Das ausverkaufte Robbie Williams-Spektakel in Wien darf als diesjähriger Höhepunkt eines immer massiveren Live-Geschäfts gewertet werden. Oder? Über den Status Quo der Musikindustrie anno 2013.

Wer dieser Tage in den Bürofluchten der Firma EMI Music Austria in der Wiener Webgasse 43 das Telefon klingeln lässt, bemüht sich vergeblich. Zwar ist der Anrufbeantworter noch in Betrieb, aber es gibt keine Gesprächspartner mehr. „Der gewünschte Teilnehmer antwortet nicht. Vielen Dank.“
Das klang einmal anders: in ihren Hochzeiten verkaufte die Österreich-Filiale des weltumspannenden Major-Musikproduzenten EMI mit einem Marktanteil von durchschnittlich 15 Prozent Millionen Tonträger. Der Katalog war hoch attraktiv – von Top-Stars wie den Beatles, Queen, Pink Floyd, Kraftwerk oder Herbert Grönemeyer bis hin zu lokalen Grössen wie der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, DJ Ötzi oder Falco. Zudem betrieb man ein – ob der niedrigen Friedenszins-Miete recht profitables – Plattengeschäft auf der Kärntnerstrasse.
Es ist das letzte sichtbare Relikt eines einst stolzen Konzerns. Von den ehemals bis zu fünfunddreißig Köpfen in der Zentrale wurde im Sommer 2013 genau eine Mitarbeiterin vom übermächtigen Konkurrenten Universal Music übernommen. Deren Marketing-Chef Peter Draxl, einst selbst EMI-Manager, trocken: „Die Integration ist abgeschlossen.“
Wirklich zufrieden ist man ob der Verknappung auf ein Zweieinhalb-Major-Oligopol – lange hatte Branchenauguren mit einer Vernunftehe der kleineren Marktteilnehmer Warner und EMI spekuliert, letztlich wurden aber die wesentlichen Pleite-Relikte Universal und Sony Music zugeschlagen – aber auch am Wiener Schwarzenbergplatz nicht. Denn die Zahlen sind generell schlecht. Universal-Statthalter Hannes Eder, zugleich Präsident des Branchenverbandes IFPI Austria, fasst die Situation stichwortartig zusammen: „Digitalmarkt weiter hinauf, physischer Markt wie schon in den letzten Jahren hinunter.“ Leider ersetzen Downloads – zuvorderst via Apples iTunes Store und Amazon – und Streamings – hier sind Spotify und Deezer führend – das Wegbrechen der CD-Umsätze nicht in jenem Maße, wie es sich die Vordenker und -Lenker des Musikgeschäfts wünschen.
Der Schwenk hin zum Digitalbusiness führt zudem zu einer rapiden Erosion traditioneller Strukturen: mittlerweile überlegt man z.B. beim grössten heimischen Filial-Distributor Libro ernsthaft, den CD-Verkauf aufzugeben. Ein Schreckensszenario für Universal & Co., die vornehmlich auf Mainstream-Ware setzen. Eder, betont optimistisch: „Sorgen würden wir uns machen, wenn die Nachfrage nach Musik sinken würde. Das tut sie aber nicht, sie steigt jedes Jahr. Wie man diese Nachfrage monetarisieren kann, ist eine tägliche Herausforderung, und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben.“
Der Status Quo lässt sich in eine nüchterne Frage übersetzen: womit verdient die Tonträger-Industrie anno 2013 überhaupt noch Geld? Etwas überspitzt: kaum mehr mit Tonträgern. EMI etwa verschleuderte im Zug des Überlebenskampfes sein gesamtes Tafelsilber. Katalogware, aber auch aktuelle Alben von Robbie Williams, Kate Perry, Coldplay oder Depeche Mode, wurden zum Ramschpreis unter das Volk gebracht. Die branchenweite Image-Entwertung der Compact Disc wird von einem erstaunlichen Comeback der Vinyl-Schallplatte konterkariert – allerdings handelt es sich dabei um ein Retro-Nischen-Phänomen.
Apropos Robbie Williams: das ehemalige Take That-Teenie-Idol ist längst zum Säulenheiligen der Ö3-Hemisphäre gereift. Und gibt sich verschmitzt pragmatisch: „Ich will verdammt viele Platten verkaufen und die beste Show aller Zeiten abliefern“. Rund 65.000 Williams-Fans erklärten sich am Mittwochnacht beim Wien-Gastspiel zu Augen- und Ohrenzeugen. Wirklich Geld verdient der 39jährige Ex-EMI-Heroe aber weniger mit „Platten“ denn mit der generalstabsmäßig durchexerzierten Rundum-Vermarktung seiner Live-Aktivitäten.
Williams war einer der Vorreiter einer Entwicklung, die immer stärker Raum greift: die Entwicklung und Realisierung von Künstlerkarrieren, Songmaterial und Showkonzepten überlässt man privaten Investoren und finanzkräftigen Althasen des Schaugeschäfts, die sogenannte „360-Grad-Vermarktung“ – von Merchandising über Tonträger, Verlags-, Film- und Werberechte bis hin zum Tournee-Zirkus – übernehmen die Major Companies. Oder gleich börsennotierte Entertainment-Konzerne neuen Typs, die etwa den Markt in den USA beherrschen. In Österreich ist das prominenteste Beispiel für dieses Modell Andreas Gabalier. Aber auch Newcomer wie Anna F. oder Julian LePlay erhielten entsprechende Angebote. Rahmabschöpfung rules.
Was allerdings tendenziell abgenommen hat, ist die Berechenbarkeit der Renditen: blieben schon früher die Einkünfte von acht unter zehn Nachwuchs-Starschnuppen unter den Erwartungen, lässt sich heute kaum mehr eine seriöse Prognose zum Karriereverlauf eines Künstlers treffen. Der Markt leidet an einem Überangebot an Live- und Konserven-Musik bei gleichzeitiger Verengung der Medien- und Absatzkanäle. Das Internet, lange als „Long Tail“-Paradies für Entdeckernaturen und Klangforscher abseits der Formatradio-Trampelpfade gepriesen, kann nur technisch eine Alternative eröffnen, nicht soziologisch.
Letztlich sei eine Rolle im Mainstream-Musik-Business aber immer noch besser als ein „normaler“ Durchschnittsjob, lässt Robbie Williams bei Pressegesprächen verlauten. Zur ewigen Tretmühle des Entertainment-Geschäfts hat er denselben Lieblingsspruch parat wie zum Status Quo der Branche generell: „Du blickst in den Abgrund – und der Abgrund blickt zurück.“
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