Archive for Juni, 2015

Märchenstunde

27. Juni 2015

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (317) Was kann „Apple Music“, was die Konkurrenz nicht kann? Uns taxfrei rührige Märchen erzählen.

Apple Deal

Sie wollen ein modernes Märchen hören? Gerne doch.

Es geht so: der reichste Konzern der Welt möchte noch mehr Geld verdienen und startet ein neues Service. Es nennt sich „Apple Music“ und fungiert, nomen est omen!, als technische Plattform, die weltweit Musikproduzenten (also Musiker/innen und ihre Labels und Verlage) mit Konsumenten und Fans verbindet. Per Streaming. Was schlichterweise bedeutet, dass es keine Handelsware mehr gibt – nicht einmal mehr schnöde Datenpakete, die dauerhaft gespeichert werden*). Dafür aber ein Abonnement, das Zugriff auf eine schier unschöpfliche Datenbank bietet. Quasi die grösste virtuelle Jukebox der Welt.

Blöderweise gibt es dieses Service schon. Mehrfach. Der Platzhirsch heisst „Spotify“ und erfreut sich auch hierzulande wachsender Beliebtheit. Was wird nun Apple als Konkurrent, der mit Verspätung in den Markt drängt, anders, frischer, besser machen? Kurz gefasst: kaum etwas. Um aber dennoch für Aufhorchen zu sorgen, hatten die Marketing-Experten in Cupertino, USA eine forsche Idee: eine dreimonatige Gratis-Testphase für jedermann, der das Angebot unter die Lupe nehmen möchte. Die Sache hatte einen Haken: nicht nur der Plattform-Betreiber wollte an dieser Aktion nichts verdienen, sondern auch die Lieferanten sollten es nicht. Sie hätten ihre Musik dem Giganten Apple kostenlos zur Verfügung stellen sollen.

Es kam, was kommen musste: ein Aufschrei. Zuerst schreckstarr leise, dann immer lauter. Labels, Vertriebe, Interessensverbände und nicht zuletzt die Urheber erhoben Protest. Apple zeigte sich ungerührt, ja trotzig. Dann aber – und hier gleitet die Story ins Märchenhafte ab – meldete sich Taylor Swift zu Wort. Ein weiblicher Pop-Star, jung, schön, charismatisch. Und mit Millionen Followern auf Facebook und Twitter verbunden. „Wir bitten Sie nicht um kostenlose iPhones“, liess sie Tim Cook und sein Streaming-Team wissen. „Bitte verlangen sie von uns nicht, dass wir unsere Musik ohne Gegenleistung zur Verfügung stellen.“

Die Botschaft wurde erhört. Apple schwenkte plötzlich um. Die gute Fee Swift lobt, pardautz!, den vormaligen Bösewicht nun lautstark. Und lässt ihr neues Album „1989“ exakt hier exklusivSpotify darf sich aus der Ferne grämen, Swift hatte schon vor Monaten ihr Repertoire zurückgezogen – vertreiben.

Mein Instinkt sagt: etwas an dieser Geschichte ist faul. Oberfaul. Aber die Welt will nun mal Märchen hören. Am liebsten per kostenlosem Audio-Stream.

Anm.: *) Apple Music bietet – via iTunes Store – eine „Buy“-Funktion, die dauerhaftes Abspeichern ermöglicht.

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Signalstärke

20. Juni 2015

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (316) Frage an Radio Eriwan: muss eigentlich wirklich alles in Nullen und Einsen zerlegt werden?

DAB+ Radio

An dieser Stelle ist eine Entschuldigung fällig. Letzte Woche hatte ich die Betreiber des heimischen Rundfunkanbieters KroneHit einer, gelinde gesagt, nicht unumstrittenen Äußerung geziehen. Und zwar, weil sie den plakativen Werbespruch „Wir sind die meisten Digitalradios!“ verwenden – ohne auch nur eine einzige Frequenz beim derzeit laufenden Digitalradio-Feldversuch im Raum Wien zu bespielen.

Eine aufreizende Ansage für alle Mitbewerber, die keine Kosten und Mühen scheuen, Praxiserfahrung zu sammeln und den Äther mit neuen Formaten und Inhalten zu bestücken. Wer immer ein modernes Radiogerät daheim hat, das neben UKW auch DAB+ beherrscht, mag sich selbst ein (Hör-)Bild machen.

