Ein Phänomen erobert die Welt, Metropole für Metropole: das Musikfestival mit Mehrwert. Mittlerweile gibt es unzählige Branchen-Meetings – nicht zuletzt (hoffentlich) das „Waves“ in Wien. Aber macht der Trend zu fröhlichem Festival-Hopping, legérem PR-Tourismus und grenzüberschreitender Funktionärs-Vernetzung überhaupt Sinn?

Hoppla! Eh man sich versieht, ist das Jahr schon wieder um. Business hat tendenziell immer auch mit „being busy“ zu tun, also damit, ständig beschäftigt zu sein. Und es gibt Menschen, die das ganze Jahr über damit beschäftigt sind, das Geschäft anderer Menschen, ja einer ganzen Branche zu fördern.
Der Kalender für diesen ganz neuen Typus an Musikmanager – nennen wir ihn ironisch „Festivaltourismusprofi“ – sieht so aus: Im Jänner zieht es ihn/sie nach Noorderslag zum Eurosonic Festival, danach für ein paar – hoffentlich sonnige – Tage zur MIDEM nach Cannes. Der Februar ist ruhig, By:Larm in Oslo kann man sich eventuell sparen. Doch schon im März stehen mit der ILMC in London und der Tallinn Music Week wieder Fixpunkte im Kalender. Im Mai lockt „The Great Escape“ nach Brighton, im Juni die c/o pop nach Köln. Zum Herbstbeginn darf man natürlich die Berlin Music Week nicht versäumen, eventuell könnte man gleich – die deutschen Städte prügeln sich nach dem Ende der PopKomm um die Vormachtstellung im Messe-Reigen – bis zum Hamburger Reeperbahn-Festival durchmachen. Und dafür die Plasa Show in London auslassen. Es gilt, Kräfte zu sparen, für das Waves Festival in Wien, das Live UK Summit in London, natürlich die WOMEX in Thessaloniki, Music & Media in Tampere in Finnland, das Amsterdam Dance Event, die Pariser Konkurrenz MaMA und jene in Rotterdam namens Rotterdam Beats. Auch in Island ist angeblich ziemlich was los.
Mittlerweile schreiben wir November und lassen’s mal gut sein mit dem „European Trade Fair & Conference“-Zirkus. Denn natürlich haben auch die Amerikaner und Asiaten im Jahreszyklus so einiges auf Lager, von der Winter Music Conference in Florida über die NAMM, North by Northeast (kurz: NXNE) in Toronto, Kanada, South by Southwest (SXSW) in Austin, Texas, den CMJ Music Marathon in New York, Music Matters im pazifisch-asiatischen Raum, Live! Singapur etc. usw. usf. Die Chinesen wachen gerade auf, die Inder ebenfalls, überall wird musiziert und kommuniziert – und die jährliche Country Musik Messe in Bayreuth erwähnen wir nur der Unvollständigkeit halber. Die ist nämlich gewaltig, die Unvollständigkeit – denn neben vielen weiteren Messen, Trade Fairs und Veranstaltungen mit Shows, Vorträgen und Panel-Diskussionen sind jene, die auf Theorie, intellektuelle Erörterungen und routiniertes Geschwätz gänzlich verzichten und „nur“ auf Musik setzen, nicht einmal ansatzweise aufgelistet.
Natürlich steht es jedermann/-frau vollkommen frei, diese Events mit persönlicher Anwesenheit zu schmücken. Ob es Sinn macht (und ob es das in den allermeisten Fällen nicht unbegrenzte Reisebudget zulässt), ist wieder eine andere Frage. Meine höchstpersönliche Sicht der Dinge ist jene: Reisen bildet, in einer Zeit des Umbruchs tut intensiver Ideenaustausch mehr not denn je, und das Musikgeschäft ist tatsächlich – eindeutiger als andere Branchen – „a people’s business“, also eine Angelegenheit internationaler Kontakte, direkter Kommunikation und persönlicher Wertschätzung. Andererseits trifft man immer dieselben Leute (und das seltsamerweise weltweit), kann die meisten Panel-Diskussionen schon synchron mitsprechen und darf sich am Ende des Tages nicht wundern, wenn der Nutzwert des Jahrmarkts der Eitelkeiten gering ist. Letztlich ist’s auch eine Zeitfrage. In Berlin z.B. winken die meisten vor Ort ansässigen Agenturen und Partner ab, wenn man sie auf ihre verwunderliche (?) Absenz bei der „Berlin Music Week“ anspricht – wozu soll man sich das antun?
