Archive for Dezember, 2012

Tauschrausch

30. Dezember 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (192) Frohe Nach-Weihnacht! Der Flohmarkt ist ab sofort in der eigenen Hosentasche daheim.

Shpock

Nach Weihnachten ist vor Weihnachten. Denn jetzt hebt das grosse Geschenketauschen an (bzw. hat längst angehoben). Und in den Geschäften, Online-Bazaren und virtuellen Börsen wimmelt es nur so vor Tauschwütigen, die mit ihrem Fund unterm Christbaum nicht so recht glücklich wurden. So gut das Präsent – das englische Wort “gift” trifft’s exakt – auch oft gemeint war: nicht jede(r) Beschenkte steht auf knallbunt gestreifte Wollschals mit Fransen, Paulo Coelho-Esoterikfibeln oder CDs von Unheilig, Helene Fischer oder Michael Bublé. Und ein Spiel für die Playstation 2 läuft nun mal nicht auf der Playstation 3.

Freilich kann man zum Händler laufen, sofern Großmutter überhaupt die Rechnung aufgehoben hat, und um Stornierung des Kaufvorgangs oder Umtausch der Ware bitten. Das ist aber, sofern man dieses Recht nicht explizit beim Kauf vermerkt hat, letztlich von der Laune und Kulanz des Verkäufers abhängig. Online ist eine Retournierung von der Gesetzeslage her deutlich einfacher. Aber um einen gewissen Moment der Unbehaglichkeit kommt man selten herum. Warum die missliche Situation also nicht ein lustvolles Spiel verwandeln? Ebay, willhaben.at und ähnliche Web-Plattformen leben davon. Und was dem einen Verdruss bereitet, kann dem anderen ja – abseits schnöder 1:1-Finanztransaktionen – reichlich Freude machen und bares Geld wert sein. Oder zu einem überraschenden Tauschangebot motivieren.

Ich erlaube mir an dieser Stelle einen Fingerzeig auf eine App, die Schnäppchenjäger-Fieber auszulösen vermag. Die Anwendung (für iPhone und Android-Geräte) ist gratis und heisst “Shpock”. Erlaubt man der App nach der Anmeldung via Facebook den Zugriff auf die eigenen Standortdaten, zeigt sie wie ein Radar Angebote im Umkreis von, sagen wir mal: einem Kilometer. Und zwar als Bild. Das reicht für den groben Überblick allemal – und wirkt wie Augenzucker. Exaktere Informationen werden auf Knopfdruck eingeblendet. Findet man ein Angebot attraktiv, kann man umgehend Fragen stellen oder darauf bieten. Oder, ja, spontan beim Anbieter vorbeischau’n. Schliesslich handelt es sich hier um höchst innovative, simple und spassige Nahversorgung.

“Shpock” steht übrigens für “shop in your pocket”. Und wurde von einer Wiener Startup-Firma entwickelt. Jetzt noch ein elektronischer Einkaufszettel für den Naschmarkt mit Obst- & Gemüse-Frischegarantie – und ich erkläre diese Leute zu Durchstartern 2013.

Werbung

Unsere nächsten Verwandten

22. Dezember 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (191) Roboter sind ein Entwurf unserer Zukunftsgläubigkeit. Zumeist aus Blech. Und eigentlich auch schon wieder Vergangenheit.

Blechroboter

Mein vorletzter Besuch im Technischen Museum in Wien liegt etwa vierzig Jahre zurück. Es war – erraten! – ein 24. Dezember, an dem mich mein Vater an der Hand nahm und mit mir in den 14. Wiener Gemeindebezirk pilgerte. In jeder Hinsicht dunkel in Erinnerung ist mir das Kohlebergwerk (präziser natürlich: das begehbare Modell eines Bergwerks in einer Ausstellungshalle). Und ein antiquiertes Flugzeug, das von der Decke des imposanten Gebäudes hing.

