Archive for Januar, 2014

Verdummungsverbot

24. Januar 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (247) Ist Facebook das neue Zentralorgan des demokratischen Diskurses? Eher schon: sein wirksamstes – und zugleich problematischstes – Werbemittel.

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Wenn diese Zeilen erscheinen, wird der alljährliche Mummenschanz rund um eine Wiener Ballveranstaltung „für Demokratie und Freiheitsrechte“ schon wieder Geschichte sein. Hoffentlich für immer.

Dieser Ball, bei dem sich ein paar besondere Kapazunder der Leistungsträgergeselligkeit ausgerechnet in der Hofburg versammeln, steht ja unter spezieller Beobachtung. Sowohl der Polizei wie auch einer nicht unbeträchtlichen Menge an Bürgerinnen und Bürgern, denen die höhnische „Gesetzeskonformität“ von Provokation und Gegenprovokation und die symbolträchtige Selbstbeschmutzung der Republik samt Einschränkung der Versammlungs- und Pressefreiheit auf die Nerven gehen. Mindestens. Kann man sich bitte einmal zu einer intelligenteren, sensibleren Lösung durchringen als alljährlicher wechselseitiger Aufganselung, ja Aufhetzung und Aufrüstung?

Aber hier soll nicht Politik gemacht werden. Ich habe übrigens auch kein Selbstporträt mit Sturmhaube, Schal oder einer sonstigen originellen Ver- bzw. Bekleidung auf Facebook eingestellt wie viele Freunde und Bekannte. Derlei Selbstkatalogisierung mag ja eine gewisse Signalwirkung haben und als klares Zeichen gegen die Absurditäten eines polizeilichen „Vermummungsverbots“ mitten im Winter – angeblich kann man unter dieser Prämisse schon für das blosse Mitführen eines Schals bei einem Spaziergang verhaftet werden – gelten.

Aber irgendwie macht mir die freiwillige, ja aufgeregt-freudige Mitarbeit bei dieser Minderheitenzählung und schematischen Zuordnung von Teilen der Bevölkerung zu diesen und jenen „Lagern“ in Zeiten von NSA-Spähtechnik, Big Data und mangelndem gesetzlichen Schutz vor dem übergreifenden Überwachungswahnsinn Sorgen. Herr Faymann, Herr Spindelegger, Frau Mikl-Leitner, Herr Strache: ist Ihnen eigentlich klar, in welche Richtung wir hier – EU-konform? – marschieren? Und ist es wirklich lustig, wenn man sich gegenseitig auf Twitter und Facebook – ja, auch die Ball-Brüder und ihre Gesinnungsschwestern haben dort ihren Auftritt, ebenso wie (verkündigungstechnisch durchaus zeitgemäß) die Wiener Polizeizentrale – verfolgt, und zwar durchaus auch im wortwörtlichen Sinn?

Letztlich bleibt es eine Aufgabe der Medien, auch in dieser Angelegenheit systematisch tiefer nachzubohren. Und ja nicht nachzulassen. Und es ist nicht mehr allein instituionalisierter Journalismus, der wichtige, dringliche, eventuell schmerzliche Fragen stellt und Beobachtungen liefert. Bunte Vögel wie Robert Misik (www.misik.at), Martin Blumenau oder Erich Möchel (fm4.orf.at) sind eine Bereicherung eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses, selbst ein Christian Ortner („Das Zentralorgan des Neoliberalismus“, www.ortneronline.at) liefert immer wieder Denkanstösse (auch wenn die Abgrenzung zu wirklich randwertigen Figuren nicht recht gelingt).

Wie die genannten Herren und jede/r andere Interessierte mit fortschrittlicher Technik Blogs, Beiträge und Selfie-Botschaften noch verbessern können, erzähle ich ihnen – und Ihnen – nächste Woche.

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Das kaputte Internet

18. Januar 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (246) Das Internet hat sich als perfides Vehikel der totalen Überwachung und Untergrabung der demokratischen Gesellschaft entpuppt. Ist da noch Hoffnung?

lobo

„Das Internet ist nicht das, wofür ich es so lange gehalten habe. Ich glaubte, es sei das perfekte Medium der Demokratie und der Selbstbefreiung.“ Mit diesen Worten hebt ein Artikel an, der unlängst in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen ist und den man gelesen haben muss. Jedenfalls, solange man nicht für sich allein auf einer fernen, weltabgewandten Insel lebt.

