Archive for November, 2014

Schlechtwetterlage

30. November 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (289) Bei allem Mitgefühl: ist ein „Shitstorm“ wirklich die Krampusrute der digitalen Hemisphäre?

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Der Duden definiert einen Shitstorm als „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“. Das ist nicht unzutreffend. Aber es klingt reichlich harmlos. Aus der Sicht vieler – nicht aller – Betroffener, seien es Leinwand-Stars, Musikerinnen, Unternehmer, Spitzenmanager, Politiker, Journalisten oder „nur“ Privatpersonen, ist solch ein forscher Wind, der einem gelegentlich auf Facebook, Twitter & Co. frontal entgegenbläst, alles andere als leicht bewältigbar. Verständlicherweise.

Mittlerweile ist eine ganze Industrie von Image-Beratern, Social Media-Experten und PR-Fachleuten damit beschäftigt, ihre Klientel im Fall des Falles halbwegs unbeschädigt durch das Toben und Tosen zu geleiten. Und sie tragen alle einen Merksatz wie eine Monstranz vor sich her: wenn man nicht noch zusätzlich Öl ins Feuer giesst, ebbt der Sturm meist so rasch wieder ab, wie er aufgekommen ist.

Tatsächlich würde ich die Duden- bzw. Wikipedia-Definition des Phänomens leger um diese Erkenntnis erweitern: die Halbwertszeit der Dauerhaftigkeit der Erregung gleicht im Regelfall jener von Salzburger Nockerln.

Aufgefallen ist mir das einmal mehr dieser Tage – als sich nämlich ein britischer Forscher, der im TV die Frohbotschaft einer geglückten Sondenlandung auf einem Kometen (der ersten in der Geschichte der Menschheit) verkündete, wegen eines kuriosen Details zur Sau gemacht wurde: er hatte das falsche Hemd an.

Nämlich ein knallbuntes, nicht strikt geschmackssicheres, Hawaii-artiges Shirt mit halbnackten Frauen drauf. Mehr hat der Kerl nicht gebraucht! Der Furor brach sich augenblicklich unter dem Hashtag #Shirtstorm Bahn. Die althergebrachten Medien, mehr und mehr ein Resonanzkörper der virtuellen Sphäre, befeuerten die Debatte mit Pro- und Contra-Kommentaren. Letztendlich brach der Wissenschaftler, eine Entschuldigung für all die Kalamitäten auf den Lippen, live auf Sendung in Tränen aus. Eine beklemmende Szene. „Bis einer weint…“ Allein: wenige Tage später sprach und spricht kein Mensch mehr drüber.

Ist also ein Shitstorm der aufblasbare Krampusprügel oder gar der Pranger unserer ach so modernen Gesellschaft? Sind die digitalen Sturmbannführer allesamt leicht vergessliche Choleriker, anonyme Hysteriker und aggressive Political Correctness-Faschisten? Und hat dieses kaum steuerbare Phänomen nur negative Seiten? Darüber gilt es nachzudenken. Fortsetzung folgt – so sicher wie der nächste Shitstorm.

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Chinakracher

23. November 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (287) Man unterschätze HiFi „made in China“ nicht – und merke sich vorsorglich die Marke Oppo.

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Ich werde ja öfter mal gefragt – wie wohl jedermann, von dem man annimmt, dass er sich halbwegs auskennt mit der Materie –, was ich denn persönlich empfehlen könne. So in Sachen “zeitgemässe Musikanlage”. Das kann lästig sein. Aber mir macht es Spaß. Nachzuforschen, was in etwa der/die Fragesteller/in sich darunter vorstellt. Welche Musik daheim im Wohnzimmer läuft. Und was man so auszugeben gedenkt. Mit diesen Eckwerten eine feine HiFi-Kombination zusammenzustellen, ist eine mir nie langweilig werdende Aufgabenstellung.

