MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (225) Analog-Nostalgie ist schwer in Mode. Ein Comeback der Compact Cassette bleibt aber aus.
Lassen Sie uns gemeinsam eine Gedenkminute einlegen. Nein, nicht für die ärztliche Schweigepflicht, die von einigen Vertretern der Zunft – welchen genau bleibt unklar, mit dem Datenschutz ist nicht zu spaßen! – für obsolet erklärt wurde. Für einen nebbichen Schandlohn von 30 Euro pro Monat, zuzüglich Umsatzsteuer. Derlei regt die Leute ja mehr auf als die flächendeckende Überwachung ihrer Kommunikation und die Mundtotmachung kritischer Medien. Merke: auch Selbstzensur ist Zensur. Und, ja, jedes im elektronischen Krankenakt säuberlich vermerkte Zipperlein liefert den Seelenverkäufern dieses Planeten noch schärfere Röntgenbilder.
Die Gedenkminute möchte ich aber einem Artefakt aus längst vergangenen, unschuldigeren Tagen widmen (Anmerkung für Verschwörungstheoretiker: der Themenwechsel wurde nicht von der NSA „angeregt“). Es ist ziemlich exakt fünfzig Jahre her, dass eine (r)evolutionäre Entwicklung das Licht der Welt erblickte. Am 28. August 1963 präsentierte Philips auf der 23. Internationalen Funkausstellung in Berlin die „Compact Cassette“ samt zugehörigem Aufnahme- und Abspielgerät.
Ursprünglich als Diktaphon-Speichermedium gedacht, wurde das schmale Tonband im Plastik-Normgehäuse rasch zum universellen Audio-Standard. Feinspitze reizten die Möglichkeiten mit Chromdioxid- und Reineisenbändern, Rauschunterdrückungssystemen wie Dolby oder DBX, Autoreverse-Mechanismen und Einmesscomputern gnadenlos aus – man erinnere sich an legendäre Geräte von Nakamichi, Alpine, Pioneer oder Eumig (die letzte Großtat des österreichischen Herstellers, bevor er vom Markt verschwand).
Gibt es Zeitgenossen, die diese Wunderwerke der Analogtechnik in Ehren halten? Und zwar nicht in einer Glasvitrine, sondern im quasi alltäglichen Einsatz? Ich kenne ja eher Mütter, die noch Märchen-Cassetten in knallbunte, fruchtsaftverklebte „My first Sony“-Relikte stecken als Vintage-HiFi-Fetischisten, die das einstige Spitzenmodell TCK-777 ES desselben Herstellers mit Klassikaufnahmen füttern… Nur weil ein paar HipHop-Puristen und Off-Off-Mainstream-Obskuranten sich weiterhin verschwörerisch Tapes zustecken, ein grosses Cassetten-Revival auszurufen – wohl darauf hoffend, dass dies ähnlich dem aktuellen Vinyl-Boom zur „selffulfilling prophecy“ wird – ist natürlich hochgradig gaga. Anno 2012 wurden hierzulande gerade noch 2000 bespielte MusiCassetten verkauft.
Aber, hoppla!, meine Schachteln voll mit liebevoll beschrifteten Mixtapes und Mitschnitten aus „Musicbox“-Urzeiten, die ich diesen Sommer eigentlich entsorgen wollte, erhalten vorerst eine Gnadenfrist. Eventuell für ein paar Jahrzehnte.