Der Autor dieses Artikels heisst Sascha Lobo und ist – zumindest in der sogenannten „Netzgemeinde“, also unter technikaffinen Menschen und überzeugten Nutzern der Digitalsphäre – kein Unbekannter. Gemeinhin gilt er als Evangelist des Fortschritts, nun tönt er plötzlich abgeklärt, ernüchtert, ja: gekränkt. „Was so viele für ein Instrument der Freiheit hielten, wird aufs Effektivste für das exakte Gegenteil benutzt. Der Spähskandal und der Kontrollwahn der Konzerne haben alles geändert.“

Dieser Text – eventuell kann man ihn einen Essay nennen, einen Zeitbefund, polemisch auch einen narzisstischen Rundumschlag – hat mannigfaltige Reaktionen ausgelöst. Zunächst (man ist geneigt zu sagen: typischerweise) nicht gerade selten auf absolutem Kindskopfniveau in diversen Online-Foren, auf Facebook und Twitter („Sascha Lobo glaubte ja auch, dass seine Frisur originell ist“), dann auf argumentativer Augenhöhe im Feuilleton und in der Netzgemeinde selbst.

Mitten im Getümmel fanden und finden sich natürlich auch Dissidenten wie der Journalist und Blogger Karsten Lohmeyer, der das Medium seiner Wahl „diesen Internet-Philosophen entreißen“ will, „den Nerds und Piraten mit ihrer unsäglichen Diskussionskultur und Lust an der Selbstzerstörung.“ Geschenkt. Ich lege Ihnen den Originalartikel ans Herz. Und erst im Anschluß die Lektüre der Fußnoten der Nachkläffer, Sub- und Meta-Querdenker, Gegenredner und Widersacher.

Zugegeben: ich fühle mit Lobo. „Trotz Fachwissens nicht für möglich gehalten zu haben, was Realität ist – das war meine Naivität“, diesen Satz können wir uns alle ins Stammbuch schreiben. Die dräuende Erkenntnis, dass die Digitalisierung unserer Existenz – von elektronischen Krankenakten bis zum Smart Metering der Energieversorgung, von der Auflösung traditioneller Geschäftsmodelle im Kultur- und Medienbereich bis hin zur kompletten Infragestellung unserer Privatsphäre – die Gesellschaft viel stärker prägt, „als die meisten Politiker, Journalisten und Fußgänger erkennen wollen oder können“ (Lobo), bedarf dringend des Weiterdenkens.

Noch – noch!? – üben wir uns in Optimismus. „Das Internet ist kaputt, die Idee der digitalen Vernetzung ist es nicht.“

Neujahrskonzert

12. Januar 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (245) Wer das Neujahrskonzert in bester Qualität nachhören will, sollte sich eventuell neue Kopfhörer gönnen.

Sennheiser Momentum

Wieviele Zillionen Kopfhörer wurden eigentlich zu Weihnachten verschenkt? Okay, das ist jetzt etwas übertrieben, aber die Notwendigkeit, Musik aus mobilen Geräten – vom Billig-MP3-Player bis zum Edel-Smartphone – in brauchbarer Qualität an die Ohren ihrer Besitzer und Benützer weiterzuleiten, hat unzweifelhaft einen Boom ausgelöst.

Seit einigen Jahren verkauft die Unterhaltungselektronik-Branche deutlich mehr Headphones als Lautsprecher. Und nicht nur die absoluten Zahlen sind Trumpf, sondern auch der Gesamtumsatz. Experten meinen, dass es allein in Europa mittlerweile mehr als sechshundert (!) Anbieter mit etwa 6000 Kopfhörer-Modellen gibt – der Großteil davon im Billigst-Segment unter 50 Euro. Die Ohrmuschel-Klangriesen sind zum Mitnahme- und Modeartikel geworden, Beats by Dr. Dre & Co. beherrschen das Strassenbild. Und natürlich wollen auch die alteingessenen Hersteller – von AKG bis Sennheiser, Stax und Yamaha – ein Wörtchen mitreden.

Wie aber herausfinden, welcher Kopfhörer auf welchen Kopf passt? Und auch noch besser als der Rest klingt? Hierzu gibt es nur einen gültigen Tipp: Ohren aufmachen! Zunächst aber gilt es, mit der ganz unterschiedlichen Passform und spezifischen Funktionsweise von In-Ears, On-Ears, Noise-Cancelling-Headphones, Funk- und DJ-Kopfhörern oder gar elektrostatischen High End-Hörgeräten samt eigenen Kopfhörerverstärkern umgehen zu lernen. Vieles – bis hin zum Preis, den man für gute Exemplare ausgeben kann und will – ist Geschmackssache.

