Trost- & Ratlosigkeit in Wulkaprodersdorf

15. Juni 2012

Der ORF sucht seit Jahren „Einsparungspotential“. Und wird seit Jahren zuvorderst – leider – bei engagierten MitarbeiterInnen fündig. Dabei liegt das wahre Potential für Sparwillen & Machtdemonstrationen pragmatischer Chef-Zyniker ganz woanders. In den Bereichen Stil, Respekt, Stars und Sendeflächen für lokale Musik nämlich. Willkommen in der Realität!

Stellen Sie sich vor – die Macht der Phantasie lässt solche Kapriolen dankenswerterweise zu –, Sie werden Programmdirektor(in) eines
Radiosenders. Sagen wir mal: in Wulkaprodersdorf. Ihr kleiner, feiner Radiosender trägt also naheliegenderweise den Namen „Radio
Wulkaprodersdorf“. Es gibt einige Konkurrenten in Ihrem Gebiet, kleine, unfeine (weil: lästige), private Konkurrenten, aber so ist das nun mal in der Radiolandschaft. Seit Mitte der neunziger Jahre schon, als Österreich – als eines der allerletzten Länder Europas – quasi jedem dahergelaufenen Medienunternehmer und UKW-Missionar erlaubte, sich ebenfalls zum Programmchef eines Radiosenders aufzuschwingen. Allerdings nur, wenn er oder sie denn auch eigenes Geld in die Hand nahm und in den Aufbau, die Marke, die Belegschaft und das Programm investierte.

Sie selbst sind da in einer unvergleichlich besseren Situation. Radio Wulkaprodersdorf firmiert nämlich, kraft der Tradition und Gesetzeslage des Landes, als „öffentlich-rechtlicher“ Sender. Die Hörerinnen und Hörer Ihres Senders bezahlen Sie und Ihre MitarbeiterInnen durch die Überweisung eines monatlichen Programmentgelts – in durchaus verschmerzbarer Höhe, aber nicht ganz freiwillig. Selbst wer Ihr Programm nie hört, muss dafür blechen. Wer immer ein Radiogerät besitzt (bzw. wer immer im Empfangsgebiet einen Haushalt führt), zählt zu den Finanziers Ihres Unternehmens. Damit aber fett Butter aufs Brot kommt, holen Sie sich zusätzliche Einnahmen von der Werbewirtschaft. Weil solchermassen genug Budget da ist und Sie nicht jeden überschüssigen Cent einem raffgierigen Besitzer abliefern müssen – Ihr Sender gehört ja quasi sich selbst –, können Sie ein reichhaltiges, ja nachgerade opulentes Programm gestalten. Information, Lokal-Reportagen, Star-Moderatoren, alles da, auch Events, Werbeplakate und weich gepolsterte Bürodrehstühle. So lässt es sich leben – Sie gelten als durchaus erfolgreich, die Markt-Kennzahlen stimmen (nicht zuletzt dank Ihres Marketing-Budgets) und nur selten beschwert sich ein Hörer oder Konkurrent. Der Status Quo ist ja ein über Jahrzehnte gelernter.

Was sendet Radio Wulkaprodersorf? Richtig: Information, also zuvorderst Nachrichten, Wetterinformationen, allerlei launige Lokal-
Reportagen, das übliche unverbindliche Wortgeklingel von Star-Moderatorinnen und -Moderatoren. Und Musik. Natürlich!, Musik. Unter uns: das tun aber alle. Nachrichten, Wetter, Moderation, Musik. Kennen Sie irgendeinen Radiosender, der ohne diese Elemente auskommt? Doch, ja, Ihre generöse finanzielle Grundausstattung erlaubt es Ihnen, die besten Leute zusammenzukaufen, die teuersten Beratungsfirmen zu
engagieren und die aufwändigste journalistische Berichterstattung zu betreiben. Nur bei der Musik kochen alle mit Wasser. Jeder kann und darf Hits von gestern, heute und morgen, eventuell sogar von vorgestern und übermorgen, abspulen und abspielen, wie es ihm
beliebt. Die spezielle Selector-„Rezeptur“ wird zwar immer als Geheimwissenschaft gehandelt (zuvorderst von Radio-Consultern und Research-Unternehmen, die daran Millionen verdienen), ist aber eigentlich banal. Ganz nach dem Motto: Sie wünschen, wir spielen.

Was aber wünschen sich die Hörerinnen und Hörer in Wulkaprodersdorf? Naheliegenderweise: Lokalkolorit. Denn sollte jemand zufälligerweise mal das Bedürfnis haben, die grosse, weite Welt zu empfangen, gibt es dafür andere Stationen. Dutzende, hunderte, wenn nicht mittlerweile sogar – dem World Wide Web sei dank – abertausende. Radio Wulkaprodersdorf punktet dagegen mit Nachrichten aus dem Umkreis, mit lokalem Zungenschlag, mit Neuigkeiten und Informationen, die den Lebensalltag seiner Hörer-Klientel bereichern. Und natürlich mit Kultur und Musik, die man im Sendegebiet gerne hört, macht, lebt. Musik in, aus und für Wulkaprodersdorf. Natürlich nicht ausschliesslich. Da der Ort aber in dieser Hinsicht als kultureller Brennpunkt gilt (und das in bestimmten Genres sogar weltweit), eine grosse, eigenständige und vitale Szene aufzuweisen hat und sowohl seinem Selbstverständnis nach als auch in der Aussendarstellung Musik geradezu aus allen Poren verströmt, haben Sie eine tolle Ausgangsposition. Sie können auf wunderbare Produktionen zurückgreifen, über eine lange Tradition, aber auch eine aktuell hoch lebendige Musik-Landschaft berichten, prominente Künstlerinnen und Künstler aus dem Umkreis einladen, Pop, Rock, Blues und zeitgemässe Heurigen-G’stanzln aus Wulkaprodersdorf rauf und runter spielen. Täglich. Stündlich. Ganz selbstverständlich. Natürlich fein abgestimmt – der Blick über den Tellerrand ist Ihnen ebenfalls wichtig – mit Hits und News von jenseits der Gemeindegrenze. Ihr Sender & seine Crew besitzen Sendungsbewußtsein – und gelten als wichtigster medialer Durchlauferhitzer für das Musikbiotop Wulkaprodersdorf.

