Immerhin konnte man auf Facebook bald danach die Namen und Mitglieder des neuen Vorstands nachlesen. Sie entsprachen weitgehend den Namen des alten Vorstands. Aber vielleicht packt die Damen und Herren ja nun der Ehrgeiz und sie entwickeln eine ganz frische, ungewohnte Dynamik. Die potentielle Agenda einer Interessensvertretung heimischer Indie-Labels würde diese anno 2012 allemal dringend benötigen.
Aber lassen wir das. Mit meiner kleinen Musikproduktion bin ich ja auch Mitglied eines zweiten, weit grösseren Vereins (mit einem deutlich höheren Mitgliedsbeitrag), der u.a. jährlich den „Amadeus“ veranstaltet. Dieser ist der grösste, aufmerksamkeitsstärkste und wichtigste Musikpreis des Landes – nicht zuletzt, weil er auch der einzige ist. Und, ja, ich finde es generell löblich, dass man sich der Sichtbarmachung und öffentlichen Wertigkeit von Musik annimmt. Jede Branche, die etwas auf sich hält, feiert sich einmal im Jahr selbst. Auch wenn’s natürlich eine sensible Sache ist, alle Partikularinteressen, unterschiedlichen Vorstellungen und individuellen Befindlichkeiten unter einen Hut zu bekommen. Der Charme des „Amadeus“, schrieb ich einmal an anderer Stelle (und vor vielen Jahren) sinngemäß, rührt daher, dass er es schafft, die verschiedenen Lager und Cliquen im Bereich der Musikproduktion legér zu versammeln und mit einer guten Portion Unterhaltungswert, Selbstironie und Schmäh zu präsentieren. Punktum. An diesem Standpunkt hat sich wenig geändert. Auch nicht durch das jährliche Deja-vú der Lektüre der „Standard“-Kritik.
Trotzdem fühlte ich mich am Abend des 1. Mai unwohler als sonst. Denn der Sinn und Impetus der Veranstaltung erscheint mir zunehmend hinterfragenswert. Zunächst einmal fiel (nicht nur mir) auf, dass z.B. die Kulturpolitik dieses Landes kaum vertreten war in den Zuschauerrängen. Kaum? Nein: gar nicht. Keine Ministerin Schmied, keine Kultursprecher diverser Parteien, nicht einmal Altpolitiker und Ex-Schizo-Punks wie etwa Franz Morak waren in den Rängen und Logen des Volkstheaters auszumachen.
Schade, denn immerhin wird derzeit in diesen Reihen eine branchenrelevante Debatte mit einer Vehemenz geführt, die bislang eher nicht auf der Tagesordnung stand. Und wo liessen sich z.B. trefflicher Lob oder Tadel zur politischen Willensbildung in Sachen Festplatten-Abgabe, Urheberrechts-Streit oder Kulturbudget anbringen, als im launigen Gespräch an der Bar bei der „Amadeus“-Aftershow-Party? Eventuell sogar mit Augenkontakt zwischen prominenten Künstlern, Interessensvertretern und Abgesandten aller Parteien (sogar, oh ja! der „Piraten“. Die sitzen demnächst auch im Hohen Haus.)? Natürlich kann solch ein Abend keine parlamentarische Enquete ersetzen und keine tiefergehende intellektuelle Diskussion. Aber so zu tun, als wäre alles eitel Wonne und als Kreativindustrie nicht einen Millimeter über kreative Kommunikation im Rahmen eines positiv aufgeladenen Events nachzudenken, enttäuscht doch. So blieb es den Burschen von 5/8erl in Ehr’n (Preisträger der undefinierbaren Kategorie „Jazz/World/Blues“) überlassen, auf das eine oder andere akute Problem hinzuweisen. Der Applaus dafür war ein denkwürdig kräftiger.