Aber, um ehrlich zu sein: ich kann auch die Position des Geschäftsführers und des Programmchefs von KroneHit nachvollziehen. Die hatten mächtig protestiert und mich, auch nicht maulfaul, mit ihrer Meinung konfrontiert, ich wäre mit meinem Medienverständnis „vor einigen Jahrzehnten hängengeblieben“. Denn: auch Web-Channels (Krone-Hit bietet davon ein ganzes Bouquet) wären Digitalradio. Und DAB+, also digitales, terrestrisches Broadcasting im engeren Sinne, hätte Nachteile. Für die Hörerinnen und Hörer, nicht zuletzt aber auch für die Anbieter.

Letztlich werde man sich doch nicht das eigene Geschäft – das vorrangig auf der eng begrenzten Verfügbarkeit von UKW-Frequenzen beruht – kaputtmachen lassen. Was übrigens auch den übermächtigen Leithammel der hiesigen Radiolandschaft, Ö3, bewogen haben dürfte, nicht nachdrücklich für ein eigenes DAB+-Versuchsprogramm („FM21“) zu kämpfen. Der Gesetzgeber erlaubt derlei Sperenzchen ja erst gar nicht. So macht man es sich im Status Quo bequem.

Ist es aber ernsthaft vorstellbar, dass Rundfunk das einzige Massenmedium ist, das nicht dem technischen Imperativ der Digitalisierung gehorcht? Da spricht wohl schon die – wenngleich schneckenlahme – Entwicklung auf internationaler Ebene dagegen. Österreich als einsames Analog-Eiland ist kein realistisches Szenario. Aber DAB+, dessen Zukunft auch noch in den Sternen steht (man denke etwa an das Schicksal des ärgerlich kurzlebigen Digital-TV-Standards DVB-T), muss ja nicht die einzige Alternative zum UKW-Dampfradio sein und bleiben. Denn nicht nur die Zurückhaltung der kommerziellen Radiokapitäne, sondern auch die Skepsis des p.t. Publikums ist hör- und spürbar. „DAB+ ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat“, schrieb mir etwa ein aufmerksamer Leser dieser Kolumne – und ganz unrecht hat er nicht.

Ob die Zukunftsmusik im Jahre 2020 also analog aus dem Autoradio dudelt oder – so oder so – digital aus dem Handy (dem aktuellen Schlachtplatz der Radioszene) oder gar beide Welten nebeneinander existieren, darüber dürfen Wetten abgeschlossen werden. Stay tuned.

Antennen-Los

13. Juni 2015

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (315) Wie man laut dröhnend seinen Hörern den Unterschied zwischen Web- und Digitalradio verschweigt.

Ghettoblaster

„Wir sind die meisten Digitalradios!“, dieser Werbespruch des heimischen Privatradioanbieters KroneHit, ist nicht unumstritten. Aber das ist man ja von der Branche gewohnt. Wo einem die „besten Hits der 80er, 90er und von heute“ versprochen werden, geht meist nur die übliche Formatradio-Tristesse on air, „der schnellste Verkehrsservice Österreichs“ ist genauso flott und akkurat (oder auch das Gegenteil davon) wie die Konkurrenz. Und auch honorige Auszeichnungen, wie sie unlängst beim neu gestifteten Radiopreis vergeben wurden, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Superlativ die Normgrösse der Marketingabteilung ist. Und zwar aller Marketingabteilungen.

Was also ist so mißverständlich an der Behauptung von KroneHit? Immerhin bietet der Sender – zusätzlich zu seiner UKW-Frequenz – gleich 18 Internet-Streams an, von „Vollgas“ bis „Balkan“ (die so die jeweiligen Zielgruppen gleich volley ins Visier nehmen). Radio im engeren Sinn ist das nur bedingt, eher schon eine billige, computergenerierte Musiksoße auf Endlosschleife. Wem’s gefällt… Natürlich trachtet der strikt kommerzielle Rundfunkanbieter mit diesem Schmäh, möglichst viele Hörer/innen bei der Stange zu halten und bei den halbjährlichen Radiotests zur Nennung des richtigen Sendernamens zu bewegen. Nur so bleibt der Anteil am Werbekuchen üppig genug, um unbesorgt in die Zukunft zu marschieren.

Was ja real nicht passiert. Im Gegenteil. Denn terrestrisches (!) Digitalradio macht KroneHit nicht, sondern Internet-Radio. Ersteres können Sie seit ein paar Tagen im Großraum Wien empfangen, wenn Sie ein Gerät daheim oder im Auto haben, das den Standard DAB+ beherrscht. Feldversuch, Baby! Da aber sind KroneHit und andere wesentliche Player der Privatradio-Szene nicht dabei. Und, hoppla!, auch der ORF glänzt durch Abwesenheit. Dafür gibt’s – neben etablierten Marken wie NRJ, Arabella oder lounge.fm – plötzlich den Autofahrerclub ARBÖ live on air. Und einige obskure Nischenfüller mehr.