Theoretisch. Denn, ach!, in der Praxis läuft auf Ihrem Sender dasselbe 08/15-Musikprogramm wie auf allen anderen Stationen. Die üblichen Oldies, eine Handvoll Superhits & Megastars, die Klassiker aus dem Fundus der Musikberater, die nicht nur für Sie eine „einmalige“ Tonspur zusammenschustern, sondern ungeniert auch eine verdammt ähnlich klingende für die Konkurrenz. Gewiss: der Erfolg gibt Ihnen recht. Auch wenn in Ihrem tiefsten Inneren vielleicht Zweifel an Ihrer Seele nagen, ob dieser Erfolg eventuell nicht doch zuvorderst der Abgestumpftheit und Trägheit Ihres Publikums geschuldet ist, das sich selten dazu aufrafft, den Senderspeicher des Empfangsgeräts neu zu programmieren. Wie immer auch: es gibt da ja noch den ominösen Status des „Öffentlich-Rechtlichen“, der zur bequemen Finanzierung Ihres Unternehmens entschieden beiträgt. Gelegentlich quälen Sie stichelnde Konkurrenten und enttäuschte Hörer sogar mit Schlagworten wie „Kulturauftrag“, „Identitätsstiftung“, „lokaler Musikanteil“ oder „Public Value“. Irgendwo in der hintersten Schublade Ihres Schreibtisches haben Sie allerlei Fibeln, Broschüren und Denkschriften versammelt, in denen davon auch irgendwie die Rede ist. Papiere von Papiertigern für Papiertiger. Gutmenschen-Folklore. Reif für die Rundablage. Aber was hat das mit der Musik zu tun, die – „Chirpy Chirpy Cheep Cheep“ – Radio Wulkaprodersdorf täglich in den Äther ausstrahlt?

Ihnen fällt das alles mächtig auf die Nerven. In einem Anflug von unbedingter unternehmerischer Entschiedenheit durchforsten Sie Ihr
Programm nach Restbeständen lokaler Musikkultur abseits des 08/15-Mainstreams. Da hätten wir zum Beispiel einen Wulkaprodersdorfer Superstar, der Alt & Jung anspricht, unter Künstlern als entdeckungsfreudiger, wacher und verständiger Kollege gilt und längst über ein schlichtes Musikanten-Dasein hinausgewachsen ist. Ja, er hat einen Status als moralische Instanz und „Übervater“ der lokalen Szene erreicht. Und ist bei Ihren Hörerinnen und Hörern ausserordentlich respektiert, geachtet und beliebt. Zusammen mit einem kongenial agierenden Redakteur Ihres Senders gestaltet er seit Jahren eine wöchentliche Sendung. Sie gilt als Aushängeschild von Radio Wulkaprodersdorf. Sensibleren Geistern aber auch als eine der letzten Alibi-Randflächen für die lokale Musikkultur.

Anyway: Ihnen gehen die Haltung, die stolze Eigenständigkeit, der latente Widerstandsgeist dieser letzten Mohikaner schon lange gegen den Strich. Sie ziehen also den Redakteur der Sendung – „das Leben ist kein Wunschkonzert“ – von der Sendung ab, wohl wissend, dass dann der Star-Moderator auch den Hut drauf haut. Sie verkriechen sich in Ihrem Büro, wenn der gute Mann um eine persönliche Unterredung bittet. Sie haben gewiss nicht vor, Ihre Position bei der zweihundertsten Sendung – die, das wissen bislang nur Sie und ein paar Eingeweihte – zugleich auch die letzte auf Ihrem Sender sein wird – vor Publikum zu erläutern. Und Sie erklären jenen, die Trost & Rat suchen auf Radio Wulkaprodersdorf, dass zeitgemässer Rundfunk sowieso ganz anders zu klingen habe. Und Musik in, aus und für Wulkaprodersdorf nur die Hörerinnen und Hörer verschrecke. Punktum.

Sie warten auf die Pointe dieser phantastischen Geschichte? Drehen Sie doch demnächst einfach mal den Sender Ihrer Heimatstadt auf.

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3 Antworten zu “Trost- & Ratlosigkeit in Wulkaprodersdorf”

  1. Dago Says:

    a bisserl langatmig und verquast, der text.
    aber im kern leider nur zu richtig.
    ein skandal…
    no, ned da erschde, und sicha a ned da letzde


  2. Hab bereits unterschrieben und auch weitergeleitet. bezweifle zwar, dass sich die verantwortlichen irgendwie von dieser kulturellen wahnsinnstat abbringen lassen werden, aber man kann auch nicht tatenlos zusehen und sich nur denken: schön wars, aber jetzt is leider vorbei. es ist echt eine schande! also tun wir etwas!!


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