Als ich dieser Tage die Botschaft vernahm, das Technische Museum zeige aktuell die grösste RoboterAusstellung, die Österreich je gesehen hat, kamen abermals Weihnachtsgefühle auf. Nicht umsonst zählt eine Sammlung zerbeulter Spielzeug-Blechroboter zu den höchstpersönlichen Lebenserrungenschaften.

Ich setzte also Kopfhörer auf, wählte Kraftwerks “Mensch-Maschine” (eines meiner ewigen Lieblingsalben der Pophistorie) auf dem MP3-Player und blätterte zur Vorbereitung der kleinen Exkursion in einem Standardwerk zum Thema: “Roboter – unsere nächsten Verwandten” von Gero von Randow. In diesem Buch findet sich ja im Epilog der schöne Satz: “Mir ist natürlich völlig klar, dass die Menschheit nicht etwa deshalb Probleme hat, weil es zu wenige Roboter gibt; eher schon deswegen, weil es zu viele Menschen gibt.” Aber im Advent sind derlei Gedanken natürlich Blasphemie.

Kurzum: die Schau im Technischen Museum ist brav, aber schön. Auch weil sie viele Blechroboter zeigt (darunter das kurioserweise mit einem Jutesack bekleidete Modell “MM7 Selektor”, das 1961 in Wien gebaut wurde). Und sich so einiges dreht, bewegt, blinkt und surrt. Immerhin wuseln einem nicht unentwegt selbstständig “denkende” und lenkende Robot-Staubsauger – die Alltags-Inkarnation der Jetzt-Zeit – um die Beine.

In einem Punkt ist die Ausstellung aber hoffnungslos antiquiert: das Faszinosum der Mensch-Maschine hat sich längst von mechanistischen Droiden á la C-3PO und R2-D2 (remember “Star Wars”?) zu Biotechnologie, Elektronengehirnen und kybernetischen Organismen verlagert. Humanoide Klone siegen – in Filmen, in der Science Fiction-Literatur und in unserer Fantasie – über schlichte Mechatronik. “Schade eigentlich”, um nochmals ein Zitat (diesmal aus dem Popkultur-Organ “The Gap”) einzubringen. “Roboter waren irgendwie deutlich weniger gruselig. Und als Spielzeug auch weihnachtsbaumtauglicher als künstlich intelligentes Klonfleisch.”

Der richtige Dre

16. Dezember 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (190) Der Hype des Jahres 2012: Beats by Dr. Dre. Aber können die schicken Kopfhörer auch etwas?

Beats By Dr Dre Studio Blue Headphones

Im Vorjahr habe ich einen Fehler gemacht. Einen schrecklichen Fehler. Ich habe meinem Sohn – der in einem höchst kritischen Alter knapp an der Grenze zur Volljährigkeit steckt – zu Weihnachten einen Kopfhörer geschenkt. Den falschen Kopfhörer.

Ich dachte, ein durchaus passables Modell der Weltmarke AKG würde auf Wohlgefallen stossen. Zumal die neonorange verzierten, nachgerade aufdringlich coolen “Earphones” des österreichischen Traditionsunternehmens (das sich seit geraumer Zeit unter den Fittichen des US-Konzerns Harman befindet) auch DJ-tauglich sind. Und einen ordentlichen Wumms machen. Also genug Lautstärke liefern, um einen bleibenden Hörschaden zu garantieren, wenn man sie an ein iPhone oder einen beliebigen MP3-Player anschliesst.

Denkste. Mein Sohnmann bedankte sich zwar artig für das mässig teure Präsent, aber legte es alsbald demonstrativ zur Seite. Auf Nachfrage meinte er, die Kopfhörer wären “eh ok”, aber würden leider zuviel Druck auf die Ohrmuscheln entwickeln. Und klängen nicht ganz so “fett” wie die Modelle, die seine Klassenkameraden bevorzugten.