Bisweilen – vor allem bei geringen Budgets und einem gewissen Hang zu Vintage-Objekten – werfe ich dann einen Blick in eBay oder willhaben.at. Garantie gibt’s hier keine, aber das eine oder andere Schnäppchen. Aber natürlich haben auch fabriksneue Geräte ihren Reiz. Zuvorderst den, den technischen Letztstand zu repräsentieren. Es gibt heute ab einer gewissen Preisklasse kaum mehr wirklich schlecht klingende Hardware. Und zu leistbaren Konditionen auch wirkliche Überflieger.

Hier hätten wir einen: den Oppo HA-1. Eigentlich ist das ein Kopfhörerverstärker (etwas für wirkliche Feinspitze), zugleich aber auch ein Vorverstärker mit Lautstärkeregler, Digital-Analog-Konverter und Bluetooth-Empfänger (mit gehobenem aptX-Standard). Also eine Art eierlegende Wollmilchsau, wenn man eine moderne Schaltzentrale für Musikkonsum sucht. In Kombination mit zwei Aktiv-Lautsprechern – da gibt es mittlerweile eine große Auswahl – und einem Laptop, iPad oder Smartphone ergibt das eine unauffällige, elegante, superb klingende Anlage.

Probieren Sie, sagen wir mal: Boxen von Genelec, Dynaudio oder Yamaha. Oder die (leider zu teuren) Oppo-High End-Kopfhörer. Der HA-1 hat ausreichend Ein- und Ausgänge, auch solche mit professionellen XLR-Anschlüssen. Falls Sie den Drahtlos-Standard Airplay der Bluetooth-Funkstrecke vorziehen, hängen sie noch ein Apple TV-Kästchen dazu.

Oppo – eine der Newcomer-Marken, die von China aus in den Weltmarkt drängen – baut auch Prozessoren, Mobiltelefone und herausragende BluRay-Player. Eine gewisse Verspieltheit ist den Asiaten eigen: auf einem Display simuliert der HA-1, wenn einem danach ist, VU-Meter, die im Takt der Signalstärke zappeln wie bei Verstärkern aus der guten, alten Analog-Ära. Und so vollgepackt mit Features der Oppo auch sein mag – oft sind es solche Details, die darüber entscheiden, ob nun ein Chinakracher unter dem Weihnachtsbaum liegt oder nicht.

Das Gerät wurde für Testzwecke freundlicherweise zur Verfügung gestellt von der Firma HEIMKINOWELT in 1230 Wien.

Punktlandung

15. November 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (286) Die erstmalige Landung einer Raumsonde auf einem Kometen ist ein positives Signal – nicht zuletzt wider Nationalismus auf dem Ursprungsplaneten.

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ÖBB, kurz hergehört! Nach zehn Jahren, acht Monaten und zehn Tagen Reisedauer kam es gerade mal zu 33 Sekunden (!) Verspätung bei der Ankunft. Zwar hat es das Fahrzeug ordentlich durchgeschüttelt – ein erster Rückprall soll gleich einen Kilometer hoch ausgefallen sein –, aber generell kann man von einer Punktlandung sprechen. Durchaus im wortwörtlichen Sinn.

Aber nicht allein die präzise Planung ist das Rekordverdächtige dieser Mission. Eine Landungseinheit samt Mini-Labor namens “Philae” war mit einer Raumsonde namens “Rosetta” 6,4 Milliarden Kilometer gereist, um auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko – landläufig „Tschuri“ genannt – aufzusetzen.

Das ist ein Novum in der Geschichte der menschlichen Raumfahrt. Zwar handelt es sich um einen höchst unwirtlichen Gesteinsbrocken von knapp vier Kilometern Durchmesser, der „nach Stall und faulen Eiern stinkt“ (so Experten der Universität Bern), aber dieser Haufen Materie verrät der Wissenschaft vielleicht mehr über die „Urwolke“, die Entstehung der Erde und den Beginn des Lebens als jahrhundertelanges Rätselraten im Vorfeld.