Der „Amadeus“ als unterhaltsamer Spiegel oder gar soetwas wie eine Leistungsschau der Branche bedürfte aber auch – bei allem Respekt für den verlässlichen und engagierten TV-Partner Puls 4 (danke dafür!) – dringend einer medialen Aufwertung. Natürlich sind die Presseausschnitte, die man als IFPI-Mitglied frei Haus geliefert bekommt, in ihrer Quantität repräsentabel. Aber besonders ernst genommen wird der Preis – unter uns – nicht. Tendenz weiter fallend. Der ORF etwa als grösste Medienorgel des Landes (und meines Wissens nachwievor ausgestattet mit einem „Kulturauftrag“) hält sich – mit der löblichen Ausnahme von FM4 – nun seit Jahren zurück. Dieser (Un-)Zustand muss endlich aufgebrochen werden. Wenn nicht auf diplomatischem Weg (sitzt nicht der IFPI-Generalsekretär zugleich im ORF-Stiftungsrat?), dann mit jenem Argument, das allseitig verstanden wird: Geld. Ich weiss schon: das fehlt an allen Ecken und Enden. Sowohl hie wie da. Aber Attraktivität ist zuvorderst eine Frage der Selbstbehauptung und Eigenermächtigung. Mit mangelnder Ambition wird man keine Sponsoren, Mitstreiter und Partner anziehen.
Und, ja, die sollte es sehr wohl geben. Musik ist ungebrochen die emotionalste und wirksamste Dicht-, Kleb- und Knetmasse im Marketing-Fach. Ich meine das nicht zynisch: jedes Unternehmen, das offensiv mit heimischen Tönen für sich und seine Produkte wirbt (und solchermassen auch in die Künstler, Studios, Labels usw. investiert), hätte einen Extra-„Amadeus“ verdient. Und man sollte über Auszeichnungen abseits reiner Künstler- und Interpreten-Ehrungen allemal nachdenken. Vorgeschlagen wurde es schon oft genug.
Man müsste halt wissen, was man will. Und es dann auch wirklich wollen. Wenn es bei diesem Preis aber nur mehr um eine milde Form der Selbstbestätigung oder gar Selbstberuhigung geht – frei nach dem Motto „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst“ –, dann kann man sich das alles natürlich sparen. Die sozial-kulturelle Geldschatulle zulassen. Und irgendwo eine lässige, weil vollkommen unangestrengte Underground-Party feiern. Zu der halt kommt, wer immer kommen mag. Und, nein, ich bin mir nicht sicher, dass ich als gelernter Österreicher die Sause dann demonstrativ schwänzen würde.
P.S.: Von wegen Wollen. Ich schreibe diese Zeilen in Papierform für das Magazin „Film, Sound & Media“. Es ist seit vielen Jahren das Fachmedium für die, nomen est omen, Musik-, Bewegtbild- und Radiobranche des Landes. Gemacht von einem durchaus engagierten Team. Okay, man kann darüber streiten, ob es nicht anders, besser, umfangreicher, kostengünstiger, gehaltvoller, unkritischer, anschmiegsamer oder kontroversieller laufen könnte mit solch einem Organ. Diese Debatte wird auch da und dort geführt, alle Jahre wieder, meist hinter vorgehaltener Hand. Und das, finde ich, sollte, könnte und müsste offener, ehrlicher und konstruktiver geschehen. Und konsequente Entscheidungen generieren. Denn Qualität kostet Geld. Der Wunsch, eine „eigene“, branchenaffine Fachzeitschrift zu haben, macht ja generell Sinn. Stichwort: Innen- und Außenwirkung. Man muss sich nur entscheiden, was genau man haben möchte. Zu welchem Zweck. Und zu welchem Preis. Und ob und wie man sich den leisten kann. Und will. Auch hier gilt: halbe Sachen bringen wenig bis nichts. Ganze Sachen bedürfen einer Vision, einem Gemeinsinn und klarer Entscheidungen. Wir müssen nur wollen.
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