Dazu kommt ein kurioser Effekt: jener der nationalen Zusammenballung. Denn egal, ob Österreicher, Franzosen, Finnen oder Australier – da präsentieren fast alle Länder auf all den Festivals ihre spannendsten, exportfähigsten und besten (?) Künstler und Bands. Und dann stehen im Publikum, erraten!, zuvorderst Österreicher, Franzosen, Finnen und Australier, jeweils statistisch signifikant gehäuft bei „ihren“ Landsmännern und -frauen. Nationalstolz in allen Ehren, Sinn ergibt das eher keinen. Man kennt sich und die Bühnenhelden ja schon ziemlich gut. Die, die man eigentlich erreichen möchte, erreicht man eigentlich eher nicht.
Darüber müsste überhaupt einmal geredet werden: funktioniert die Präsentation und Vermarktung in, durch und mit nationalen Schubladen überhaupt? Musikkonzerne alter, strikt kommerzieller Bauart kämen nie auf die Idee, den Meldezettel als Karriere-Kriterium heranzuziehen. Universal Österreich hat schon Schwierigkeiten, bei Universal Deutschland Gehör zu finden, wenn man nicht gerade einen Millionenseller im Talon hat, der auch jenseits der Grenze als „chancenreich“ eingestuft wird. Und „chancenreich“ bedeutet, den Durchbruch zunächst einmal nachprüfbar im eigenen Land geschafft zu haben. Dem Publikum selbst ist, wenn es sich nicht um Künstler und Interpreten mit bewusst versprühtem Lokalkolorit handelt, die Herkunft seiner potentiellen Lieblinge egal. Hätte sonst Franz Nidl aus Niederfladnitz im Waldviertel unter dem Pseudonym Freddy Quinn eine Karriere als singender Seemann in Norddeutschland starten können? Oder würden, aktueller, die burgenländischen Ja, Panik der Hamburger Schule in Berlin nacheifern?
Nun wissen wir: die Bedeutung und Durchschlagkraft der Majors hat – parallel zum schrumpfenden Markt – tendenziell abgenommen, die Aufmerksamkeit und Unterstützung für Indies seitens Väterchen Staat zugenommen. Etwa in Form von Musikinformationszentren und Exportbüros. Die sind nun mal national strukturiert. Und fördern die Mode, auf alles und jeden ein rot-weiß-rotes (oder in sonstigen Landesfarben gehaltenes) Fähnchen zu stecken. Und damit die Welt – die darauf freilich grosso modo eher zurückhaltend reagiert – beglücken zu wollen. Im Prinzip egalisiert sich so die individuelle Hilfestellung im weltweiten Konkurrenzreigen der Nationen, wenn auch – eventuell – auf höherem Niveau als ohne die entsprechenden Zentren, Music Export Offices und sonstigen Support-Einrichtungen.
Geschickte Musikmanager/innen werden sich dem freundlichen Rudelpudern nicht gänzlich entziehen. Sondern die Budgets der nationalen Hilfskräfte nutzen, um ihre Top-Acts im Ausland zu präsentieren. Jene, deren Namen vielleicht schon den einen oder anderen potentiellen Partner, Journalisten oder Musik-Importeur in Hamburg, Paris, Barcelona, Toronto oder Singapur aufhorchen lassen. Und jene, die zumindest solche singulären & spektakulären Qualitäten besitzen, dass man dem Zufall nicht ganz beiläufig und zufällig auf die Sprünge hilft.
Hoffentlich sind dann für diese Objekte des eigentlichen Interesses noch genügend Goldtaler in der Vereinsschatulle, um brauchbare, ja exzeptionell gute Rahmenumstände bieten zu können. Für denkwürdige Gastspiele und ernsthafte Geschäftsanbahnung. Denn derlei ist nun mal teuer. Sauteuer. Und wirkt – leider – (zu) selten. Jedenfalls abseits der üblichen gegenseitigen Schulterklopferei unter Funktionären, Festivaltouristen und sonstigen Freunden.
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