Allein die Bilder von diesem erst 1969 entdeckten Kometen, der mit 33,51 Kilometern pro Sekunde durch das All rast, sind von bestechender Schärfe. Auch wenn es Detailprobleme geben mag – die Sonde steht schief und erhält zuwenig Sonnenlicht, um die Solarzellen vollständig aufzuladen – kann man den Jubel aus dem Kontrollcenter in Darmstadt, wo die Signale von „Philae“ mit halbstündiger Verspätung eintreffen, nachvollziehen.

Die europäische Raumfahrts-Einrichtung ESA mit siebzehn beteiligten Nationen, darunter Österreich, hat hier – bei Gesamtkosten von etwa einer Milliarde Euro, einem Bruchteil des Hypo Alpe Adria-Defizits – jedenfalls ein sehr deutliches Signal für die Sinnhaftigkeit der Erforschung des Alls gesetzt. Und ein vielleicht ebenso wichtiges Signal für grenzüberschreitende, paneuropäische Zusammenarbeit.

Kurios mutet in diesem Kontext allerdings der ungenierte Hurra!-Patriotismus mancher Medien an. “Austro-Sonde auf Komet gelandet” titelte etwa ein Gratis-Blatt, das mit seinem Namen gleich die ganze Nation – sie hat nun bezeichnenderweise auch einen „Weltraumminister“ – in Geiselhaft nimmt. Und: “Auf der Suche nach E.T.” sei das Raumschiff gewesen. Geht’s noch infantiler?

Demnächst punktet dann wohl die Boulevard-Konkurrenz mit Mr. Spock, R2-D2 und Darth Vader als Kolumnisten.

Die alten und die neuen Jobkiller

8. November 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (286) Die digitale Revolution frisst ihre Kinder – und Sie könnten ihr nächstes Opfer sein.

File photo of a robot from the film "Terminator 3: Rise of the Machines"

Die Widersprüchlichkeiten und Umbrüche unseres modernen Zeitalters werden oft in ganz kleinen Details manifest. Und in grossen Aufmacher-Stories. Die “digitale Revolution” rief etwa das Wirtschaftsmagazin “Format” letzte Woche aus, hob einen zähnefletschenden Roboter – Modell Terminator – auf das Titelbild und kündete uns von “neuen Jobkillern, die Millionen von Arbeitsplätzen vernichten und ganze Berufsgruppen verschwinden lassen” werden. Untertitel: “Ein Report aus der nahen Zukunft”.

Parallel dazu erschien – kurioserweise im selben Verlag – das Technik-Magazin “e-media”, das lautstark “Das Recht auf Gier” geisselte. Man bezog damit eine einseitig populistische, zielgruppenadäquate Position im Streit um notorisch spröde Themen wie die Festplattenabgabe oder die Buchpreisbindung für E-Books. Allerdings: wem hier genau Gier unterstellt wurde, blieb unklar – denn Musik- und Buchproduzenten gehören nicht gerade zu den grossen Gewinnern der letzten Jahre. “Das Recht auf Geiz” träfe es wohl eher. Und, ja, das steht Konsumenten – letztlich uns allen – zu. Sofern man nicht nur Milchmädchenrechnungen anstellt und den Preis wertiger Kulturprodukte vor allem in Nischenbereichen auch realistisch hoch anzusetzen gewillt ist.

Oder wollen Sie wirklich einer Buchhändlerin, die sich – belesen und kundig – persönlich um Sie bemüht, an den Kopf werfen, sie wäre gierig? Oder einem Betreiber eines kleinen Musik-Stores, er könne nicht mit den Dumping-Preisen von Amazon mithalten? Ich sage Ihnen was: diese Leute kämpfen um Ihren Arbeitsplatz. Um ihre Verdienstmöglichkeiten. Um ihr Ein- und Auskommen. Ja, mehr als das: um ihre Würde. Und ihr Leben.