Technisch ist das ja alles kein Mirakulum, praktisch scheuen Ö3 & Co. eine digitale Angebotserweiterung. Der Grund dahinter: die schlagartige Neuordnung des Marktes beim Umstieg von analogem UKW-Radio auf den gültigen terrestrischen Digitalstandard DAB+ (von der Behörde für 2018 in Aussicht gestellt).

Also kratzt man alles an müden Argumenten und Ausreden zusammen, um sich ja nicht zu früh auch nur einen Millimeter bewegen zu müssen. Der Ton macht die Begleitmusik: der gern verwendete Fingerzeig, Millionen UKW-Empfänger würden im Fall des Falles schlagartig Elektroschrott, ist zwar einigermassen stichhaltig – aber seltsamerweise hat das beim Analog/Digital-Umstieg der Fernsehsender auch niemanden gekratzt.

Schienenersatzverkehr

5. Juni 2015

MASCHINENRAUM. Die Kolumne in der „Presse am Sonntag” (314) Geschichten, die das Leben schreibt – und zwar mit einer Hand: Radtest, Schlüsselbeinbruch, Bestnote.

Schluesselbeinfraktur_Konservativ

„Gott soll einen hüten vor allem, was noch ein Glück ist“, hat Friedrich Torberg einst die Tante Jolesch weissagen lassen. Ich kann mir den Spruch ins Tagebuch schreiben. Denn ich hatte noch Glück im Pech. Als Profi-Maschinist und Tester im Auftrag der „Presse am Sonntag“ schwang ich mich vor wenigen Tagen in den Sattel, um ein Elektro-Bike auf Herz und Nieren zu prüfen. „Nur mal so“, also ohne Fahrrad-Helm, und mit unbekümmertem Karacho.

Das Rad fordert Tempo förmlich heraus: es ist der Prototyp eines Leichtbau-Bikes – wiegt gerade 12 Kilogramm – mit einem Elektromotor, der permanent die gesetzlich höchstzulässige Dauerleistung von 250 Watt abgibt. Die dünnen 28 Zoll-Rennreifen, die 10-Gang-Shaltung von Shimano und ein niedrig gebauter Lenker geben einem das Gefühl, im Windschatten von heimischen Radlegenden wie Max Bulla, Ferry Dusika, Rudolf Mitteregger (und seinem ewigen Rivalen Wolfgang Steinmayr) oder Bernhard Kohl unterwegs zu sein.

Es kam, was kommen musste: ich riss eine Mords-Brez’n. Es war und ist nun einmal keine gute Idee, die Schienen der Wiener Strassenbahnlinie 6 in einem zu spitzen Winkel queren zu wollen. Und, ja, ich hatte Glück: kein Auto oder gar die Bim direkt hinter mir – und der Kopf blieb auch verschont. Dafür musste das Schlüsselbein dran glauben. Glatter Bruch links. Tut ordentlich weh. Und die nächsten Wochen im Freibad kann ich mir abschminken.

Wenn Sie jetzt meinen, der gefährliche (weil zugegebenermassen auch ungewohnte) fahrbare Untersatz bekäme meinen Unmut über dieses Malheur ab, muss ich Sie enttäuschen. Das Rad ist wunderbar. Elegant, gut zu beherrschen – sofern man Gleisrillen vermeidet –, konstruktiv ausgereift. Der Preis von knapp 4000 Euro für das gute Stück der Newcomer-Marke Freygeist ist eventuell schmerzlich hoch, aber die Konkurrenz für den „Urban Professional“ im Bereich Mobilität heisst Vespa oder Smart. Und man ist mit dem Freygeist (und jedem ähnlichen Elektro-Geschoss) in der Stadt tatsächlich so flott unterwegs wie mit dem Kleinauto, kann legal gegen Einbahnen fahren und muss sich nicht den Kopf über Steuer, Pickerl und Kurzparkzonen zerbrechen. Höchstens über die Begehrlichkeiten von Fahrraddieben: dem Rad sieht man nicht seine spezielle Konstruktion, dafür aber seinen Preis durchaus an.

Zu kaufen gibt es das hiermit zwar nur kurz, aber höchst positiv getestete Freygeist-Bike – weitere Modelle sind in Planung – noch nicht. Jedenfalls nicht regulär. Wenn die Begehrlichkeit obsiegt, werden Sie frohen Muts Crowdfunding-Pionier! Ich selbst überlege noch. Mindestens, bis ich den schmerzlich engen Rucksack-Verband entfernen darf.

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