Ich wurde hellhörig. Hier ging es also weniger um HiFi-Qualitäten, Traditionsmarken und ein fein austariertes, akzeptables Preis-/Leistungsverhältnis. Mehr um soziale Phänomene. Eine grassierende Moderscheinung nämlich. Einen Hype, den ich glatt unterschätzt hatte. Und all die einschlägigen Kopfhörerspezialisten des Weltmarkts ebenfalls – AKG, AudioTechnica, Beyerdynamic, Bose, B&W, JVC, Philips, Pioneer, Sennheiser, Sony, Stax, Technics, Ultrasone und wie sie alle heissen mögen. Der Hype hat einen Namen: Beats by Dr. Dre.

Pop-Auskenner wissen: Dr. Dre heisst eigentlich André Romelle Young. Und ist eine HipHop-Szenegrösse par excellence. Gemeinsam mit dem Musikindustrie-Spezi Jimmy Iovine hatte er die Idee, seinen Ruf zu vermarkten. Und Kopfhörer so zu bewerben: “Hear what the artists hear! Listen to the music the way they should: the way I do.” Damit war der egozentrische Lifestyle-Imperativ an die weltweite Community ausformuliert. Und er erwies sich als höchst wirksam: zuerst stieg der Kabelhersteller Monster ein, dann legte der Mobiltelefonfabrikant HTC 309 Millionen Dollar auf den Tisch.

Mittlerweile findet man die stylishen, nicht selten aufreizend bunten, aber insgesamt eher, hm, durchschnittlich klingenden Beats by Dr. Dre-Hörer (und die ziemlich ähnlich gestylte Konkurrenz von Monster Beats, Urbanears, Noontec & Co.) tonnenweise in jedem Basar in ostasiatischen Provinzdörfern. Auch Produktfälscher reiten gern auf Hype-Wellen. Ohrenstöpsel kommen generell nicht mehr ohne “big names”, Ferrari- und Marshall-Logos und (lebende oder verstorbene) Promi-Werbetrommler aus, scheint’s.

Nur mein Sohn hat immer noch keinen Dre-Hörer. Shame on me.

Museumsstücke

9. Dezember 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (189) Hat ausgerechnet die analoge Ultrakurzwelle eine langfristige Zukunftsperspektive?

Tivoli DAB+ Radio

Jeder hat so sein Hobby. Mein Hobby ist es – es ist nur eines unter vielen, fragen Sie meine leidgeplagte Freundin –, Radioapparate zu sammeln. Empfangsgeräte aller Art. Alte, neue, große, kleine – egal: ich mag sie einfach. Je ausgefallener, desto lieber. Natürlich hat die Sammelwut seine Grenzen. Ein Museum kann und will ich nicht einrichten. Und speziell konventionelle UKW-Radios, wie sie in fast allen Haushalten Österreichs stehen, werden bald wertlose Museumsstücke sein. Millionenfach. Oder auch nicht. Dazu kommen wir noch.

Die unentschiedene Prognose hat mit einer Lücke zu tun (einer bei näherer Betrachtung wahrlich wunderlichen Lücke), die die fortschrittsgläubigen Gerätehersteller, Radiobetreiber und Zulassungsbehörden, die die flächendeckende Digitalisierung der Medienwelt verantworten, bislang ausgerechnet dem alten Dampfradio zugestanden haben. Hier regiert noch analoges Denken. Und analoge Technik, weitestgehend.

Die Geschäfte, die man im Hörfunk-Business – der eng begrenzten Verfügbarkeit von UKW-Frequenzen wegen relativ ungestört – betreiben konnte und kann, sind allerdings auch nicht mehr so proper und fett wie in den güldenen Zeiten des vorigen Jahrhunderts. Radio ist zwar ungebrochen ein wunderbar unkomplizierter Tagesbegleiter und höchst beliebtes Medium, aber die Werbebudgets wandern nicht gerade selten in zielgenauere Flächen und Nischen im World Wide Web ab. Nun, auch hier gibt es Stationen, Heulbojen und rundfunkähnliche Angebote sonder Zahl. Erst neulich eröffnete mir ein Bekannter, er werde jetzt ein Internet-Radio aufmachen, dass sich auf skurrile Austropop-Raritäten spezialisiert. Ziwui ziwui! Jeder hat so sein Hobby.