Das zweite Zeitalter der Maschinen – das sind keine mechanischen Ungeheuer mehr, sondern smarte digitale Netzwerke und künstlich intelligente, informationshungrige Automaten – wird, siehe „Format“ et al, in den nächsten Jahren Myriaden an Menschen arbeitslos machen. “Entweder die Unternehmen passen sich an oder sie gehen unter”, wird der deutsche IT-Berater Karl-Heinz Land zitiert. “Wir haben es mit einem immens disruptiven technologischen und gesellschaftlichen Trend zu tun.” Es müssen sich übrigens nicht nur Kreative, Musiker, Verleger und Buchhändlerinnen Sorgen um ihren Job machen, sondern auch Lehrerinnen, Taxilenker, Maurer, Pflegerinnen und Versicherungsfachleute. Und, ja, Rechtsanwältinnen und -Anwälte.

Und das – gerade noch profitable – Holzmedium e-media (schon der Name trägt die Widersprüchlichkeit von Gegenwart und Zukunft in sich) hat in diesem Kontext nichts anderes zu tun, als extra einen Rechtsanwalt sich Sorgen um eine möglichst enge Auslegung des Begriffs „Kulturgut“ machen zu lassen? Nun: ich stehe wohl nicht im Verdacht, ein Maschinenstürmer des 21. Jahrhunderts zu sein. Aber die Frage cui bono?, wem hier also genau womit gedient ist, steht tonnenschwer im Raum.

Und noch glaube ich an die alte These, dass die Maschinen dem Menschen zu dienen haben (und nicht nur einzelnen, eventuell tatsächlich gierigen Exemplaren dieser Spezies). Und nicht umgekehrt.

Drahtlos glücklich

2. November 2014

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (285) Ihre alte Stereoanlage kann mehr als Sie denken – wenn Sie sie zukunftstauglich verlinken.

Smile

Dass ich gern über Unterhaltungselektronik parliere und in diesem Kontext die Unterkategorie Audio eine wichtige Rolle spielt, dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein.

Das hat – nicht nur, aber auch – mit meiner Profession zu tun. Denn als Kolumnist betätige ich mich nur nebenher, im Alltag betreibe ich einen Musikverlag samt Management-Abteilung und Tonträger-Produktion (früher hat man dazu “Plattenfirma” gesagt). Sinnigerweise habe ich diesem Kleinstunternehmen einen ebenso markanten wie affigen Namen verpasst. Reich kann man damit nicht werden, dafür entschädigt die intime Nähe zu den holden Künsten. Es gilt der alte Leitsatz von Victor Hugo: “Musik ist das Geräusch, das denkt.”

Wenn wir nun einen Schritt weiter denken, landen wir rasch bei der Frage, warum Musik, sofern nicht live genossen, hierzulande immer noch vorwiegend physisch – also via CD und, in einer engen Liebhaber-Nische, auf Vinyl – transportiert und konsumiert wird. Bei einem Gesamtumsatz von 150 Millionen Euro (Quelle: IFPI Austria) entfielen anno 2013 noch knapp achtzig Prozent auf die traditionellen Erzeugnisse der Tonträger-Industrie. Und das, obwohl die Record Stores, Plattenläden und CD-Abteilungen der Elektrogrossmärkte mittlerweile – nicht unähnlich dem Buchhandel, der aber besser geschützt ist – einen regelrechten Rückzugskampf führen.

Vor allem Streaming, sprich: Spotify, Deezer & Co., gewinnt rasch an Terrain, wenn auch die Zustände in deutschsprachigen Landen noch nicht jenen in Schweden gleichen. Dort verschwindet die Compact Disc demnächst vom Markt. Ein Experte verschreckte neulich hiesige Branchengrössen mit der Aussage, es laufe in punkto Zukunftsmusik auf einen Dualismus hinaus: hie körperlose, ubiquitär verfügbare, extrem kostengünstige Digitalklänge, da Vinyl als werthaltiges Lustobjekt und konservatives Format für Jäger und Sammler.