Ich habe in den letzten Monaten immer wieder die unterschiedlichsten Hersteller und Modelle getestet. Vom eleganten RHA MA450i aus Großbritannien (mit Fernbedienung und Mikrofon) über superbe Noise-Cancelling-Modelle von Bose (Quietcomfort 20i) und Sennheiser (MM 550-X Travel) bis hin zu Bügelexemplaren für dem Heimgebrauch von Harman/Kardon, Pro-Ject und KEF. Zum aktuellen Lieblingsmodell habe ich den Sennheiser Momentum erkoren – es handelt sich um ein noch brieftaschenverträgliches, edles Kunstwerk aus Aluminium, Leder und fast schon greifbarem Wohlklang. Es gibt das gute Stück übrigens auch in Sondereditionen, aktuell z.B. für Fans von David Bowie. Wer’s braucht.

Generelle Erkenntnis: je mehr Materialeinsatz und damit Ohrmuscheldimension, desto besser. Schnuckelige In-Ear-Headphones sind eher nichts für mich. Nicht zuletzt, weil ich nie so recht weiss, ob das potentiell unangenehme Ding im Ohr jetzt richtig eingesetzt ist oder ich selbst der eigentliche Fremdkörper bin… Wenn aber alles sitzt und passt, klingt das Neujahrskonzert gleich doppelt gut.

Best of Böse

6. Januar 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (244) Was sagt es uns, dass “NSA” das Unwort des Jahres 2013 war? Und welche Schlüsse ziehen wir daraus?

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Ich erkläre „Unwort“ zum Unwort des Jahres 2014. Denn, unter uns, all die Bestenlisten, Exit-Polls, retrospektiven Belustigungen und wichtigtuerischen Jahresrückblicke alle zwölf Monate nerven. Und zwar gewaltig. Es ist das Geschäft der Medien, das Aufkochen kalten Kaffees mit einer Konzentration auf das Gute, Wahre, Schöne gleichzusetzen. Oder gar einer Verdichtung des Wesentlichen. Mon dieu! Zumeist will man sich eher der eigenen Bedeutung versichern als sich ausgerechnet an der Aufklärung der Menschheit abarbeiten.

Um nicht gar zu griesgrämig zu klingen: die häppchenweise Darreichung von Momenten der Besinnung und Nachbetrachtung und mehr oder minder soliden Meinungs-Bits & -Bytes hat schon ihre Berechtigung. Sonst gäbe es auch diese Kolumne nicht. Aber lustige Listen wie z.B. „Die 100 besten Küchengeräte des Jahres 2013“ – Sie finden derlei andernorts – mögen nicht mit Journalismus verwechselt werden. Auch nicht ihre antagonistischen Negativ-Entsprechungen. Ich würde Siegerstockerl-Rangeleien dieser Art dem Marketing zuordnen. Oder gleich strikt dem Entertainment-Business.

Es gilt, die Bedenken mit Beispielen zu untermauern. Wohlan: die hoch geschätzten Kollegen der „Futurezone“ – vormals beim ORF beheimatet, seit einiger Zeit ohne Qualitätsverlust beim „Kurier“ – haben ihre Leser das „Technologie-Unwort des Jahres 2013“ bestimmen lassen. Die Wahl fiel auf „NSA“. Dahinter folgten „Selfie“ (damit ist eitle Selbst-Fotografierei samt anschliessender Exhibition in sozialen Medien gemeint) und „Phablet“ (ein Zwitter aus Smartphone und Tablet Computer; nebstbei: ein Wort, das ich noch nie jemanden verwenden gehört habe). Abgeschlagen rangierten in diesen Best of Böse (Copyright: „Falter“)-Charts Begriffe wie „Bitcoin“, „Leistungsschutzrecht“ oder „Big Data“. Im Jahr davor hatte „Festplattenabgabe“ mit weitem Abstand die Negativ-Trophäe gewonnen.

Lustig ist das nicht. Vielleicht populär, vielleicht auch nur populistisch. Aus meinem Blickwinkel eher hirnrissig. Denn ich halte die legére Einordnung immenser und höchst komplexer Problemfelder in launige Jahreslisten für einen unwillkommenen Beitrag zur Verharmlosung, Verdrängung und Verniedlichung. Herr Klug findets vielleicht unklug (wahrscheinlich aus purer politischer Bequemlichkeit), die NSA lacht sich mit Garantie einen Ast ab über Multiple Choice-Protestgehabe dieser Denk- und Bauart. Sie inkludiert den fatalen psychologischen Nebeneffekt, „das hätten wir nun auch hinter uns gebracht“.

Lautet das Unwort des Jahres 2015 perspektivisch „Totalitarismus“? „Drohnenkrieg“? „Meinungsterrorist“? Oh, pardon, ich wollte Ihnen keineswegs den Spass an der kindlichen Freud’ verderben.

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