Bislang scheint es aber keinen Bedarf an Digitalradio im engeren Sinne – also terrestrisch verbreitet – zu geben. Das ergab jedenfalls eine Ausschreibung der Behörde, die (noch) nicht genug Interessenten und potentielle Anbieter von Spartenkanälen erbrachte. Ein Verein, in der der Fachverband der heimischen Elektro- und Elektronik-Industrie eine Rolle spielt, will das bald ändern.

Das mag zwar die UKW-Platzhirsche, Radio-Nostalgiker und Mainstream-Dudler nicht freuen. Aber mehr und mehr Konsumenten fragen sich, was es denn bedeutet, wenn ein Sticker auf einem neuen Gerät verkündet, ihr Radio wäre DAB+-tauglich. Und ob man das nicht mal in der Praxis ausprobieren kann…

Memento Mori

1. Dezember 2012

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (188) Die Virtualisierung unserer Existenz erfasst auch die letzten Dinge.

Kerze

Zuletzt bin ich über mich selbst erschrocken. Ein wenig zumindest. Wie das? Nun: eine liebe Freundin war gestorben, ich selbst gerade tausende Kilometer vom gemeinsamen Heimatort entfernt, und mir fiel nichts Besseres ein, als auf Facebook zu kondolorieren. Als öffentliches Zeichen meiner privaten Trauer – contradictio in adiecto? – postete ich ein YouTube-Video einer stumm flackernden Kerze, (fast) ohne Kommentar. Natürlich liess ich es dabei nicht bewenden. Zum Zeitpunkt, da Sie diese Zeilen lesen, werde ich das Begräbnis besucht, Erde auf einen Sarg geworfen, tröstende Worte formuliert und das eine oder andere stille Gebet gesprochen haben.

Aber diese erste, mich leise erschreckende Reaktion hallt nach: die der postwendenden Facebook-Trauer. Man forscht fast zwangsläufig auch den letzten Lebensspuren des/der Verstorbenen nach, wirft einen bekümmerten Blick auf die jäh endende “Timeline”, kann die Reaktionen von Freunden und Verwandten nachlesen – und kehrt wohl, zufällig oder absichtlich, wieder. Und wieder. Eventuell wird man die Schattenexistenz im Netz öfter besuchen als die reale Grabstätte auf dem Friedhof. Wie lange wird sie wohl noch existieren, die Facebook-Identität von F.? Könnte sie nicht auch fortgeschrieben werden als nachhaltiger Ort der Trauer und Erinnerung? Es muß ja nicht für die Ewigkeit sein. Oder: doch.

Mittlerweile ist es ein sehr zeitgemässes Thema geworden, je nach Gemütslage ein bekümmerndes oder beglückendes: wie geht man mit dem Daten-Vermächtnis eines Menschen um? Die elektronischen Spuren, die man freiwillig (und, oft in weit grösserem Umfang, unfreiwillig) hinterlässt – wer darf sie löschen? Wann? Wo? Wie radikal? Und wer kann es überhaupt? Und sind nicht auch würdevolle virtuelle Friedhöfe, Mausoleen und Online-Gedenkräume vorstellbar? Eine rhetorische Frage: es gibt sie längst.

Die verdichtetete multimediale Repräsentation einer menschlichen Existenz, abrufbar auf Knopfdruck, ist ein Angebot, das das Gewerbe der Grabredner und Nachrufschreiber nachhaltig beschädigen wird. Aber jedem Ende wohnt, kein schwacher Trost, unzweifelhaft ein neuer Anfang inne.

%d Bloggern gefällt das: