Neue Zeiten brauchen neue Medien. Aber gelten nicht, wenn es um Inhalte, Aufgabenstellungen, Stil, Aufmachung und Qualität geht, die alten Spielregeln? Und dreht es sich nicht immer alles um die Frage: wer zahlt? Und: wofür?
Ich schreibe diese Zeilen in „Film Sound & Media“, einem, nein: dem „Magazin für die österreichische Entertainment- & Medienbranche“, wie der Untertitel selbstbewusst proklamiert. Diese Gazette – zunächst ein Art Zentralorgan der heimischen Musikbranche, mittlerweile notwendiger- und dankenswerterweise mit einem grösseren Horizont ausgestattet – erscheint, wenn ich mich recht erinnere, seit Mitte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Zunächst zweiwöchentlich, nunmehr annähernd monatlich.
Ich selbst steuere die Kolumne, die Sie gerade lesen, seit ungefähr acht Jahren bei. Eine launige, subjektive, oft nicht gerade – nomen est omen – unkritische Kolumne, die nicht immer nur Beifall fand und findet. Was mir nur recht ist: Widerspruch ist willkommen, ja geradezu erwünscht. Beiläufige, langweilige und kaum je wirklich wahrgenommene Gefälligkeitsartikel sollen andere schreiben, dafür bin ich der falsche Mann. Und weil dem so ist, überlege ich gerade, einen Nachruf zu verfassen. Einen Nachruf auf diese Kolumne. Diese Zeitschrift. Den konsensualen Geist, der ihr Erscheinen erst ermöglichte. Einen Nachruf auf eine Ära, die absehbar zu Ende geht.
Das ist natürlich pure Provokation. Sie kennen das, sind derlei von „Grob Gröber Gröbchen“ schon gewohnt. Aber mir ist es ernst. Ich schreibe diese Zeilen zu einem Zeitpunkt, da allerorten das grosse Zeitungssterben anhebt. Zumindest jenseits des Schrebergartenzauns. Die „Financial Times Deutschland“, wahrlich nicht die schlechteste Wirtschaftszeitung, wird eingestellt. Die „Frankfurter Rundschau“ ist insolvent. Die Stadtzeitung „Prinz“ verlagert ihre Aktivitäten ins Netz. „Newsweek“ dito. Nach fast achtig Jahren gibt es das renommierte US-Wochenmagazin nicht mehr am Kiosk. In Österreich kündigen „Die Presse“ und der „Kurier“ Journalisten, andere werden folgen. Der Paradigmenwechsel der Digitalära erfasst die „Holzmedien“ peu á peu.
Und er ist tiefgreifender, radikaler, folgenreicher, als es sich viele gut bezahlte Lotsen, Stewardessen und Steuermänner auf den Brücken der einstmals so stolzen Dickschiffe der Medienindustrie vorstellen konnten. Und wollten. „Wir haben die schöpferische Zerstörungskraft des Internets zwar seit unserer Gründung so intensiv beschrieben wie kein anderer in Deutschland“, bekennt etwa die Chefredaktion der „Financial Times“ in ihren Abschiedsworten. „Es ist uns allerdings nicht gelungen, darauf aufbauend ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das unseren Anspruch an Journalismus zu finanzieren vermag.“ Dennoch, der Glaube an „schöpferische Zerstörung“ und „neue Geschäftsmodelle“ sei ungebrochen. Nun: ja. Aber wenn man es gezählte dreizehn Jahre lang nicht schafft in einem der potentesten, kopfstärksten und innovativsten Verlagshäuser Europas, letztere zu finden, zu kanalisieren und für sich zu nutzen: wo stecken sie dann?
Man ist geneigt – „Lass’ sie Zukunft fressen!“ –, Frank Schirrmacher rechtzugeben in seinen notorisch gedankenmächtigen, bildungsbürgerlichen Rundumschlägen wider die Profiteure der rückhaltlosen Auflösung althergebrachter Strukturen und Denkmodelle. Man könnte auch milde lächeln, weil nicht gerade wenige Journalisten jahrelang nur Spott & Hohn übrig hatten für das erste Opfer, quasi die Negativ-Avantgarde der neuen Epoche: die alte, verschlafene Major-Musikindustrie – und nun die Revolution diese Kindsköpfe frisst. Oder man hat es sich, wie manche vermeintliche Kriegsgewinnler und frischgeföhnte Selbstausbeuter, im Windschatten von Google, Apple, Facebook, Amazon, Spotify & Co. bequem eingerichtet, ideologisch und/oder ökonomisch, und kaut an dem einen oder anderen Knochen, der einem gelegentlich zugeworfen wird.
Aber halt! Das ist eine zu zynische, zu negative Sicht der Dinge. Und eventuell auch eine zu unrichtige. Denn in einem Punkt haben die „Financial Times“-Chefdenker schon recht: jeder schöpferische Prozess bringt zwangsläufig, über kurz oder lang, tatsächlich neue Geschäftsmodelle mit sich. Wenn die Gesellschaft „Geschäften“ aber seit kurzem misstraut – sie tut es nicht wirklich, wage ich zu behaupten –, dann sind es eventuell neue Gesellschaftsmodelle. Und wenn man dem italienischen Marxisten Antonio Gramsci glauben darf, besteht eine Krise, jede Krise, daraus, „dass das Alte stirbt und das Neue nicht geboren werden kann.“
Was hat das alles mit „Film Sound & Media“ zu tun?, werden Sie fragen, einem vergleichsweise winzigen, eventuell unwichtigen Vereinsblättchen einer im globalen Maßstab winzigen, weithin unwichtigen heimischen Entertainment-Industrie? Nun: jede Menge. Man wird sich – wohl rascher und klarer, als von manchen erwartet – für oder gegen einen eigenen Standpunkt entscheiden müssen. Für oder gegen eine eigene Stimme im Meer der kakophonischen Miß- und Desinformation. Und für oder gegen ein eigenes Organ, das diese Stimme transportiert.
Dieses Organ heisst zur Zeit – nicht nur, aber auch – „Film Sound & Media“. Nicht, dass es an diesem Magazin nichts zu kritisieren gäbe (inklusive – gern, wie gesagt! – dieser Kolumne ganz zum Schluß.) Nicht, dass dieses Blatt nicht auch im Internet, als Online-Medium, erscheinen könnte. Zusätzlich. Oder ausschliesslich. Nicht, dass eine Branche nicht auch gänzlich ohne Mitteilungshefte dieser Art auskommen könnte.
Aber wenn man nun mal ein „Magazin für die österreichische Entertainment- & Medienbranche“ herausgibt, finanziert und mit Inhalten bestückt – von der Filmindustrie bis zu den Privatradios, von der öffentlich-rechtlichen Medienorgel bis zur Landesfiliale einer Major-Plattenfirma, vom selbstbewussten Indie-Label bis zur Wirtschaftskammer-Unterabteilung – und dies mit einem gewissen Grad an Selbstreflexion, Stolz und Mitteilungsbedürfnis tut, dann sollte man ein Auge darauf werfen, ob dieses Medium zeitgemäss, engagiert und effizient die Aufgabenstellung erfüllt. Und wenn es das (vermeintlich oder tatsächlich) nicht tut, dann gilt es dafür Sorge zu tragen. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Wenn nun aber die schon länger anhaltende Klage der operativen Kür- & Pflichterfüller lautet, dafür seien die Geldmittel zu schmal bemessen, der Wille zu schwach und das solidarische Prinzip des An-einem-Strick-Ziehens längst zu fadenscheinig, und wenn man dann allerorten nur ein müdes Kopfnicken als Reaktion erhält – dann brennt der Hut. Dann könnte es sein, dass dieser Nachruf – auf eine Kolumne, auf eine Zeitschrift, auf eine Ära – Wirklichkeit wird. Rascher, radikaler und rückstandsloser, als manche glauben. Vielleicht kommt ja Besseres nach.