Bei allem Fetischismus (und die Musik- und HiFi-Branche lebt von davon): wirklich glücklich wird wohl am ehesten, wer das eine tut, ohne das andere zu lassen. Man kann sich mit einem Streaming-Abo wunderbar über Neuigkeiten und ganze Back-Kataloge informieren – und gleichzeitig einen Plattendreher glühen lassen.

Ich hätte spontan einen Tipp: besorgen Sie sich einen “Wireless Audio Extender” von D-Link (Modell: DCH-M225) und machen Sie Ihre alte Stereoanlage netztauglich. Das kleine Stück Technik, das man direkt an die Steckdose steckt, nutzt die gängigen Protokolle Airplay und UPnP/DLNA, um Sie z.B. mit ihrem Smartphone zu verbinden. Kostet keine fünfzig Euro – und Pharrell Williams macht auf Knopfdruck happy. Eine Single von diesem Kerl sucht man leider vergeblich.*

*) Eine intensivere Recherche ergibt: es existiert doch eine Vinyl-7″, die mittlerweile um 70 bis 150 Euro gehandelt wird. Und es gibt eine knallgelbe Maxi-Single. Spricht für eine umfassende Renaissance des schwarzen Goldes.

Das letzte Lied

1. November 2014

Die Frage nach dem letzten Lied ist eine Zumutung. Aber eine positive Zumutung: sie versucht, das Leben über den Tod hinaus aufzuladen. Mit Musik.

Los Días de Muertos_x

Die Frage nach dem letzten Lied ist eine Zumutung. Denn „alles Fleisch ist wie Gras“ und man ist, bei allem Respekt, geneigt, augenblicklich eine krachende, knisternde, kratzende Vinyl-Ausgabe des Deutschen Requiems von Brahms auf den Servierteller zu legen (oder gar Mozart, The Doors, John Coltrane oder André Heller, Lautstärkeregler auf Anschlag und Gewehr bei Fuß), um die Sache abzubiegen.

Ein für allemal: Die Endlichkeit existiert jenseits unserer Begrifflichkeit. Finalmente. Setzen wir dem impliziten Pathos des launigen Frage-Antwort-Spiels also etwas zutiefst Vergängliches entgegen: eine Facebook-Eintragung. Denn eine solche war es, die mich auf die Idee brachte, die Frage andersrum zu stellen: welches Lied wird kein letztes Mal erleben? Also: überdauern. Mich überdauern. Uns überdauern. Die Zeiten überdauern. Das Ende der Welt überdauern. Das Ende aller Fragen überdauern. Das Ende der Musik überdauern.

Sie merken: wir landen schnurstracks im Irrenhaus. Was meint „Überdauern“ eigentlich? Gilt nicht die grob banale, zugleich verstörend weise Erkenntnis des vielleicht grössten Visionärs der letzten hundert Jahre (den man gemeinhin nur als verschrobenen Science Fiction-Autor kennt), Philip K. Dick: „Everything in life is just for a while“? Gilt dies nicht erst recht für die Instant-Glückspillen der Populärkultur, die per definitionem nicht auf Dauerhaftigkeit und Zeitlosigkeit ausgelegt sind?

Warum (und wie und wo und wozu, gemeint ist: zu welcher Tonspur) also ernstlich sinnieren über das Dies- und Jenseits, über die Existenz an sich, über Ewigkeit, Unendlichkeit, Unsterblichkeit? Und hätten dann das vageste Gefühl, die leiseste Ahnung, das absurdeste Abstraktum nicht unbedingten Vortritt gegenüber den konkreten Ausformungen unseres Daseins? Meinetwegen sogar Geistesgeburten von Engelbert Humperdinck. Sie dürfen frei entscheiden, ob damit der Spätromantiker des 19. Jahrhunderts oder der noch lebende britische Schlagersänger gleichen Namens gemeint ist.

Es war, wie gesagt, die Facebook-Statusmeldung eines Freundes, die mich auf die Spur brachte. Eines Freundes, der der Endlichkeit näher war und ist als wir, die wir den Tod tagtäglich verdrängen. Er hat seine Gründe, dies nicht zu tun. Die Eintragung lautete: „Schöpferisch sein heisst, dem Realen etwas zu entreissen, das uns überlebt. Und das ist sehr viel aufregender als die Refugien, die die Religion zu bieten hat. Es ist eine Art, Nein zum Tod zu sagen.“ Zitatende. Ich könnte nun googlen, von wem dieses Zitat – denn als solches wurde es ausgewiesen – stammt. Aber es tut wenig bis nichts zur Sache.

Worauf ich hinaus will, ist der Umstand, dass diese Sätze das Transzendente der Kunst, ihre Absicht und Essenz, ihre finale Radikalität abrupt in meinen Alltag schoben. Wie einen fehlenden Puzzle-Stein. Wie einen kühl glänzenden Mechanismus, der mit einem feinen, doch unüberhörbaren Klick-Geräusch in der Realität einrastet. Wie nichts sonst. Denn dies schien mir plötzlich auch die eigentliche Fragestellung zu sein: was kann ein „letztes“ Lied kommunizieren – über sein Verklingen hinaus?

Erinnerungen, Bedeutungen, den Nachhall einer Persönlichkeit: wohl kaum (sieht man vom Schöpfer des Liedes selbst ab). Das Vergessen ist ein unerbittlicher Prozess. Eventuell sogar ein gnädiger. Und ein Song als Vermächtnis, als Botschaft an die Hinterbliebenen, als Resümée eines Lebens oder auch nur als Kommentar, Anmerkung oder Fußnote erschiene mir arg eitel. Ironie könnte, zugegeben, diese posthume Eitelkeit mildern. Aber sie ist nur wenigen eigen. Und wird oft verkannt. Ironie ist ein Hund, so wie Glück angeblich eine warme Pistole ist. Und ein Lied ein Geschenk. Fragen Sie mal die Danaer.

Mein letztes Lied ist also eines, das keine weitere Bedeutung hat, das man kaum kennt und das bald vergessen sein wird. So wie ich selbst. Vollkommen zurecht. Mein höchstpersönliches letztes Lied stammt von Traffic – ich sehe die jüngeren Generationen in Wikipedia stochern, die Autoren heissen Steve Winwood und Vivian Stanshall, letzterer Gründer der Bonzo Dog Doo-Dah Band -, und trägt den Titel „Dream Gerrard“.

Dieses Stück Musik ist, gelinde gesagt, eigenwillig. Formatradiountauglich. Überlang. Von verhaltener Dynamik (wiewohl mit lauten und flüsterleisen Passagen ausgestattet). Ästhetisch von einer dicken Staubschicht bedeckt. Und textlich von einer dezent dadaistischen Detailunschärfe. Stanshall, vermutlich der Schöpfer der „lyrics“, wurde übrigens am 6. März 1995 tot aufgefunden, nachdem einen Tag vorher ein Feuer in seiner Wohnung ausgebrochen war. Die Ermittlungen ergaben, dass eine brennende Lampe umgefallen war und seine zahlreichen losen Aufzeichnungen entzündet hatte.

Ein einsamer, ein tragischer, ein lächerlicher Abgang. Er gefällt mir. Er hätte wohl auch Thomas Bernhard gefallen, der einst festgehalten hat, es sei alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt. Keine Ahnung übrigens, ob sich der überaus musikaffine Bernhard ein letztes Lied gewünscht hat: wahrscheinlich hat man ihm die österreichische Bundeshymne ins Grab nachgeworfen. Dann doch lieber Traffic. Und dieses ominöse „Dream Gerrard“.

They won’t let it be, they think it should be done with reality.

(Buchbeitrag für „Das letzte Lied“, Hg. Wolfgang Pollanz/Wolfgang Kühnelt, erschienen im Herbst 2014 im Milena Verlag, Wien.)

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